01.07.2017

Stippvisiten ins Land der Elitenbildung

Dass ich seit einiger Zeit intensiv Java lerne, dürfte den meisten von euch zwar neu sein, aber auch nicht verwundern. Ich hatte mich schon früher an dieser Computersprache ausprobiert. Im Moment allerdings schaffe ich kaum etwas anderes. Trotzdem: hier ein kleiner Überblick über das, was mich derzeit bewegt, rechtspopulistischer Humor und Eliten, also, wie gehabt, Paradoxien und Tautologien.

Bundestagswahl

Vor der letzten Bundestagswahl wollte ich unbedingt die Themen aus dem Parteiprogrammen, die mir am Herzen liegen, genauer beleuchten. Aber das war 2013; und es war ein Jahr, das mir vieles ziemlich durcheinandergebracht hat - ich räume heute noch die Scherben weg. Wie auch immer: das Vorhaben ist liegen geblieben. Etwas fleißiger war ich diesmal, doch noch muss ich mich zurückhalten. Das Wahlprogramm der CDU erscheint nämlich erst am nächsten Montag. Das mag für den einen oder anderen nicht so wichtig sein. Doch bei all den Halbwahrheiten, die spätestens beim dritten Zitieren vollständig zu „alternativen Fakten“ werden, halte ich das Anstreben von einer gewissen Vollständigkeit für sinnvoll.

Nicht witzig

Frau von Storch versucht sich gerne in Kalauern. Das meiste, was sie allerdings von sich gibt, finde ich so doof, dass ich mich schäme, darüber zu schreiben. Wie auch sollte man erklären, warum die Lächerlichkeit eben lächerlich ist? Letztens habe ich es dann doch versucht. Mit Sicherheit wird dies aber nicht einer meiner besten Texte sein. Zu offensichtlich ist das Falsche und Schiefe ihrer Meinung.
Besonders altklug kommt sie auch mit ihrem tweet zur „Homo-Ehe“ daher: „Frage an den Rechtsausschuss: Geht eingetragene Lebenspartnerschaft auch heterosexuell?“ Aber was soll man dazu sagen? Die eingetragene Lebenspartnerschaft unterscheidet sich sowieso nur noch in wenigen Punkten von der vertraglichen Ehe. Und in einem wichtigen Aspekt, dem der Adoption, wird von sehr vielen homosexuellen Pädagogen bewiesen, dass sie gute Pädagogen sein können. Darauf kommt es schließlich an. Dass heterosexuelle Eltern nicht unbedingt die erste Wahl sein müssen, das sieht man als Verhaltensgestörtenpädagoge des Öfteren.
Meine Meinung dazu kennt ihr: die Ehe ist ein Vertrag zwischen Individuen. Darin hat sich der Staat so wenig wie möglich einzumischen. Insofern begrüße ich die vollständige Gleichstellung. Und appelliere trotzdem an die Kirchen, hier anders zu argumentieren: der liberale Rechtspositivismus ist eben kein Glaube. Selbst wenn im Endeffekt auch in einer Kirche die homosexuelle Ehe als gleichberechtigt anerkannt wird, sollte dies aufgrund anderer Argumentationen geschehen.

Armutsbericht

Man kann sich Bundestagssitzungen als Video anschauen. Überall auf der Welt. #Neuland macht es möglich. Die Debatte vom Mittwoch zum Armuts- und Reichtumsbericht habe ich mir noch nicht angesehen. Es muss hoch hergegangen sein. Nur auf den ersten Blick mag es seltsam erscheinen, dass zwar die deutsche Wirtschaft so gesund wie seit langer Zeit nicht mehr ist, aber die Zahl der Menschen, die um die 12.000 € im Jahr verdienen, gestiegen ist. 12.000 €, d. h. 60 % von dem Einkommen, welches als Medianeinkommen bezeichnet wird.
Beim Medianeinkommen werden alle Gehälter der Reihenfolge nach geordnet. Jeder Verdienende bekommt dabei das gleiche Gewicht. Das Gehalt, welches auf der Hälfte der Strecke vom niedrigsten Einkommen bis zum höchsten Einkommen liegt, gilt als Medianeinkommen. Es handelt sich nicht um das durchschnittliche Einkommen. Das dürfte durch Spitzenverdiener höher liegen. Das Medianeinkommen verweist indirekt auf die Schere zwischen Armen und Reichen: es bleibt nämlich gleich, wenn mehr Menschen arm und zugleich mehr Menschen reich werden. Und zugleich verweist es nicht auf diese Schere, denn es gaukelt so etwas wie einen Durchschnitt vor. Dazu aber gleich noch ein wenig mehr.
Jedenfalls waren einige Leserkommentare in der taz dazu wunderbar. Hier einige davon.

