28.01.2009

Weiße, nein graue Kaninchen

Ja, denen läuft Alice minutenweise auch mal hinterher. Deshalb hier noch ein freundschaftlicher Link-Wink zu der Schweizer Bankenaufsicht, die ein Herr Bruno Schletti ganz unabhängig kritisiert.

Ach ja: bei eBay dürfen keine lebenden Kaninchen verkauft werden. Kommentar von der netten Nachbarin: Ja soll ich sie vorher totschlagen?

Auch Alice!

Auch Alice Gabathuler schreibt nicht nur ihre vehemente Nonsense-Prosa in ihrem Blog.
Von ihr gefunden, hier noch einmal bei mir drauf verwiesen: Eine Geschichte aus dem Gaza-Streifen.

27.01.2009

Am Vorabend des Weltwirtschaftsgipfels

Morgen findet das Weltwirtschaftsforum in Davos statt. Schon letztes Jahr ging es dort turbulent zu.
Welche Hoffnungen man in das Weltwirtschaftsforum setzen darf? Wohl kaum welche, wenn man arm ist. Die Aktienmärkte jedenfalls scheinen sich nach den Turbulenzen im Herbst zu erholen. Jubeln kann man als kleiner Mann (und kleine Frau) darüber nicht.
Aktien sind Gewinnanteile an der Mehrwertproduktion für Menschen, die nicht im mindesten dafür arbeiten. Wenn schon Aktien, dann müsste es ein Vorzugsrecht für die Mitarbeiter beim Kauf geben, damit diese an dem Gewinn der Firma beteiligt werden und das Kapital nicht in fremde Hände übergeht. Aktien sind rein auf die Nutzung des Mehrwertes ausgerichtet, und über Fonds und Börsenwetten sogar auf die Kapitalproduktion der Kapitalproduktion.
Wenn ich eine Alternative zum kapitalistischen Wirtschaftssystem suche, fällt mir ehrlich gesagt keine ein. Die kommunistische Planwirtschaft hat kein leuchtendes Beispiel abgegeben, schon durch die ganze Bürokratie nicht. Aber dass dieser Kapitalismus nicht sein muss, dürfte doch den meisten Menschen klar sein.
Nun, ich bin, was Wirtschaft angeht, eher ein zartes Pflänzchen. Damit ihr meine tastenden Versuche miterleben dürfte, gibt es ab jetzt die Rubrik Kapitalismus. 

Der gute Papst

Nun, da hat sich der Ratzinger ein weiteres Mal vertan. Einen Holocaust-Leugner wieder in die Kirche aufzunehmen. Offensichtlich fällt es dem Pontifex schwer, den Zug in der Bibel zu vertreten, der Toleranz predigt.
Seltsam sind aber auch die Aussagen, 6 Millionen Juden seien in den Gaskammern umgekommen (so der Spiegel). Soweit ich mich erinnere, waren es unter 800.000. Alle anderen sind verhungert, erschossen worden, an Typhus gestorben als Folge ihrer Verfolgung und/oder Inhaftierung durch die Nationalsozialisten. Das macht natürlich keinen Unterschied für die Bewertung dieses Regimes.
Es ist wie mit allem: ohne eine genügende Differenzierung wird auch die Geschichte wischi-waschi.
Andererseits dürfte die israelische Regierung doch bitte für ein transparentes Vorgehen sorgen, angesichts der jüngsten Ereignisse im Gaza-Streifen und der Kritik israelischer Menschenrechtsorganisationen.
Die Israelis mit Gewalt in ein Bild zu pressen, das den Antisemiten dient, ist eine Sache. Selbst dazu Anlass zu geben, eine andere. Und wenn uns der Holocaust eines lehren sollte, wie aber eigentlich jeder andere Krieg auch: Ein Menschenleben lässt sich nicht mit einem anderen vergleichen. Der gewaltsame Tod eines Menschen lässt sich weder rächen, noch anderweitig konsumieren, weder in eine Statistik pressen, noch für ein Theater der Entschuldigungen verpolitisieren. Und selbst wenn es nur - wie Richard Williamson - behauptet hat, 300.000 gewesen wären. Wäre damit dem Terror irgendetwas genommen worden?
Was sind das für Menschen, die auf solchen Zahlen beharren? - Es nimmt doch in nichts von der Pflicht, einer organisierten Tötung von Menschen entschlossen entgegenzutreten. Und die sollte bei einem Menschen genauso heftig ausfallen, wie bei 300.000 oder 6 Millionen.
(So, wie ich mich weigere, hier eine eigene Kategorie Antisemitismus einzuführen. Der Rassismus hat sehr unterschiedliche Ausmaße, je nachdem, ob ein Farbiger in einem demokratischen Staat zusammengeschlagen wird, oder Millionen von Juden in einem faschistischen Regime umgebracht werden. Trotzdem: beides beruht auf terroristischen und despotischen Diskursen, beides wird mitgeschleppt und "verlängert" sich von dem Anschlag zweier neonazistischer Jugendlicher in die faschistische Maschinerie hinein. Beide Diskurse findet man auch immer wieder in der Öffentlichkeit und bei öffentlichen Personen.) 

25.01.2009

Cruising mit Singer

Seufz!
Da entzieht man sich dem Medienrummel und merkt folgendes nicht: Tom - the "Schwule-kann-man-heilen"-Scientologe - Cruise dreht mit Brian - the X-Gayman - Singer. Naja, Singer ist ja auch ne deutsche Nähmaschine, ähh ...

Darf man den großen Helden des deutschen Widerstandes gegen Hitler veräppeln?

So fragt Spiegel-online hier, und man wundert sich.
Der große Held? DER?
Aber betrachten wir das Ganze der Reihe nach. Oliver Pocher, seines Zeichens schauspielernder Vollidiot und an der Seite von Harald Schmidt in dessen Late-Night (oder schaut jemand die Sendung wegen Pocher?). Tritt - gähn - mit Augenklappe und Wehrmachtsuniform auf. Sagt Sprüche wie "Mit dem Ersten sieht man besser."
Ja, und natürlich spielt er auf Claus Schenk Graf von Stauffenberg an.
Das ARD jedenfalls äußerte sich erstens so:
"Was da wieder gelaufen ist, ist unsagbar pietätlos und ehrabschneidend", sagte SWR-Rundfunkratsmitglied Therese Wieland den "Stuttgarter Nachrichten". Selbst wenn Pocher womöglich den Auftritt von Cruise in "Operation Walküre" habe parodieren wollen, sei dies gründlich misslungen. "In diesem Moment identifiziert man das doch nicht mit dem Schauspieler, sondern mit der historischen Figur. Und es ist nicht hinnehmbar, dass man den Helden des deutschen Widerstandes so ins Lächerliche zieht", sagte Wieland, die die katholische Kirche in dem Gremium vertritt.
und zweitens so:
"Die überwiegende Mehrheit von uns, bestimmt 80 bis 90 Prozent, ist der Meinung, dass Herr Pocher der ARD nicht guttut", sagte der Vorsitzende des SWR-Landesrundfunkrats, Volker Stich, der Deutschen Presse-Agentur.
Frau Wieland findet dann aber doch wohl deutliche Worte für das Unsagbare. Pietätlos und ehrabschneidend. Und, man identifiziere sich doch mit der historischen Figur.
Frau Wieland vertritt übrigens die Katholische Kirche in der ARD.
Ehrabschneidend, liebe Frau Wieland, so möchte ich hier doch deutlich sagen, ist vor allem, dass man dem guten Herrn Stauffenberg eine Vormachtstellung unter dem Widerstand gegen Hitler gibt, die ihm weder durch seinen Mut, noch durch seine persönliche Leistung gebührt. Dass er das in seinem Maße mögliche getan hat, bestreite ich nicht. Aber sind die Familien, die den späteren FAZ-Journalisten Valentin Senger und seine Familie gedeckt haben und damit ihr Leben riskiert haben, nicht genauso Helden des Deutschen Widerstandes? Haben die Geschwister Scholl eine geringere Rolle gespielt, nur weil sie nicht in der Position waren, einen militärischen Putsch zu planen? Hat ein Oskar Schindler sich nicht auf eine so gewitzte wie lebensgefährliche Weise dem Zugriff der Antisemiten entgegengestellt?
Nein, in aller Deutlichkeit: ehrabschneidend ist, wer aus all diesen Namen, aus all diesen historischen Figuren einen als besonders heraushebt. Zumal einen, der nicht die Demokratie im Sinn hatte und dessen Kritik an Hitler nicht zuallererst seine menschenfeindliche Diktatur war, sondern die Dummheit seiner Kriegsführung.
Zweitens: es ist nicht die Aufgabe der Geschichtswissenschaft, sich mit historischen Figuren zu identifizieren. Man kann dies bei einer gewissen Halbbildung vielleicht noch durchgehen lassen. Aber einer Frau, der man zunächst einmal aus ihrer Position heraus Bildung zuspricht und damit auch ein wenig kritisches Geschichtsbewusstsein, sollte doch wissen, dass die Wissenschaft der Geschichte 
... nur dann wissenschaftlich [ist], wenn ihre Gedankengänge und Ergebnisse nachprüfbar sind, wenn man kritisch und mit dem Streben nach Objektivität vorgeht (siehe Historisch-kritische Methode). Grundlage sind historische Quellen.
Außerdem bemüht sich die Geschichtswissenschaft darum, das vorhandene Wissen über Geschichte nicht nur zu wahren und zu verbreiten, sondern zu mehren. Das Vertiefen und Erforschen steht im Vordergrund. (s. wikipedia: Geschichtswissenschaft)
Vielleicht sollte sich Frau Wieland noch einmal um kritische Urteilsfähigkeit kümmern. Schwierig, wenn man aus der katholischen Kirche kommt.
Herr Stich nun nutzt ein typisch induktives Argument: die Mehrheit sei der Meinung, dass ... und natürlich ist man derselben Meinung und ihr eigentlicher Protagonist. Aber was besagt das denn schon? Eigentlich nur, dass Herr Stich eine Meinung zu Pocher hat, die nicht von Sympathie getragen wird, dass er sich um das Bild der ARD in der Öffentlichkeit sorgt, und dass er gerne hätte, dass 80 bis 90 Prozent der ARD seiner Meinung sind.
Nun kann man Herrn Pocher allerdings auch direkt kritisieren. Erst dick auf Uniform machen, und dann ein paar lausige Witze produzieren, die so politikfrei sind, wie es nur irgend geht. Sie waren auch nicht medienkritisch. Und das ist der eigentliche Skandal: so banal, so lausig, - mit diesen Argument sollte man sich in der ARD von Pocher verabschieden und seine Grenzen zu RTL ziehen.

