20.08.2009

Was mache ich eigentlich

... wenn ich nicht schreibe?
Ich schreibe, ist doch klar. Und lese. Im Moment Christoph Kalb: Desintegration. Das Buch ist 2000 im suhrkamp Verlag erschienen. Es beinhaltet sieben Studien zur Leib- und Sprachphilosophie von Friedrich Nietzsche. Klar, Nietzsche lese ich deshalb gleich auch noch mit.

Was mich an Nietzsche im Moment interessiert, sind die Verbindungen zu Walter Benjamin. Auch bei Benjamin gibt es diese Leibräume und Sprachräume. Der Leib - um dies nachzutragen - ist der durch Handeln und Wahrnehmen im Denken/Fühlen abgebildete Körper.

So hat mich in den letzten Tagen der Leib in seiner massenmedialen Darstellung beschäftigt, z.B. in der Verdoppelung durch Kriegsbilder und durch "Erläuterungen" zu Hardcore Pornos. Oder die recht befremdliche Debatte, ob die Vergewaltigung eines Kriegsgefangenen durch einen GI eine homosexuelle Handlung, bzw. überhaupt eine sexuelle Handlung ist.

Oder wie oft - von Seiten der CDU und FDP - Metaphern aus dem Bereich des Schlemmens, der Gefräßigkeit in Bezug auf Hartz IV- Empfänger benutzt werden. Man stelle sich die Zeichnungen von Georg Grosz vor, bei denen die Hartz IV-Empfänger in Luxusrestaurants prassen, während die Reichen in ihren Gucci-Anzügen draußen Mitleid erregend durch die Scheiben glotzen. Irgendwie so.

Ich habe eine ältere Arbeit zu Friederike Mayröcker hervorgekramt, aus dem Jahr 1998, wenn ich mich recht entsinne, die den Titel "das Gesicht wahren" trägt. Mayröcker benutzt des öfteren das Wort 'Torso' als Sinnbild für die Schriftstellerin (mir scheint, dass es keine Schriftsteller bei Mayröcker gibt: selbst Männer wechseln, wenn sie schreiben, ihr Geschlecht). Der Torso ist ein Leib, der sich situativ ergänzt, der sinnlichen Inflationen und Deflationen unterliegt. Ebenso dehnen sich die Räume aus, oder ziehen sich zusammen, je nachdem, wie sie sprachlich erobert werden. Leib und Raum sind Inflationen und Deflationen unterworfen (so meine damalige These).
[...] du bist immer mit deinen Gedanken anderswo, du bist, auch wenn du mit mir sprichst, mit deinen Gedanken, mit deinen Gefühlen, Vorstellungen, angestrebten Verwirklichungen an einem anderen Ort, [...] du bist an einem anderen Ort, wahrscheinlich Zentrum, wo alles sich abspielt, wo alles zusammenströmt, wo alles erbebt, wenn ich an meinem Arbeitstisch sitze, sage ich zu Rosa, spüre ich etwas wie ein leichtes Beben, in meinem Kopf, in meinen Füßen, ich bin nicht imstande, es wirklich zu orten, [...] das ganze Haus bebt, [...] ich bin wie geistesabwesend, ich blicke mit gedankenlosen Augen umher, [...] das bin nicht ich, das ist nur ein Bild von mir, [...] das ist nur ein Schatten, mein Schatten, der sich vorwärtsbewegt, der zuhört und spricht, der fragt und auf Fragen antwortet, [...] womöglich so etwas wie artifizielle Lebensbewältigung, eben um alle zufriedenzustellen, aber keiner kann sich dabei auf meine Leibhaftigkeit berufen, [...]
Mayröcker, Friederike: mein Herz, mein Zimmer, mein Name, S. 44
Bei Mayröcker gibt es dieses pulsierende Zentrum, jenen eigentlichen Kern, den sie aber nicht zu fassen bekommt. Dieses Innerste bebt, vibriert, zerreißt, setzt sich neu zusammen, lässt sich nicht orten.
Ebenso aber ist die Außenwelt nicht stillstellbar. Sie flieht, setzt sich aus wenig intelligiblen Bruchstücken zusammen, ist eher ein Patchwork, für das noch niemand Nadel und Faden gefunden hat.
So dehnen sich die Formen der Gedichte bei Mayröcker ins Uferlose aus (das Ufer ist eine weitere häufig anzutreffende Chiffre bei ihr) und ziehen sich wieder auf strenge, fast kleine klassische Formen zusammen. Zentrum, eine weitere Chiffre, vor allem auch im oben zitierten Roman, sind nicht die Leibhaftigkeiten, der narrative Kern oder etwas ähnliches. Der Roman mein Herz, mein Zimmer, mein Name hat gerade kein Zentrum, sondern wälzt sich durch ein azentrisches Leben hindurch, ohne je einen Satz anders zu Ende zu bringen als durch einen allerletzten Punkt (tatsächlich besteht der ganze Roman nur aus einem Satz). Das Ich in diesem Roman, wie auch in vielen Texten aus den Magischen Blättern, ist ein solcher Torso, eine Art Missgestalt, ewig unfertig, die sich situativ ausdehnt, sich neue Gliedmaßen wachsen lässt, alte abstößt und so wie ein polymorphes Untier seine Sinnlichkeiten und Sinnhaftigkeiten bewältigt.

