03.10.2007

Gutes Erzählen

Nachdem ich wieder mal einige Fantasy-Bücher gelesen habe und mich teilweise sehr über die fehlende Erzählkunst geärgert habe, hier einige der gröbsten Fehler und wie man sie vermeidet:

Verwischte Szenen. - Wenn es einen grundlegenden Baustein eines Romans gibt, dann die Szene. Es ist zwar noch nicht wirklich definiert worden, was eine Szene ist, aber zumindest kann man ihr einen Anfang, eine Steigerung, einen Höhepunkt und ein Ende zuweisen. Eine Szene ist so etwas wie eine winzige, offene Geschichte in einem Roman. Jede Szene verbindet sich - sollte sich verbinden! - mit anderen Szenen. - Man kann Szenen auf vielerlei Arten verwischen. Am sichersten gelingt dies, indem man in der Szene keinen Höhepunkt setzt. Um allerdings in der Szene einen Höhepunkt zu setzen, braucht es meist keinen großen Lärm. Auch in einem Thriller, auch in einem Action-Roman sind die meisten Szenen ohne einen "Handlungs"-Höhepunkt. Es geht hier nicht um einen Erzähl-Höhepunkt wie am Ende eines Romans: sondern um kleinere Dinge - man findet etwas, man erkennt an zwei Personen einen neuen Charakterzug, man baut einen Drachen zu Ende oder liest ein Buch fertig. Wichtig aber ist, dass jede Szene sich auf einen solchen Wechsel zubewegt: etwas geht zu Ende und etwas Neues beginnt. Und das sind manchmal die alltäglichsten Dinge.

Fehlende Charaktere. - Eine zweite Methode, einer Szene jeden Reiz zu nehmen, ist, wenn man die Figuren in der Szene nicht charakterisiert. Dabei genügt es schon, wenn man typische Merkmale und Verhaltensweisen einer Figur einflicht. Hier ist übrigens die indirekte Schilderung am besten. Indirekt heißt hier: man schreibt nicht "Petra war mal wieder schüchtern.", sondern "Sie errötete, schlug die Augen nieder und stammelte: Drei Brötchen bitte!" - Wenn man allzu oft direkt schildert und kaum indirekt, dann werden die Charakterzüge bloß behauptet. Das ist dann aber mehr Mobbing als Erzählen.

Höhepunkte. - Ein Höhepunkt ist ein Höhepunkt. Wichtig ist hier nicht nur die "Höhe", sondern auch der "Punkt": ein Höhepunkt ist kurz. In dem einen Roman, den ich gerade gelesen habe, begannen die Höhepunkte meist zu Beginn der Szene - alles war immer furchtbar dramatisch - und endeten am Ende der Szene, meist mit einem Cliffhänger. Die Wirkung dieses Überdramatisierens war frappierend: der Roman war totlangweilig und quälend zu lesen. - Diesen Fehler vermeidet man, indem man sich darüber klar wird, was man mit der Szene bezwecken will. Jede Szene hat zwei Pole: zum einen treibt sie die Geschichte voran, zum anderen charakterisiert sie die Figuren der Geschichte, zumindest ein kleines Stück weit. Diese Pole findet man in fast allen Büchern, sei es Der Zauberberg von Thomas Mann, Der Herr der Ringe von Tolkien, Vom Winde verweht von Margaret Mitchell, Sexus von Henry Miller, usw. Beide Pole kann man am leichtesten dadurch bedienen, dass man szenisch schreibt. Szenisch schreiben heißt: vor allem das Sichtbare und Wahrnehmbare abzulichten.

Psychologisierung. - Manche Romane kommen wie psychologische Abhandlungen daher. Meist wie schlechte psychologische Abhandlungen. Ein Roman darf keine psychologische Abhandlung sein. Vor allem darf er keine schlechte psychologische Abhandlung sein. Auch hier ist ein wichtiges Heilmittel das szenische Schreiben.

Stilistisches Brimborium. - Allzuviele Cliffhanger, ständiges Dramatisieren, schwulstige und trotzdem totlangweilige Bilder, all das überfrachtet eine Geschichte. Schlimmer noch: der Autor mischt sich auf unerlaubte Weise ein. Damit kann man jede Geschichte ruinieren. Auch hier: szenisch schreiben; und vor allem wissen, wozu man eine Szene schreibt, welche Funktion sie in dem gesamten Kontext eines Buches hat.


Szenisches Schreiben
Szenisches Schreiben ist ein schlichtes Schreiben. Zwar bestehen auch gute Romane nicht nur aus szenischem Schreiben - oftmals ist der erste Satz eine starke Einmischung des Autors -, aber das szenische Schreiben sollte auf jeden Fall überwiegen.
Zentrales Werkzeug des szenischen Schreibens ist das aktive Verb, und hier vor allem das Handlungsverb. Handlungsverben erkennt man daran, dass sie etwas in der Umwelt verändern, bzw. diese Veränderung bezeichnen: Jmd. streicht einen Zaun, jmd. bastelt ein Boot, jmd. sagt etwas, jmd. schlägt eine Tür zu. Viele Romane arbeiten mit diesen aktiven Verben.
Ob man Stephen King, Haruki Murakami oder Salman Rushie, Agatha Christie, Joanne Rowling oder Henry Miller liest: die aktiven Verben überwiegen. - Wer sich also mit dem szenischen Schreiben beschäftigen möchte, der studiere die aktiven Verben in den Romanen. Ebenso studiere er die Szenen, wie sie beginnen, welchen Höhepunkt sie haben und wie sie enden, ebenso, welche Aufgabe sie in dem Roman insgesamt haben.

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