Beinbruch

Ein Leser stört sich an dem Begriff „armutsgefährdet“. Wer nämlich Hartz IV empfängt, ist keineswegs mehr von Armut gefährdet, sondern schlichtweg arm. Und uzt dazu:
Im Krankenhaus käme ja auch niemand auf die Idee, einem Patienten mit offenem Beinbruch zu bescheinigen, er sei beinbruchgefährdet.

Randphänomen

Armut sei in Deutschland, so Kai Whittaker (CDU), eigentlich ein Randphänomen. Schließlich seien die Löhne stark gestiegen und die (wirtschaftliche) Ungleichheit gesunken. Das ist ein seltsamer, wenn nicht gar befremdender Spruch. Allerdings hat sich dann Martin Rosemann (SPD) mit seiner Kritik daran selbst ein Bein gestellt: er mahnte nämlich an, sich nicht auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Aber auf welchen Lorbeeren? Immer noch gibt es ein Heer von Mindestlohnempfängern und Aufstockern, immerhin doch jeder sechste Arbeitnehmer (von Kindern und Rentnern nicht zu reden). Und ob mit oder ohne Hartz IV: von Lorbeeren sehe und rieche ich weit und breit so rein gar nichts.
Ein anderer Leser rechnete vor, was ein ehemaliger VW-Manager eigentlich verdient, wenn er 14 Millionen Jahresgehalt voll versteuert verdient: 799 € pro Stunde, und zwar jede Stunde des Jahres, egal ob er schläft, Golf spielt, mit seinen Kindern Hausaufgaben macht, oder eben arbeitet. Dem stehen die 409 € gegenüber, die ein Hartz IV-Empfänger im Monat bekommt. Von einem solchen Manager-Gehalt könnte man also 1400 Hartz IV-Empfänger versorgen. Nun geht die Rechnung allerdings davon aus, dass die Hälfte des Gehaltes als Steuern abgezogen wird. Das ist aber keineswegs der Fall. Faktisch verdient dieser also wesentlich mehr.

Geschäftsmodell

Whittaker wirft Kipping (Linke) vor, Armut als Geschäftsmodell zu betreiben. Und derselbe Leser merkt dazu sehr richtig an, dass dies doch eigentlich umgekehrt sei: „die Verteilung von Armut geht auf das Konto der CDU und natürlich auch der SPD“, sei also ihr Geschäftsmodell.
Besonders ärgerlich ist, dass Whittaker die Armut zu einer rein rhetorischen Floskel herabgewürdigt wird, so als ständen hinter der Armut keine realen Menschen, die real unter Armut leiden. Das Verfloskeln bedeutet aber auch, dass ein Verantwortungsbereich abgelehnt wird. Dies schreibt ein anderer Leser. Er fügt hinzu, dass die Armut zu Arbeiten zwinge, die an die Prostitution grenzen. Und dass keiner der „edlen“ Herren (und Damen) das so benennen wolle, weil niemand gerne „als Zuhälter dastehe“.

Kein Bernie Sanders in Deutschland

Zu etwas ganz anderem äußert sich Rainer Bonhorst auf der Plattform Achse des Guten. Er reduziert die politische Welt auf einen Kampf zwischen rechts und links. Und scheint zu meinen, dass Erfolg daran zu messen sei, wie man das politische System durcheinanderwirbele. Oder etwas ähnliches. Bonhorsts Betrachtung ist deshalb so fade, weil sie ähnlich oberflächlich wie die Bewertung der Kandidaten bei Germans Next Top Model bleibt.
Ganz zum Ende des Artikels fragt der Autor, ob es in Deutschland jemanden gäbe, der wie Sanders die Jugend mitreißen und an die Wahlurnen bringen würde. Er sehe keinen; um dann nahtlos dazu überzugehen, dass dann auch keiner da wäre. Das ist ein klarer Fall von Verwechslung von Perspektive und Existenz. Im Fall von politischen Persönlichkeiten allerdings beruht die Existenz (als politische Persönlichkeit) auf der Sichtbarkeit. Und was man nicht sehen will, das existiere dann tatsächlich nicht. So wird daraus eine selbsterfüllende Prophezeiung.

