Inhaltsverzeichnis
Evolution
Entwicklungen der Evolutionstheorie
Aber vielleicht noch einmal, bezüglich Matussek, nur so zum Mitschreiben und Mitlesen.
Es war Niklas Luhmann, der 1998 in seinem Buch Die Gesellschaft der Gesellschaft schreibt:
Es war Niklas Luhmann, der 1998 in seinem Buch Die Gesellschaft der Gesellschaft schreibt:
»Gesellschaft ist das Resultat von Evolution.« (S. 413)
Er kann dies so schreiben, weil er sich auf eine über 100 Jahre alte Tradition stützt, die Evolutionstheorie von Darwin für die Soziologie fruchtbar zu machen. Herbert Spencer hat dies getan. Karl Marx wollte sich mit Darwin treffen, stieß aber bei diesem auf wenig Gegenliebe. Die Soziologie fand in Darwin eine mögliche Lösung für ein Problem, das die Betrachtung sozialer Prozesse seit dem 18. Jahrhundert heimgesucht und gepeinigt hat, nämlich die der Entwicklung der Gesellschaft in aufsteigenden Stufen. Wir finden diese Stufenlehre bei Auguste Comte ebenso wie bei Karl Marx. Und man muss kein besonders feines Ohr haben, um bei Marx von Anfang an ein gewisses Unbehagen an dieser Lehre herauszulesen. Doch so innovativ Marx dann auch manchmal gewesen ist, so wenig hat er an dieser Tradition rütteln können. Wie Hannah Arendt einmal schrieb, war Marx in seinem Denken immer noch und wie viele seiner Vorgänger der Unterscheidung der weltflüchtenden Vita contemplativa und der weltzugewandten Vita activa verfallen.
Naturgesetze der Evolution
Was kam, wenn auch nur nach und nach: die Evolutionstheorie. Sie hatte den entscheidenden Vorteil, dass sie nicht von Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung sprach und schon gar nicht von einem Fortschritt, sondern von zwei Mechanismen, nämlich der Variation und der Selektion. Variation bedeutet, dass eine Art oder eine Population eine gewisse Streubreite in ihrem genetischen Material aufweist und dadurch eine gewisse Streubreite in ihrem Erscheinungsbild. Selektion bedeutet, dass unter gewissen Bedingungen im Milieu bestimmte Variationen dieser Art begünstigt werden zu überleben.
Man kann diese Feststellung kaum Gesetze nennen, sondern wie man etwa die Anziehung der Massen als Naturgesetz bezeichnet. Es war Schopenhauer, der darauf nochmal explizit hingewiesen hat, dass der Apfel nicht vom Baum fällt, weil es die Schwerkraft gibt. Sondern in dem Fall des Apfels drückt sich die Schwerkraft aus. Schwerkraft ist also nicht die Ursache, sondern die Notwendigkeit des Fallens. Und ebenso sind Varianz und Selektion nicht durch die Evolution verursacht, sondern die Evolution drückt sich notwendig in diesen aus.
Giraffen bei Lamarck und bei Darwin
Vielleicht das ganze nochmal an einem Beispiel, meinem klassischen Beispiel.
Es gibt eine Population von Urzeit-Giraffen mit kurzem Hals. In dieser Population gibt es eine gewisse Streubreite in der Halslänge. Eine deutliche Unterscheidung ist das allerdings nicht. Aber das genetische Material bietet eben eine gewisse Varianz an und diese drückt sich dann in der Erscheinung der einzelnen Tiere aus.
Nun gerät dieses Milieu samt der Population in eine Dürreperiode. Die Pflanzenkost wird spärlich. Die Tiere, die einen etwas längeren Hals haben, kommen leichter an Blätter heran und haben so eine wie auch immer geringe Chance, eher zu überleben. Dadurch vergrößert sich die Chance in der Nachkommenschaft, dass sich die genetische Variation mit diesem minimal längeren Hals häufiger vererbt. Das geschieht dann auch und bei der nächsten Dürreperiode hat nun eine größere Anzahl dieser Urzeit-Giraffe einen längeren Hals, was den früheren Selektionsvorteil bedingt außer Kraft setzt und nun wiederum diejenigen Giraffen mit dem noch etwas längeren Hals begünstigt. Und so wird über dieses Spiel von Variation im Genmaterial und Selektion durch Umweltbedingungen eine Art verändert.