Aber was dem einen seine Walküre, dass dem anderen seine Willküre, will sagen Pocher-Putsch.

24.01.2009

Mein Blog sei

Mein Blog sei erfreulich arm an Rechtschreibfehlern. Vielen Dank und Kottau.
Aber!
Ich hätte geschrieben - ich stimme dem voll und ganz zu -:

Jon Stewart ist Shwowmaster in der Comedy Dentral.
Zur Kenntnis genommen, nicht abgeändert. War - ausnahmsweise - mal Absicht.
Augenzwinkernd ...

23.01.2009

Non-verbale Kommunikation, schizophrenes Verhalten

Manchmal kann man sich nur wundern.
Da findet sich jetzt das Ergebnis einer aufwändigen Forschung vor, das den Zusammenhang zwischen non-verbaler Kommunikation und sozialen Fähigkeiten beweist. Die Forscher haben fünfzig Menschen untersucht, die unter der Bedingung von Schizophrenie und ähnlich gelagerten Störungen leben. In der Untersuchung wurden Videoaufnahmen von den Probanden nach bestimmten Kriterien ausgewertet. Zudem sollten sie Bildergeschichten der richtigen Reihe nach anordnen (eine übliche Aufgabe aus Intelligenztests) und einschätzen, was diese Figuren denken und fühlen. Schließlich wurden die Probanden noch von dem Pflegepersonal der Einrichtungen, in denen sie untergebracht waren, bewertet.

Signifikanz einer Unterscheidung

Die erste Sache, die mich hier interessiert, ist, wie eine Stichprobe mit so genannten gesunden Menschen ausfallen würde. Dann würde mich dringendst interessieren, ob die Beobachter unterschiedlich bewerten, je nachdem, ob sie einen gesunden oder einen "kranken" Menschen vor sich haben. Man könnte zum Beispiel den auswertenden Psychologen gemischte Gruppen vorgeben, d.h. dass sie durcheinander gesunde und "kranke" Menschen bewerten, ohne zu wissen, wer nun was ist.
Es geht also im ersten Fall um die Signifikanz der Unterscheidung gesund/schizophren. Denn hier könnte sich noch allemal der Klopps wiederholen, der in den 90ern die Lernbehindertenpädagogik erschüttert hat, d.h. eigentlich nicht erschüttert hat, denn Lernbehindertenpädagogen erweisen sich ein ums andere mal als lernresistent. Jedenfalls gab es mal die so genannte minimale zerebrale Dysfunktion, kurz: MCD, an der ein Drittel aller Lernbehinderten "litten". Erst als jemand auf die Idee kam, normale Gymnasiasten zu untersuchen, wurde es plötzlich still um diese Ursache. Denn etwas mehr als ein Viertel aller Gymnasiasten "litten" auch unter einer minimalen zerebralen Dysfunktion. Und damit war alle Signifikanz - Sie verzeihen! - im Arsch.
Im zweiten Fall geht es um die Signifikanz der Unvoreingenommenheit der Beobachter. Auf Deutsch: Ist ein Beobachter in der Lage, signifikante Unterschiede zwischen dem non-verbalen Verhalten von Gesunden und Schizophrenen herauszuarbeiten, wenn er nicht weiß, wer zu welcher Gruppe gehört?

Ethische und praktische Begriffe

Abgesehen von diesen Fragen interessiert mich aber noch ein weiterer Sachverhalt.
Meiner Ansicht nach erscheint uns ein Mensch umso befremdlicher, je weniger ein Verhältnis zwischen den ethischen und den alltagspraktischen Begriffen besteht.
Begriffe sind, vereinfacht gesagt, Bündel von Sätzen, die einen Gegenstand oder ein Phänomen strukturieren. Man hat von den alltäglichen Dingen wie Tisch, Stuhl, Tür, Hammer, Suppe, Fensterbank einen Begriff, der auf den ästhetischen und den praktischen Wert ausgerichtet ist. Und ebenso hat man von all den Phänomenen des sozialen Zusammenlebens Begriffe, angefangen von Begrüßung und Verabschiedung, von verschiedenen Formen und Phasen eines Gesprächs, des Zusammenlebens, des Miteinander-Arbeitens, von realen und möglichen und utopischen Sozialformen.
Mir ist immer wieder aufgefallen, dass Menschen mit narzisstischen Störungen, mit paranoiden Tendenzen oder schizophrenen Mustern wenig praktische Übergänge zwischen diesen Begriffen finden. Eine Patientin, die sich mir gegenüber über die Kälte und Nicht-Empathie einer Ärztin beklagte, zuckte zusammen, als eine Tür knallte und fragte: War ich das? - Der Tenor ihrer Klage war die Frage nach der Verteilung der Schuld. Dieser Patientin wurde durch ihr "Krank-sein" eine Art Schuld zugeschoben, was die Ärztin wohl sehr stark untermauert hat. Insofern war der Sprung zu der Assoziation, sie habe mit der Tür geknallt, fast schon folgerichtig, eine Art spontaner Verhaspler. Denn es ist durchaus möglich, dass die Frau noch in Schuldmustern gedacht hat, diese aber fälschlich auf einen sinnlichen Vorgang angewendet hat. Eine Übergeneralisierung, nicht ein Beziehungswahn.
Sieht man sich die Familien an, aus denen Schizophrene allzu häufig stammen, dann wundert das nicht. Häufig finden sich ähnliche begriffliche Spaltungstendenzen in den Familien. Eine überzogene Leistungserwartung geht mit einem sehr ausgedünnten bis inexistenten praktisch-sinnlich-emotionalen Familienleben einher. Das Band zwischen alltagspraktischen und ethischen Begriffen, der Assoziationsreichtum könnte also, so meine These, so schwach sein, so ausgedünnt, dass es zu fortlaufenden Übergeneralisierungen kommt, die dann als schizophrenes Verhalten diagnostiziert werden.
Ein anderes Anzeichen für die Richtigkeit dieser These ist, dass Menschen unter massiver Stresssituation ähnliche Verhaltensweisen entwickeln können. Nicht nur dünnt sich die Wahrnehmung zu einem Tunnelblick aus, soziale Begriffe strukturieren sich rasch nach Freund/Feind-Bildern, und dadurch könnten auch wieder die Verbindungen zwischen den Begriffen so schwach werden, dass Übergeneralisierungen zunehmen.
Was hat das mit non-verbalem Verhalten zu tun? Alltagspraktische Begriffe ruhen auf motorischen Mustern auf. Motorische Muster bilden die Elemente von Verhalten und werden von Verhalten zusammengefasst und strukturiert. Ontogenetisch gesehen erlernen Säuglinge zunächst motorische Muster (bottom-up-Lernen) und bilden darüber dann kognitive Repräsentationen von Verhalten, die zu einer mehr und mehr willkürlichen Steuerung der Motorik führen (top-down-Lernen). Mimik und Gestik, die als soziale Zeichen fungieren, sind zum Teil angeboren (Lächeln, Weinen), werden aber größtenteils erlernt.
Fehlen nun Vermittlungen zwischen den alltagspraktischen Begriffen, also Mustern, die unser alltägliches Verhalten im Umgang mit der Dingwelt steuern, und den ethischen Begriffen, also Mustern, die unser Signalverhalten gegenüber anderen Menschen steuern, so kann dies durch eine fehlende Orientierung am Alltag erklärt werden. Der Umgang mit Gegenständen, das tagtägliche Einüben von Materialverhalten, sei es der Gebrauch von Stiften, der Umgang mit Trinkgläsern, der Zusammenhang von Hammer und Nagel und Holz, bildet ein Zwischen- und Übungsstadium zu gekonnten sozialen Mustern.
Zudem muss man hier auch die liebevolle, helfende und erklärende Begleitung von Kindern durch Erwachsene mit einbeziehen, die aus den rein praktischen Begriffen eine soziale Komponente herauslöst, diese aber wieder an die Praxis zurückbindet.
Solche Alltagsbegleitungen findet man in Familien von Schizophrenen seltener, gebrochener, widersprüchlicher als bei "normalen" Menschen.
Um das Ganze zusammenzufassen: der Zusammenhang zwischen non-verbaler Kommunikation, Alltagskompetenzen und Sozialverhalten ist sehr viel stärker durch Begriffe geprägt, als dies allgemein dargestellt wird.
Ich wundere mich also weniger über das Ergebnis der Studie als über die Dürftigkeit des Erklärungsgehaltes.

