Kennen Sie Roman Jakobson?
Neuerdings wissen die Leser der Welt ja, welch ein Glück!, dass sie in ihrem unermüdlichen Kampf gegen den Genderismus den Beistand einer der wichtigsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts erhalten haben; denn, so weiß ein Artikel der Welt zu berichten, hassen die Genderistinnen Roman Jakobson. Kannten Sie Roman Jakobson vorher? – Nicht? – Und wissen Sie jetzt, warum Jakobson eine so zentrale Figur im 20. Jahrhundert geworden ist? Nun, ich kann Ihnen verraten, es liegt nicht daran, dass Roman Jakobson sich gegen den Genderismus gewandt hat. Und dass Genderistinnen ihn hassen würden, ist nicht die einzige schräge, man möchte sagen verlogene Behauptung in diesem Artikel. Denn sichtlich ist das Argument, dass alle Bürger zur Wahl gehen dürften, genau dann falsch, wenn nicht alle Bürger zur Wahl gehen dürfen, weil nämlich etwa Frauen, die ja, laut generischem Maskulinum, auch Bürger sind, erst seit 1918 wählen dürfen. Hat man vorher gesagt: Alle Bürger sind zur Wahl aufgefordert; dann hat man die Frauen selbstverständlich nicht mit gemeint.
Und ebenso dürfte dem Autor dieses Artikels, einem gewissen Herrn Krischke, entgangen sein, dass Feministinnen wie Julia Kristeva, Judith Butler, Barbara Johnson oder Elaine Scarry natürlich ihre Arbeiten auch auf Jakobson stützen, wo nicht ganz direkt, so doch über gut bekannte Umwege, etwa Jacques Lacan oder die Semiotik im Allgemeinen.
Schließlich ist die Behauptung, dass die Opposition von markiert/unmarkiert ein sprachökonomisches Prinzip sei, keine Begründung für das generische Maskulinum, sondern nur eine Darlegung. Wer also sein Heil darin sucht, anhand solcher Argumente die Gender-Sprache aushebeln zu wollen, hat grundsätzlich nicht verstanden, welches die wissenschaftstheoretischen Fundamente des linguistischen Konstruktivismus (Prager Schule) oder des linguistischen Strukturalismus (Genfer Schule) sind. »Eine Kommunikation teilt die Welt nicht mit, sie teilt sie ein.« (Luhmann 1992, 7)
Oder anders gesagt: dass ein strukturelles Phänomen in Sprachen festgestellt werden kann, sagt noch nichts über Sinn oder Unsinn sprachpolitischer Strategien. Denn wo die Antigenderisten meinen, sich über Linguistik zu unterhalten, sprechen sie doch von ausschließender Sprachpraxis, d. h. von Politik, und damit nicht im Refugium von Jakobson.
Neuerdings wissen die Leser der Welt ja, welch ein Glück!, dass sie in ihrem unermüdlichen Kampf gegen den Genderismus den Beistand einer der wichtigsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts erhalten haben; denn, so weiß ein Artikel der Welt zu berichten, hassen die Genderistinnen Roman Jakobson. Kannten Sie Roman Jakobson vorher? – Nicht? – Und wissen Sie jetzt, warum Jakobson eine so zentrale Figur im 20. Jahrhundert geworden ist? Nun, ich kann Ihnen verraten, es liegt nicht daran, dass Roman Jakobson sich gegen den Genderismus gewandt hat. Und dass Genderistinnen ihn hassen würden, ist nicht die einzige schräge, man möchte sagen verlogene Behauptung in diesem Artikel. Denn sichtlich ist das Argument, dass alle Bürger zur Wahl gehen dürften, genau dann falsch, wenn nicht alle Bürger zur Wahl gehen dürfen, weil nämlich etwa Frauen, die ja, laut generischem Maskulinum, auch Bürger sind, erst seit 1918 wählen dürfen. Hat man vorher gesagt: Alle Bürger sind zur Wahl aufgefordert; dann hat man die Frauen selbstverständlich nicht mit gemeint.
Und ebenso dürfte dem Autor dieses Artikels, einem gewissen Herrn Krischke, entgangen sein, dass Feministinnen wie Julia Kristeva, Judith Butler, Barbara Johnson oder Elaine Scarry natürlich ihre Arbeiten auch auf Jakobson stützen, wo nicht ganz direkt, so doch über gut bekannte Umwege, etwa Jacques Lacan oder die Semiotik im Allgemeinen.
Schließlich ist die Behauptung, dass die Opposition von markiert/unmarkiert ein sprachökonomisches Prinzip sei, keine Begründung für das generische Maskulinum, sondern nur eine Darlegung. Wer also sein Heil darin sucht, anhand solcher Argumente die Gender-Sprache aushebeln zu wollen, hat grundsätzlich nicht verstanden, welches die wissenschaftstheoretischen Fundamente des linguistischen Konstruktivismus (Prager Schule) oder des linguistischen Strukturalismus (Genfer Schule) sind. »Eine Kommunikation teilt die Welt nicht mit, sie teilt sie ein.« (Luhmann 1992, 7)
Oder anders gesagt: dass ein strukturelles Phänomen in Sprachen festgestellt werden kann, sagt noch nichts über Sinn oder Unsinn sprachpolitischer Strategien. Denn wo die Antigenderisten meinen, sich über Linguistik zu unterhalten, sprechen sie doch von ausschließender Sprachpraxis, d. h. von Politik, und damit nicht im Refugium von Jakobson.
Die ästhetische Funktion
Überblick
Nun gäbe es auch noch eine ganze Menge anderes zu Roman Jakobson zu sagen, Kluges, Bedenkenswertes. Das gerade aber wird nun nicht besprochen. Im Folgenden möchte ich deshalb den Blick auf einen wesentlich wichtigeren Begriff lenken, den der ästhetischen Funktion. Jakobson hat mit diesem der modernen Ästhetik ein nicht gerade einfaches Erbe mitgegeben; dies werde ich an dem deutsch-niederländischen Kabarettisten Piet Klocke und an Theodor Storms früher Novelle ›Auf der Universität‹ diskutieren.
Zuvor müssen wir uns allerdings etwas ausführlicher mit Jakobson beschäftigen. Denn die ästhetische Funktion beruht nicht nur auf zwei zentralen Begriffen, die Jakobson, wo nicht entdeckt, so doch ausführlich und in großer Breite angewendet hat: Paradigma und Syntagma. Um dies aber für die ästhetische Funktion genauer darstellen zu können, müssen wir uns zunächst über die verschiedenen ›strukturellen‹ Ebenen von Texten informieren; und zudem müssen wir die ›inneren Mechanismen‹ der ästhetischen Funktion genauer betrachten, einem alten Bekannten für alle Leserinnen meines Blogs, die rhetorischen Figuren.
Ich gehe im Folgenden also zunächst grundlegend auf die ästhetische Funktion ein, wie Jakobson sie dargestellt hat, dann auf die verschiedenen Textebenen, um von dort aus zu erläutern, wie die rhetorischen Figuren die ästhetische Funktion genauer bestimmen. Dies wird zunächst an einem bekannten Gedicht von Goethe vorgeführt. Von hier aus problematisiere ich die ästhetische Funktion aber in zwei Richtungen, einmal in die des Humors – deshalb hier ein Stück Sprachkunst aus dem Kabarett –, und einmal in die einer komplexen Verflechtung rhetorischer Mittel aus einer Novelle des sogenannten ›Bürgerlichen Realismus‹.
Dort werden wir beispielhaft sehen, dass sich humoristische Texte zwar ebenfalls mit der ästhetischen Funktion erklären lassen, aber einen entscheidenden Zwischenschritt benötigen; dort, wo ›ernsthafte‹ Texte auf eine ästhetische Konvergenz setzen, ist dies bei ›humoristischen‹ Texten genau entgegengesetzt, nämlich eine ästhetische Divergenz. Zu klären ist also, wie rhetorische Figuren im Sinne einer ästhetischen Funktion so eingesetzt werden können, dass sie zu einem divergenten Text führen.
Die Novelle von Storm wiederum verflicht dicht gedrängt realistische Szenen mit symbolischen, zum Teil spukhaften Passagen, ohne den Realismus zu verlassen. Dies führt zu einer Vieldeutigkeit, die man mit einer schlichten Anwendung der ästhetischen Funktion nicht mehr erklären kann. Auch hier ist eine Erweiterung durch Zwischenschritte notwendig, um zu sehen, dass Jakobsons Begriff trotzdem weiterhin erklären kann, was diese Novelle so kunstfertig macht.
Zuvor müssen wir uns allerdings etwas ausführlicher mit Jakobson beschäftigen. Denn die ästhetische Funktion beruht nicht nur auf zwei zentralen Begriffen, die Jakobson, wo nicht entdeckt, so doch ausführlich und in großer Breite angewendet hat: Paradigma und Syntagma. Um dies aber für die ästhetische Funktion genauer darstellen zu können, müssen wir uns zunächst über die verschiedenen ›strukturellen‹ Ebenen von Texten informieren; und zudem müssen wir die ›inneren Mechanismen‹ der ästhetischen Funktion genauer betrachten, einem alten Bekannten für alle Leserinnen meines Blogs, die rhetorischen Figuren.
Ich gehe im Folgenden also zunächst grundlegend auf die ästhetische Funktion ein, wie Jakobson sie dargestellt hat, dann auf die verschiedenen Textebenen, um von dort aus zu erläutern, wie die rhetorischen Figuren die ästhetische Funktion genauer bestimmen. Dies wird zunächst an einem bekannten Gedicht von Goethe vorgeführt. Von hier aus problematisiere ich die ästhetische Funktion aber in zwei Richtungen, einmal in die des Humors – deshalb hier ein Stück Sprachkunst aus dem Kabarett –, und einmal in die einer komplexen Verflechtung rhetorischer Mittel aus einer Novelle des sogenannten ›Bürgerlichen Realismus‹.
Dort werden wir beispielhaft sehen, dass sich humoristische Texte zwar ebenfalls mit der ästhetischen Funktion erklären lassen, aber einen entscheidenden Zwischenschritt benötigen; dort, wo ›ernsthafte‹ Texte auf eine ästhetische Konvergenz setzen, ist dies bei ›humoristischen‹ Texten genau entgegengesetzt, nämlich eine ästhetische Divergenz. Zu klären ist also, wie rhetorische Figuren im Sinne einer ästhetischen Funktion so eingesetzt werden können, dass sie zu einem divergenten Text führen.
Die Novelle von Storm wiederum verflicht dicht gedrängt realistische Szenen mit symbolischen, zum Teil spukhaften Passagen, ohne den Realismus zu verlassen. Dies führt zu einer Vieldeutigkeit, die man mit einer schlichten Anwendung der ästhetischen Funktion nicht mehr erklären kann. Auch hier ist eine Erweiterung durch Zwischenschritte notwendig, um zu sehen, dass Jakobsons Begriff trotzdem weiterhin erklären kann, was diese Novelle so kunstfertig macht.
