07.04.2011

Das wilde Denken, Kommentare zur Bastelei

Schon vor einigen Wochen habe ich mir das Buch "Das wilde Denken" von Claude Lévi-Strauss im Bücherschrank nach vorne gestellt. Schopenhauer kam mir dazwischen. Jetzt doch wieder Lévi-Strauss. Fleißig das ganze Wochenende kommentiert, Ausgabe Frankfurt am Main, 1997. Hier also etwas aus meinem Zettelkasten:

[1]
 Mythos (Wissenschaft vom Konkreten): "Organisation und der spekulativen Ausbeutung der sinnlich wahrnehmbaren Welt in Begriffen des sinnlich Wahrnehmbaren"
(Seite 29)

[2]
Hier noch wird das Wahrnehmbare aneinandergeklebt, sozusagen abduktiv verwendet
die Kultur legt noch nicht nahe, die Operationsketten aufzubrechen
(Zu Seite 29)

[3]
Anders: es handelt sich bei vielen dieser Argumente oder symbolischen Verkettungen um Ordnungen, deren hintergründige Begriffe entweder nicht weit genug reichen, also Vorbegriffe bleiben, die mehr auf Gewohnheit und Nachbarschaft beruhen, oder deren Begriffe weit über das Ziel hinausschießen, Lücken in der Erklärung offenbaren würden, wenn man sie nur streng genug ansieht, die eher literarisches Symbole als wissenschaftliche Begriffe sind, et cetera …
(zu Seite 29)

[4]
Der wissenschaftliche Begriff beruht auf Funktionen, auf gegeneinander ausgewogene Transformationen
(zu Seite 29)

[5]
Anders sieht es mit Begriffen aus, die empirische Vorgänge zusammenfassen oder übersichtlich darstellen, wie dies oft in den Geschichtswissenschaften oder auch der Pädagogik geschieht; hier sollte sich der Begriff an die sinnlich fassbaren oder sinnlich nachvollziehbaren Vorgänge anschmiegen und seien diese so umfangreich und entfernt wie der dreißigjährige Krieg
(zu Seite 29)

[6]
Das mythische Denken pflegen: also Mittel zu verwenden, die nicht wissenschaftlich sind (Essay bei Adorno, Figur bei Barthes)
Eine Art intellektueller Bastelei: sich mithilfe von Mitteln ausdrücken, deren Zusammensetzung merkwürdig ist und die, obwohl viel umfassend, begrenzt bleibt
(Seite 29)

[7]
Der Bastler bezieht sich auf die Ebene der Operationen, das heißt dem, was seinem Handeln im Moment zu Dienst ist, während der Wissenschaftler vor allem auf die geordnete Beziehung zwischen Handlung und Tätigkeit achtet
(zu Seite 30)

[8]
Anders gewendet: der Bastler assimiliert an die Handlungen, was er in der Welt vorfindet; der Wissenschaftler assimiliert die Handlungen an die Tätigkeit und bereitet dafür die Operationen auf …
Lévi-Strauss sagt auch: die Welt des Bastlers ist heterogenen, weil sie zu keinem Augenblick in Beziehung zum Projekt stünde
(zu Seite 30)

[9]
Der Lehrer als Sammler und Bastler …

[10]
Zeichen als Vermittler zwischen Bild und Begriff, d.h. Lévi-Strauss bezeichnet das Zeichen als Relation zwischen Signifikant und Signifikat: das, was üblicherweise als Relation des Zeichens bezeichnet wird.
(Seite 31)

[11]
Der Journalismus befindet sich im Zustand der Bastelei; in der Kürze, die im Internet vorherrscht, sind gute Begriffsbildungen kaum möglich, oft gar nicht erwünscht.
(Zu Seite 31)

[12]
Der Wissenschaftler trennt die Phasen des Rubikon-Modells klarer, während der Bastler zwischen Planen und Handeln oftmals hin- und herspringt …
(zu Seite 31)

[13]
Wenn man zwischen dem Planen und dem Handeln hin- und herspringt, ist man noch dabei, die Parataxen zu zerbrechen und nach den guten Begriffen, d.h. Konzepten, die auf prädikativen Sätzen beruhen, zu suchen.
(zu Seite 31)

[14]
Man müsste in dieses Konzept der Bastelei auch noch die Wertung von Zwischenergebnissen mit einbeziehen, d.h. dem Bastler erscheinen die Phasen des Rubikon-Modells in den Teilschritten, während der Wissenschaftler diese auf die Gesamtphase anwendet.
(Zu Seite 31)

[15]
Der Bastler hangelt sich von Zwischenergebnis zu Zwischenergebnis.
(Zu Seite 31)

[16]
Der Bastler tritt in einen "Dialog" mit den Dingen, der Wissenschaftler weiß, was die Dinge sind (d.h. der Bastler ist noch immer dabei, die Identität der Dinge herzustellen, die er verwendet, während der Wissenschaftler diese bereits kennt und mit ihnen rechnet).
(Zu Seite 31)

[17]
Auch der unerfahrene Schriftsteller klebt seine Geschichte aneinander.
(Zu Seite 31)

[18]
Dem Bastler entstehen seine Materialien aus der Geschichte der Assoziationen, die er mit diesem oder jenem gemacht hat (Primat der Geschichte über die Logik).
(Zu Seite 31)

[19]
Der Bastler erscheint heute immer noch bei der Gestaltung sozialer Beziehungen.
(Zu Seite 31)

[20]
Wir befinden uns in der Schule immer noch im Zustand der Bastelei.
(in der Pädagogik gibt es keine "Wissenschaft"; sie basiert auf legitimierten Mythen und macht sie deshalb für Mythen so anfällig)
(zu Seite 31)