Zu beachten ist an dieser ganzen Geschichte noch, dass ich hier einmal von Population und einmal von Art gesprochen habe. Es mag sein, dass eine Population der Urzeit-Giraffe so erfolgreich gewesen ist, dass sie weite Gebiete bevölkert hat. Und dann sind bestimmte Gebiete von sehr unterschiedlichen Wetterbedingungen heimgesucht worden und dadurch sind die Populationen in diesen Gebieten sehr unterschiedlichen Selektionsmechanismen ausgesetzt worden. In solchen Fällen kann man vermuten, dass sich aus derselben Art zwei unterschiedliche Arten entwickelt haben.
Nun gerät dieses Milieu samt der Population in eine Dürreperiode. Die Pflanzenkost wird spärlich. Die Tiere, die einen etwas längeren Hals haben, kommen leichter an Blätter heran und haben so eine wie auch immer geringe Chance, eher zu überleben. Dadurch vergrößert sich die Chance in der Nachkommenschaft, dass sich die genetische Variation mit diesem minimal längeren Hals häufiger vererbt. Das geschieht dann auch und bei der nächsten Dürreperiode hat nun eine größere Anzahl dieser Urzeit-Giraffe einen längeren Hals, was den früheren Selektionsvorteil bedingt außer Kraft setzt und nun wiederum diejenigen Giraffen mit dem noch etwas längeren Hals begünstigt. Und so wird über dieses Spiel von Variation im Genmaterial und Selektion durch Umweltbedingungen eine Art verändert.
Zu beachten ist an dieser ganzen Geschichte noch, dass ich hier einmal von Population und einmal von Art gesprochen habe. Es mag sein, dass eine Population der Urzeit-Giraffe so erfolgreich gewesen ist, dass sie weite Gebiete bevölkert hat. Und dann sind bestimmte Gebiete von sehr unterschiedlichen Wetterbedingungen heimgesucht worden und dadurch sind die Populationen in diesen Gebieten sehr unterschiedlichen Selektionsmechanismen ausgesetzt worden. In solchen Fällen kann man vermuten, dass sich aus derselben Art zwei unterschiedliche Arten entwickelt haben.
Evolution und Logik
Das vielleicht Bemerkenswerteste an der Evolutionstheorie ist, dass sie einen zentralen Begriff der klassischen Logik komplett umkehrt. In der klassischen Logik führte man die zentralen Begriffe und Ideen auf die Substanz zurück. Dies geschah dann unter sehr unterschiedlichen Bezeichnungen, mal als Idee, mal als Geist, mal als Gott; wesentlich aber blieb, dass ein substantielles Merkmal notwendig zu einem Phänomen gehört.
In der Evolution ist es nun genau umgekehrt. Plötzlich ist der Zufall notwendig, und man höre dies mit der ganzen paradoxen Kraft, mit der diese Zusammenstellung in unser logisches Denken einbricht. Der notwendige Zufall.
Betrachtet man die beiden Mechanismen der Evolution, die Variation und die Selektion, so handelt es sich um zwei verschiedene Formen des Zufalls. Das Genmaterial variiert im je einzelnen Individuum. Das Milieu gerät zufällig unter Druck. Und zufällig soll hier heißen: relativ gesehen zur Notwendigkeit, die ein Individuum verspürt.
In der Evolution ist es nun genau umgekehrt. Plötzlich ist der Zufall notwendig, und man höre dies mit der ganzen paradoxen Kraft, mit der diese Zusammenstellung in unser logisches Denken einbricht. Der notwendige Zufall.
Betrachtet man die beiden Mechanismen der Evolution, die Variation und die Selektion, so handelt es sich um zwei verschiedene Formen des Zufalls. Das Genmaterial variiert im je einzelnen Individuum. Das Milieu gerät zufällig unter Druck. Und zufällig soll hier heißen: relativ gesehen zur Notwendigkeit, die ein Individuum verspürt.