Das Syntagma
Die ästhetische Funktion lässt sich zunächst als die Syntagmatisierung eines Paradigmas definieren.
Syntagma und Paradigma sind zwei grundlegende Begriffe des sogenannten Prager Konstruktivismus, zu dem Roman Jakobson gehört. Das Syntagma bezeichnet eine Ordnung verschiedener Elemente hintereinander, so etwa die Wörter in einem Satz oder die Szenen in einem Theaterstück. Ihre grundlegende Funktion ist die Kombination; die Kombination von Wörtern zu einer größeren Einheit: dem Satz, die Kombination von Szenen zu einer größeren Einheit: dem Theaterstück. Dasselbe gilt für Buchstaben und Wörter, Handgriffe und zum Beispiel den Zutaten und dem Kochen, den Tönen und der Melodie, Verkehrszeichen und Verkehrlenkung, usw.
In jedem Zeichensystem gibt es mindestens eine syntagmatische Beziehung; in komplexen Zeichensystemen, wie etwa der menschlichen Sprache, gibt es unendlich viele.
Syntagma und Paradigma sind zwei grundlegende Begriffe des sogenannten Prager Konstruktivismus, zu dem Roman Jakobson gehört. Das Syntagma bezeichnet eine Ordnung verschiedener Elemente hintereinander, so etwa die Wörter in einem Satz oder die Szenen in einem Theaterstück. Ihre grundlegende Funktion ist die Kombination; die Kombination von Wörtern zu einer größeren Einheit: dem Satz, die Kombination von Szenen zu einer größeren Einheit: dem Theaterstück. Dasselbe gilt für Buchstaben und Wörter, Handgriffe und zum Beispiel den Zutaten und dem Kochen, den Tönen und der Melodie, Verkehrszeichen und Verkehrlenkung, usw.
In jedem Zeichensystem gibt es mindestens eine syntagmatische Beziehung; in komplexen Zeichensystemen, wie etwa der menschlichen Sprache, gibt es unendlich viele.
Das Paradigma
In jedem Syntagma stehen die einzelnen Elemente an bestimmten Positionen. Diese Positionen werden durch eine Grammatik geregelt. So ist für die Positionen der einzelnen Wörter in einem deutschen Satz die Deutsche Satzgrammatik zuständig. Dabei ist aber klar, dass an einer bestimmten Position eines Satzes sehr verschiedene Wörter stehen können, nur nicht mehrere gleichzeitig. Alle Wörter, die an eine solche Position gesetzt werden können, bilden ein Paradigma. Das Paradigma bezeichnet also eine Menge von Elementen, die für eine bestimmte Position in einem Syntagma verwendet werden können, von denen aber eines ausgewählt werden muss. Das Grundprinzip des Paradigmas ist also die Selektion.
Solche Paradigmen tauchen nicht nur abstrakt auf der Wortebene auf, sondern auch recht alltäglich, zum Beispiel als Kategorien, etwa Nutztiere, Molkereiprodukte, Abenteuerromane, Farben, Biersorten, Gartenzwergsammlungen. Es lässt sich natürlich fragen, wo das Syntagma etwa in der Gartenzwergsammlung zu finden sei: man kann eben zwei Gartenzwerge nicht an denselben Platz stellen; und auch wenn die Aufstellung von Gartenzwergen ein räumliches Syntagma ist und sehr privaten Regeln gehorcht, so handelt es sich trotzdem um eine immer irgendwie geordnete Aufstellung. Nicht jede Grammatik ist ausformuliert und nicht jedes Syntagma ist linear (man vergleiche zum Beispiel die fiktiven Landkarten zu Beginn mancher Fantasy-Romane).
Die Syntagmatisierung
Wir müssen nun allerdings klären, wie ein Paradigma syntagmatisiert werden kann. Denn zunächst schließen diese beiden Begriffe sich scheinbar aus, gerade weil sie sich ergänzen. Eine einfache Überlegung kann uns allerdings sofort auf die richtige Spur bringen: man kann die Elemente aus einem Paradigma natürlich mehrfach hintereinander verwenden, denn auch wenn in einem Satz bestimmte Wörter nur an bestimmten Positionen stehen können, kann man doch mehrere Sätze hintereinander verwenden, oder innerhalb eines Satzes mehrere Positionen finden, auf dem ein Element aus dem Paradigma stehen darf; so etwa in der Wendung ›Lied der Lieder‹: die Genitiv-Konstruktion erlaubt zwei Substantive hintereinander und deshalb nicht nur ›Hund des Nachbarn‹ und ›Begierde der Nacht‹, sondern auch ›König der Könige‹ oder ›Spiel der Spiele‹. Weiter unten werden wir sehen, dass auch die grammatischen Funktionen in diese ›ästhetische Funktion‹ hineingenommen werden können.
Betrachtet man ein Paradigma etwas genauer, dann bildet dies eine Gruppierung; in dieser Gruppierung sind alle Elemente auf bestimmte Weise gleich und verhalten sich deshalb zueinander gleichwertig (= äquivalent). Zugleich aber unterscheiden sich die Elemente auch untereinander und schließen einander aus (= disjunkt) (vgl. dazu Greimas 1971, 14 f.). Rot und grün sind Farben, darin also äquivalent, aber rot ist eine andere Farbe als grün, also dadurch disjunkt. Dadurch, dass man dies auf die Ebene der Kombination überträgt, werden im Syntagma zugleich die Äquivalenzen als auch die Disjunktionen betont (vgl. Hawkes 1977, 61).
Betrachtet man ein Paradigma etwas genauer, dann bildet dies eine Gruppierung; in dieser Gruppierung sind alle Elemente auf bestimmte Weise gleich und verhalten sich deshalb zueinander gleichwertig (= äquivalent). Zugleich aber unterscheiden sich die Elemente auch untereinander und schließen einander aus (= disjunkt) (vgl. dazu Greimas 1971, 14 f.). Rot und grün sind Farben, darin also äquivalent, aber rot ist eine andere Farbe als grün, also dadurch disjunkt. Dadurch, dass man dies auf die Ebene der Kombination überträgt, werden im Syntagma zugleich die Äquivalenzen als auch die Disjunktionen betont (vgl. Hawkes 1977, 61).
Spezifischere Paradigmen
In der Anwendung von der ästhetischen Funktion können wir ganz allgemein sagen, dass sich ein oder mehrere beliebige Paradigmen über ein Syntagma verteilt finden lassen. Für das sprachliche Kunstwerk muss man dies allerdings etwas genauer fassen. Wir würden nicht jeden Text als ästhetisch bezeichnen, auch wenn dieser ausschließlich grammatisch korrekte Sätze beinhaltet, und an jeder Stelle für ein Substantiv aus dem Paradigma ›deutsche Substantive‹ eines ausgewählt worden ist. Denn solche Texte umfassen auch Kochanleitungen, Beipackzettel oder (scheußliche) politische Reden.
Als erstes kann man beobachten, dass zum Beispiel Fantasyromane Substantive eines bestimmten Bereichs relativ häufig verwenden, zum Beispiel ›Zauberstab‹, ›Drache‹, ›Königsburg‹ und ähnliches. Sie verwenden also nicht mehr irgendwelche Substantive, sondern Substantive aus dem Paradigma ›Fantasywelt‹. Zur ästhetischen Funktion gehören also ausgesuchte Paradigmen. Wie solche Paradigmen ausgesucht werden, hängt zum Teil von der gesellschaftlichen Praxis ab – man spricht hier von Modeströmungen oder auch Epochenpoetiken; wie etwa in der Weimarer Klassik häufig, wenn auch nicht ausschließlich, auf antike Sagengestalten Bezug genommen wurde, so dass dies das Paradigma mit den Elementen Prometheus, Theseus, Ikarus, Ganymed, usw. bildet.
Als erstes kann man beobachten, dass zum Beispiel Fantasyromane Substantive eines bestimmten Bereichs relativ häufig verwenden, zum Beispiel ›Zauberstab‹, ›Drache‹, ›Königsburg‹ und ähnliches. Sie verwenden also nicht mehr irgendwelche Substantive, sondern Substantive aus dem Paradigma ›Fantasywelt‹. Zur ästhetischen Funktion gehören also ausgesuchte Paradigmen. Wie solche Paradigmen ausgesucht werden, hängt zum Teil von der gesellschaftlichen Praxis ab – man spricht hier von Modeströmungen oder auch Epochenpoetiken; wie etwa in der Weimarer Klassik häufig, wenn auch nicht ausschließlich, auf antike Sagengestalten Bezug genommen wurde, so dass dies das Paradigma mit den Elementen Prometheus, Theseus, Ikarus, Ganymed, usw. bildet.
Textebenen
Für Texte muss man dann noch die verschiedenen Ebenen beachten, die gerade ästhetische Texte sehr bewusst verwenden. In der Lyrik wird zum Beispiel besonders die klangliche Qualität von Wörtern genutzt, was uns in der Alltagssprache eher hindern würde.
Plett zählt in seiner ›Systematischen Rhetorik‹ sieben Ebenen eines Textes auf: 1. phonologische, wobei er diese in eine phonemische und eine metrische aufteilt, 2. morphologische, 3. syntaktische, 4. semantische, 5. graphemische, 6. textologische und 7. intertextuelle Ebene. Dies sind allerdings nur die Ebenen der klassischen Rhetorik, während zum Beispiel für die erzählende Literatur noch die (sehr komplexe) narrative Ebene mitbeachtet werden muss.
Auf allen diesen Ebenen können die Mechanismen der ästhetischen Funktion Verwendung finden; deutlich dürfte aber sein, dass nicht notwendig jede Ebene in einem Sprachkunstwerk ästhetisiert wird.
Sprechen wir also von der Ästhetik eines Werkes, müssen wir zunächst darauf achten, auf welchen Ebenen die Verfasserin ein Paradigma syntagmatisiert, und aus welchen Paradigmen sie auswählt. Gedichte sind gewöhnlicherweise auf mehreren Ebenen ästhetisiert; zu der ausgesuchten klanglichen Qualität der Wörter (phonologische Ebene, etwa Reime) gesellt sich die metrische Qualität, die syntaktische und die semantische, bei konkreter Poesie zum Beispiel auch die graphemische, usw.
Plett zählt in seiner ›Systematischen Rhetorik‹ sieben Ebenen eines Textes auf: 1. phonologische, wobei er diese in eine phonemische und eine metrische aufteilt, 2. morphologische, 3. syntaktische, 4. semantische, 5. graphemische, 6. textologische und 7. intertextuelle Ebene. Dies sind allerdings nur die Ebenen der klassischen Rhetorik, während zum Beispiel für die erzählende Literatur noch die (sehr komplexe) narrative Ebene mitbeachtet werden muss.
Auf allen diesen Ebenen können die Mechanismen der ästhetischen Funktion Verwendung finden; deutlich dürfte aber sein, dass nicht notwendig jede Ebene in einem Sprachkunstwerk ästhetisiert wird.