[21]
Der Ingenieur schafft Möglichkeiten oder kann sie sich vorstellen, auch wenn sie ihm nicht zur Verfügung stehen; der Bastler ahnt diese Möglichkeiten nur.
(Zu Seite 31)

[22]
Die Bastelei spricht mittels der Dinge; sie ist immer auch Ausdruck.
Die Wissenschaft und das Ingenieurtum ist vor allem Funktionalität: Sie zielt manchmal auf den Ausdruck, wie zum Beispiel in der Architektur, aber sie lässt diesen nicht in den Prozess der Herstellung einfließen.
(Seite 34)

[23]
"Der Bastler legt, ohne sein Projekt jemals auszufüllen, immer etwas von sich hinein."
(Seite 35)

[24]
Man könnte auch vermuten, dass der Bastler zu schnell in den Prozess der Herstellung geht: er ist derjenige, der die herstellende Assimilation über die darstellende setzt, während der Wissenschaftler umgekehrt vorgeht.
(Seite 35)

[25]
"Die Wissenschaft baut sich ganz und gar auf der Unterscheidung zwischen Zufälligem und Notwendigem auf, die gleichzeitig die zwischen Ereignis und Struktur ist."
(Seite 35)

[26]
Lévi-Strauss spricht von der Verkleinerung, meint aber wohl die Abstraktion.
"Welche Kraft verbindet sich also mit der Verkleinerung, mag sie nun den Maßstab oder die Eigenschaften betreffen? Sie resultiert, so scheint es, aus einer Art Umkehrung des Erkenntnisprozesses: wenn wir das wirkliche Objekt in seiner Totalität erkennen wollen, neigen wir immer dazu, von seinen Teilen auszugehen."
(Seite 37)

[27]
Durch die Verkleinerung (Abstraktion) erscheint das Objekt weniger furchterregend.
Das Objekt wird quantitativ vermindert und erscheint dadurch qualitativ vereinfacht! Übergang von Quantität zu Qualität -> dieser ist der Übergang von der Handlung (Weglassen) zur Anschauung (diese Übergang gehorcht vermutlich auch den Gestaltgesetzen …).
(zu Seite 37)

[28]
"diese quantitative Umsetzung steigert und vervielfältigt unsere Macht über das Abbild des Gegenstandes"
(Seite 37)
noch ein wesentlicher Satz: die Abstraktion hat ihre Wurzeln (auch) in der Angst, in dem Zuviel an Information!

[29]
Das Modell ermöglicht, dass die Erkenntnis des Ganzen den Teilen vorausgeht! (Anschauung -> Aebli)
(Seite 37)

[30]
Modell: schließt eine dialektische Beziehung zwischen Quantität und Qualität ein

[31]
(Laut Schopenhauer ist die Quantität ein rein zeitlicher Ausdruck, während die Qualität auf einer Verschränkung von Raum und Zeit beruhe: die Quantität abstrahiert also vom Raum.)

[32]
(Schopenhauer geht mit seinem Werk weit über die kantische Aisthesis hinaus (?))

[33]
(Kants praktische Vernunft und die Bastelei)

[34]
Das Modell etabliert, indem es abstrahiert, Funktionen: man müsste also in jedem Modell herausfinden, welche Formen des Umgangs es im Allgemeinen ermöglicht, auch bei sozialwissenschaftlichen Modellen. Es geht um eine Vervielfältigung.
(zu Seite 37)

[35]
Mit einem neuen Modell verlasse ich mein Denken. Ich muss mit der Wahrnehmung neu experimentieren. (Wittgenstein: im Experiment verlasse ich mein Denken)

[36]
"Welche Kraft verbindet sich also mit der Verkleinerung, mag sie nun den Maßstab oder die Eigenschaften betreffen? Sie resultiert, so scheint es, aus einer Art Umkehrung des Erkenntnisprozesses: wenn wir das wirkliche Objekt in seiner Totalität erkennen wollen, neigen wir immer dazu, von seinen Teilen auszugehen. Der Widerstand, den es uns entgegenstellt, wird überwunden, indem wir uns die Totalität teilen. Die Verkleinerung kehrt diese Situation um: in der Verkleinerung erscheint die Totalität des Objekts weniger furchterregend; aufgrund der Tatsache, dass sie quantitativ vermindert ist, erscheint sie uns qualitativ vereinfacht. Genauer gesagt, diese quantitative Umsetzung steigert und vervielfältigt unsere Macht über das Abbild des Gegenstandes; durch das Abbild kann die Sache erfasst, in der Hand gewogen, mit einem einzigen Blick festgehalten werden."
(Seite 37)

[37]
"Der Widerstand, den es [das Objekt] uns entgegenstellt, wird überwunden, indem wir uns die Totalität teilen." (Seite 37)
Vielmehr machen wir aus dem Widerstand eine Funktion, eine Leistung: die Arbeit am Widerstand erkennt nicht nur Phänomene, Strukturen am Objekt, sondern zerbricht auch die ersten, meist primitiven Operationsketten, funktionalisiert sie und bindet so das Objekt anders in die Welt ein.
Nichts anderes meine ich, wenn ich sage, dass man aus den Störungen Leistungen machen soll.

[38]
"Im Gegensatz zu dem, was sich ereignet, wenn wir eine Sache oder ein Wesen in seiner wirklichen Größe zu erkennen suchen, geht im verkleinerten Modell die Erkenntnis des Ganzen der der Teile voraus. Und selbst wenn das eine Illusion ist, liegt der Sinn dieses Vorgangs darin, diese Illusion zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, die sowohl dem Verstand wie den Sinnen ein Vergnügen bietet, das schon auf dieser Basis allein ästhetisch genannt werden kann." (Seite 37)


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