28.05.2012

Kritik an der emotionalen Intelligenz

Woran ich allerdings eigentlich arbeite: emotionale Intelligenz.
Das Buch von Goleman lese ich mittlerweile zum x-ten Male. Ich habe mir immer wieder Notizen dazu gemacht, mal mehr von Aspekt der reinen Information, mal von den Textmustern her, die Goleman verwendet.
Im Moment pflücke ich die Logik bestimmter Textpassagen auseinander, einmal mit dem Hintergrund der Logik von Dewey und einmal mit der Mythentheorie von Barthes.

Die Ergebnisse meiner bisherigen Aufzeichnungen müssten zu einer Unfähigkeitserklärung unserer Kultur führen, einen ernsthaft reflektierten Umgang mit Emotionen zu etablieren. Selbst Goleman! Den ich nicht schlecht finde.

Wo liegen also die Probleme?
(1) Emotion und kognitiver Prozess. Ein erstes Problem ist die fehlende Betrachtung, wann wo und wie Emotionen im Denkprozess eingreifen und damit präzisere Postulate, wann man Denkmuster, wann Handlungsmuster aufbauen sollte und wann man Emotionen einfach hinnehmen sollte. Im übrigen wird in der Trainer-Literatur selten (ich möchte sogar behaupten: nie) zwischen Mustern der Wahrnehmungsverarbeitung und Handlungsmustern unterschieden, obwohl diese beiden, auch wenn sie praktisch zusammenhängen, getrennt werden können, analytisch natürlich nur.

(2) Kohärenz. Das zweite Problem führt mich zu einem Theoriestück, das zunächst vollkommen außerhalb einer "Neurophysiologie" oder Psychologie der Emotionen liegt: die Unterscheidung von Textkohärenz und Textkohäsion. Mit Textkohäsion bezeichnet Barbara Sandig (Textstilistik des Deutschen, 387) die im Text durch Signale hergestellte Strukturierung, also das, was ein Textproduzent macht, wenn er dem Leser einen zusammenhängenden Text liefern möchte. Mit Textkohärenz dagegen werden all jene Operationen des Lesers bezeichnet, um sich einen Text zusammenhängend zu machen. Die Diskussion des Begriffes "Konnotation" in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts verweist darauf, wie schwierig es ist, hier eine Trennlinie zu ziehen.
Was ist nun ein emotionaler Prozess? Zunächst eine Operation im Denken, die gar nicht so emotional ist, sondern im wesentlichen kognitive Anteile enthält (und zwar sowohl Wahrnehmungsmuster als auch Handlungsmuster) und sich immer auch mit der Umwelt verbindet, d.h. für uns modernen Menschen: mit der Kultur. Schon die Bezeichnung "emotionaler Prozess" ist falsch. Und die Auftrennung in eine emotionale und eine rationale Seele, wie sie Goleman postuliert, kann nicht nur von Seiten der Psychologie aus bestritten werden, sondern erweist sich auch als durch und durch unpragmatisch.
Was passiert im konkreten emotional-kognitiven Prozess? Es gibt nur ein Ineinander, in dem sehr momenthaft eher die Emotion oder eher die Kognition führend ist. Und letzten Endes ist dieser Prozess immer eine Art Kopplung mit dem Umweltzusammenhang, bzw. dem kulturellen Zusammenhang. Und hier kommen die Begriffe von Kohärenz und Kohäsion ins Spiel: die Kultur bietet mir eine gewisse Form der Kohäsion, aber eben nie eine vollständige, rationale oder logische, sondern eben eine, die sich über Zusammenhänge darstellt. Trotzdem muss ich als Individuum auch Operationen der Kohärenz nutzen, denn eine Kultur ist nie aus sich heraus zusammenhängend: ich muss (aktiv) meine eigenen Fähigkeiten, Zusammenhänge herzustellen, nutzen.
So muss man, wenn man die "emotionale Intelligenz" betrachtet, keine Theorien darüber aufstellen, ob und wie sich Emotionen fördern lassen, sondern wie man mit diesem emotional-kognitiven Prozess zu Kohärenzen (mit der Kultur) kommt (und selbstverständlich nie mit der ganzen Kultur, sondern mit der Kultur, wie sie mich umgibt).