Sprechen wir also von der Ästhetik eines Werkes, müssen wir zunächst darauf achten, auf welchen Ebenen die Verfasserin ein Paradigma syntagmatisiert, und aus welchen Paradigmen sie auswählt. Gedichte sind gewöhnlicherweise auf mehreren Ebenen ästhetisiert; zu der ausgesuchten klanglichen Qualität der Wörter (phonologische Ebene, etwa Reime) gesellt sich die metrische Qualität, die syntaktische und die semantische, bei konkreter Poesie zum Beispiel auch die graphemische, usw.
Goethe: Ein Gleiches
Die unbedarfte Leserin erwartet zumindest vom klassischen Gedicht, dass dieses ein ebenes Versmaß besitzt, also zum Beispiel pro Vers vier Iamben. Goethes Gedicht ›Ein Gleiches‹ weicht darin von der üblichen Vorstellung ab (wie häufiger bei Goethe).
Es lautet:
Es lautet:
Über allen Gipfeln Ist Ruh, In allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch. (Bd. 1, 142)
Die Versfüße sind ungleichmäßig: der erste Vers besteht recht eindeutig aus einem dreihebigen Trochäus; der Trochäus besteht aus einer betonten, gefolgt von einer unbetonten Silbe. Doch schon der zweite Vers bricht damit: hier scheint ein Jambus vorzuliegen, also eine unbetonte, gefolgt von einer betonten Silbe. Mit dem fünften Vers werden die Versfüße dreihebig und vermitteln etwas Tänzerisches, aber auch Stolperndes.
Ich möchte hier den Blick aber nur auf zwei Aspekte richten. Denn egal, wie man die gebrochene Metrik des Gedichtes interpretieren mag, so liegt doch ein durchgängiges und sehr klassisches Reimschema vor. Um der Metrik und dem Reimschema zu entsprechen, fügt Goethe mehrfach ein ›e‹ in die Wörter ein, ›spürest‹ statt ›spürst‹, ›Walde‹ statt ›Wald‹, ›balde‹ statt ›bald‹ und ›ruhest‹ statt ›ruhst‹.
Wir haben viermal eine Hinzufügung (auch Addition oder adiectio) auf der phonologischen (lautlichen) Ebene, zweimal in der Mitte des Wortes und zweimal am Ende; alle vier bilden neue, unbetonte Silben und greifen damit direkt ins Versmaß ein. Die entsprechenden rhetorischen Figuren nennen sich Epenthese (Hinzufügung in der Mittelstellung) und Paragoge (Hinzufügung in der Endstellung).
Wichtig ist hier vor allem aber, dass diese klanglich und metrisch veränderten Wörter zu den morphologisch korrekten Wörtern paradigmatisch angeordnet sind; sie werden hier ausgewählt, um das metrische Syntagma zu verändern.
Dies ist aber bei den rhetorischen Figuren wichtig, und wir werden diesem Phänomen weiterhin begegnen: die rhetorische Figur verändern auf der einen Ebene des Textes etwas, aber zugleich auch auf einer anderen; auf der einen ist sie paradigmatisch, auf der anderen syntagmatisch. Und kürzer gesagt: rhetorische Figuren dienen der Syntagmatisierung von Paradigmen, also jener ästhetischen Funktion, von der Jakobson gesprochen hat, aber sie bezeichnen oftmals nicht die Ebene, auf der syntagmatisiert wird. Denn die Paragoge wird nur als lautliche Hinzufügung genannt, obwohl sie zugleich eine Änderung auf der metrischen Ebene bewirkt.
Das gleiche können wir zum Beispiel auch auf ganz anderer Ebene beim oben angesprochenen Fantasyroman sehen; auf der lexikalischen Ebene existiert ein Paradigma mit typischen ›Fantasywörtern‹, welches auf der Ebene des Erzählens in eine bedeutungsvolle Abfolge gebracht wird. Das zunächst lexikalische Paradigma überträgt sich bei der Syntagmatisierung auf die Ebene der Narration.
Dies ist aber noch sehr banal. Es gilt also, zu ausgewählten Beispielen überzugehen.
Ich möchte hier den Blick aber nur auf zwei Aspekte richten. Denn egal, wie man die gebrochene Metrik des Gedichtes interpretieren mag, so liegt doch ein durchgängiges und sehr klassisches Reimschema vor. Um der Metrik und dem Reimschema zu entsprechen, fügt Goethe mehrfach ein ›e‹ in die Wörter ein, ›spürest‹ statt ›spürst‹, ›Walde‹ statt ›Wald‹, ›balde‹ statt ›bald‹ und ›ruhest‹ statt ›ruhst‹.
Wir haben viermal eine Hinzufügung (auch Addition oder adiectio) auf der phonologischen (lautlichen) Ebene, zweimal in der Mitte des Wortes und zweimal am Ende; alle vier bilden neue, unbetonte Silben und greifen damit direkt ins Versmaß ein. Die entsprechenden rhetorischen Figuren nennen sich Epenthese (Hinzufügung in der Mittelstellung) und Paragoge (Hinzufügung in der Endstellung).
Wichtig ist hier vor allem aber, dass diese klanglich und metrisch veränderten Wörter zu den morphologisch korrekten Wörtern paradigmatisch angeordnet sind; sie werden hier ausgewählt, um das metrische Syntagma zu verändern.
Dies ist aber bei den rhetorischen Figuren wichtig, und wir werden diesem Phänomen weiterhin begegnen: die rhetorische Figur verändern auf der einen Ebene des Textes etwas, aber zugleich auch auf einer anderen; auf der einen ist sie paradigmatisch, auf der anderen syntagmatisch. Und kürzer gesagt: rhetorische Figuren dienen der Syntagmatisierung von Paradigmen, also jener ästhetischen Funktion, von der Jakobson gesprochen hat, aber sie bezeichnen oftmals nicht die Ebene, auf der syntagmatisiert wird. Denn die Paragoge wird nur als lautliche Hinzufügung genannt, obwohl sie zugleich eine Änderung auf der metrischen Ebene bewirkt.
Das gleiche können wir zum Beispiel auch auf ganz anderer Ebene beim oben angesprochenen Fantasyroman sehen; auf der lexikalischen Ebene existiert ein Paradigma mit typischen ›Fantasywörtern‹, welches auf der Ebene des Erzählens in eine bedeutungsvolle Abfolge gebracht wird. Das zunächst lexikalische Paradigma überträgt sich bei der Syntagmatisierung auf die Ebene der Narration.
Dies ist aber noch sehr banal. Es gilt also, zu ausgewählten Beispielen überzugehen.
Piet Klocke: Die Hummel
Einige typische rhetorische Figuren
Dieses kurze Kabarettstück ist für Klockes Sprachwitz recht typisch. Ich möchte hier nur auf einige rhetorische Figuren hinweisen, die er gerne verwendet:
- contaminatio: damit sind Wortneubildungen gemeint, die durch die Mischung zweier bekannter Wörter entstehen; ein typisches Beispiel ist das Wort ›famillionär‹ (Heine) aus ›familiär‹ und ›Millionär‹, und hier – im Video – benutzt Klocke die Wendung ›der ... Philosoph Jean Klockteau‹, offensichtlich eine Mischung aus seinem eigenen Namen und dem des französischen Dichters Cocteau (das ist nun nicht der beste Sprachwitz)
- »falsche« Metaphern, bzw. fast unsinnige Wortersetzungen, wie: ›warum ZIERT man sich nicht einfach in Schale‹
- syllepsis: der Gebrauch zweier verschiedener Bedeutungen desselben Wortes in engem Zusammenhang: ›Wenn einem die Worte ausgehen, ja [dann geht und] feiert [man] mit‹ – darauf werden wir gleich zurückkommen
- Anakoluth: dies sind grammatisch falsche Sätze; hier existieren drei verschiedene Formen, einmal als Satzabbruch (Ellipse): ein Satz wird nicht zu Ende geführt, sondern ein neuer begonnen, – als retractio wird der Satz abgebrochen und korrigierend teilweise neu formuliert (›Er war verliebt, nein, eigentlich schon besessen …‹), – und schließlich das ›eigentliche‹ Anakoluth, die Vermischung zweier nicht zusammenpassender Sätze (›Zwar ist es ziemlich teuer, und es ist klein.‹) → Klocke verwendet aber vorwiegend den Satzabbruch, also die Ellipse
- Personifikation und ›Institutionalisierung‹: mit der Personifikation gemeint ist, dass etwas Nicht-Menschliches wie eine Person behandelt wird, in diesem Fall zum Beispiel die Hummel, die hier deutlich besserwisserische, und zugleich inkompetente Eigenschaften aufweist; parallel dazu wird ein natürlicher Bereich wie eine Institution behandelt, in diesem Fall die Evolution: dabei ist es wichtig, dass sowohl die Hummel als auch die Evolution keine positiven menschlichen Eigenschaften aufweisen, auch keine bösartig negativen, sondern gerade nur die lästig-negativen (wie etwa die Bürokratisierung, sprich: Korinthenkackerei), um dies für das Kabarettstück auszunutzen.
Die syllepsis: die mehrfache Monosemierung
Betrachten wir beispielhaft die syllepsis. Ein Meister der syllepsis war Heinz Erhardt; in einem Lesestück – ›Der arme Poet‹ – finden sich ungefähr folgende Sätze: »›Ich gehe aus‹, sagte seine Frau Mama zu ihm, ›besonders davon, dass du brav bist.‹ … Ihm war kalt, denn nicht nur die Frau Mama war ausgegangen, sondern auch der Ofen.«
Das Wort ›ausgehen‹ ist mehrdeutig. In einem Wörterbuch werden, meist durch Zahlen markiert, die verschiedenen Bedeutungen aufgeführt. Das ist das Paradigma zu diesem Wort: es ist polysem. Wird ein solch mehrdeutiges Wort gewöhnlich gebraucht, kann man aus dem Kontext heraus erschließen, welche Bedeutung ausgewählt wurde. Diesen Vorgang nennt man Monosemierung, d. h. die im Lexikon vorkommende Polysemie wird getilgt; dies ist für die verständliche Alltagsrede notwendig. Die syllepsis bricht aber gerade mit dieser Alltagsverständlichkeit, fügt zwei konkurrierende Kontexte der Monosemierung hintereinander und erzeugt dadurch einen (komisch-)verwirrenden Effekt.
Das Prinzip ist also, wie dies Jakobson für die ästhetische Funktion dargestellt hat, eine Syntagmatisierung eines Paradigmas.
Das Wort ›ausgehen‹ ist mehrdeutig. In einem Wörterbuch werden, meist durch Zahlen markiert, die verschiedenen Bedeutungen aufgeführt. Das ist das Paradigma zu diesem Wort: es ist polysem. Wird ein solch mehrdeutiges Wort gewöhnlich gebraucht, kann man aus dem Kontext heraus erschließen, welche Bedeutung ausgewählt wurde. Diesen Vorgang nennt man Monosemierung, d. h. die im Lexikon vorkommende Polysemie wird getilgt; dies ist für die verständliche Alltagsrede notwendig. Die syllepsis bricht aber gerade mit dieser Alltagsverständlichkeit, fügt zwei konkurrierende Kontexte der Monosemierung hintereinander und erzeugt dadurch einen (komisch-)verwirrenden Effekt.