Kultur und Evolution
Der Blick durch die evolutionäre Brille
Von Darwin aus hat es noch ein wenig gedauert, bis die Evolutionstheorie in der Soziologie angekommen ist. Interesse hat von Anfang an bestanden. Aber die Erfahrung war noch zu frisch, um sofort sinnvolle Umbauten vorzunehmen. Die wissenschaftliche Soziologie war ja selbst noch nicht sonderlich alt.
Im 20. Jahrhundert dagegen gibt es sehr vielfältige Anwendungen. So hat in Genf der Schweizer Psychologe und Philosoph Jean Piaget eine Evolution des menschlichen Bewusstseins postuliert und dann auch hinreichend bewiesen. Seine Entwicklungspsychologie gilt als eine der einflussreichsten Theorien des 20. Jahrhunderts.
Etwas früher hatte sich, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen, Sigmund Freud mit einer Entwicklungslehre der natürlichen Triebe zu Wort gemeldet. Und so finden wir zahlreiche weitere Autoren, die immer wieder unter neuen Rahmenbedingungen auf die Evolutionstheorie Darwins verweisen.
Schon bei Freud wird deutlich, dass die Kultur die natürlichen Anlagen überformen kann und dass dies mal günstig, mal weniger günstig geschieht. Manche Menschen werden zu glücklichen Neurotiker, andere zu unglücklichen.
Im 20. Jahrhundert dagegen gibt es sehr vielfältige Anwendungen. So hat in Genf der Schweizer Psychologe und Philosoph Jean Piaget eine Evolution des menschlichen Bewusstseins postuliert und dann auch hinreichend bewiesen. Seine Entwicklungspsychologie gilt als eine der einflussreichsten Theorien des 20. Jahrhunderts.
Etwas früher hatte sich, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen, Sigmund Freud mit einer Entwicklungslehre der natürlichen Triebe zu Wort gemeldet. Und so finden wir zahlreiche weitere Autoren, die immer wieder unter neuen Rahmenbedingungen auf die Evolutionstheorie Darwins verweisen.
Schon bei Freud wird deutlich, dass die Kultur die natürlichen Anlagen überformen kann und dass dies mal günstig, mal weniger günstig geschieht. Manche Menschen werden zu glücklichen Neurotiker, andere zu unglücklichen.
Variation und Selektion: Subkulturen
Über verschiedene Stadien hinweg wurden nun die Blickwinkel auf menschliche Bedingungen umgearbeitet. Heute gilt weitestgehend unbestritten, dass Variation und Selektion auch auf die Gesellschaft angewendet werden kann, mithin also Evolution. Das ist leicht nachzuvollziehen. Auch in einem bestimmten Milieu, in einer bestimmten Kultur unterscheiden sich die Menschen voneinander und ohne dass man es genau angeben kann, haben gewisse Menschen in diesem Milieu Erfolg und andere nicht. Es stellt sich noch die Frage, worin dieser Erfolg besteht. Hier spielen natürlich historische Bedingungen mit hinein. Mal sind es eher die friedfertigen, mal eher die kriegerischen Menschen, mal diejenigen, die handwerklich geschickt sind und mal diejenigen, die ihre Ideen und Gedanken besonders gut vermitteln können. Und dadurch verändern sich mal nur kleine Subkulturen, mal breitere Bevölkerungsschichten. Die Frage ist dann noch, was genau in der Gesellschaft evoluiert.
Werkzeuge und Sprachen
Denn der Körper ist viel zu langsam, wenn es um Veränderungen geht. Die Soziologie musste auf andere Elemente zurückgreifen und fand diese dann zum Beispiel in den Werkzeugen und der Sprache. Der Mensch sei ein werkzeugschaffendes Wesen. Das Werkzeug ermöglicht ihm eine spezifischere Tätigkeit. Er kann nun den Pfeil nehmen, um Wild zu jagen und das Messer, um es zu zerlegen. Es muss nicht immer Faustkeil sein.