Etwas Ähnliches musste ich vor Jahren erleben, als ich die Lesekompetenz mit dem semantischen Gedächtnis verbunden habe. Beides sind sehr übliche, sehr gewöhnliche Konzepte in der Psychologie. Damals habe ich mich auch nicht darüber gewundert, dass diese beiden Modelle nicht miteinander verkoppelt waren und es eher meiner "Unbelesenheit" in die Schuhe geschoben. Und mich umso mehr gewundert, dass irgendjemand - ein Professor - etwas von Genialität murmelte.
Auch heute finde ich diese beiden Modelle nicht miteinander verknüpft. Es scheint so, als sei das semantische Gedächtnis vollkommen irrelevant für die Leseforschung. Man möge mich aber gerne eines besseren belehren: ich bin hier nicht im mindesten eine Koryphäe. Ich halte auch nichts davon, mich als genial zu bezeichnen. Ich bin schlichtweg über zwei Bausteine gestolpert, die zusammen passten und habe sie zusammen gefügt. Was man eben so macht, wenn man nachdenkt.

Und der liebe Herr Schäuble

Herr Schäuble will auf keinen Fall ehemalige Gefangene aus Guantánamo aufnehmen. Nicht nur nicht in sein behindertengerechtes Haus, sondern generell nicht in Deutschland. Nach Schäuble sei vor allem die USA in der Pflicht. Und doziert weiter, er sehe nicht ein, warum Deutschland Gefangene aufnehmen solle, die den USA zu gefährlich seien.
Nun, lieber Herr Schäuble, wollen wir doch mal einen Versuch der Einsicht wagen. Vielleicht können Sie sich dann auf einen ähnlichen Standpunkt stellen, Verzeihung!, rollen.
Erstens handelt es sich ausschließlich um Gefangene, denen in ihren Heimatländern die Folter droht. Das ist das maßgebliche Auswahlkriterium für die Nicht-Rückkehr der Gefangenen. Von Gefährlichkeit dagegen ist mit keinem Wort die Rede gewesen. - Abgesehen davon wird Guantánamo gerade deswegen geschlossen, weil die Prozesse in einem rechtsfreien Raum stattgefunden haben oder noch stattfinden würden. Man muss die Rechtsstaatlichkeit dieser Verfahren generell anzweifeln, damit aber auch die Schuld und schließlich die Gefährlichkeit der Gefangenen. Rechtsstaatlichkeit heißt erstens, dass ein Mensch so lange unschuldig ist, bis ein Gericht ihn schuldig gesprochen hat, und zweitens, dass es ein Vertreter der rechtssprechenden Gewalt ist, und nicht, wie in Ihrem Falle, Herr Schäuble, einem, der gesetzgebende (als MdB) und ausführende (als Minister und Regierungsmitglied) Gewalt sowieso schon in sich vereint. Gerade vom Innenminister müsste man so viel Demokratieverständnis erwarten.
Zweitens: Warum nun ist es vielleicht Pflicht der USA, hier Gerechtigkeit walten zu lassen, trotzdem aber nicht so günstig, wenn die von Folter bedrohten Noch-Gefangenen in die USA exilieren? Nun, vielleicht psychische Überdrehtheit? Ich stelle mir doch nichts beruhigender vor, als in dem Land ins Exil zu gehen, das mich vielleicht sieben Jahre lang, zum Teil mit massiver Folterung, inhaftiert hat. Würde Ihnen doch sicher auch so gehen, oder?  
Es mag ja sein, dass mit Obama die Genfer Konventionen endlich wieder ihr richtiges Maß in der amerikanischen Politik finden. Aber das kann dem einzelnen Guantánamo-Häftling langsamer aufgehen, als wenn er in ein anderes Land kommt. Die Schweiz hat dies dann auch sehr deutlich gemacht: "Für die Schweiz ist die Inhaftierung von Personen in Guantanamo völkerrechtswidrig. Die Schweiz ist bereit zu prüfen, wie sie zur Lösung des Problems Guantanamo beitragen kann. Konkret ist sie bereit zu prüfen, ob und inwiefern sie Häftlinge aufnehmen kann, die aus Guantanamo entlassen werden" (siehe den Stern-Artikel).
Schließlich aber darf man darauf hoffen, dass die zukünftigen Exilanten der eher konservativ eingestellten amerikanischen Presse nicht in die Hände fallen und stattdessen eine kritischere Berichterstattung möglich sein wird. Auch deshalb - allein um der kritischen Information willen - halte ich ein Aufnehmen ehemaliger Gefangener für sinnvoll.

 

Politsprech, Nachschlag

Zu den Metaphern ein kleiner, politischer Nachschlag. Und noch einmal Werbung für den Feedreader, der einem minütlich die neuesten Nachrichten zutickert.

Euphemismen
Euphemismen sind sprachliche Beschönigungen von Missständen.
Quantifizierung. - Eine beliebte Form des Euphemismus ist die Quantifizierung. Wenn für Arbeitnehmer die Belastungen steigen, dann ist das insofern ein Euphemismus, als es im alltäglichen Leben qualitative Sprünge gibt, die durch weniger Geld hervorgerufen werden können. Geld ist kein Wert an sich. Geld ist ein universelles Tauschmittel. Für Geld kauft man sich Waren und der Wert der Ware ist nicht sein Tauschwert, sondern sein Nutzwert. Wenn ich mir eine Packung Reis im Wert von 2,19€ einkaufe, freue ich mich doch nicht, dass ich jetzt Reis zu diesem Tauschwert zu Hause stehen habe, sondern dass ich mit dem Reis etwas kochen kann. Der Tauschwert ist quantifiziert, der Nutzwert immer an einen qualitativen Sprung gebunden.
Oft findet man Argumentationen, die auf den Tauschwert zielen, aber den Nutzwert meinen.
Eine ähnlich gelagerte Kritik findet man bei Lyotard (Sprechen nach Auschwitz). Dieser kritisiert, dass die Statistiken über die KZ' insofern den Holocaust wiederholen, als sie den Tod quantifizieren. Das einzelne Leben aber ist inkommensurabel und qualitativ.
Einseitigkeit. - Einen etwas seltsamen Euphemismus dagegen finde ich gerade in einem Stern-Artikel. Dort steht, Obama wolle die Terrorprozesse in Guantánamo stoppen. Will er natürlich nicht; er will sie nur in andere Bahnen lenken, ihnen eine andere Qualität geben. Stoppen ist insofern ein Euphemismus, als damit behauptet wird, die Prozesse des Terrorverdachts seien damit für die Opfer zu Ende. Ein Blick auf die Aussagen von Schäuble im nämlichen Artikel belehren jeden kritischen Leser wohl eines Besseren.
Stoppen ist natürlich auch eine Metapher. Obama stoppt nichts. Die Zeit läuft weiter und niemand wird erwarten, dass jetzt die Gefangenen weiter in Guantanamo vor sich hinhocken. Gerade das ist nicht die Absicht des neuen US-Präsidenten. Im Gegenteil bringt er zum ersten Mal wieder Bewegung in diese erstarrte Katastrophe.
Hyperbel. - Und da wir bei Obama sind. Wer - um Gottes Willen, WER? - glaubt denn in Zeiten der globalen Vernetzung noch, Obama sei der mächtigste Mann auf der Welt und die USA die mächtigste Nation? Wer, der jemals ein wenig Ahnung von systemischen Theorien gewonnen hat? Netter Euphemismus, hübsch für den Optimismus und die Aufbruchstimmung. Leider nur eine unhaltbare Übertreibung.

Katachresen
Katachresen sind Sprachmissbräuche. Wobei mich natürlich das Wort Missbrauch hier eminent stört. Schließlich ist Stuhlbein eine Katachrese, und wer hier wie was missbraucht, ist mir ein schieres Rätsel. Auch Textkörper und Flussarm gehören zu den Katachresen. (Es gibt noch eine andere Form, für die der Ausdruck Katachrese gebraucht wird, und die eher Stilblüten oder Kalauern gehören, z.B.: Das ist das Holz, aus dem Waschlappen geschnitzt sind. Solche Katachresen vereinen offen widersinnige Metaphern. Eine andere, hübsche Katachrese hatte ich vorhin zitiert: Dabei bleibt der moralische Zeigefinger in der Hosentasche.)
In dem oben verlinkten Artikel findet sich die Katachrese Koalitionskrach.
Die Stilblüte, bzw. die andere Form der Katachrese, kann man in folgendem Satz desselben Artikels finden: In einer seiner ersten Amtshandlungen legte er die laufenden Guantánamo-Verfahren bereits auf Eis.
- Da kann man dann nur sagen: Achtung! Rutschgefahr!