Das Prinzip ist also, wie dies Jakobson für die ästhetische Funktion dargestellt hat, eine Syntagmatisierung eines Paradigmas.
Divergente Vermischung
Klockes Kabarettstück geht aber weiter. Während die syllepsis zwei verschiedene Bedeutungen eines Wortes in einem Satz ›vermischt‹, findet man dieselbe Strategie bei der contaminatio auf der Ebene des Wortes, beim Anakoluth, zumindest in der dritten Form, auf der Ebene der Grammatik, und bei der Personifikation und ›Institutionalisierung‹ sind dies narrative Figuren, die sich hier, wenn auch undeutlich, überlagern. Die verschiedenen rhetorischen Mittel bilden also selbst wieder ein Paradigma, welches man als ›Figuren der Vermischung‹ bezeichnen könnte.
Da diese Figuren aber nicht dazu dienen, einen zusammenhängenden Sinn zu ergeben (in diesem Falle sind alle Texte in irgendeiner Weise Mischungen), sondern gerade den Sinnzusammenhang möglichst komisch und absurd zu zerbrechen, kann man von ›Figuren der divergenten Vermischung‹ sprechen. Vermischt wird gerade das, was eigentlich nicht zusammenpasst, so wie man in der Schilderung der Hummel den ewig nörgelnden Autofahrer (oder Radfahrer) heraushören kann.
Es lässt sich relativ leicht zeigen, dass dieses Prinzip nicht nur auf Klockes Kabarett zutrifft, sondern sich auch in anderen Formen des Humors, mit anderen rhetorischen Figuren finden lässt. So kann man zum Beispiel in den Filmsatiren des MAD-Magazins das Ineinander von übertriebener Darstellung der Filmfigur und sarkastischer Filmkritik, gelegentlich sogar in derselben Sprechblase, finden. Auch dies ist eine ›Figur der divergenten Vermischung‹.
Jakobsons Schema stimmt also auch für die humoristische Darstellung; sie zielt aber nicht, wie wir dies bei Goethe sehen konnten, auf eine Vereinheitlichung und ein Zusammenstreben durch poetische Mittel, also nicht auf eine Konvergenz, sondern umgekehrt auf ein Zerfallen und auch ein Gegeneinander-Ausspielen, also eine Divergenz.
Zweitens müssen wir Jakobsons Paradigma deshalb um eine zweite Ebene ergänzen. Denn auf der einen Seite gibt es zum Beispiel die polysemischen Wörter, die sich durch Syntagmatisierung auf die Satzebene ausfalten lassen; aber es gibt eben auch die verschiedenen rhetorischen Strategien, die für sich selbst ein Paradigma bilden, im konkreten Text aber ebenfalls syntagmatisiert worden sind. Diese sind recht individuell, wie etwa bei Piet Klocke bestimmte rhetorische Figuren dann auch wie ein Markenzeichen für seine Art des Humors dienen. Man spricht hier von einer Individual-Poietik.
Da diese Figuren aber nicht dazu dienen, einen zusammenhängenden Sinn zu ergeben (in diesem Falle sind alle Texte in irgendeiner Weise Mischungen), sondern gerade den Sinnzusammenhang möglichst komisch und absurd zu zerbrechen, kann man von ›Figuren der divergenten Vermischung‹ sprechen. Vermischt wird gerade das, was eigentlich nicht zusammenpasst, so wie man in der Schilderung der Hummel den ewig nörgelnden Autofahrer (oder Radfahrer) heraushören kann.
Es lässt sich relativ leicht zeigen, dass dieses Prinzip nicht nur auf Klockes Kabarett zutrifft, sondern sich auch in anderen Formen des Humors, mit anderen rhetorischen Figuren finden lässt. So kann man zum Beispiel in den Filmsatiren des MAD-Magazins das Ineinander von übertriebener Darstellung der Filmfigur und sarkastischer Filmkritik, gelegentlich sogar in derselben Sprechblase, finden. Auch dies ist eine ›Figur der divergenten Vermischung‹.
Jakobsons Schema stimmt also auch für die humoristische Darstellung; sie zielt aber nicht, wie wir dies bei Goethe sehen konnten, auf eine Vereinheitlichung und ein Zusammenstreben durch poetische Mittel, also nicht auf eine Konvergenz, sondern umgekehrt auf ein Zerfallen und auch ein Gegeneinander-Ausspielen, also eine Divergenz.
Zweitens müssen wir Jakobsons Paradigma deshalb um eine zweite Ebene ergänzen. Denn auf der einen Seite gibt es zum Beispiel die polysemischen Wörter, die sich durch Syntagmatisierung auf die Satzebene ausfalten lassen; aber es gibt eben auch die verschiedenen rhetorischen Strategien, die für sich selbst ein Paradigma bilden, im konkreten Text aber ebenfalls syntagmatisiert worden sind. Diese sind recht individuell, wie etwa bei Piet Klocke bestimmte rhetorische Figuren dann auch wie ein Markenzeichen für seine Art des Humors dienen. Man spricht hier von einer Individual-Poietik.
Ellipse und Vortrag
Zum Schluss bleibt zu unserer kurzen Analyse zu sagen, dass diese natürlich nicht vollständig ist. Ein sehr wichtiger Aspekt ist bisher völlig ausgeblendet worden: der Bühnenvortrag. Nehmen wir zum Beispiel die Ellipse, also den Satzabbruch. Wie man leicht im Video erkennen kann, nutzt Klocke diese Ellipsen für sehr unterschiedliche Gesten: er ringt nach Luft, er fuchtelt mit den Händen herum, er wischt sich (scheinbar) den Schweiß ab, usw. – es gibt also ein Paradigma ›exaltierte Gesten‹, aus dem Klocke immer wieder auswählt, aber so, dass daraus eine Charakterisierung seiner Bühnenfigur und zugleich eine weitere divergente Ebene entsteht (die Linguistik spricht hier von ikonischen Gesten, s. Lücking 2013, dort auch zu den ›räumlichen‹ Syntagmen, die den Bühnengesten ähnlich wie der Anordnung der Gartenzwerge eigen ist S. 160-182).
Die Ellipse selbst ist doppeldeutig; sie kann durch wilde Gesten aufgefüllt werden, aber umgekehrt auch durch zum Beispiel lange, bedeutungsvolle Blicke – wie dies zum Beispiel bei Jon Stewart zu finden ist –, oder, und auch das ist typisch für Klocke, der Satzabbruch wird schlichtweg missachtet: ihm folgt keine Pause, sondern gleich der nächste Satz, was ein zum Teil recht abenteuerliches Holterdipolter ergibt. Denn klassischerweise wird die Ellipse dazu verwendet, dass der Zuschauer darüber nachdenken kann, was der Vortragende gerade gesagt hat, vor allem aber, was er verschweigen will. Im Kabarett ist es aber stellenweise sinnvoll, diese Pausen zu eliminieren, um, ganz im Sinne der Divergenz, zwei Sinneinheiten ineinander übergehen zu lassen.
Die Ellipse selbst ist doppeldeutig; sie kann durch wilde Gesten aufgefüllt werden, aber umgekehrt auch durch zum Beispiel lange, bedeutungsvolle Blicke – wie dies zum Beispiel bei Jon Stewart zu finden ist –, oder, und auch das ist typisch für Klocke, der Satzabbruch wird schlichtweg missachtet: ihm folgt keine Pause, sondern gleich der nächste Satz, was ein zum Teil recht abenteuerliches Holterdipolter ergibt. Denn klassischerweise wird die Ellipse dazu verwendet, dass der Zuschauer darüber nachdenken kann, was der Vortragende gerade gesagt hat, vor allem aber, was er verschweigen will. Im Kabarett ist es aber stellenweise sinnvoll, diese Pausen zu eliminieren, um, ganz im Sinne der Divergenz, zwei Sinneinheiten ineinander übergehen zu lassen.
Theodor Storm: ›Auf der Universität‹
Die nicht ganz glatte Erzählung
Im Gegensatz zu Klocke sind die Novellen Storms weitestgehend konvergent. Die verwendeten ästhetischen Mittel erschaffen eine Einheit, eine ›vollständige‹ Geschichte. Allerdings kann man dies nicht dogmatisch behaupten; so findet man immer wieder auch divergente Passagen, ganz allgemein überall dort, wo eine Geschichte Spannung erzeugt; darüber hinaus lässt sich aber diese frühe Novelle nur schwerlich auflösen. Sie wird, und darin ist sie durchaus ein Meisterstück, nicht nach dem ersten Lesen, auch nicht nach tiefergehender Interpretation ›glatt‹, sie lüftet ihr vorgetragenes Geheimnis nicht vollständig.
Wovon handelt die Novelle? Im Mittelpunkt steht eine junge Schneiderstochter namens Lore und der Icherzähler, Philipp. Anfänglich ist der Icherzähler noch sehr in die als besonders schön geschilderte Lore verliebt; mit der Zeit aber sorgt er sich mehr um sie, und durch Ereignisse, die ich hier nicht vollständig schildern kann, da sie uns von unserem Thema abbringen würden, begeht Lore am Ende Selbstmord durch Ertrinken. Ohne dies direkt anzuprangern, schildert Storm die Zwänge, in die eine junge Frau eingebunden ist, die weder reich noch ›von Stand‹ ist; und dass ihre Lust zu tanzen auf schäbige und schließlich mörderische Weise ausgenutzt wird. – Doch dies so zu sagen, hieße schon, die sehr dicht gesponnene Erzählung zu eindeutig zu machen. Storm löst nämlich gerade nicht die Schuldfrage leichtfertig auf; weder sind es die patriarchalen, noch andere tradierte Strukturen, noch die einzelnen Menschen, den Icherzähler eingeschlossen, denen diese Schuld alleinig aufgebürdet wird.
Wovon handelt die Novelle? Im Mittelpunkt steht eine junge Schneiderstochter namens Lore und der Icherzähler, Philipp. Anfänglich ist der Icherzähler noch sehr in die als besonders schön geschilderte Lore verliebt; mit der Zeit aber sorgt er sich mehr um sie, und durch Ereignisse, die ich hier nicht vollständig schildern kann, da sie uns von unserem Thema abbringen würden, begeht Lore am Ende Selbstmord durch Ertrinken. Ohne dies direkt anzuprangern, schildert Storm die Zwänge, in die eine junge Frau eingebunden ist, die weder reich noch ›von Stand‹ ist; und dass ihre Lust zu tanzen auf schäbige und schließlich mörderische Weise ausgenutzt wird. – Doch dies so zu sagen, hieße schon, die sehr dicht gesponnene Erzählung zu eindeutig zu machen. Storm löst nämlich gerade nicht die Schuldfrage leichtfertig auf; weder sind es die patriarchalen, noch andere tradierte Strukturen, noch die einzelnen Menschen, den Icherzähler eingeschlossen, denen diese Schuld alleinig aufgebürdet wird.
