21.12.2015

Probleme mit Unterschieden

Ach, was muss man oft von bösen Buben hören oder lesen. Zum Beispiel von Jan Fleischhauer. Dieser unterstellt den Menschen in den gar nicht mehr so neuen Bundesländern einen spezifischen Rechtspopulismus. Und gibt daraufhin recht befremdliche Thesen von sich.

Vera Lengsfeld

Nun hat auf diesen Artikel Vera Lengsfeld bereits geantwortet. Vera Lengsfeld ist ja bekannt dafür, dass sie von einigen unliebsamen Phänomenen verfolgt wurde (und eventuell noch wird). Mathematik gehört allerdings nicht dazu; zu abenteuerlich ist die Rechnung, mit der sie beweist, dass vier Fünftel aller Ostdeutschen nicht fremdenfeindlich seien. In diese abenteuerliche Rechnung schleicht sich dann auch noch die Schlussfolgerung ein, dass diejenigen, die überhaupt nicht wählen gehen, auch keine Fremdenfeinde seien. Klar, wir wissen ungefähr, wie dies gemeint ist; und auch wenn die Argumentation nicht stimmt, ist zumindest ein Teil ihres Anliegens ehrenwert: so einfach sollte es sich Jan Fleischhauer mit den "Ostdeutschen", ob rechtspopulistisch oder nicht, nicht machen; in seiner eigenen Argumentation liegt dazu zu vieles im Argen.
Lengsfeld überrascht uns dann noch mit dem Bekenntnis, dass sie 2009 aus Spaß für den Bundestag kandidiert habe. Eine solche Verzweiflung habe ich in meinem Leben noch nicht verspürt. Vielleicht kommt das ja noch.

Seltsame Worte

Wiedervereinigung

Zu einem der ganz seltsamen Worte gehört bei mir die Wiedervereinigung. Was mich an diesem Wort überrascht, ist sein Rückbezug, sein geschichtlicher, als würde man zu etwas zurückkehren oder wiederholen. Tatsächlich hat sich all das, was man irgendwie noch mit dem Deutschen verbinden könnte, in den letzten 40 Jahren zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Wiedervereinigung so deutlich verändert, dass eine solche Rückbezüglichkeit mehr als fragwürdig sein darf. Man steigt doch niemals in den gleichen Fluss, vor allem, wenn diesem bereits 40 Jahre Wasser hinuntergeflossen sind.

Radikalisieren

Radikalisierung ist ein anderer, komischer Begriff. Was genau mit ihm gemeint ist, lässt sich eigentlich nicht definieren. Nehmen wir ihn chemisch, dann bedeutet er, dass etwas einseitig aufgeladen sei. Übertragen wir dies in den politischen Bereich, dann könnte man ihn damit übersetzen, dass jemand eine einseitige Meinung habe. Ich halte dies, neuerdings, alleine schon deshalb für eine fragwürdige Ansicht, weil gerade radikale Denker eine Vielstimmigkeit in sich hüten, die nicht als einseitig, sondern als unsystematisch gewertet werden muss. Einseitig ist sie nur deshalb, weil solche Sprecher dann meist auf die einseitige Richtigkeit beharren.
Folgen mag ich dem aber deshalb nicht, weil es bestimmte Sachen gibt, die nicht aushandelbar sind, auch nicht in der Politik. Tatsachen sind nicht aushandelbar, auch nicht die Gebiete eines hervorragend plausibilisierten Wissens.