Metaphern
Auch Metaphern gibt es zahlreiche in diesem Artikel. Zeit, hier ein wenig die Theorie zu vertiefen.
Eine Metapher ist ein Wort, das aus einem bildspendenden in einen bildempfangenden Bereich übertragen wird. Es handelt sich also ebenfalls um eine Art Missbrauch.
Schreibt der Stern also: In der Bundesregierung ist ... der Streit über die mögliche Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen wieder voll entbrannt.... so ist entbrannt eine Metapher aus dem Feuer-Bereich. (Manche Interpreten würden hier auf eine physikalische, sogar eine chemische Metapher zurückgreifen, da die Oxydation als chemischer Prozess dahinter, oder das Ausstrahlen von Licht und Wärme als physikalisches Phänomen natürlich in diese Richtung weisen. Allerdings sollte man hier nicht von wissenschaftlichen Disziplinen ausgehen. Wortfelder entwickeln sich durch kulturelle Gewohnheiten und den täglichen Gebrauch. Und da ist Feuer meiner Ansicht nach deutlich ein abgegrenztes Gebiet.)
Feuer-Bereich: damit soll gesagt werden, dass es einen undeutlich abgegrenzten Bereich in unserer Vorstellung gibt, der zum Wort Feuer gehört. Wärme, Licht, Kerzen, Großbrände und Feuerwehr gehören wahrscheinlich bei den meisten Menschen dazu. Solche thematischen Wolken nennt man auch Wortfelder. Im Gegensatz zu manchen Aussagen mancher Sprachdidaktiker halte ich sie für nur unscharf begrenzt und individuell verschieden.
Aber das ist nur eine Diskussion am Rande. Wichtiger ist: ein Wortfeld kann für ein anderes Wortfeld bildspendend sein. Hier, im Falle von entbrannt, spendet das Wortfeld Feuer dem Wortfeld Gespräch ein Bild. Dieses Phänomen nennt man dann Metapher.
Kommen mehrere Metaphern aus demselben bildspendenden Wortfeld, spricht man von einem homogenen Metaphernkomplex. Beispiel: In der Bundesregierung ist der Streit über die mögliche Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen entbrannt. In einer hitzigen Debatte erwiesen sich die Positionen von XXX und YYY als unversöhnlich. Die kühleren Gemüter wagten angesichts scharfzüngiger Beleidigungen nur vorsichtige Löschaktionen.
Das Beispiel ist natürlich zusammenkonstruiert. Die Metaphern entbrannt, hitzig und Löschaktion sind dem Wortfeld Feuer entnommen. Die Metapher kühl dagegen nicht irgendeinem beliebigen Wortfeld, sondern einem, das dem Feuer entgegen gesetzt ist. Man spricht hier von einem oppositionellen oder entgegengesetzten Wortfeld. Diese haben deshalb eine besondere Wirkung, weil sie den semantischen Kontrast verschärfen können.
Meist finden wir in Texten Metaphern aus verschiedenen bildspendenden Bereichen. Solche Häufungen unterschiedlicher Metaphern heißen heterogene Metaphernkomplexe. Sie tauchen wesentlich häufiger auf, da sie nicht so penetrant und dann meist unfreiwillig komisch wirken wie homogene Metaphernkomplexe.
Trotzdem können auch heterogene Metaphernkomplexe befremdlich bis lächerlich wirken, wenn sie zu deutlich unsinnige und unübliche Metaphern miteinander kombinieren: Im aufgeflammten Streit um das entgleiste Verfahren erhielt XXX durch seinen trockenen, scharfen Bericht den Zuschlag der Sympathien.

Nachwort

Die Rohstofffonds sind ja - wer dies mitverfolgt hat - dramatisch geplatzt. Ich hoffe, dass dies wieder bei den Ärmsten der Armen ankommt. Weniger mitleidsfähig bin ich für Mitspekulanten, die ihre rotverheulten Augen reiben.

Nahrung zocken

Die Chinesen haben ihren ersten öffentlichen Lebensmittelskandal. Sechs Kinder sind gestorben, drei Menschen zu Tode verurteilt worden. Macht neun!
Gut für uns! Warum? - Nun, die Chinesen, so wurde es letztes Jahr dramatisch beschrieben, essen uns unsere Lebensmittel weg, weshalb unsere Lebensmittelpreise astronomisch ansteigen. Je weniger Chinesen, desto weniger Mitesser. Wir brauchen also schätzungsweise nur noch fünfeinhalb Millionen Lebensmittelskandale in China, bis diese Gefahr gebannt ist. Das dürfte doch nicht so schwer sein.
Nun liegt aber die Ursache für die Teuerung der Lebensmittel nicht in einer allgemeinen Knappheit, sondern in einer künstlichen Knappheit, in einer Spekulation mit den Lebensmitteln an der Börse. Dirk Müller, besser bekannt als Mr. DAX, hat dies deutlich beschrieben.
Dabei passiert folgendes: statt dass die Großhändler den Reis direkt weiter verkaufen, schalten sich hier Rohstofffonds dazwischen, die aus diesem Einkauf Kapital akkumulieren. Dieses Kapital wird nicht aus Nichts gewonnen, sondern auf die Endpreise aufgeschlagen, teilweise bis zu 50%. Wenn also eine Familie, die sowieso nicht genügend Geld für Reis hat, jetzt Reis einkaufen will, kann sie sich nur zweidrittel der bisherigen Menge kaufen. Das wäre so, als würden Sie in den Supermarkt gehen und der Kassierer Ihnen ein Drittel der Waren wieder abnehmen, aber das gleiche Geld verlangen. Stellen Sie sich das mal vor!
Man kann sagen, was man will, die Spekulation auf Lebensmittel ist unsittlich. Dirk Müller schlägt den gleichen Ton an. Er berichtet sogar, dass ein Chef eines großen Lebensmittelkonzerns das Trinkwasser für börsenfähig erklärt hat. Spekulation mit Trinkwasser? Lieber nicht daran denken. Irgendjemand hat mal gesagt, dass die großen Kriege des neuen Jahrtausends nicht um Geld oder Öl stattfinden werden, sondern um Trinkwasser. Siehe den neuen James Bond, Quantum of Solice. Es könnte nach diesem Szenario sogar so sein, dass hier ein neuer Widerstand gegen die reiche Schicht, die ökologisch wie ökonomisch Begünstigten entsteht.
Schon heute gilt selbst für Deutschland: Armut macht krank. Trinkwasserspekulation wäre für diesen Weg ein Riesenerfolg.

Und noch einmal Imbsweiler

Nicht er selbst, sondern eine Rezensentin, die auf Metapher macht:
Dabei bleibt der moralische Zeigefinger in der Hosentasche.
Ein Hund, wer ... (den Rest kennt ihr ja).

Verwandte auf dem Mars

Immer noch leicht vergrippt und mit einem unguten Schlafrhythmus. Den Text zu Metaphern habe ich gestern gegen Mittag angefangen und mit längeren Unterbrechungen heute morgen ins Netz gestellt.

Hier mag ich mal Werbung machen.
Marcus Imbsweilers Buch Verwandte auf dem Mars lese ich mittlerweile zum zweiten Mal. Allgemein kann man sagen, dass die Deutschen keine Kurzgeschichten mehr schreiben können und im Allgemeinen kann man auch sagen, dass ein Schriftsteller, der nicht mindestens einen Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht hat, eher zu den schlecht Schreibenden gehört.
Imbsweilers Buch enthält vierzehn Kurzgeschichten, die sich neben dem berühmten Kurzgeschichtenband von Judith Hermann, Sommerhaus, später, nicht zu verstecken brauchen, ebenso nicht neben den Geschichten von Joyce Carol Oates oder Haruki Murakami.
Es sind bittersüße Geschichten, sehr schlicht vorgetragen, ein wenig "amerikanisch", was vor allem heißen soll, dass sie nicht vorwiegend auf poetische Wendungen bauen, wie Judith Hermann dies macht. Trotzdem hat jede dieser Geschichten ihren Witz, ihren Hintersinn und zum Beispiel bei Indirekte Rede einen so lautlosen Knall im vorletzten Satz, dass man kaum noch Zweifel hegen kann, dass hier ein großer Schriftsteller am Werk ist, einer, der präzise plant und trotzdem verständlich, ja zunächst fast banal daherkommt.
Ihr Leser meines Blogs wisst ja, dass ich eine etwas befremdliche literarische Tendenz habe. Jelinek ist mir lieb und Mayröcker vergöttere ich, Handke kann ich gelassen mögen, Arno Schmidt ist fest mit mir verwachsen. Ich zeige das nicht so, die Themen in meinem Blog sind andere. Ich schreibe zu Stephen King, Donna Leon, Joan Rowling. Gute Unterhaltung lese ich auch gerne.
In Joyce Carol Oates habe ich letztes Jahr eine Schriftstellerin entdeckt, die intelligent, intellektuell und trotzdem unterhaltsam und spannend schreiben kann. Das zeichnet sowieso den großen amerikanischen Roman aus (wobei Stephen King irgendwo am Rande herumschwebt, Menschen wie Tom Clancy oder Micheal Crighton eindeutig ausgeschlossen sind,  Poe und Twain, Emerson und Whitman dürften wohl Selbstgänger sein, Faulkner, Fitzgerald (dessen Kurzgeschichten ich sehr liebe), Steinbeck, Mailer, Miller ...).
Nun, Verwandte auf dem Mars ist kein amerikanisches Buch, aber eine gewisse Nähe zur klassischen amerikanischen Kurzgeschichte durchaus zu spüren.
Aber all das ist nebensächlich. Hauptsache ist, dass diese Geschichten amüsant, tragisch, spannend sind, dass sie liebevoll Schlaglichter auf Menschen werfen, dass sie nachdenklich machen, dass sie in leichtem Ton erzählt sind und trotzdem eine gewisse, angenehme Schwere verbreiten. Und beim zweiten Lesen genauso jung, genauso gut sind.
Kaufen, kaufen, kaufen. Wie immer bitte beim Buchhändler und nicht bei Amazon: die Buchhändler verdienen daran, und die Verlage müssen nicht die Gebühren für Amazon bezahlen.