Vieldeutige, d.h. symbolische Szenen
So wichtig die gesellschaftskritischen Darstellungen auch sind, werden sie doch von ästhetischen Strategien in Szene gesetzt; und ohne diese Strategien herauszuarbeiten, würde die Erzählung einfach nur das plumpe Klischee einer patriarchalen Kritik erfüllen. Ich werde hier nur auf einen kleinen Teil der Erzählung eingehen können, also auch nur am Rande auf die Gesellschaftskritik darin hinweisen.
Stattdessen geht es wieder um Grundlagen.
An mehreren Stellen der Novelle finden sich nämlich verdichtete Szenen, die sowohl auf der rein realistischen als auch auf der symbolischen Ebene gelesen werden können. An einer Stelle allerdings bricht Storm mit dieser unterschwellig symbolischen Erzählweise. Aus der Sicht des Icherzählers und in einer fast ›halluzinativen‹ Sequenz wird der Tod der Protagonistin vorweggenommen. Um die Bedeutung dieser Stelle genauer erläutern zu können, brauchen wir wiederum linguistisches Werkzeug, auch, um daran noch einmal Jakobsons ästhetische Funktion zu thematisieren.
Zunächst aber ist es sinnvoll, diese Stelle erst einmal zu kennen. Zuvor hat der Protagonist Lore kennengelernt, mit ihr in der Tanzschule getanzt, und auf dem Abschlussball hat sie mitten am Abend diesen wortlos verlassen und seitdem mit dem Protagonisten, Philipp, nicht mehr geredet. Im folgenden dritten Kapitel findet ein Eisvergnügen auf dem Mühlenteich statt; Philipp sieht dort Lore, und wie es üblich ist, werden die jungen Frauen auf Schlitten über den Mühlenteich geschoben. Philipp, der immer noch verliebt in Lore ist, möchte in ihre Nähe gelangen, überredet den jungen Burschen, der normalerweise den Schlitten schiebt, ihm diesen zu überlassen, und überrumpelt so Lore. Die Szene, die ich nun zitiere, findet sich kurz bevor sich Philipp zu erkennen gibt. Wichtig für die ganze Passage ist dabei auch, dass hier der freie Wille von Lore komplett missachtet wird (und dies wiederholt die Novelle am Ende auf deutlich grausamere Weise). Hier also die Stelle:
Stattdessen geht es wieder um Grundlagen.
An mehreren Stellen der Novelle finden sich nämlich verdichtete Szenen, die sowohl auf der rein realistischen als auch auf der symbolischen Ebene gelesen werden können. An einer Stelle allerdings bricht Storm mit dieser unterschwellig symbolischen Erzählweise. Aus der Sicht des Icherzählers und in einer fast ›halluzinativen‹ Sequenz wird der Tod der Protagonistin vorweggenommen. Um die Bedeutung dieser Stelle genauer erläutern zu können, brauchen wir wiederum linguistisches Werkzeug, auch, um daran noch einmal Jakobsons ästhetische Funktion zu thematisieren.
Zunächst aber ist es sinnvoll, diese Stelle erst einmal zu kennen. Zuvor hat der Protagonist Lore kennengelernt, mit ihr in der Tanzschule getanzt, und auf dem Abschlussball hat sie mitten am Abend diesen wortlos verlassen und seitdem mit dem Protagonisten, Philipp, nicht mehr geredet. Im folgenden dritten Kapitel findet ein Eisvergnügen auf dem Mühlenteich statt; Philipp sieht dort Lore, und wie es üblich ist, werden die jungen Frauen auf Schlitten über den Mühlenteich geschoben. Philipp, der immer noch verliebt in Lore ist, möchte in ihre Nähe gelangen, überredet den jungen Burschen, der normalerweise den Schlitten schiebt, ihm diesen zu überlassen, und überrumpelt so Lore. Die Szene, die ich nun zitiere, findet sich kurz bevor sich Philipp zu erkennen gibt. Wichtig für die ganze Passage ist dabei auch, dass hier der freie Wille von Lore komplett missachtet wird (und dies wiederholt die Novelle am Ende auf deutlich grausamere Weise). Hier also die Stelle:
»Aber die Mitte des Sees lockte mich; unmerklich wandte ich den Schlitten, und immer größer wurde der Raum, der uns vom Ufer trennte. Schon konnte ich beim Zurückblicken nur noch kaum das Blinken des Schilfes unterscheiden; geheimnisvoll dehnte sich die dunkle Spiegelfläche bis zum anderen weit entfernten Ufer, kaum erkennbar, ob eine feste tragende Eisdecke oder nur ein regungsloses trügliches Gewässer. Endlich war die Mitte erreicht. Jede Spur eines menschlichen Fußes hatte aufgehört; wie verloren schwebte der Schlitten über der schwarzen Tiefe. Keine Pflanze streckte ihr Blatt hinauf an die dünne kristallene Decke; denn der See soll hier ins bodenlose gehen. Nur mitunter war es mir, als huschte es dunkel unter uns dahin. – – War das vielleicht der Sargfisch, der in den untersten Gründen dieses Wassers hausen soll, der nur heraufsteigt, wenn der See sein Opfer haben will? – »Wenn es wäre«, dachte ich, »wenn es bräche!« Und meine Augen suchten die dunklen Hüllen zu durchdringen, in denen ich die liebliche Gestalt verborgen wusste. – –«
(17)
Semem und Verdichtung
Soweit die Stelle; für die genauere Analyse müssen wir auf einige Fachbegriffe zurückgreifen. Ich hatte oben von Wörtern gesprochen, die im Wörterbuch mit mehreren Bedeutungen aufgeführt werden; sie sind polysem. Wörter, allerdings ganz allgemein, wie sie im Wörterbuch stehen, nennt man Lexeme. Lexeme können polysem sein, müssen es allerdings nicht. Davon unterscheiden sich die Sememe. Im Idealfall geht man davon aus, dass ein Semem, also ein Wort im Gebrauch, vollständig eindeutig sei. Ist es im Wörterbuch mehrdeutig, muss es im Gebrauch, so hatte ich das bereits oben genannt, monosemiert, anders gesagt: eindeutig gemacht werden.
Bei dem Wort ›ausgehen‹ ist dies relativ einfach. Wenn ein Mensch ›ausgeht‹, dann verlässt er/sie die Wohnung wegen eines besonderen Anlasses; wenn dagegen ein Ofen ›ausgeht‹, bedeutet das, dass das Feuer in ihm erlischt. Die beiden Kontexte, durch die das Wort eindeutig wird, sind durch eine Differenz gekennzeichnet, durch eine semantische Opposition: menschlich/unbelebt (häufig kommt hier noch ein drittes Merkmal dazu: tierisch; dieses lässt sich aber in diesem Falle weder der einen noch der anderen Bedeutung auf einfache Weise zuordnen).
Insgesamt führt der Duden für das Verb ›ausgehen‹ 14 Bedeutungen und einige Unterbedeutungen an. Welche von diesen gemeint ist, wird allerdings nicht alleine vom Kontext aus gelöst, denn es gäbe durchaus Sätze, in denen keine dieser Bedeutungen passt. Die Darstellung oben ist also ungenau. Vielmehr bietet jede einzelne Bedeutung Teilbedeutungen an, die im Kontext aufgegriffen werden – oder eben nicht. Diese Teilbedeutungen nennt man Seme; jedes Semem besteht aus mehreren Semen, jedes Lexem besteht zunächst aus einem oder mehreren Sememen, und diese wieder aus Semen, sodass ein Lexem unterschiedliche, teilweise auch widersprüchliche Seme aufzählen kann.
Bei dem Wort ›ausgehen‹ ist dies relativ einfach. Wenn ein Mensch ›ausgeht‹, dann verlässt er/sie die Wohnung wegen eines besonderen Anlasses; wenn dagegen ein Ofen ›ausgeht‹, bedeutet das, dass das Feuer in ihm erlischt. Die beiden Kontexte, durch die das Wort eindeutig wird, sind durch eine Differenz gekennzeichnet, durch eine semantische Opposition: menschlich/unbelebt (häufig kommt hier noch ein drittes Merkmal dazu: tierisch; dieses lässt sich aber in diesem Falle weder der einen noch der anderen Bedeutung auf einfache Weise zuordnen).
Insgesamt führt der Duden für das Verb ›ausgehen‹ 14 Bedeutungen und einige Unterbedeutungen an. Welche von diesen gemeint ist, wird allerdings nicht alleine vom Kontext aus gelöst, denn es gäbe durchaus Sätze, in denen keine dieser Bedeutungen passt. Die Darstellung oben ist also ungenau. Vielmehr bietet jede einzelne Bedeutung Teilbedeutungen an, die im Kontext aufgegriffen werden – oder eben nicht. Diese Teilbedeutungen nennt man Seme; jedes Semem besteht aus mehreren Semen, jedes Lexem besteht zunächst aus einem oder mehreren Sememen, und diese wieder aus Semen, sodass ein Lexem unterschiedliche, teilweise auch widersprüchliche Seme aufzählen kann.
Nehmen wir nur die beiden Bedeutungen von ›ausgehen‹, die wir oben verwendet haben, so ist die erste Bedeutung im Duden folgend umschrieben: ›(zu einem bestimmten Zweck, mit einer bestimmten Absicht) die Wohnung verlassen, aus dem Haus gehen‹. Zwecke haben, Absichten haben, das trifft nicht auf Gegenstände zu, sondern nur auf Lebewesen, die einen Willen besitzen, üblicherweise also vor allem auf Menschen. Im Lexem finden sich also Bedeutungen, die nur auf Lebewesen zutreffen, und sofern der Kontext ein Lebewesen präsentiert, wählen wir dann auch nur diese Bedeutungen aus. Andererseits finden wir im Lexem auch Bedeutungen, die normalerweise nicht auf Lebewesen passen, wie zum Beispiel ›(von etwas, was in bestimmter Menge vorhanden ist) sich erschöpfen, zu Ende gehen, schwinden‹. Präsentiert der Kontext eine Menge oder etwas, was auf andere Weise schwinden kann, wird diese Bedeutung ausgewählt.
Die Monosemierung beruht also darauf, dass der Kontext zusammen mit dem eigentlich mehrdeutigen Wort Seme gemeinsam hat, die diese, durch die Wiederholung und durch Seme, die andere Bedeutungen des Lexems ausschließen, eindeutig machen: sie beruht also zugleich auf Semgleichheit zwischen Semem und Kontext, und auf Semdifferenz zwischen dem gewählten Semem und allen anderen Sememen.
Das ist nun eine sehr umständliche, aber eben für eine präzise Erklärung notwendige Beschreibung für einen Vorgang, den wir sonst ganz selbstverständlich und ohne nachzudenken vollziehen. Er hilft uns auch, eine mehrdeutige und deshalb zunächst dunkle Stelle in einem erzählenden Text besser zu verstehen.
Die Monosemierung beruht also darauf, dass der Kontext zusammen mit dem eigentlich mehrdeutigen Wort Seme gemeinsam hat, die diese, durch die Wiederholung und durch Seme, die andere Bedeutungen des Lexems ausschließen, eindeutig machen: sie beruht also zugleich auf Semgleichheit zwischen Semem und Kontext, und auf Semdifferenz zwischen dem gewählten Semem und allen anderen Sememen.