(3) Rationale und emotionale Seele. Dieser Begriff des kulturellen Zusammenhangs antwortet auch darauf, warum ich den Begriff der Rationalität oder Logik nur äußerst vorsichtig verwenden würde. Rational erscheint uns nämlich zuerst das, was uns die Kultur als Zusammenhang nahelegt, weshalb Zusammenhang der grundlegendere Begriff ist und Rationalität vermutlich eine Mystifizierung.
Dasselbe gilt aber auch für die so genannte "rationale Seele": diese wird weitestgehend mit dem wachem Bewusstsein gleichgesetzt. Doch auch hier gibt es weniger eine echte Rationalität, als einen erlernten "Geschmack" für Zusammenhänge. Die Rationalität zehrt nur noch von den Mythen, die uns die Vernunftsphilosophie und deren kleinbürgerlichen Abkömmlinge hinterlassen hat.
Indem Goleman die Emotionen und die Kognitionen durch seine emotionale und rationale Seele quasi räumlich komplett trennt, trennt er auch emotionale und rationale Operationen, so als gäbe es zwei verschiedene Wahrnehmungsweisen, die man bei gesteigerter Intelligenz auswählen könnte. Tatsächlich aber wirken im Denkzusammenhang verschiedene Elemente zusammen und erschaffen so einen Kreislauf, der, gemäß den späten Neukantianern und den Gestaltpsychologen, mehr ist, als die Summe seiner Teile (siehe dazu zum Beispiel Uexküll: Theoretische Biologie, und hier das ganze achte Kapitel).
Mit Kohärenz bezeichne ich also (in diesem Fall) die Fähigkeit des emotional-kognitiven "Kreislaufes", in der Umwelt zusammenhängend (aber nicht rational) und Zusammenhänge schaffend zu handeln. Es ist also kein logischer Begriff, keiner, der für mehr Qualität sorgt, keiner, in dem Vernunft oder Rationalität oder gesunder Menschenverstand steckt, aber ein komplexeres Erklärungsmuster, warum und wie Menschen in einer Situation auf die eine oder andere Weise reagieren. Aber es erklärt auch, warum uns die eine oder andere Reaktion als befremdlich erscheint: wir sehen nicht den Zusammenhang und wie der Mensch (in seinem Inneren) versucht, diesen Zusammenhang zu stiften.
Wichtig bleibt dabei vor allem, wie wir hier, als Pädagogen und Trainer, Eingriffsmöglichkeiten sehen. Und hier kann man eigentlich die ganze Literatur über emotionale Intelligenz, trotz oftmals anderen Behauptungen, auf einen Nenner zurückführen: eingegriffen wird immer in kognitive Zusammenhänge. Die Emotion lässt sich nicht verändern, nur der Prozess, wie die Emotion zu Kohärenz führt, also der grundlegende Regelkreislauf.

(4) Weibliches und männliches Denken. Hier kann man dann auch jegliche Gleichsetzung von männlichem mit rationalem Denken, weiblichem mit emotionalem Denken den Kampf ansagen. Vor allem können hier alle biologistischen Theorien dadurch ausgehebelt werden, dass zwar Emotionen im konkreten Denkprozess durchaus eine unterschiedliche Rolle spielen könnten, und damit auch mögliche unterschiedliche geschlechtsspezifische Ausprägungen; aber in dem Kreislauf der Kohärenz treten ganz andere Qualitäten in den Vordergrund.
Ich erinnere mich dieser Stelle immer nur sehr gerne an meine "Feministin", die ihr Schweigen, ihre Unfähigkeit zu diskutieren, gerne mal mit der Aussage: ich sehe das ganze eben emotional! begründet hat. Bedenkt man aber, dass Emotionen eher dazu da sind, bestimmte Wahrnehmungsmuster auszuwählen, dann ist diese Aussage eigentlich so zu übersetzen: kritisier nicht meine Auswahl (von Wahrnehmungsmustern), sondern nimm gefälligst hin, wie ich dich wahrnehme und ordne dich mir unter. Es ist eine pure Machtaussage, eine Denkfaulheit und eigentlich auch eine Unfähigkeit, sozial zu handeln.
Aber ähnliche Effekte findet man auch bei Trainern und natürlich möchte ich hier keineswegs sagen, dass Frauen von solchen stupiden Aussagen besonders viele Vorteile haben. Man trifft sie genauso bei Männern (wobei mir hier die Erfahrung fehlt, mit einem Mann in einer so intimen Beziehung gelebt zu haben, dass ich darüber konkrete Aussagen treffen könnte, die meine Erfahrung mit einer gewissen Frau konterkarieren könnte). Aber man hört ja so einiges und erlebt auch so einiges mit, wenn auch nur mit mehr oder weniger Distanz.

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