Metaphern

Immer noch bin ich hundemüde. Aber man kann ja nicht den ganzen Tag nichts tun. Also ein bisschen in meinen beruflichen Unterlagen gestöbert, ein wenig in Das wilde Denken gelesen, ein wenig Derrida weiter (Le Retrait de la métaphore), und Lakoff (Auf leisen Sohlen ins Gehirn).

Bei Lakoff findet sich folgender schöner Abschnitt:
Als Hausaufgabe hatten die Studenten einige Texte über Metaphern gelesen. Eine Viertelstunde, nachdem das Seminar begonnen hatte, betrat eine meiner Studentinnen verspätet den Klassenraum, entschuldigte sich und setzte sich. Sie wirkte betrübt, versuchte aber, ihre Fassung zu wahren. Wir fuhren mit der Stunde fort, und schließlich kam sie an die Reihe, ihre Hausaufgabe vorzutragen. Nach wenigen Worten brach sie in Tränen aus. Wir fragten: »Was ist passiert?« Sie sagte: »Mein Freund hat sich gerade von mir getrennt. Er hat gesagt, unsere Beziehung stecke in einer Sackgasse.«
Lakoff schreibt über Metaphern. Er schreibt mit Metaphern.
Betrübt wirken gehört zu den Lichtmetaphern, ähnlich wie bedrückt wirken zu den pneumatischen Metaphern zählt. Beide beziehen sich auf eine Art Authentizität, die erkennbar ist, auch auf eine Art spontanen Erfassens des Gegenübers.
Ebenso gibt es zahlreiche geographische oder räumliche Metaphern für den Menschen oder seine Seele: die Fassung wahren, was bedeutet, dass man beherrscht wirkt, nicht aus der Rolle fällt, dass man mit einem rechnen kann. Ebenso räumlich ist die Metapher in Tränen ausbrechen. Zugleich wird hier auf einen ganz anderen Bereich mit angespielt: den juristischen, insofern man ausbrechen nicht nur als seinen Platz verlassen liest, sondern auch aus den Räumen auszubrechen, in die man - vernünftigerweise - eingesperrt ist. Dritter Bezugsrahmen: die Vulkanologie. In Tränen ausbrechen evoziert eine Art Eruption.
Interessant sind die beiden Metaphern mit der Stunde fortfahren und die Hausaufgaben vortragen. Die erste gehört zu den Reise-Metaphern, ähnlich wie die Beziehung, die in der Sackgasse steckt, zu den Beziehungen gehört, die nicht fortfahren können. Die andere Metapher macht aus einer Kommunikation ein Objekt, das man vortragen kann, wohin auch immer das ist. Jedenfalls konstituiert sich hier eine Art Bühne und ein Bühnenrand, zusammen mit einer Metaphorik der Sichtbarkeit (und des Lichts) die Metaphorik des Raums.
Metaphern sind also keineswegs selten oder gar nur der poetischen Sprache vorenthalten. Im Gegenteil. Wir haben ständig mit ihnen zu tun.
Seltsam allerdings, dass gerade die poetische Sprache, zum Beispiel der Unterhaltungsroman, mit wesentlich weniger Metaphern auszukommen scheint als die politische Rede zum Beispiel. Man lese zum Beispiel:
Als Herr Bilbo Beutlin von Beutelsend ankündigte, dass er demnächst zur Feier seines einundelfzigsten Geburtstages ein besonders prächtiges Fest geben wolle, war des Geredes und der Aufregung in Hobbingen kein Ende. Bilbo war sehr reich und sehr absonderlich, und seit er vor sechzig Jahren plötzlich verschwunden und unerwartet zurückgekehrt war, hatte man im Auenland nicht aufgehört, sich über ihn zu verwundern. Die Reichtümer, die er von seinen Fahrten mitgebracht hatte, waren mittlerweile zu einer Legende im Auenland geworden, und allgemein glaubte man, was immer die alten Leute auch reden mochten, dass der Bühl von Beutelsend voller Stollen sei, in denen sich die Schätze häuften. Und wenn das noch nicht für seinen Ruf genügte, dann staunte man über die ungebrochene Lebenskraft. Die Zeit blieb nicht stehen, aber auf Herrn Beutlin schien sie wenig Wirkung auszuüben. Mit neunzig war er nicht anders als mit fünfzig. Als er neunundneunzig war, sagten die Leute, er sähe noch gut aus; aber unverändert wäre zutreffender gewesen. Manche schüttelten den Kopf und meinten, das sei zu viel des Guten; es sei einfach unbillig, dass jemand (anscheinend) ewige Jugend und obendrein noch (angeblich) unerschöpfliche Reichtümer besitzen sollte.
Obwohl dieser Abschnitt wesentlich länger ist, muss man genauer hinschauen, um die Metaphern herauszufinden.
Kein Ende zum Beispiel ist keine Metapher, sondern eine Hyperbel, eine Übertreibung. Kein Ende gehört zusammen mit den Ausdrücken sehr reich und sehr absonderlich und plötzlich verschwunden, unerwartet zurückgekehrt zu den Konnotationen des Komischen in dieser Passage.
Die erste wirkliche Metapher ist ungebrochen, Lebenskraft eine Katachrese, die ungebrochene Lebenskraft also eine metaphorisierte Katachrese. Als Katachrese bezeichnet man den tropischen Missbrauch, hier, dass das Leben (Bilbos) aus sich heraus eine Kraft habe, während es wohl mehr die einzelnen Taten sind, die summa summarum zusammengefasst werden. Ungebrochen nun geht auf ein Ding zurück. Krüge sind ungebrochen (sofern sie nicht in die Hände von Kleist geraten), Stecken, Stäbe und Stangerln. Es impliziert die Ganzheit und more metaphorico natürlich auch die Gesundheit und die Kontinuität dieser Gesundheit.
Statt Uhr schreibt Tolkien Zeit. Die Zeit blieb nicht stehen ist aber insofern eine schwierige Trope, als dass die Uhr die Zeit nicht wirklich ersetzt und auch nicht von ihr ersetzt wird. Es kann sich auch nicht direkt um eine Metonymie handeln. Das liegt unter anderem daran, als es neben der gemessenen Zeit auch eine Art kognitiv erschlossener Zeit gibt, die zwar nicht im Gleichlauf mit der Uhr geht, aber gewisse Ähnlichkeiten hat. Die Zeit ist ein ganz besonderes Problem und damit natürlich auch die Uhr.
Die letzte Metapher in diesem Text ist zutreffend. Lakoff schreibt über die zahlreichen Metaphern des Krieges und des Streites, mit denen wir den Dialog metaphorisieren: die Oberhand gewinnen, einen Schnellschuss abliefern, um Verständnis ringen, sein Ziel verlieren. Etwas treffend ausdrücken, diese Metapher ist mit dem Ziel, auch mit dem Schießen als bildspendendem Bereich verbunden.
Es gibt noch einige andere rhetorische Besonderheiten in diesem Text. Vor allem sind es die narrativen Figuren, also tropische Erscheinungen, die über den Satz hinaus auf Erzählmittel verweisen, die auch diesen Text strukturieren. Diese möchte ich hier aber beiseite lassen und mich auf die Metapher konzentrieren.
Man kann also zunächst einmal exemplarisch an diesem erzählenden Text festhalten, dass es sehr wenige deutliche Metaphern gibt, vergleicht man dies mit dem wissenschaftlichen Text von Lakoff.
Eine kurze Durchsicht von Texten zu den derzeitigen Kampfhandlungen im Gaza-Streifen offenbart vor allem räumliche Metaphern. Dazu gehört auch die Metapher, man wolle die UN-Resolution umsetzen, die sich einerseits auf einen Ortswechsel einer (Kultur-)Pflanze bezieht, hier aber vor allem ein Theorie-Praxis-Verhältnis metaphorisiert.
Bei Waffenruhe handelt es sich wiederum um eine Katachrese: ruhen tun zuallererst nicht die Waffen, sondern die Kämpfer, die diese bedienen. Übrigens kann man Waffenruhe ähnlich wie die Truppen werden in ihren Aktivitäten nicht nachlassen (bis eine diplomatische Lösung gefunden worden ist) durchaus als Euphemismus bezeichnen. Der Tod von Menschen wird hier ausgespart.
Noch eine Anmerkung in eigener Sache: ich habe eben geschrieben, eine diplomatische Lösung finden. Erstens findet man Lösungen nicht, man verhandelt sie oder - besser - konstruiert sie. Zweitens ist Lösungen ebenfalls ein euphemistischer Begriff. Die Aufgabe von Verträgen ist es, einen Raum positiver Rechtlichkeit zu schaffen, Verfahren zum Durchsetzen und Aufrechthalten dieses Rechts zu etablieren. Damit gibt es eben keine Lösung. Der Konflikt verschwindet nicht, sondern wird durch den Vertrag strukturiert. Hier wird der Vertrag als ein Kalkül der unterschiedlichen Mächte durch eine Art Ostereier-Suche mit schicksalhafter Wende ausgedrückt. Das ist nicht unbedingt das richtige Vokabular, um einen so hartnäckigen Konflikt journalistisch anzugehen.