Man muss sich auch nicht mehr aufgeregt angrunzen, weil der Säbelzahntiger kommt, sondern kann sich gepflegt über 1000 belanglose Dinge unterhalten. Zum Beispiel, dass Gaby einen Pullover trägt, der nicht mindestens 200 € gekostet hat. Und das klingt dann nur noch dem böswilligen Ohr wie aufgeregtes Gegrunze.
Man muss sich auch nicht mehr aufgeregt angrunzen, weil der Säbelzahntiger kommt, sondern kann sich gepflegt über 1000 belanglose Dinge unterhalten. Zum Beispiel, dass Gaby einen Pullover trägt, der nicht mindestens 200 € gekostet hat. Und das klingt dann nur noch dem böswilligen Ohr wie aufgeregtes Gegrunze.
Reproduktion und externe Baupläne
Besonders wichtig aber an dieser ganzen kulturellen Evolution war, dass sie Gegenstände betraf, die sich nicht mehr selbst reproduzierten, sondern von außen weiterentwickelt wurden. Und die eigentliche Evolution geschah auch nicht mehr auf der Basis der Gene, sondern der Neuroplastizität des menschlichen Gehirns. Damit griff die Evolution nicht mehr auf die Abfolge von Generationen zurück, sondern auf die Erfahrung des Menschen und sein individuelles Gedächtnis innerhalb weniger Tage und Wochen.
Für die Evolutionstheorie hatte dies weitreichende Folgen. Die moderne Giraffe ist nicht in der Lage, das genetische Material der Urzeit-Giraffe zu reproduzieren. Sehr wohl aber kann der moderne Mensch einen Faustkeil herstellen. Das Gedächtnis, wie man einen Faustkeil herstellt, sein Bauplan, liegt nicht im Faustkeil selbst, sondern anderswo.
Wo eine Art nicht in der Evolution zurückgehen kann, um einfach noch einmal von vorne anzufangen, kann der Mensch dies mit seinen Werkzeugen schon. Und es gibt auch genügend Versuche, dies mit der Sprache zu tun. Man denke nur an die Übernahme der lateinischen Sprache in die Fachwissenschaften, um sich mehr und mehr gegen die Alltagssprache abzugrenzen und eine Fachsprache von hoher Definitionsschärfe zu pflegen.
Für die Evolutionstheorie hatte dies weitreichende Folgen. Die moderne Giraffe ist nicht in der Lage, das genetische Material der Urzeit-Giraffe zu reproduzieren. Sehr wohl aber kann der moderne Mensch einen Faustkeil herstellen. Das Gedächtnis, wie man einen Faustkeil herstellt, sein Bauplan, liegt nicht im Faustkeil selbst, sondern anderswo.
Wo eine Art nicht in der Evolution zurückgehen kann, um einfach noch einmal von vorne anzufangen, kann der Mensch dies mit seinen Werkzeugen schon. Und es gibt auch genügend Versuche, dies mit der Sprache zu tun. Man denke nur an die Übernahme der lateinischen Sprache in die Fachwissenschaften, um sich mehr und mehr gegen die Alltagssprache abzugrenzen und eine Fachsprache von hoher Definitionsschärfe zu pflegen.
Planungsfähigkeit
Wie auch immer: Werkzeuge hatten einen großen Vorteil gegenüber dem menschlichen Körper. Sie ließen sich sehr viel schneller abwandeln als der Körper selbst. Vor allem aber ließen sie sich schließlich auch planend abwandeln und erzeugten so gleichsam auf der geistigen Seite eine Evolution der Planungsfähigkeit. Und um diese Fähigkeit zu planen mit anderen Menschen zu teilen, brauchte es nur noch die entsprechende Sprache, die sich dann gleich mit entwickelte. Auch dies geschah weiterhin nach den evolutionären Mechanismen.
