03.05.2011

Geschichte machen: bin Laden

Nun ist er also tot und irgendwie wird jetzt Geschichte gemacht. Der Gerechtigkeit sei, so wird Obama zitiert, Genüge getan. Was dies genau heißen soll, werde ich wohl nie verstehen. Gerechtigkeit selbst ist eine durchaus strittige und eher religiöse als politische Formel; und wenn man sich die Wirkung dieser Tötung weltweit ansieht, so handelt es sich auch nicht um ein empirisches Datum, denn dieses wird in zahlreiche Momente aufgelöst, gerade so wie das Bild der Umgebung auf der Netzhaut aufgelöst wird und über 1000 Impulse erst im Gehirn selbst wieder so etwas wie eine Einheit bildet. Das Gehirn, so wissen wir, funktioniert in seiner eigenen Realität.
Was also hat man davon, wenn man aus einem bestimmten Ereignis eine quasi-religiöse Formel zieht (eine zutiefst konservative Operation)? Zunächst erschafft man ein geschichtliches Datum: ein Schlag (Hieb, Stich, Stigma) gegen den Terrorismus. Dafür scheint die Bezeichnung "Tötung" zu profan. Es erfordert, aus welchen Gefühlen heraus auch immer, eine Art Weihe. Zudem kann jetzt alles, was danach passiert, auf dieses Ereignis als Ursache bezogen werden. Die Abgrenzung sorgt für eine Kausalisierung, für einen erklärbaren Effekt. Dies muss man sich genauer deutlich machen. Denn zum Beispiel die jubelnden Menschen auf dem Times Square scheinen jetzt ganz Wirkung zu sein, ganz in ihrer Freude bedingt durch die Tötung bin Ladens. Dies hebt die Menschen auf der einen Seite vollkommen empor, idealisiert sie gleichermaßen als die Gerechtigkeit Feiernden; und auf der anderen Seite löscht es diese Menschen mit all ihren einzelnen, singulären Bedürfnissen und Gefühlen aus. Die Idealität dieses einen Ereignisses als gerecht bezieht sich auf ein manisch-depressives Menschenbild, und auf Menschen, die nichts dazu geben außer einem "Nein, nein! Ja, ja!"
Auch der Krieg ist ein Ereignis. Dies wird auch nicht durch die Tatsache geändert, dass ein Krieg sich über Jahre hinweg zieht. Er ist eben nur ein anderes Ereignis als solche, die sich momenthaft und blitzartig in unserem Alltag ergeben. Der Krieg gegen bin Laden ist noch nicht zu Ende; er ist ein jahrelanges Ereignis. Nur hat sich durch dieses vorher/nachher der Tötung die Qualität im wesentlichen verändert. Indem allerdings dieses lange Ereignis fälschlicherweise auf einen einzigen Schuss oder einen Schusswechsel reduziert wird, wird aus einem sozialen Ereignis ein personales Ereignis — das noch nicht einmal, denn selbst personale Ereignisse können weite Zeiträume umfassen, wie zum Beispiel hartnäckige Probleme; eher müsste man sagen, es handle sich um einen zeitlichen Kontrast, ähnlich dem folgenden Kontrast: eben war es noch sonnig und jetzt ist die Sonne von Wolken bedeckt. Man muss hier genauer hinhorchen: All diese kleinen, anderen Ereignisse, all diese Singularitäten, die mit dem Krieg gegen den Terror korrespondieren, aber nicht in ihm enthalten sind, all diese "Zwischenfälle" werden an den Rand gedrängt, unwichtig gemacht. Es sieht so aus, als gäbe es ein objektives Ereignis und eine objektive Reaktion.
Es ist dagegen wunderbar, dass sich unterhalb dieser offiziellen Lesart im Internet zahlreiche Formen wieder finden, wie man sich zu diesem eigenen Ereignis, der Tötung bin Ladens, verhält. Und es wäre noch schöner, wenn dies allen Menschen deutlich wäre, wenn sie sich zu dieser großen und idealistischen Konstruktion kritischer, eigensinniger verhalten würden. Es geht nicht darum, seine Gefühle, seine Wertung zu ändern, sondern die offizielle Wertung von dem einen Geschehnis zu trennen und beides auf unterschiedliche Art und Weise anzueignen.


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