Wer noch mehr erwartet: ich sammle erstmal. Weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen ist nicht unbedingt die Aufgabe eines Wissenschaftlers. Kann es auch sein. Hier nicht.
Ich habe sogar weder die Grundstruktur einer Metapher angesprochen, noch die Problematik von Metaphern. Wer sich mit Metaphern beschäftigen möchte, dem rate ich, hier eigene Versuche an Texten anzustellen, aber sich (noch) nicht mit den Feinheiten zu quälen. Denn eines kann man in einem etwas verknappten Nachsatz zu Derridas Schriften über die Metapher (Le Retrait de la Métaphore, La Mythologie blanche) sagen: Metaphern sind ein Irrsinn.

21.01.2009

Jon Stewart, oder: Die Relevanz des Belanglosen

Und noch eine Halbbildung: dank Jon Stewart weiß ich zwar nicht, welches amerikanische Wort er für dusselig benutzt, aber ich weiß, dass man notfalls auch addlebrained sagen kann, wörtlich verwirrt-Hirn.
Nun, auch auf Jon Stewart stößt man über den Feedreader und wieder über Stern-online. Stern berichtet darüber, wie Jon Stewart darüber berichtet, wie Morning Joe über die Obama-Girls berichtet. Womit der Stern eindeutig in die Kategorie "Postmoderne" gehört, während wir für Jon Stewart nur ein lausiges "Satire" übrig haben. Morning Joe dagegen ist Reality-Soap und die Obama-Girls sind eben die Obama-Girls. Fern, im unvergleichlichen Amerika.
Jon Stewart ist Shwowmaster in der Comedy Dentral. Stern überschreibt den kleinen Broadcast mit Die seltsame Relevanz des Belanglosen, wohl Alfred Schütz zu Ehren.
Jon Stewart hat seine eigene Art, etwas mit Relevanz zu markieren. Er schweigt und schaut in die Kamera und das möglichst ausdruckslos und lange. Besser als mancher Pseudo-Kommentar.

Brot entführt

Und noch ein kurioses Fundstück aus meinem Feedreader: Hausbesetzer entführen Bernd das Brot. Hätten sie doch lieber mal Heinrich den Hüttenkäse (alias Dieter Bohlen) entführt. Aber der steht ja auch nicht als Ki.Ka-Werbung in der Leipziger Altstadt herum und nach seinem neuesten Buch "Planieren statt sanieren" (oder hieß es "Einbuchten statt Ausbügeln"?) vielleicht auch der falsche Mitbewerber bei Deutschland sucht die Supergeisel (ein Hund, wer dabei Böses, also an Dieter Bohlen denkt!).

Spunk, Staya Erusa

Staya Erusa heißt der neue Film von Uri Geller. Was bedeutet Staya Erusa? Uri Geller klärt uns in einem Stern-Interview auf. Staya Erusa bedeutet nichts. Es ist ein Kunstwort, hinter dem nichts steckt.
Ähnlich ist das Wort Spunk, aus Pippi Langstrumpf.
Über dieses Interview, das ich mit Faszination und Abscheu gesehen habe, bin ich auf das positive Denken gekommen.
Uri Geller berichtet trotzdem einige sehr schöne Sachen. Zum Beispiel erzählt er, wie er an Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern teilgenommen hat. Die Situation war angespannt. Geller ließ sich einen Löffel bringen, hantierte einige Zeit mit diesem herum und reichte ihn dann an einen Palästinenser weiter. Kaum hatte dieser den Löffel in der Hand, verbog er sich. Alles lachte.
Man mag diese Anekdote glauben oder nicht, aber das absurde Ereignis, das ein Lachen auslöst, und das gemeinsame Lachen, das eine Verhandlungsblockade auflöst, sind sehr nachvollziehbare Ereignisse. Immer ist das Absurde mit einer gewissen Komik verknüpft. Man denke an die Stelle in Ionescos Schauspiel "Die kahle Sängerin", in der der Feuerwehrmann im Gehen die Anwesenden fragt, wie es der kahlen Sängerin gehe und alle peinlich berührt schweigen. An dieser Stelle lacht das Publikum eigentlich immer, obwohl man nicht weiß, wieso. Ich selbst musste lachen und kann es immer noch nicht richtig erklären.
Immer ist das gemeinsame Lachen mit neuen, offeneren Handlungen verknüpft, sei es nun, dass man über einen Waffenstillstandsvertrag verhandelt, sei es, dass man mit einem Schizophrenen über das Aufräumen seiner Küche verhandelt, oder mit einem Schüler das Erlernen von Buchstaben. (Wie sagte eine vortreffliche Lehrerin mal zu mir? "Sie haben die Schüler zu viel Lachen lassen, dann wollen die nicht mehr lernen."; dieselbe Lehrerin hatte mal ein Fax für eine Vertretungsstunde mit den Worten unterschrieben: "Am Ende der Stunde dürfen die Schüler auch mal befreiend lachen." Die Kollegin, die diese Vertretungsstunde gehalten hat, erzählt das immer noch mit Lach-Tränen in den Augen.)

Positiv denken?

Ich glaube schon zum zweiten Mal schreibe ich: es geht nicht darum, positiv zu denken, sondern die Differenz positiv zu nutzen. Positiv denken heißt zum Beispiel auch, konservativ gegen Zustände zu sein, die verändert werden können und verändert werden sollten.
Auch muss man nicht bei sich selbst anfangen. - Oftmals ist sogar das Problem, nicht bei anderen anfangen zu können. Bei sich selbst anfangen, das schmeckt zu sehr nach Selbstdisziplin (wie viele Menschen sind schon daran verzweifelt, wenn sie sich selbst besser machen wollten?).
Ich kann damit anfangen, andere zu verändern. Lustigerweise, indem ich zugleich meine Wahrnehmung ändere. Marx schrieb nicht ohne Grund
Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.
(11. These über Feuerbach)
aber auch zuvor:
Feuerbach, mit dem abstrakten Denken nicht zufrieden, will die Anschauung; aber er fasst die Sinnlichkeit nicht als praktische menschlich-sinnliche Tätigkeit.
(5. These über Feuerbach)
Tatsächlich führt die alleinige Interpretation der 11. These (ich bin dieser Versuche überdrüssig) nur allzuoft zu einem blinden Aktionismus. Und denkt man sich diese beiden Thesen ein wenig zusammen, dann besteht die Veränderung der Welt auch - nicht nur! - in der Sinnlichkeit, in der Praxis des Sinnlichen. (Noch eine Klammer: heute wird das Sinnliche häufig in die Nähe des Erotischen gerückt, und das Erotische in die Nähe des Abbildes. Tatsächlich muss man das Sinnliche viel eher als den Gebrauch der Sinnesorgane versachlichen. Stehen zu bleiben, um zu sehen. Hingehen, um zu hören. Anfassen, schnüffeln, ... wie anders die Welt werden kann, wenn man sich ihren sinnlichen Formen ganz bewusst zuwendet.)
Sinnlichkeiten differenzieren sich durch sinnliche Kontraste. Und Sinneseinheiten können so angereichert werden, dass sie reißen und dadurch zwei oder mehrere Einheiten bilden. Es gibt im Sinnlichen wie im Kognitiven Sättigungsschwellen, die, einmal überschritten, die Dinge, die Wörter zerbrechen machen.
Die Arbeit an den Sinnlichkeiten, nicht nur das Genießen, nein, das Umwandeln in Wörter, in Bilder, in Klänge, ihre Transmedialisierung, das ist die Arbeit des positiven Denkens. Alles lässt sich wandeln. Das ging nicht, solange die Differenzen negativ, transzendental sind. Dann kommen die Differenzen von "woanders", utopisches Denken, selbst im Hegelianischen System. Dagegen sind den positiven Differenzen die Phänomene, die sie scheiden, immanent. Rot und Grün unterscheiden sich nicht, weil sie zwei verschiedene Wesenarten sind, sondern weil die Grenze zwischen Rot und Grün eine bewegliche, volle Differenz ist, die an beiden Seiten Teil hat. Auch die Grenzen zwischen Begriffen sind immer irgendwo fließend. Sie sind es umso mehr, als wir mit ihnen arbeiten, zunächst ihre Schärfe und ihre Struktur anerkennen, um dann nach und nach - in dieser Arbeit - die Unruhe aufsteigen zu lassen, zu sehen, dass jeder Begriff eine Sackgasse ist, wenn wir nicht über ihn hinaus und woanders hin gelangen.
Transmedialisieren, das hatte ich an den Begriff des sinnentnehmenden Lesens gekoppelt. Transmedialisieren bedeutet, dass wir uns transzendieren, in ein Anderswo, in einen (noch) utopischen Raum bewegen, aber ganz immanent, ohne die geringste Göttlichkeit. Vor allem bedeutet es, dass wir uns diesen utopischen Raum nicht als ein politisches Modell vorstellen, sondern als eine andere Form des Genießens, des Existierens, des Denkens "erexperimentieren".
Das Sinnliche ist, um Marx zu wiederholen, eine praktische, menschlich-sinnliche Tätigkeit und in dem Sinne, das wir es als praktisch verstehen, philosophisch.
Das positive Denken geht mit diesem Hand in Hand: indem ich transmedialisiere, erkenne ich die positive, individuierende Differenz an, und indem ich diese anerkenne, transmedialisiere ich, und werde daran experimentell, kreativ.