Das ist nun eine sehr umständliche, aber eben für eine präzise Erklärung notwendige Beschreibung für einen Vorgang, den wir sonst ganz selbstverständlich und ohne nachzudenken vollziehen. Er hilft uns auch, eine mehrdeutige und deshalb zunächst dunkle Stelle in einem erzählenden Text besser zu verstehen.
Das Unheimliche im Realismus
Die oben zitierte Passage aus der stormschen Novelle weist nun mindestens eine Doppeldeutigkeit auf, die sehr bewusst gesetzt ist; dies ist das Wort ›die dunklen Hüllen‹. Dazu gesellt sich der Wunsch des Icherzählers, dass ›es bräche‹. Unklar ist dann auch, ob der Icherzähler mit ›die liebliche Gestalt‹ Lore oder den Sargfisch meint.
Hier liegt nun, rein rhetorisch gesehen, eine genau umgekehrte Strategie zur Monosemierung vor, die Polysemierung. Nimmt man weitere semantische Oppositionen dazu, verdichtet sich diese kurze Stelle zu einer symbolischen Zusammenfassung eines Großteils der Geschichte; die Entführung in die Einsamkeit (im Gegensatz zur Geselligkeit des Eisvergnügens) durch (männliche) Betrügerei, die Opposition von Liebe und Tod, aber auch ihre gegenseitige Bedingtheit (lieben oder sterben), hell/dunkel, Wasser/Land, verbergen/offenbaren, reden/schweigen, usw.
Eine der wichtigsten Oppositionen dagegen ist nicht so offensichtlich. Der hier zitierte Sargfisch gehört ins Reich der Mythen; seine Evokation wird durch einen ›halluzinatorischen‹ Moment, einer halb rhetorischen Frage des Icherzählers motiviert. Im Gegensatz zur romantischen Literatur zeichnet sich der Bürgerliche Realismus dadurch aus, dass Märchenfiguren und Spukgestalten nicht so einfach auftreten können. Storm selbst hat dies später in seiner berühmten Novelle ›Der Schimmelreiter‹ noch einmal thematisiert; ob jenes geisterhafte Pferd, welches sich dann als ein echter Schimmel entpuppt, eine fleischgewordene Spukgestalt oder nur immer schon ein Pferd gewesen ist, welches nur durch das Geschwätz der Leute zunächst zu einem Trugbild erhoben wurde, bleibt unklar. Der Zusammenprall von Aberglaube und nüchterner Rationalität ist aber nicht nur ein kritisches Moment in Storms Erzählungen, sondern auch ein kompositorisches Prinzip. Dies gilt hier, für den Sargfisch, ebenso.
Nimmt man nämlich die verschiedenen semantischen Oppositionen, die ich oben aufgezählt habe, vor allem aber die Gleichsetzung von Lores dunklem Mantel mit der ebenso dunklen Eishülle, dann verdichten sich hier gegensätzliche Elemente, die in der Novelle selbst vielfach wiederholt werden. Mehrmals wird Lore als undurchdringlich geschildert; und fast durchgängig schweigt sie zu ihren Motiven. Die Erzählung lässt hier nun offen, in welchem Maße sie sich durch gesellschaftliche Zwänge dazu genötigt fühlt. Deutlich wird aber, dass ihre zunehmende Isolation, ihr Schweigen und die immer ›dunklere‹ (= rätselhafte, abweisende) Verhaltensweise sie auf die andere Seite, ins Reich des Sargfischs, ins Wasser treibt.
Hier liegt nun, rein rhetorisch gesehen, eine genau umgekehrte Strategie zur Monosemierung vor, die Polysemierung. Nimmt man weitere semantische Oppositionen dazu, verdichtet sich diese kurze Stelle zu einer symbolischen Zusammenfassung eines Großteils der Geschichte; die Entführung in die Einsamkeit (im Gegensatz zur Geselligkeit des Eisvergnügens) durch (männliche) Betrügerei, die Opposition von Liebe und Tod, aber auch ihre gegenseitige Bedingtheit (lieben oder sterben), hell/dunkel, Wasser/Land, verbergen/offenbaren, reden/schweigen, usw.
Eine der wichtigsten Oppositionen dagegen ist nicht so offensichtlich. Der hier zitierte Sargfisch gehört ins Reich der Mythen; seine Evokation wird durch einen ›halluzinatorischen‹ Moment, einer halb rhetorischen Frage des Icherzählers motiviert. Im Gegensatz zur romantischen Literatur zeichnet sich der Bürgerliche Realismus dadurch aus, dass Märchenfiguren und Spukgestalten nicht so einfach auftreten können. Storm selbst hat dies später in seiner berühmten Novelle ›Der Schimmelreiter‹ noch einmal thematisiert; ob jenes geisterhafte Pferd, welches sich dann als ein echter Schimmel entpuppt, eine fleischgewordene Spukgestalt oder nur immer schon ein Pferd gewesen ist, welches nur durch das Geschwätz der Leute zunächst zu einem Trugbild erhoben wurde, bleibt unklar. Der Zusammenprall von Aberglaube und nüchterner Rationalität ist aber nicht nur ein kritisches Moment in Storms Erzählungen, sondern auch ein kompositorisches Prinzip. Dies gilt hier, für den Sargfisch, ebenso.
Nimmt man nämlich die verschiedenen semantischen Oppositionen, die ich oben aufgezählt habe, vor allem aber die Gleichsetzung von Lores dunklem Mantel mit der ebenso dunklen Eishülle, dann verdichten sich hier gegensätzliche Elemente, die in der Novelle selbst vielfach wiederholt werden. Mehrmals wird Lore als undurchdringlich geschildert; und fast durchgängig schweigt sie zu ihren Motiven. Die Erzählung lässt hier nun offen, in welchem Maße sie sich durch gesellschaftliche Zwänge dazu genötigt fühlt. Deutlich wird aber, dass ihre zunehmende Isolation, ihr Schweigen und die immer ›dunklere‹ (= rätselhafte, abweisende) Verhaltensweise sie auf die andere Seite, ins Reich des Sargfischs, ins Wasser treibt.
Das symbolische Knoten und die semantische Ausstrahlung
Storm verdichtet also an dieser Stelle zentrale semantische Merkmale der gesamten Erzählung. Es wirkt wie ein Paradigma, von dem aus die Wiederholung der einzelnen Seme (zum Beispiel schweigen), bzw. auch Sem-Oppositionen (reden/schweigen) durch den ganzen Text nachverfolgen lassen. Dieser ›symbolische Knoten‹ bildet also ebenfalls auf doppelter Art und Weise, wenn auch ganz anders als bei den humoristischen Strategien, ein Paradigma aus. Zunächst bildet jedes Sem ein mögliches Paradigma, insofern es in einem Text häufiger auftaucht. Das ist eine billige Beobachtung, denn nehmen wir einen beliebigen Abenteuerroman, so werden wir darin immer das Sem ›menschlich‹, und dieses immer in Opposition zu ›unbelebt‹ finden; Texte bestehen nun einmal aus Wörtern, und Wörter setzen sich aus Semen zusammen.
Solche Wiederholungen eines gleichen Sems nennen wir Isotopien; ich habe mich schon früher darauf bezogen. Wichtig ist allerdings, dass wir nun nicht jede Isotopie vorrangig beachten müssen (wir könnten es auch vermutlich aus Zeitgründen gar nicht). Nehmen wir zum Beispiel das Auftauchen von verschiedenen Farben in einem Roman; manchmal sind diese einfach so erwähnt, weil die Autorin dem Text eben ›etwas Farbe geben möchte‹. Man könnte dann zwar immer noch die Farben untersuchen und daran Beobachtungen aufstellen, aber nicht mehr behaupten, die Farben hätten eine bewusste Symbolik. Wenn ich dagegen einen Roman vor mir liegen habe, in dem der Protagonist ein Schachspieler ist (unter anderem, nicht hauptberuflich), seine ehemalige Liebhaberin mal in einem weißen, mal in einem schwarzen Kleid auftaucht, zudem die Rassenfrage thematisiert wird, und das ›Schwarzwerden‹ (durch Fäulnis) wie das ›Weißwerden‹ (durch Ausbleichung) auftaucht, dann hat man sehr viel stärkere Gründe, die Farben als motiviert gesetzt zu betrachten und die Isotopien ›weiß‹ und ›schwarz‹ genauer zu beachten (dies ein Beispiel aus Frischs Roman ›Homo Faber‹).
Isotopien gibt es nun haufenweise in einem Text, selbst in einem kurzen. Das macht es schwierig, zu begründen, warum man diese oder jene vorrangig für die Interpretation auswählt. Zunächst kann man aber empfehlen, dies nach dem ersten Augenschein zu tun, denn was auffällt, ist eben auffällig. Dann aber gibt es ebenjene ›starken‹ Momente in einem Text, an denen sich offensichtlich Isotopien auf sehr grundlegende Art und Weise zusammenballen, die scheinbar offensichtlich vom Autor ganz bewusst ›zusammengeschmissen‹ werden.
Nun läge es nahe, diese Isotopien gleichzeitig auch als Paradigmen zu behandeln. Das wäre aber nur eine Verdopplung von Begriffen; vielmehr sind es die Isotopien, die in einem Text Paradigmen erschaffen, indem sie, als Seme, in bestimmten Sememen auftauchen. Oben hatte ich das Schachbrett genannt, und die Rassenfrage, die durch die Komposition des Romans damit parallelisiert wird (oder auch nicht: Frisch ist da sehr komplex). In Storms Novelle taucht nun eine ganz andere Parallelisierung auf, die nur dadurch auffällig wird, wenn man die Verteilung der Seme gründlicher beachtet: die zwischen Tanzen (= Geselligkeit) und Schweigen (= Isolation). Dann liest sich die betrügerische Entführung Lores auf dem winterlichen Mühlenteich als eine eben solche Pervertierung eines geselligen Vergnügens wie später Lores Inbesitznahme durch den sogenannten ›Raugrafen‹. Und was dort auf dem Mühlenteich durch eine noch halb jungenhafte Fantasie nicht ausgeführt wurde, nämlich das ›Ins-Wasser-gehen‹, wird später umso sicherer durch die sehr realen, männlichen Besitzansprüche verwirklicht.
Zumindest für narrative Texte kann man nun sagen, dass der eine Typus von Paradigmen durch das Auftauchen eines gleichen Sems darin gebildet wird. Der andere dagegen wird durch besondere Konstellationen sichtbar; diese können nun recht unterschiedlich sein, etwa durch einen ähnlichen Vorgang, zum Beispiel dem Tanzen: solche Tanzszenen tauchen im zweiten und im vorletzten Kapitel der Novelle auf, wie das erste Kapitel die Bekanntschaft des Icherzählers und seines Jugendgefährten Fritz mit Lore berichtet, das letzte Kapitel, wie der Icherzähler und eben jener Fritz auf einer gemeinsamen Wanderung zu einer Gruppe von Menschen stoßen, die gerade den Leichnam Lores aus dem Wasser geborgen haben. Die ersten und die letzten beiden Kapitel spiegeln sich also. Sie verknüpfen sich über bestimmte Themen miteinander und kontrastieren sich ebenso, wie auch die Tanzszenen und das Thema Tanzen selbst nicht nur eine Ebene der Bedeutungsgleichheit erschafft, also eine Isotopie, sondern auch eine Ebene der Bedeutungsvariationen.