Bei Nietzsche wird die Metapher (im Frühwerk) an die Wirkung der Phantasie gebunden. Die Sprache sei in ihrer grundlegenden Bewegung und Kraft ein 'Gleichsetzen des Ungleichen':
Die Logik ist nur die Sklaverei in den Banden der Sprache. Diese aber hat ein unlogisches Element in sich, die Metapher usw. Die erste Kraft bewirkt ein Gleichsetzen des Ungleichen, ist also Wirkung der Phantasie. Darauf beruht die Existenz der Begriffe, Formen usw.
Nietzsche: Fragmente 1869-1874, Heft 29 [8]
Schon hier also wird die Logik der Werte empfindlich aufgestört. Was bei Nietzsche später historisch (=genealogisch) untermauert wird, ist hier zunächst noch ein anthropologischer Kern: die Sprache schafft das Gleiche, und wenn zwei Dinge sich gegenüberstehen, in Opposition zueinander treten, dann nur aufgrund von zwei Gleichsetzungen, die in der Sprache dann als Gegensätze erscheinen. Gut und böse sind, wie alle anderen sprachlichen Gebilde, nur aufgrund der unlogischen ersten Kraft in der Sprache, Gegensätze. Man kann auf ihnen weder eine 'echte' Logik, noch gar eine 'echte' oder 'wissenschaftliche' Moral aufbauen. Selbst die Metapher -! (Und hier ist daran zu erinnern, was Bateson zur Metapher sagte: der Primärprozess der Sprache sei metaphorisch, besitze aber keine Metaphern; die Metapher sei ein unausgesprochener Vergleich; der Vergleich sei das grundlegende Werkzeug wissenschaftlichen Arbeitens; etc. ...)
Die Metapher nun wird, wie andere symbolische Gebilde, vom Leib innerviert. Gleich dem Torso bei Mayröcker scheint der Leib bei Nietzsche etwas zu sein, das sich in den Metaphern ein Labor für Wahrnehmungen und Handlungen schafft. Dabei kommt der Wille dazu nicht aus dem Bewusstsein, sondern aus dem, was dem Bewusstsein zugrunde liegt: wiederum dem Leib. Das Bewusstsein kann sich nun diese Metaphern selbst schaffen, es kann, wenn auch bedingt, Experimentierfelder semantisch-praktischer Art schaffen, jedoch diesen Prozess nur zum Teil kontrollieren.

