09.02.2015

Selbstregulation

Mit einiger Faszination folge ich seit einigen Jahren dem Begriff der Metakognition. Als erstes finde ich sehr spannend, dass dieser Begriff, der doch so wichtigtuerisch klingt, von der Coaching-Literatur bisher noch nicht entdeckt worden ist. Gut, es sei ihnen verziehen. Sie haben ja auch 40 Jahre gebraucht, bevor sie das allgemeine Prinzip der bloomschen Lernzieltaxonomie entdeckt haben. Zweitens aber finde ich interessant, dass in der psychologischen Literatur die Zwiespältigkeit der Metakognition nicht gesehen wird. Sie ist dort oftmals reine Anpassung an die Leistungsmotivation. Selbst solche esoterischen Begriffe wie der der Kreativität sollen samt ihren Inhalten in den Dienst genommen und für den Arbeitsprozess verpflichtet werden.

Verpflichtung zum Selbstverhältnis

Mit einiger Ironie schreibt Stefan Rieger in Die Individualität der Medien:
In all den genannten Fällen werden Selbstverhältnisse über die bloße philosophische Beschreibung hinaus greifbar, liegen sie doch dort als programmatische Forderung, als pädagogische Konsequenz und damit in unterschiedlichen Formen der Operationalisierbarkeit vor. Der Verpflichtung auf selbstgenerative Prinzipien der Kreativität, der Spontanität und des Selbstbezugs folgt die Verpflichtung, diese Prinzipien ihrerseits selbstgenerativ regulieren, eindämmen und kontrollieren zu können. Unter welchem Titel man das selbstgenerative Prinzip auch immer fassen will: Menschen, Systeme oder Bewusstseine laufen als Konsequenz dieser Verpflichtung in einem strengen Sinne als kybernetische Apparate ab. Sie prozessieren in autopoetischer Rückkopplung, gelöst von fixen Außenreferenzen und nach Maßgabe einer gesteigerten, weil verzeitlichten Komplexität.
218 f.

Von der Passivität zur Aktivität

Faszinierend ist an dem Begriff der Selbstregulation wie an dem Begriff der Metakognition, dass diese historisch zunächst als passive „Systeme“ auftauchen, die einen Menschen davon in Kenntnis setzen, was mit ihm passiert. Es geht also mehr darum, etwas zu registrieren, und weniger darum, es zu regulieren.
Allerdings ist diese Betrachtung heute fast verschwunden. Waren die Tagebücher der Romantik noch Forschungsberichte ins Reich der Empfindungen, so änderte sich das mit der ersten universitären Psychologie dramatisch. Jetzt galt es Techniken zu erforschen und erfinden, die der Steuerung der Seele galten. Daraus entwickelte sich das komplexe Konstrukt der Metakognition.

Metakognition

Wie die Metakommunikation ist auch die Metakognition zunächst etwas, was sich von dem beherrschten Gebiet nicht unterscheidet. Die Metakognition ist zuerst Kognition. Zugleich ist die Kognition aber nicht nur das Medium, in dem die Metakognition beheimatet ist, sondern auch der Inhalt, das, worauf die Kognition sich bezieht. Sie bildet damit eine Art verrückter Schleife oder einen unendlichen Regress: denn von der Metakognition kann wieder ein Abbild gemacht werden und davon wieder eines und noch eines und noch eins, bis in die Unendlichkeit.
Vor allem aber ist die Metakognition eine vereinfachende Abbildung. Für Reflexionssysteme, die als Teil eines Gesamtsystems gebildet werden, ist es typisch, die Regulation durch Simplifizierung zu erreichen. Nur so ist es dem System möglich, Komplexität in den Griff zu bekommen. Sie wird dadurch beachtet, dass sie in ein zeitliches Nacheinander gebracht wird.
Und nichts anderes liefern diese metakognitiven Techniken: Sie bieten Verfahrensweisen an, wie mit der Komplexität des eigenen Denkens umgegangen werden kann. Es wird gesammelt, geordnet, gewichtet und in Abfolgen gebracht. Instruktiv dazu sind die Techniken der Verhaltenstherapie.

Der Wahnsinn der Materialisierung

Vor allem aber wird das Denken materialisiert. Es wird aufgezeichnet, geschrieben, gezeichnet. Und wenn dies vor 50 Jahren unter der Herrschaft der Psychoanalyse als unbewusste Regung verstanden wurde, so können wir dies heute als einen strukturellen Effekt ansehen, weil jede Vereinfachung eines Systems dem System Elemente hinzufügt und es dadurch komplexer machen, was neue und andere Vereinfachungen auf den Plan ruft.
Hinter diesem strategischen System tauchen allerdings zwei Aspekte auf, die nicht so einfach zu nehmen sind. Zum einen die Metakognition noch wesentlich besser als die Kognition selbst dazu angelegt, dass Denken von der Umwelt abzukoppeln und in eine leerlaufende Schleife einzubinden. Es versagt sich, wird es intensiv betrieben, den Rhythmen der Umwelt. Schon Immanuel Kant hat darauf hingewiesen, dass die Beobachtung seiner selbst „leichtlich zu Schwärmerei und Wahnsinn führt“ (GW XII, 414). Und Rieger schreibt zum „Spielen mit kontrollierter Sinnesaffizierung“, dass diesem „die Gefahr seiner Übertretung bis hin zum Wahnsinn“ (219) zugesprochen wurde. Gemeint ist hier das Merken und das Lesen, also zwei kulturelle Leistungen, die eng mit dem Gedächtnis zusammenhängen.

Intelligenz und Paranoia

Der andere Weg, der Metakognition in ihrem unendlichen Abtrift Einhalt zu gebieten, ist die Rückkehr zu äußeren Werten und Bindungen an die äußere Welt. Es ist ein altbekanntes Phänomen, dass sich besonders intelligente Menschen gerne an religiöse Systeme fesseln; und diese werden zum Teil sehr dogmatisch betrieben. Was manchmal für Außenstehende unverständlich ist, nämlich, wie sich ein intelligenter Mensch zu solch paranoiden Gedanken hinreißen lassen kann, wird aus dem Wirken der Metakognition sehr verständlich. Der Gefahr einer unendlichen Bewegung wird ein „unendlicher“ äußerer Feind entgegengesetzt. Dieser äußere Feind ist damit keine Projektion eines innerlich Verdrängten, sondern ein Instrument, dem Aufbau von Komplexität im Bewusstsein entgegenzuwirken.
Demnach wäre die Paranoia gerade nicht als eine Form der Selbstentfremdung zu werten, sondern als ein (gleichsam missglückter) Versuch, gegen diese Selbstentfremdung ein wirkungsvolles Mittel zu finden.

Metakognitive Strategien

Die Metakognition ist also kein Heilmittel gegen die Unvernunft. Im Gegenteil erscheint sie häufig, als würde sie die Unvernunft befördern. Dies geschieht immer dann, wenn man die Metakognition als eine höhere Leistung darstellt. In Wirklichkeit ist sie ein relativ schlichtes Phänomen. Ihr Vorteil besteht darin, dass sie eben eine seltsame Schleife in das Denken einbaut, wodurch sie nicht nur vereinfacht, sondern auch verkompliziert. Ihr Vorteil ist also, so möchte man sagen, dass sie gerade eine niedere Denkleistungen ist.

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