Tanzen ist deshalb in gewisser Weise auch wieder unbestimmt, da es verschiedene Elemente integrieren kann. Ein anderes Beispiel sind all die verdichtenden Textabschnitte, zu denen der oben zitierte ›Sargfisch‹-Abschnitt zählt. Von diesen gibt es allerdings noch mehr, so etwa im zweiten Kapitel, als Lore ein goldenes Kettchen im Tanzsaal findet, dieses anprobiert und es dann nicht mehr lösen kann. Auch hier verdichten sich symbolisch zahlreiche Bezüge: die Nachlässigkeit des anderen Mädchens, ein so wertvolles Schmuckstück einfach liegen zu lassen, Lores Lust, dieses Schmuckstück zu tragen, aber auch ihre Schwierigkeit, es dann wieder abzunehmen, sowie, dass es sich hier um ein ›goldenes Kettchen‹ handelt, also um eine Art Oxymoron (= scharfer Widerspruch: schön, aber gefangen). Daraus lässt sich dann das Paradigma ›symbolisch verdichtete Stellen‹ herleiten, und dieses Paradigma ist gerade nicht thematisch oder semantisch voreingestellt, vermutlich sogar noch nicht einmal gut objektiv beschreibbar; dazu sind diese Stellen zu verschieden (und lassen sich ja auch nicht gut abgrenzen).
Bleibt zu klären, wo hier die rhetorischen Figuren zu finden sind. Wer sich mit diesen bereits gründlich beschäftigt hat, wird dies schon gelesen haben. Ansonsten sei dies hier noch einmal verdeutlicht: der ›Sargfisch‹, der ins Bodenlose gehende See, die dünne kristallene Decke, all dies sind nicht einfach nur Beschreibungen, nicht der realen Gegend und nicht des fantasievollen Innenlebens, sondern zugleich auch Metaphern, die es gerade erst ermöglichen, dass Gegenstände wie die ›dunkle Hülle‹ an anderer Stelle als rätselhaftes Schweigen auftauchen. Sie sind nicht nur sinnliche Phänomene, sondern eine Struktur und über diese Struktur, nämlich: kristallenes Äußeres und zugleich dunkle Hülle, tauchen sie auch vorher und später in ähnlicher Weise wieder auf. Damit werden sie aber zu einem strukturierenden Prinzip nicht nur der Erzählung selbst, sondern der darin enthaltenen gesellschaftlichen Kritik an den damals herrschenden Frauenrollen.
Roman Jakobson hat nicht nur eine ästhetische Funktion innerhalb der Sprache formuliert und ausgearbeitet; er hat gezeigt, im Anschluss an Bühler, dass die Sprache ›polyfunktional‹ ist, also verschiedene Funktionen gleichzeitig ausüben kann. Darauf stützt sich die ›realistische Erzählung‹; sie kann zugleich referentiell sein, das soll heißen, dass sie auf mögliche konkrete Objekte in der Welt zeigt, als auch ästhetisch, also die Erzählung in symbolischen Knoten verdichten und aus symbolischen Knoten heraus wieder entfalten kann. Sie kann zudem implizit an die Leser appellieren, etwa den Blick auf die ungerechte Einschränkung weiblicher Lebensgestaltung richten. (Zu einer ausführlicheren Darstellung aller sprachlichen Funktionen bei Jakobson siehe Holenstein 1979.)
Solche Wiederholungen eines gleichen Sems nennen wir Isotopien; ich habe mich schon früher darauf bezogen. Wichtig ist allerdings, dass wir nun nicht jede Isotopie vorrangig beachten müssen (wir könnten es auch vermutlich aus Zeitgründen gar nicht). Nehmen wir zum Beispiel das Auftauchen von verschiedenen Farben in einem Roman; manchmal sind diese einfach so erwähnt, weil die Autorin dem Text eben ›etwas Farbe geben möchte‹. Man könnte dann zwar immer noch die Farben untersuchen und daran Beobachtungen aufstellen, aber nicht mehr behaupten, die Farben hätten eine bewusste Symbolik. Wenn ich dagegen einen Roman vor mir liegen habe, in dem der Protagonist ein Schachspieler ist (unter anderem, nicht hauptberuflich), seine ehemalige Liebhaberin mal in einem weißen, mal in einem schwarzen Kleid auftaucht, zudem die Rassenfrage thematisiert wird, und das ›Schwarzwerden‹ (durch Fäulnis) wie das ›Weißwerden‹ (durch Ausbleichung) auftaucht, dann hat man sehr viel stärkere Gründe, die Farben als motiviert gesetzt zu betrachten und die Isotopien ›weiß‹ und ›schwarz‹ genauer zu beachten (dies ein Beispiel aus Frischs Roman ›Homo Faber‹).
Isotopien gibt es nun haufenweise in einem Text, selbst in einem kurzen. Das macht es schwierig, zu begründen, warum man diese oder jene vorrangig für die Interpretation auswählt. Zunächst kann man aber empfehlen, dies nach dem ersten Augenschein zu tun, denn was auffällt, ist eben auffällig. Dann aber gibt es ebenjene ›starken‹ Momente in einem Text, an denen sich offensichtlich Isotopien auf sehr grundlegende Art und Weise zusammenballen, die scheinbar offensichtlich vom Autor ganz bewusst ›zusammengeschmissen‹ werden.
Nun läge es nahe, diese Isotopien gleichzeitig auch als Paradigmen zu behandeln. Das wäre aber nur eine Verdopplung von Begriffen; vielmehr sind es die Isotopien, die in einem Text Paradigmen erschaffen, indem sie, als Seme, in bestimmten Sememen auftauchen. Oben hatte ich das Schachbrett genannt, und die Rassenfrage, die durch die Komposition des Romans damit parallelisiert wird (oder auch nicht: Frisch ist da sehr komplex). In Storms Novelle taucht nun eine ganz andere Parallelisierung auf, die nur dadurch auffällig wird, wenn man die Verteilung der Seme gründlicher beachtet: die zwischen Tanzen (= Geselligkeit) und Schweigen (= Isolation). Dann liest sich die betrügerische Entführung Lores auf dem winterlichen Mühlenteich als eine eben solche Pervertierung eines geselligen Vergnügens wie später Lores Inbesitznahme durch den sogenannten ›Raugrafen‹. Und was dort auf dem Mühlenteich durch eine noch halb jungenhafte Fantasie nicht ausgeführt wurde, nämlich das ›Ins-Wasser-gehen‹, wird später umso sicherer durch die sehr realen, männlichen Besitzansprüche verwirklicht.
Zumindest für narrative Texte kann man nun sagen, dass der eine Typus von Paradigmen durch das Auftauchen eines gleichen Sems darin gebildet wird. Der andere dagegen wird durch besondere Konstellationen sichtbar; diese können nun recht unterschiedlich sein, etwa durch einen ähnlichen Vorgang, zum Beispiel dem Tanzen: solche Tanzszenen tauchen im zweiten und im vorletzten Kapitel der Novelle auf, wie das erste Kapitel die Bekanntschaft des Icherzählers und seines Jugendgefährten Fritz mit Lore berichtet, das letzte Kapitel, wie der Icherzähler und eben jener Fritz auf einer gemeinsamen Wanderung zu einer Gruppe von Menschen stoßen, die gerade den Leichnam Lores aus dem Wasser geborgen haben. Die ersten und die letzten beiden Kapitel spiegeln sich also. Sie verknüpfen sich über bestimmte Themen miteinander und kontrastieren sich ebenso, wie auch die Tanzszenen und das Thema Tanzen selbst nicht nur eine Ebene der Bedeutungsgleichheit erschafft, also eine Isotopie, sondern auch eine Ebene der Bedeutungsvariationen.
Tanzen ist deshalb in gewisser Weise auch wieder unbestimmt, da es verschiedene Elemente integrieren kann. Ein anderes Beispiel sind all die verdichtenden Textabschnitte, zu denen der oben zitierte ›Sargfisch‹-Abschnitt zählt. Von diesen gibt es allerdings noch mehr, so etwa im zweiten Kapitel, als Lore ein goldenes Kettchen im Tanzsaal findet, dieses anprobiert und es dann nicht mehr lösen kann. Auch hier verdichten sich symbolisch zahlreiche Bezüge: die Nachlässigkeit des anderen Mädchens, ein so wertvolles Schmuckstück einfach liegen zu lassen, Lores Lust, dieses Schmuckstück zu tragen, aber auch ihre Schwierigkeit, es dann wieder abzunehmen, sowie, dass es sich hier um ein ›goldenes Kettchen‹ handelt, also um eine Art Oxymoron (= scharfer Widerspruch: schön, aber gefangen). Daraus lässt sich dann das Paradigma ›symbolisch verdichtete Stellen‹ herleiten, und dieses Paradigma ist gerade nicht thematisch oder semantisch voreingestellt, vermutlich sogar noch nicht einmal gut objektiv beschreibbar; dazu sind diese Stellen zu verschieden (und lassen sich ja auch nicht gut abgrenzen).
Bleibt zu klären, wo hier die rhetorischen Figuren zu finden sind. Wer sich mit diesen bereits gründlich beschäftigt hat, wird dies schon gelesen haben. Ansonsten sei dies hier noch einmal verdeutlicht: der ›Sargfisch‹, der ins Bodenlose gehende See, die dünne kristallene Decke, all dies sind nicht einfach nur Beschreibungen, nicht der realen Gegend und nicht des fantasievollen Innenlebens, sondern zugleich auch Metaphern, die es gerade erst ermöglichen, dass Gegenstände wie die ›dunkle Hülle‹ an anderer Stelle als rätselhaftes Schweigen auftauchen. Sie sind nicht nur sinnliche Phänomene, sondern eine Struktur und über diese Struktur, nämlich: kristallenes Äußeres und zugleich dunkle Hülle, tauchen sie auch vorher und später in ähnlicher Weise wieder auf. Damit werden sie aber zu einem strukturierenden Prinzip nicht nur der Erzählung selbst, sondern der darin enthaltenen gesellschaftlichen Kritik an den damals herrschenden Frauenrollen.