Die spannende Frage an der ganzen Sache ist nun, wie hier eine Diagnostik aussehen könnte.
Schauen wir uns ein 'unverfängliches' Beispiel an. Angela Merkel sagt in ihrer Regierungserklärung zum G8-Gipfel in L'Aquila am 2. Juli 2009 (230. Sitzung, Protokollseite 25619):
Am ersten Abend des Gipfels in L’Aquila werden wir uns mit den außen- und sicherheitspolitischen Fragen beschäftigen, dies dann noch einmal zusammen mit den G-5-Ländern. Hier steht das Thema Iran im Zentrum der Diskussion. Wir sind Zeugen brisanter und vor allen Dingen erschreckender Ereignisse geworden. Ich hoffe, dass von dem Treffen die starke Botschaft der Geschlossenheit ausgeht, dass Demonstrations-, Bürger- und Menschenrechte unteilbar sind und auch für den Iran gelten, dass unsere Gedanken bei den Menschen sind, die jetzt verhaftet werden – es werden täglich mehr –, und dass wir auch alles daransetzen werden, diese Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.
Der eindeutig leibliche Bezug der letzten Metapher bildet die Figur, die sich wohl am einfachsten - wenn auch spekulativ - klären lässt. "Nicht aus den Augen verlieren", bzw. "aus den Augen verlieren" gehört zu dem großen Bereich der Licht-/Seh-Metaphorik.
Das erste, was man zu Metaphern sagen kann, wenn man sie an den Leib und als eine leibliche Symbolik rückbindet, ist, dass sie sich eher auf die Wahrnehmung oder auf die Handlung beziehen. Gehört die Metapher "aus den Augen verlieren" zum Wahrnehmungsbereich, so ist die verneinte Metapher "nicht aus den Augen verlieren" bei Angela Merkel durch Handlungen ergänzt (die hier nicht näher erläutert werden). Die Metapher also bindet zunächst die Menschen aus dem Iran an ein gewisses 'natürliches' Zurücksinken in den Schatten- und Nachtbereich. Die Wahrnehmung ist in diesem Fall eine flüchtige; dieser Flüchtigkeit etwas entgegenzusetzen sind Handlungen nötig, Arbeit.
"Daransetzen" ist eine räumliche Metapher, vergleichbar wiederum dem Torso Mayröckers, der 'räumlich' ergänzt wird. Implizit wird hier also eine eingeschränkte, verstümmelte, fragmentierte 'Räumlichkeit' des Irans unterstellt. Diese wird durch Worte wie 'Geschlossenheit' (der Botschaft) und 'unteilbar' (die Menschenrechte seien unteilbar) begleitet. Ein metaphorischer Zug, der sich durch diese kleine Passage zieht, ist also die Gegenüberstellung von Ganzheit/Zerstückelung, bzw. von Gesundheit/Beschädigtsein, Menschenwürde/Folter & Inhaftierung.
Noch zuvor greift Merkel auf das Sehen zurück: "wir sind Zeugen geworden". Der Skandal ist nicht nur, dass die Ganzheit dann bedroht ist, wenn sie in den Schatten zurücksinkt, wenn man ihr keine Aufmerksamkeit und keine aufmerksame Arbeit widmet. Der Skandal ist hier auch, dass diese Fragmentierung im Lichte der Weltöffentlichkeit statt findet. Jener alteuropäische Gedanke, mit der Aufklärung (im Französischen schön als Les Lumières bezeichnet) fände eine zugleich humanistische als auch rationale Wende statt, wird hier, in einer undeutlichen Konstellation noch einmal beschworen. Dass sie nicht stattfindet, trotz des Lichtes und des aktiven Blicks, scheint das zu sein, was Merkel zur Sorge veranlasst.
Man kann also, ich erinnere noch einmal, dass ich das im spekulativen Sinne meine und spekulativ selbst zu der Licht-Metaphorik gehört, man kann also in etwa folgendes festhalten: 1. die fortdauernde Wahrnehmung ist mit Arbeit, bzw. Handlungen verbunden; 2. Menschen, insbesondere bedrohte, haben eine 'quasi-natürliche' Tendenz, in den Schatten zurückzusinken, unwahrnehmbar zu werden; 3. was in den Schatten zurücksinkt, ist besonders von der Fragmentierung - und ihren humanistischen Entsprechungen: politische Inhaftierung, Folter, Verlust der Menschenrechte - bedroht; 4. diese Bedrohung der Ganzheit einzelner Menschen kann nun durch ein 'Ergänzen', ein 'Daransetzen' möglicherweise verhindert werden, also wiederum durch Tätigkeiten.