Bankenkrise

Es ist schlimm, wie wenig die Wirtschaft aus der Bankenkrise gelernt habe. Ericsson streicht alleine deshalb 5000 Stellen, weil der Gewinn letztes Jahr um die Hälfte zurückgegangen ist. Wohlgemerkt: der Gewinn, nicht der Umsatz. (HIER)
Karl Marx hat schon im Kapital analysiert, wie sich Regionalisierungen durch den Warenverkehr auswirken, nämlich zum Guten und zum Schlechten. Heute, da kongolesische Hilfsarbeiter New Yorker Strafzettel eintippen, da es billiger ist, eine Ware zur Zwischenverarbeitung nach China zu schicken, um die Endverarbeitung wieder in Deutschland zu leisten, hat man wohl vergessen, wer oder was die Wirtschaft stützt: der Konsument und der Konsum.
Marx hat die anarchistische Tendenz des Kapitalismus so zusammengefasst: "Je ein Kapitalist schlägt viele tot." (MEW 23, 790); doch muss man heute noch dazu diagnostizieren, dass je ein globales Unternehmen viele Konsumenten totschlägt und wenn nicht kurzfristig, so doch auf Dauer die Äste absägt, auf denen sie sitzen.
Zunächst aber wird der Konsum geringer, wodurch sich gerade Unternehmen, die Luxusartikel herstellen, um einen immer engeren Markt streiten (müssen). Zwangsläufig kommt es dann zu einem verschärften Konkurrenzkampf, und zwangsläufig dann auch zu Firmenbankrotten.
Noch auf einem anderen Gebiet aber gibt es eine self-fulfilling prophecy: wenn man den Aktieneignern immer mit besonders guten Gewinnen und natürlich einer guten Rendite winkt, gewöhnen sich diese daran. Über Aktien kann man streiten. Aber dass die Spekulation mit Aktien und alleine nur die sinkende Gewinnchance zum Rückzug von Krediten aus der Firma führt und diese zusätzlich instabilisiert, hängt natürlich mit der angewöhnten Renditerate zusammen.
Nebenbei: Aktien sind nicht Kapital, sondern Kredite. Kapital - auch wenn dies heute meist nicht mehr so genutzt wird - ist das Geld, das der Kapitalist zurückbehält, wenn er eine Ware nicht zum Selbstverbrauch einkauft, sondern zum Wiederverkauf. Kapitalakkumulation entsteht also nicht aus dem Zurückhalten von Geld. Das nennt Marx Schatzbildung. Kapitalakkumulation entsteht, wenn auf dem Weg des Warentransfers ein Teil des Warenwerts oder der Wertsteigerung durch den Arbeiter in der Hand des Kapitalisten zurückbleibt, und dieses Geld dazu genutzt wird, um weitere Kapitalleistungen aufzubauen. Wie gesagt gilt diese Erklärung nur, wenn man Kapital nicht mit Geld verwechselt und wenn man Kapitalakkumulation nicht mit Wohlstand verwechselt. Wohlstand kann nämlich durchaus eine geregelte und teilweise planbare Wirtschaft ergänzen, während die Kapitalakkumulation irgendwann in anarchische Zustände umkippt. Man lese dazu nochmal Marx. Bitte auch manche Linken, die glauben, Marx sei für die Anarchie (im kommunistischen Gewand).
Luhmann schreibt ähnliche Dinge: über die Preise beobachten Firmen den Markt. Je mehr der Markt ausdünnt, aber auch umkämpft wird, desto besser sieht das zunächst für den Konsumenten aus. Die Preise fallen. Aber hinterrücks werden damit natürlich auch Firmen destabilisiert, Märkte werden unsicher, Arbeitsplätze unsicher. Kommen dann noch Ersatzbeobachtungen wie Aktienmärkte hinzu, kann es hier zu langfristig für die Wirtschaft unklugen Entscheidungen kommen.
Meiner Ansicht nach lohnt es sich hier darüber nachzudenken, wie man Kleinfirmen, vom Selbstständigen bis zu den kleinen Handwerksbetrieben das Leben möglichst leicht machen kann. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass eine der größten Hürden der ganze Papierkram ist, den zum Beispiel viele Handwerker nicht verstehen. (Deshalb gibt es mittlerweile so viele Bäckereien in Berlin, die dieselben pappigen Brötchen verkaufen, eine fatale Mischung aus ostdeutschen Mehlkonservativen und türkischen Backnomaden.)
 

Feedreader

Im Zuge einer eBay-Versteigerung habe ich mir den Feedreader auf meinem Computer installiert.
Was ist ein Feedreader? Das ist ein kleines Programm, das sich meldet, sobald aus einem bestimmten "Feed" eine neue Meldung kommt. Als Feed funktionieren online-Zeitungen, Blogs, bestimmte Dienstleistungen wie Stellenmärkte, oder eben auch eBay, wo man angeblich den Feed direkt an ein Angebot anknüpfen kann.
Nun: letzteres habe ich nicht geschafft. Abgesehen davon sind mir alle meine Angebote ja überboten worden und das zu einem Preis, bei dem ich nicht mehr mitsteigern wollte.
Dafür bekomme ich jetzt alle Artikel meiner online-Zeitungen direkt zugesendet und verpasse keine Nachrichten mehr.
Manches nette Fundstück ist auch dabei, wie zum Beispiel der Blog Unterneuntupfing, ein Satire-Blog.
Wer den Feedreader besitzen möchte: einfach danach googeln.

Vergrippt

Ich liege vergrippt zu Hause. Kein Fieber, aber eine essentielle Müdigkeit. Zwanzig Minuten kann ich mich konzentrieren, dann döse ich wieder zwei Stunden.
Cedric liegt mit Bauchschmerzen und leichtem Fieber nebenan. Sonst bekomme ich ihn abends nicht ins Bett. Gestern ist er freiwillig um kurz nach sieben schlafen gegangen. Wahrscheinlich auch eine anziehende Grippe. Ärgerlich.

Dabei hatte ich diese Woche viel vor.
Meine kleinen Notizen rund um Tausend Plateaus sind weit gediehen. Alle möglichen Zettel zu Harry Potter, Donna Leon, Imbsweiler, dann aber auch Bateson, Freud, Goethe (mal wieder die Farbenlehre), Mayröcker, Handke. Die wollen systematisiert sein und ihr seid doch sicherlich ganz heiß darauf, ein wenig Schizoanalyse zu betreiben.
Na, ganz im Ernst. Nachdem ich vor bereits sieben Jahren meine damaligen Notizen von 1996-99 zu der Logik von Deleuze zu einem kleinen Schaubild zusammengepackt und einlaminiert habe, hängt diese Skizze über meinem Schreibtisch. Nur groß damit gearbeitet habe ich nie. Während meines Referendariats hatte ich schon das Problem, dass meine Kollegen und Vorgesetzten nichts mit der Systemtheorie anfangen konnten, allenfalls gab es mal die eine oder andere konstruktivistische Sonntagsrede, die aber dann leider meistens mittwochs oder donnerstags. Hätte man da mit dem wesentlich wilderen Vokabular der Schizoanalyse ankommen können? Ich denke nicht.
Vor etwa einem Jahr habe ich dann hier im Blog angefangen, einiges von Deleuze aufzuschreiben. Zunächst Grundlegendes zur Logik. Der Leser wird wahrscheinlich das eine oder andere Mal befremdet gewesen sein. Das hat zwei Ursachen. Zum einen ist natürlich die Begrifflichkeit sehr exotisch. Zumindest, bis man sie besser kennt. Zum anderen aber ist die Logik, die Deleuze herausgearbeitet hat, eine Logik, die den "Unterbau" beschreibt, aber nicht die Erscheinungsformen. Bis man von dieser Logik zu einer Anwendung der Schizoanalyse kommt, sind noch einige weitere Zwischenschritte nötig.
Diese erarbeite ich mir hier nach und nach. Das geschieht einerseits, weil ich Lust dazu habe, die ganze Praxis der Erzählens auf ein anderes Begriffsnetz aufzuspannen. Andererseits hoffe ich, dass ich all denjenigen, die sich mit Deleuze beschäftigen und noch exemplarische Analysen brauchen, etwas anderes bieten kann als nur die Wiedergabe der Beispiele aus seinen Büchern. 