„Selbst ernannte Eliten“

Im Kommentar-Teil beklagt ein Leser den „medial und links-grün ausgerichtete[n] Jubel der europäischen selbst ernannten Eliten“. Abgesehen davon, dass auch hier der Begriff „links-grün“ wie ein Fremdkörper wirkt: sind nicht alle Eliten selbst ernannt? Ist es nicht geradezu ein wesentliches Merkmal von Eliten, sich selbst zu ernennen und zu legitimieren?
Nun, nicht ganz. Eine beliebte rhetorische Strategie besteht darin, dem Gegner Aussagen und Überzeugungen anzudichten, die diesen willkürlich und eigentlich parodistisch überhöhen. Dann zeigt man auf den Unsinn dieser Aussagen und zeiht den Gegner der Dummheit, Verlogenheit und / oder blinden Machtversessenheit. So ist dies, wie ich mehrfach gezeigt habe, mit der Gender-Theorie geschehen. Zwischen der von Rechtspopulisten herbeihalluzinierten Gender-Ideologie und der wissenschaftlichen Gender-Theorie klafft eine riesige Lücke.

Erdogan

Dass diesem Menschen der Auftritt in Deutschland verboten worden ist, finde ich mehr als gerechtfertigt. Meinungsfreiheit und politische Betätigung haben ihre Grenzen. Erdogan hat in der Vergangenheit mehrfach Deutschland des Faschismus geziehen. Doch davon sollte man sich nicht irre machen lassen. Es ist kein Faschismus, wenn man einem Faschisten das Wort verbietet.
Ich brauche jedenfalls keine Todesstrafe in der Türkei. Und ich kann darauf verzichten, dass manche der Türken, die ich kenne, sich nicht mehr in ihre alte Heimat trauen. Erdogan macht das, was die AfD in Deutschland macht: er spaltet das Land; er verweigert sich einer ehrlichen Diskussion um strittige Themen; er verbreitet Angst und Schrecken. All das sind Zeichen einer faschistischen Gesinnung. Da ist dann der Hinweis auf das demokratische Gewähltsein nur noch ein Scheinargument.

Eliten: die Kräfte des Spektakels

Grundsätzlich sind Eliten unumgänglich. In Gesellschaften finden Prozesse sozialer Selektion statt. Dass diese allerdings auf Willkür und Bequemlichkeit gegründet sind, mithin auf Verdunkelung der Auswahlprozesse und schablonenhaftem Denken, dies wird von den Eliten gerne verschwiegen. Unumgänglich heißt also nicht: notwendig gut, sondern nur: nicht aus der Welt zu schaffen.
Guy Debord hat in seinem Buch Die Gesellschaft des Spektakels den tautologischen Zustand analysiert, den das Spektakel zugleich mit den Eliten erreicht und dessen impliziter moralischer Imperativ ist: Beherrsche das Spektakel, damit die Elite wirst! Ziel der Elite ist dagegen ihr Unsichtbar-Werden: so dass sich ein verleugneter Zusammenhang zwischen Elite und Spektakel ergibt, der als paranoide Projektion beschrieben werden kann, siehe dort § 12 und 13, insbesondere aber § 104-107. Nun stimme ich Debord in vielem nicht zu (ich halte die marxistische Theorie aus sehr grundsätzlichen Überzeugungen für falsch); sicherlich aber hat diese trotzdem ein sehr hohes Niveau an Reflexion bereit gestellt, das sich nicht einfach vom Tisch wischen lässt. So ist folgender Hinweis zu bedenken, auch wenn man ihn nicht nur gegen den Leninismus/Stalinismus lesen sollte, sondern allgemeiner gegen die (heute meist konservativen) Kräfte des Spektakels:
Die revolutionäre Ideologie, d. h. die Kohärenz des Getrennten, deren größte voluntaristische Anstrengung der Leninismus ist, hat die Verwaltung einer sie zurückweisenden Realität inne und gelangt mit dem Stalinismus wieder zu ihrer Wahrheit in der Inkohärenz. In diesem Augenblick ist die Ideologie keine Waffe mehr, sondern ein Zweck. Die nunmehr widerspruchslose Lüge wird zum Wahnsinn. … Die Ideologie, die sich hier materialisiert, hat nicht die Welt wirtschaftlich verändert, wie der zum Stadium des Überflusses gelangte Kapitalismus; sie hat lediglich die Wahrnehmung polizeilich verändert.
Wie also wäre dem zu begegnen? Eventuell so:
Zum einen durch eine Pluralisierung der Eliten in wissenschaftliche (literaturwissenschaftliche, physikwissenschaftliche, etc.), politische, journalistische, ästhetische, revolutionäre, religiöse, moralische, philosophische, kognitionspsychologische, psychoanalytische, etc.; und zum anderen durch eine Rückkehr auf den harten Fels der Tatsache: das, was man sinnlich sehen und ergreifen kann.

Keine Kommentare :