Der Mensch wird von Fragmentierung bedroht, wenn der Zustand fragmentiert ist, in denen dieser lebt. Diesen Zustand gelte es auszuleuchten, aus dem Schatten zu holen, darauf hinzuweisen. Das in etwa sind die Ergänzungen, die man zunächst zu machen hat.
Angela Merkel führt dann noch einmal aus:
Der Iran muss wissen: Gerade in den Zeiten moderner Kommunikationsmittel werden wir alles daransetzen, diese Menschen nicht aus den Augen zu verlieren und ihnen so, wie wir können, zu helfen.
Hier wird der Übergang zur Kommunikation als probates Mittel geschaffen.
Die Führung im Iran muss wissen: Wenn sie einen vernünftigen Weg geht, dann wollen wir, dass der Iran eine gedeihliche Entwicklung nimmt. [...] Aber wenn das nicht der Fall ist, dann werden wir uns auch nicht scheuen, unsere Meinung zu sagen und auch mit denen solidarisch zu sein, die wie die Angehörigen der britischen Botschaft jetzt einzeln unter Druck gesetzt werden sollen.
Hier eine weitere metaphorische Wendung (und Opposition): einen vernünftigen Weg gehen - gedeihen / unter Druck setzen.
Und schließlich die Ergänzung der Reihe: Geschlossenheit - Unteilbarkeit - Solidarität - Einigkeit; die Erweiterung von 'daransetzen' durch 'flankieren'; die Wendung zur Kommunikation; und (noch einmal) der Weg: 'an eine Sache herangehen':
[...] Ich habe mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama letzte Woche ausführlich darüber gesprochen und unterstütze noch einmal ausdrücklich das Angebot von Präsident Obama zu Direktgesprächen mit dem Iran. Wir werden das flankieren. Wir werden sehr einig an die Sache herangehen.
Alle diese Metaphern bilden also eine Konstellation, die, wie es übrigens üblich ist, nicht wirklich griffig ist: Metaphernkomplexe mögen das Licht, die Ganzheit, die Festigkeit beschwören. Ihnen selbst geht diese Klarheit ab. Es ist häufiger zu beobachten, dass Reise-Metaphern (einen Weg gehen) und Wachstums-Metaphern (gedeihlich) ineinander verschränkt werden, in einer Art Reminiszenz an den Bildungsroman. Zwischen die Licht-/Seh-Metaphorik und die Reise-Metaphorik schiebt sich als Interferenz die Kommunikation, das Gespräch, der Dialog.
Zwar ist die Reise, das Wachstum schon im Thema 'Fragmentierung' vorgegeben, doch die konkretere Ergänzung ist hier das Sprechen, das Miteinander-Reden, das zeitliche Zerlegen des Wortes (dia-logein). Schließlich gibt es noch einen sehr latenten Zug, einen des Mitgehens, des Begleitens, auf den Wörter wie 'Zeuge', 'Solidarität', 'nicht aus den Augen verlieren', 'unterstützen', 'flankieren' (greffer, darauf wies Derrida in seinem Aufsatz "La dissémination" hin, heißt sowohl 'aufpropfen' - d.h. einen veredelten Reis einsetzen - als auch, in älterer Bedeutung, 'eine Gerichtssitzung protokollieren': der greffeur ist der Gerichtsschreiber).

Metaphern lassen sich also eher der Wahrnehmungs- oder der Handlungssphäre zuordnen. Sie bilden Komplexe, die gemeinsame Züge, gemeinsame metaphorische Felder ausbilden, metaphorische Kontraste und Oppositionen schaffen, Übergänge zu nicht-metaphorischem Sprechen ermöglichen, Handlungs- und Wahrnehmungsräume vorstrukturieren.
In dieser Undeutlichkeit, bzw. mit diesen Problembegriffen lasse ich das Thema mal so stehen. (Sie merken schon, dass ich mich neuerdings in größeren Zusammenhängen bewege, die ich hier, im Blog, nur bruchstückhaft entfalte.)


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