19.01.2009

Langes Wochenende

Freitag abend war ich in der Kollage. Nico hat Musik aufgelegt und draußen war es bitter kalt. Zwei Hefeweizen getrunken und mich danach blümerant gefühlt. Doofe Alkohol-Abstinenz. Man verträgt nichts mehr.
Außerdem einen Tag im Kampflesemodus. Eigentlich sehr schade. Denn diesmal musste ein Teil von Imbsweilers König von Wolckenstein dran glauben. Dabei darf man dieses Buch nur ganz ganz langsam durchlesen, damit man zwischendurch viel Zeit zum Lachen hat. Aber die Rezension musste fertig werden, also bin ich durch das letzte drittel mit schmerzendem Zwerchfell geflogen. Sonntag habe ich dann noch Imbsweilers Verwandte auf dem Mars gelesen, das fast noch besser ist.
Einer meiner Lieblingssätze aus diesem Buch steht in einer Geschichte, die damit beginnt, dass der Patenonkel des Erzählers den Erzähler während der Taufe fallen lässt (der Erzähler berichtet also rückblickend davon). Um dieses Ungeschick seines Onkels mit dem Säugling zu entschuldigen, erklärt der Erzähler:
"Mein Patenonkel war Autoschlosser und von Berufs wegen den Umgang mit lebendigen Materialen nicht gewohnt - anders als beispielsweise der Pate meines älteren Bruders, der eine Metzgerei mit eigener Schlachtung betrieb."
Imbsweiler, Markus: Verwandte auf dem Mars, S. 38
Der König von Wolckenstein ist ein saukomisches Buch. Verwandte auf dem Mars besteht aus Kurzgeschichten, die zwar teilweise auch sehr lustig sind, aber doch deutlich tragische und ernste Untertöne besitzt. In einer anderen Kurzgeschichte geht es zum Beispiel darum, dass der Uropa des Erzählers während des 3. Reichs eine Jüdin erschossen hat und damit sehr verdrängend umgegangen ist.
Außerdem habe ich Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht rezensiert, dann Das Dschungelbuch der Führung von Ruth Seliger, Schlagfertig auf dem Schulhof von Matthias Pöhm, und den Nicht-Raucher-Coach nach Allan Carr.
Bei eBay wollte ich mir ein Ravioli-Brett ersteigern, bin aber überboten worden. Also gibt es Ravioli weiterhin von Hand. Heute habe ich Nico und Anke Ravioli vorbeigebracht, einige mit Paprika-Salami-Füllung und einige mit Kartoffel-Gorgonzola-Füllung. Nicos Sohn aus erster Ehe war da, Gabriel; und Viktoria, zweieinhalb Monate alt, fand, dass sie bei meinem Anblick sabbern müsse. Wenigstens hier löse ich noch bedingt erfolgreiche Reflexe aus.
Außerdem sammle ich aus Tausend Plateaus und Kafka. Für eine kleine Literatur kleine Systematisierungen zusammen. Anmerkungen zur politischen Sprache, pädagogischen Diagnostik, zum Kriminalroman, etc. - eben alles, was hier ab und zu durch den Blog schwirrt - wuchern zettelartig auf meinem Schreibtisch. Auslöser ist Christian, der viel mit Klangskulpturen gearbeitet hat, d.h. sie hergestellt hat. Und da ergaben sich für mich sofort Überschneidungen zum Ritornell und zu den singenden Hunden (beides aus den Büchern von Deleuze/Guattari).
Durch einen Anruf von meiner (ehemaligen) Chefin zu einem dreistündigen Telefonat mit einer Selbstmordgefährdeten gekommen. Wollte ich eigentlich nicht mehr machen, wegen ethischer Bedenken. Bin dafür ja nicht ausgebildet. Aber sie hat mir versprochen, morgen zu ihrer Frauenärztin zu gehen und alles mit ihr zu besprechen. Und wir werden morgen abend miteinander telefonieren. Außerdem sagte sie am Ende des Telefonats, sie könne jetzt alles viel klarer sehen und sei längst nicht mehr so verzweifelt. Nun, ich habe wohl ein gutes Händchen für so etwas. Aber eigentlich möchte ich nicht auf den Tag warten, dass das mal nach hinten los geht. Und ich bin immer froh, wenn dann ein fachlich ausgebildeter Mensch übernimmt.
Alice Gabathuler wird im Februar ihren vierten Roman veröffentlichen. Darauf freue ich mich sehr.

12.01.2009

Ich dagegen ...

... schreibe immer noch nicht, oder jedenfalls nur Kurzfassungen. Woran's liegt? Nun, ich sammle und werte aus und schreibe um. Und langsam, langsam bilden sich ganz seltsame, ganz wunderbare neue Texte. Wartet auf mich.

Daniel schreibt wieder ...

... und er ist genauso gut wie äh' und jäh. - Was natürlich eine immanente Beleidigung ist. Hier!

01.01.2009

Ein schönes neues Jahr ...

wünsche ich allen. Da sich doch immerhin zehn Mails gesammelt haben, die nachgefragt haben, was ich so treibe und warum ich nicht blogge, antworte ich hier mal.

1. Harry Potter: Ich hatte vor einem dreiviertel Jahr angefangen, minutiöse Aufzeichnungen über Harry Potter zu machen. Minutiös heißt hier, von Satz zu Satz. Da ich das Ganze in meinem Zettelkasten haben wollte, und der alte Zettelkasten auf meinem Computer einfach nur ewig langsam war, habe ich auf Papier geschrieben. Und das tippe ich zur Zeit ein. Ziel sind immer noch narrative Figuren zu katalogisieren, die sich in dem Zwischenraum zwischen Satz und Geschichte bilden.
Das hat viel mit Erbsenzählerei zu tun. Keine Angst. Damit werde ich euch nicht behelligen.
Aber ich werde auf jeden Fall solche narrativen Figuren zusammenstellen und dazu dann Übungen vorschlagen. Es geht, wenn man einen Plot entworfen hat, um das "Kleid" der Geschichte, um Muster und Farben.

2. Außerdem arbeite ich an der Rhetorik der politischen Sprache. Neben der Analyse von Bundestagsreden habe ich jetzt ein Buch bekommen, George Lakoff/Elisabeth Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht, das ich demnächst ausführlicher vorstellen werde.

3. Neben der Rhetorik der politischen Sprache steht die Sprache der Massenmedien, hier vor allem die Sprache der Werbung. Auf der einen Seite übe ich mich auch hier in Analyse. Auf der anderen Seite nutze ich hier meine ganzen Aufzeichnungen zur Schlagfertigkeit, um mich daran auch praktisch auszuprobieren. Ich habe eine hübsche Werbekampagne für Duplo entworfen. Ferrero wird mich steinigen.

4. Bild und Text. Das heißt für mich auch mal wieder intensiver mit der Kinotheorie von Deleuze zu arbeiten. Ich habe die beiden Kino-Bücher das letzte Mal in den 90er-Jahren durchgearbeitet. Das ist lange her und mittlerweile stehe ich mit ganz anderen Ideen da.
Es sind ganz wundervolle Bücher. Auch diese verschwinden nach und nach in meinem Zettelkasten.

5. Dann habe ich eine ganze Menge zu lesen bekommen. Lakoff ist nicht der einzige, auch Ruth Seligers Buch über Management und ein Buch von Reinhard Voß, Hrsg., über Gewaltprävention bei Jugendlichen (was mich noch immer interessiert).

6. Dann die zwei Nicht-Krimis von Markus Imbsweiler. Ich bin noch nicht ganz fertig, aber sowohl König von Wolckenstein als auch Verwandte auf dem Mars sind wundervolle Bücher von einem Autoren, der von Humor wirklich Ahnung hat. Seine Grotesken bewegen sich auf einem Niveau weit über Tommy Jaud und anderen dieser seltsamen Humorpathologen, und sind doch kurzweilig, sinnlich, spannend. Sehr empfehlenswert!

7. Weihnacht und Sylvester waren natürlich auch noch.
Frohes Neues Jahr, eben!