Bisherige Werkzeuge wurden variiert. Schließlich stellte sich ein bestimmter Werkzeugtypus als besonders nützlich heraus. Und dieser wurde dann massenweise verbreitet. Der erste Faustkeil ersetzte den zufälligen Fund einer scharfen Kante an einem Stein. Die aus Knochen gefertigte Speerspitze war viel haltbarer als die aus Holz. Und in der Frühgeschichte der Menschheit war das erste gebohrte Loch eine ebenso revolutionäre Tat wie die Erfindung des Buchdrucks am Ende des Mittelalters. Systematisch hergestellte Löcher ermöglichten bessere Zäune und damit eine konsequentere Viehhaltung, bessere Waffen und damit einen größeren Jagderfolg und bessere Kleidung (haltbare) und damit ein Stück weit eine weitere Abkopplung des menschlichen Organismus von den Umweltbedingungen.
Sprache und Geschlecht
Es sind diese Errungenschaften, die uns heute die Fernsehstudios und die Feuilletons ermöglichen.
Und wir versichern uns noch einmal: all dies geschah nicht, weil die Evolution das gewollt hat, sondern weil Evolution funktioniert. Halten wir weiterhin fest, dass die kulturelle Evolution ähnlich wie die Zweigeschlechtlichkeit gegenüber anderen Formen einen Geschwindigkeitsvorteil bedeutete, also mehr Variation und mehr Selektion in derselben Zeit.
Und wir versichern uns noch einmal: all dies geschah nicht, weil die Evolution das gewollt hat, sondern weil Evolution funktioniert. Halten wir weiterhin fest, dass die kulturelle Evolution ähnlich wie die Zweigeschlechtlichkeit gegenüber anderen Formen einen Geschwindigkeitsvorteil bedeutete, also mehr Variation und mehr Selektion in derselben Zeit.
Loslösung von der Zweigeschlechtlichkeit
Halten wir weiterhin fest, dass die Evolution von Werkzeugen und Sprache nicht auf die Zweigeschlechtlichkeit zurückgreift. Sie greift auf Gegenstände zurück, die zunächst aus der Natur gewonnen wurden, um dann etwas in der Natur zu verändern und so das Verhältnis des Menschen zur Natur nachhaltig zu beeinflussen. Und sie greift auf ein Medium zurück, das zwischen den Menschen liegt, die Sprache, und ermöglicht so den großen Experimentierkasten menschlicher Beziehungen und gegenseitiger Befriedigung von Bedürfnissen.
Rechnet man dies zurück, dann hat sich die Menschheit sehr früh von der schlichten, sexuellen Reproduktion abgelöst, durch die Reproduktion von Werkzeugen und Sprachen ergänzt und diese dann mehr und mehr in je spezifische sexuelle Reproduktionen und äquivalente Befriedigungsverhältnisse überführt.
Rechnet man dies zurück, dann hat sich die Menschheit sehr früh von der schlichten, sexuellen Reproduktion abgelöst, durch die Reproduktion von Werkzeugen und Sprachen ergänzt und diese dann mehr und mehr in je spezifische sexuelle Reproduktionen und äquivalente Befriedigungsverhältnisse überführt.
Die Evolution aufgeben?
Wollten wir wieder jene natürliche, unschuldige Sexualität erreichen, die der Steinzeitmensch gepflegt hat, so müssten wir die Sprache aufgeben, die wir heute sprechen. Wir müssten die letzten 10.000 Jahre der Menschheitsgeschichte leugnen.
Schon in diesem Punkt wird Matussek dann auf einer hintergründigen Ebene komplett inkonsequent. Man kann nicht die Kultur so in den Himmel heben und gleichzeitig auf eine Natürlichkeit pochen, die sich gegenüber den defizitären Formen abgrenzt. Der Mensch macht sich seine Bedürfnisbefriedigungen selbst und damit auch jene Bedürfnisse, die es in der Gesellschaft eben gibt. Ob dies defizitär ist, lässt sich überhaupt nicht sagen. Man kann letzten Endes nur beobachten, dass kulturelle Evolution funktioniert und dass sie eine große Bandbreite an Formen entwickelt hat.
