23.10.2009

Provozieren um jeden Preis

Ich verweise hier mal, nicht nur für Coaches, sondern sehr generell, auf den warmherzigen Video-Post von Monika Lohmann.
Weil ich immer wieder solche Erfahrungen in Diskussionsforen mache, habe ich mich seit längerer Zeit damit beschäftigt. Im weitesten Sinne greift dies auf meine Beschäftigung zu Empathie und Gewalt zurück.
Frau Lohmann habe ich dann folgendes in ihren Blog kommentiert:
Sehr geehrte Frau Lohmann!
Das ist mal ein sehr vernünftiger Kommentar. Der Thread war wirklich furchtbar. Zum einen aber bestätigt der Erfolg dieses Threads Luhmanns Ansicht, dass Konflikte gerade dadurch binden, weil sie auf der einen Seite hochselektiv sind, auf der anderen Seite höchst diffus. Beides geht deshalb zusammen, weil die Struktur eines Konfliktes primitiv ist, z.B. erfolgreich sein / nicht erfolgreich sein. Die Auflösung dieser Struktur jedoch läuft über ‘Verzeitlichung’ durch anderes und andere Themen, nicht durch Aktualisierung des Konflikts. (Im übrigens ist Ihr Beitrag wirklich klasse: die Majestät des Absurden betritt die Bühne, wenn ich mal mit Paul Celan so formulieren darf.)
Zum anderen erlebe ich diese Form der Diskussion immer wieder, gehe es nun um mailing-Listen zur Systemtheorie und zum kreativen Schreiben, um Nazi-Blogs, etc. Die Ursache finde ich unter anderem in der in der Linguistik altbekannten Spaltung zwischen formellen (grammatischen) und semantischen (bedeutsamen) Muster. Formelle Muster sind gleichsam Anordnungen der Materie, so, wenn ein Satz eine bestimmte Abfolge von Wörtern haben muss, um grammatisch korrekt zu sein. Semantische Muster sind gleichsam der Sinn, der entsteht, wenn ein Kopf mit diesem Satz zusammenstößt. Da wir zuerst den Sinn eines Satzes suchen, verwechseln wir gerne das semantische Muster mit dem formellen Muster. Doch wie heißt es so schon? “Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.” Mein Gegenüber sieht eben nicht mein semantisches Muster, sondern nur das formelle. Und über diesen Trugschluss heizen sich solche Diskussionen auf.
Sie hatten das übrigens, mit anderen Begriffen, vor einigen Monaten ähnlich formuliert. Ich finde bloß gerade nicht Ihren Eintrag (ich gestehe: ich bin zu faul zum Suchen).
Liebe Grüße,
Frederik Weitz
In der Ethnologie, so scheint es mir, kann man hier auch zwischen Konfliktgesellschaften und Erzählgesellschaften unterscheiden. Erzählgesellschaften neigen sehr viel stärker zu ritualisierten Werten und Normen. Sie sind weniger pluralistisch. Dagegen pluralisieren sich Konfliktgesellschaften (z.B. moderne Demokratien) über diese Konflikte aus. Das liegt vermutlich daran, dass die wenigstens Konflikte rechtstauglich sind, sondern nur interaktionstauglich (vgl. dazu Luhmann, Niklas: Ausdifferenzierung des Rechtssystems. in ders.: Ausdifferenzierung des Rechts, hier S. 38f.; Luhmann spricht hier, in etwas anderer Bedeutung, von basaler Souveränität (Interaktion) und Entscheidungssouveränität (Rechtsinstitution)).
Interaktionstaugliche Konflikte werden sehr unterschiedlich gelöst, während rechtstaugliche Konflikte durch daran anschließende formelle Verfahren gleichförmig bearbeitet werden sollten. Nicht nur werden interaktionstaugliche Konflikte dadurch pluralistisch, weil sie durch Schweigen, Duldung, Rückzug, Kompromisse und ähnliches gelöst werden; auch rechtstaugliche Konflikte können pluralisierend sein, wenn der Absprung von der Interaktion in institutionalisiertes Recht an verschiedenen Stellen getätigt wird. So kann der gleiche Nachbarschaftsstreit (die auf das Nachbargrundstück laubende Weide) entweder gleich vor dem Kadi enden, oder erst dann, wenn schon Mord und Totschlag passiert sind. Diese Pluralisierung liegt allerdings nicht im institutionalisiertem Recht, sondern im Wissen um dieses und in seiner Relevanz für die Teilnehmer.


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