Evolution und Stalinismus

Evolution zum Beispiel ist nicht aushandelbar, nicht als wissenschaftliche Disziplin. Ökologie allerdings auch nicht (die die Biologisten, insbesondere die Männlichkeits-Theoretiker aber auch gelegentlich wissenschaftlich orientierte Christen gerne vergessen). Nicht aushandelbar ist auch der unübersehbare Bruch zwischen den Schriften von Karl Marx und dem Terror des Stalinismus. Dass ich beide für falsch halte, macht sie noch nicht gleich. Ich halte sie aus sehr unterschiedlichen Gründen für falsch; und zumindest bei Karl Marx finden sich Erkenntnisse, die, umformuliert, auch von Nicht-Marxisten hervorgebracht werden.
Ob der Stalinismus schlimmer sei als der Nationalsozialismus? Ich mag, was das angeht, meinen Ekel vor dem einen und meinen Ekel vor dem anderen nicht vergleichen müssen. Es gibt doch zu viele Möglichkeiten, alternativ zu beidem zu leben, und dass die einen Opfer mehr geschützt werden müssten als die anderen, halte ich schlichtweg für zynisch. Manchmal braucht man keine Tatsachen. Dort, wo eine Schmerzgrenze zu deutlich überschritten ist.

Die politische Mitte

Der Gesellschaft würde die politische Mitte verloren gehen. Mitte ist in diesem Fall natürlich nur eine Metapher. Gelegentlich habe ich mal angefragt, was denn unmetaphorisch damit zu verstehen sei. Die Antwort ist äußerst verschieden ausgefallen. Man könnte das Ganze dann dahingehend zusammenfassen, dass Mitte eben irgendwo sei, vornehmlich dort, wo der Befragte selber stehe. Das ist dann wohl auch eine radikale Ansicht, nämlich radikal blöde.

Kulturell oder sozial

Vollends gestolpert ich dann aber über folgenden Satz von Fleischhauer:
Das zentrale Versprechen ist Homogenität, das ist das Wort, um das ja alles kreist. Die einen versprechen soziale Homogenität, die anderen kulturelle. Gegen zu viel Ungleichheit sind beide.
Abgesehen davon, dass ich nicht verstanden habe, wie sich das Soziale von dem Kulturellen abgrenzen ließe, ist es doch offensichtlich absurd, eine Radikalisierung der Gesellschaft zu beklagen, und gleichzeitig diejenigen zu tadeln, die gegen zu viel Ungleichheit seien. Fragt sich dann nur noch, ob Fleischhauer ein verkappter AfDler oder ein verkappter Linker ist. Wenn er dann weiter unten auch noch von der „Abwesenheit jedes christlichen Bewusstseins“ in Ostdeutschland (außerhalb des Kirchenmilieus) redet, wird mir vollends schlecht. Fleischhauer zeigt, aber das ist ja nichts Neues, auf andere, und scheint dabei doch nur sich selbst zu meinen:
Die größten Kritiker der Elche
sind leider meistens selber welche.

Hoho, Christentum

Schließlich: hat das Christentum nicht doch auch irgendwie seine vereinheitlichenden Werte und Vorstellungen? Ist es nicht in gewisser Weise auch homogen? Vielleicht. Eventuell würde ein Matthias Matussek hier Beifall klatschen; ein Kirchenhistoriker würde mindestens ein saures Gesicht ziehen. So stelle ich mir das jedenfalls vor.
Im letzten Teil des Artikels stört mich allerdings vorzugsweise, dass die Weltoffenheit an den (christlichen) Glauben zurückgebunden wird, und die „Heilung des spezifisch ostdeutschen Populismus“ an die „Remissionierung des deutschen Ostens“ (die ersten Worte in Gänsefüßchen zeigen eine Paraphrasierung, die zweiten ein direktes Zitat an). Letztlich scheint er dann aber wieder alles zurückzunehmen, bezeichnet auch viele Muslime als weltoffen und demokratisch, und dann könnte man ja vielleicht mit Fleischhauer doch noch für eine Islamisierung Deutschlands sein.
Weder das eine noch das andere würde mich begeistern. Beeindruckender fände ich allerdings, wenn unsere Leitkolumnisten gelegentlich etwas mehr darüber nachdenken würden, was sie dort so an buntem Flickenteppich zusammenschreiben.
Womit ich dann Jan Fleischhauer ganz offiziell der Kategorie ›böse Buben‹ überantworte.

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