Schon in diesem Punkt wird Matussek dann auf einer hintergründigen Ebene komplett inkonsequent. Man kann nicht die Kultur so in den Himmel heben und gleichzeitig auf eine Natürlichkeit pochen, die sich gegenüber den defizitären Formen abgrenzt. Der Mensch macht sich seine Bedürfnisbefriedigungen selbst und damit auch jene Bedürfnisse, die es in der Gesellschaft eben gibt. Ob dies defizitär ist, lässt sich überhaupt nicht sagen. Man kann letzten Endes nur beobachten, dass kulturelle Evolution funktioniert und dass sie eine große Bandbreite an Formen entwickelt hat.
Differenzierte Heterosexualität
Ich bezweifle, dass die so genannte Heterosexualität ein einheitliches Phänomen ist. Manche Pärchen gehen in Swinger-Clubs, andere nicht. Die einen bevorzugen es auf die eine Weise, die anderen auf die andere. Und dass dies möglich ist, liegt nicht daran, dass beides der Reproduktion der Arten dient, sondern weil es Spaß macht. Dass Sex Spaß macht, das verdanken wir nun tatsächlich noch dem biologischen Teil der Evolution. Und wenn es eben zwei Männern Spaß macht, miteinander ins Bett zu gehen, dann werden hier durchaus Vorgaben der biologischen Evolution erfüllt. Sie handeln immer noch der Natur gemäß.
Was sollten wir auch mit dem Bettgefährten machen, wenn er anfängt, beim Geschlechtsverkehr zu quieken? Ihm die Bibel auf den Kopf hauen oder alternativ ein Buch, nein, einen Bestseller von Matussek? Damit Geschlechtsverkehr dann wirklich keinen Spaß mehr macht?
Das wäre natürlich eine Möglichkeit. Es ist eine Möglichkeit, die die kulturelle Evolution eben auch zur Verfügung stellt.
Was sollten wir auch mit dem Bettgefährten machen, wenn er anfängt, beim Geschlechtsverkehr zu quieken? Ihm die Bibel auf den Kopf hauen oder alternativ ein Buch, nein, einen Bestseller von Matussek? Damit Geschlechtsverkehr dann wirklich keinen Spaß mehr macht?
Das wäre natürlich eine Möglichkeit. Es ist eine Möglichkeit, die die kulturelle Evolution eben auch zur Verfügung stellt.
Literatur
Wer sich für die Übernahme der Evolutionstheorie in die Soziologie interessiert, dem sei von Niklas Luhmann Die Gesellschaft der Gesellschaft wärmstens ans Herz gelegt. Der dritte Abschnitt behandelt in 13 Kapiteln die Evolution.
Wer sich für die Entwicklung der Kultur an der Richtschnur der Evolutionslehre interessiert, der lese von André Leroi-Gourhan Hand und Wort.
Und wer sich für die Abtrennung von genetischen Prozessen der Evolution und Organismus-Umwelt-Zusammenhängen auf der vorwiegend biologischen Ebene interessiert, dem sei von Jakob von Uexküll Theoretische Biologie empfohlen.
Eine gute und sehr frühe Übernahme der Evolutionstheorie in die Soziologie findet sich bei Gabriel Tarde in seinem Buch Die Gesetze der Nachahmung. Diese Theorie ist in den letzten Jahren in der Soziologie und der Kulturwissenschaft wieder recht populär geworden. Meine aufmerksamen Leser wissen, dass ich selbst mit einer gewissen Begeisterung von diesem Buch spreche.
Wer sich für die Entwicklung der Kultur an der Richtschnur der Evolutionslehre interessiert, der lese von André Leroi-Gourhan Hand und Wort.
Und wer sich für die Abtrennung von genetischen Prozessen der Evolution und Organismus-Umwelt-Zusammenhängen auf der vorwiegend biologischen Ebene interessiert, dem sei von Jakob von Uexküll Theoretische Biologie empfohlen.
Eine gute und sehr frühe Übernahme der Evolutionstheorie in die Soziologie findet sich bei Gabriel Tarde in seinem Buch Die Gesetze der Nachahmung. Diese Theorie ist in den letzten Jahren in der Soziologie und der Kulturwissenschaft wieder recht populär geworden. Meine aufmerksamen Leser wissen, dass ich selbst mit einer gewissen Begeisterung von diesem Buch spreche.
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