Roman Jakobson hat nicht nur eine ästhetische Funktion innerhalb der Sprache formuliert und ausgearbeitet; er hat gezeigt, im Anschluss an Bühler, dass die Sprache ›polyfunktional‹ ist, also verschiedene Funktionen gleichzeitig ausüben kann. Darauf stützt sich die ›realistische Erzählung‹; sie kann zugleich referentiell sein, das soll heißen, dass sie auf mögliche konkrete Objekte in der Welt zeigt, als auch ästhetisch, also die Erzählung in symbolischen Knoten verdichten und aus symbolischen Knoten heraus wieder entfalten kann. Sie kann zudem implizit an die Leser appellieren, etwa den Blick auf die ungerechte Einschränkung weiblicher Lebensgestaltung richten. (Zu einer ausführlicheren Darstellung aller sprachlichen Funktionen bei Jakobson siehe Holenstein 1979.)
Zusammenfassung
Ein Paradigma ist eine Menge von Elementen, die einander innerhalb einer Abfolge ersetzen können. Da immer nur ein Element für eine bestimmte Position ausgewählt werden kann, ist das grundlegende Prinzip des Paradigmas die Auswahl.
Ein Syntagma ist eine geordnete Abfolge von Elementen; deren Ordnung wird in einer Grammatik beschrieben. Hier ist das grundlegende Prinzip die Kombination und, da die Ordnung nicht einzelne Elemente streng festlegt, sondern immer nur Elementtypen (zum Beispiel immer nur Substantive), ist sie auch kontingent.
Von Syntagmatisierung spricht man, wenn verschiedene Elemente des gleichen Paradigmas in ein Syntagma übertragen werden.
Solche Paradigmen können in Sprachkunstwerken sehr individuell sein und aus sehr individuellen Prinzipien gebildet werden.
Ästhetische Funktion ist zunächst die Übertragung eines Paradigmas in ein Syntagma, also eine Syntagmatisierung; sie wird aber verstärkt und dadurch erst deutlich als ästhetische Funktion sichtbar, wo mehrere solcher Syntagmatisierungen zusammenwirken, also zum Beispiel Versmaß, Reimschema und ausgesuchte semantische Oppositionen.
Als innerer Mechanismus in der Syntagmatisierung kann man rhetorische Figuren benennen. Rhetorische Figuren verteilen aber nicht nur ein Paradigma auf ein Syntagma, sondern verbinden auch verschiedene Ebenen eines Textes miteinander, etwa die oben genannten sieben linguistischen Ebenen, darüber hinaus aber eben auch narrative Phänomene.
Diese Verbindung kann konvergent oder divergent verlaufen. Divergente Syntagmatisierungen sind typisch in humorvollen Texten zu finden, konvergente typisch in ernsten und spannungsvollen Erzählungen.
Humorvolle Texte wählen aus den rhetorischen Mitteln, meist sehr individuell, bestimmte aus und wiederholen diese als Strategie auch immer wieder. Dadurch bilden sie eine Art übergeordnetes Paradigma von ›Figuren der divergenten Vermischung‹.
Konvergente Texte, dies sind realistische oder spannende, aber auch informierende Texte, verwenden bestimmte Seme, die über den Text hin ausgebreitet werden. Sie bilden damit innerhalb des Textes Isotopien. Dabei sind Seme Bedeutungspartikel von Sememen; Sememe sind (nicht ganz korrekt gesagt) Wörter im Gebrauch, und diese Wörter werden in ihren verschiedenen Bedeutungen in einem Lexikon festgehalten und Lexeme genannt. Lexeme können mehrdeutig sein (polysem); als Sememe sollten sie zumindest normalsprachlich hinreichend eindeutig sein. Um eine solche Eindeutigkeit zu erreichen, muss man im Kontext entsprechende Seme aufgreifen und verstärken; den Vorgang nennt man auch Monosemierung. Der Monosemierung kann aber bewusst zuwider gehandelt werden.
Eine Möglichkeit, solche Isotopien enger mit der ästhetischen Funktion zu verknüpfen, besteht darin, sie in symbolischen Szenen zu verdichten. Diese Strategie geht damit einher, dass die Wörter nicht nur reale Gegenstände referenzieren, sondern auch metaphorisch Strukturen andeuten, die an anderer Stelle auf struktureller Ebene wiederholt werden.
Ein Syntagma ist eine geordnete Abfolge von Elementen; deren Ordnung wird in einer Grammatik beschrieben. Hier ist das grundlegende Prinzip die Kombination und, da die Ordnung nicht einzelne Elemente streng festlegt, sondern immer nur Elementtypen (zum Beispiel immer nur Substantive), ist sie auch kontingent.
Von Syntagmatisierung spricht man, wenn verschiedene Elemente des gleichen Paradigmas in ein Syntagma übertragen werden.
Solche Paradigmen können in Sprachkunstwerken sehr individuell sein und aus sehr individuellen Prinzipien gebildet werden.
Ästhetische Funktion ist zunächst die Übertragung eines Paradigmas in ein Syntagma, also eine Syntagmatisierung; sie wird aber verstärkt und dadurch erst deutlich als ästhetische Funktion sichtbar, wo mehrere solcher Syntagmatisierungen zusammenwirken, also zum Beispiel Versmaß, Reimschema und ausgesuchte semantische Oppositionen.
Als innerer Mechanismus in der Syntagmatisierung kann man rhetorische Figuren benennen. Rhetorische Figuren verteilen aber nicht nur ein Paradigma auf ein Syntagma, sondern verbinden auch verschiedene Ebenen eines Textes miteinander, etwa die oben genannten sieben linguistischen Ebenen, darüber hinaus aber eben auch narrative Phänomene.
Diese Verbindung kann konvergent oder divergent verlaufen. Divergente Syntagmatisierungen sind typisch in humorvollen Texten zu finden, konvergente typisch in ernsten und spannungsvollen Erzählungen.
Humorvolle Texte wählen aus den rhetorischen Mitteln, meist sehr individuell, bestimmte aus und wiederholen diese als Strategie auch immer wieder. Dadurch bilden sie eine Art übergeordnetes Paradigma von ›Figuren der divergenten Vermischung‹.
Konvergente Texte, dies sind realistische oder spannende, aber auch informierende Texte, verwenden bestimmte Seme, die über den Text hin ausgebreitet werden. Sie bilden damit innerhalb des Textes Isotopien. Dabei sind Seme Bedeutungspartikel von Sememen; Sememe sind (nicht ganz korrekt gesagt) Wörter im Gebrauch, und diese Wörter werden in ihren verschiedenen Bedeutungen in einem Lexikon festgehalten und Lexeme genannt. Lexeme können mehrdeutig sein (polysem); als Sememe sollten sie zumindest normalsprachlich hinreichend eindeutig sein. Um eine solche Eindeutigkeit zu erreichen, muss man im Kontext entsprechende Seme aufgreifen und verstärken; den Vorgang nennt man auch Monosemierung. Der Monosemierung kann aber bewusst zuwider gehandelt werden.
Eine Möglichkeit, solche Isotopien enger mit der ästhetischen Funktion zu verknüpfen, besteht darin, sie in symbolischen Szenen zu verdichten. Diese Strategie geht damit einher, dass die Wörter nicht nur reale Gegenstände referenzieren, sondern auch metaphorisch Strukturen andeuten, die an anderer Stelle auf struktureller Ebene wiederholt werden.
Schluss
Aus den zahlreichen Möglichkeiten, diese ganzen Begriffe in einen Zusammenhang zu bringen, habe ich nur sehr wenige ausgewählt. An diesen haben wir jedoch gesehen, dass Jakobsons These von der ästhetischen Funktion in durchaus sehr unterschiedlichen Texten wiederzufinden ist. Dabei ist aber auch deutlich geworden, dass die genaue Ausarbeitung einer Textinterpretation nicht bei der ästhetischen Funktion stehen bleiben darf; diese bleibt ein Zwischenschritt für die Interpretation. Eine solche haben wir hier aber weitestgehend ausgespart, da es zunächst um grundlegende Methoden ging.
Wer hier anfänglich Zweifel anmeldet, ob er/sie jemals etwas damit wird anfangen können, dem/der sei versichert, dass dieser Zweifel zu einem großen Teil daraus erwächst, dass die einzelnen methodischen Schritte so klein, handwerklich eigentlich schon banal sind. Man kann sie aber auf jeden Text anwenden; und hier gibt es eigentlich nur eine wirklich große Herausforderung, nämlich die für diesen Text typischen rhetorischen Figuren zu benennen und zu zeigen, zwischen welchen Textebenen diese vermitteln. Denn von den rhetorischen Figuren gibt es zahlreiche; zum Teil sind diese dann auch noch sehr unterschiedlich benannt, bzw. sehr unterschiedlich definiert. Manche sind sogar so alltäglich geworden, dass sich niemand mehr die Mühe um eine präzise Definition macht, wodurch solche Begriffe wie die Metapher ihre frühere scharfe Bedeutung verlieren. Wer also mit rhetorischen Figuren arbeiten möchte, sollte sich gerade bei solchen Allerweltsbegriffen in der wissenschaftlichen Literatur rückversichern, denn ein schlecht definierter Begriff ist sowohl für die Textproduktion (also zum Beispiel das Schreiben von humoristischen Texten) als auch für die Textanalyse ein schlechtes Werkzeug.
Wer hier anfänglich Zweifel anmeldet, ob er/sie jemals etwas damit wird anfangen können, dem/der sei versichert, dass dieser Zweifel zu einem großen Teil daraus erwächst, dass die einzelnen methodischen Schritte so klein, handwerklich eigentlich schon banal sind. Man kann sie aber auf jeden Text anwenden; und hier gibt es eigentlich nur eine wirklich große Herausforderung, nämlich die für diesen Text typischen rhetorischen Figuren zu benennen und zu zeigen, zwischen welchen Textebenen diese vermitteln. Denn von den rhetorischen Figuren gibt es zahlreiche; zum Teil sind diese dann auch noch sehr unterschiedlich benannt, bzw. sehr unterschiedlich definiert. Manche sind sogar so alltäglich geworden, dass sich niemand mehr die Mühe um eine präzise Definition macht, wodurch solche Begriffe wie die Metapher ihre frühere scharfe Bedeutung verlieren. Wer also mit rhetorischen Figuren arbeiten möchte, sollte sich gerade bei solchen Allerweltsbegriffen in der wissenschaftlichen Literatur rückversichern, denn ein schlecht definierter Begriff ist sowohl für die Textproduktion (also zum Beispiel das Schreiben von humoristischen Texten) als auch für die Textanalyse ein schlechtes Werkzeug.
- Literatur:
- Goethe, Johann Wolfgang von: Ein Gleiches. in ders.: Hamburger Ausgabe Bd. I, S. 142
- Greimas, Algirdas J.: Strukturale Semantik, Braunschweig 1971
- Hawkes, Terence: Structuralism and Semiotics, London 1977
- Holenstein, Elmar: Einführung: Von der Poesie und Polyfunktionalität der Sprache, in: Jakobson, Roman: Poetik, S. 7-60
- Jakobson, Roman: Poetik, Frankfurt am Main 1979
- Lücking, Andy: Ikonische Gesten. Grundzüge einer linguistische Theorie, Göttingen 2013
- Luhmann, Niklas: Reden und Schweigen, in: Luhmann/Fuchs: Reden und Schweigen, Frankfurt am Main 1992, S. 7-20
- Plett, Heinrich F.: Systematische Rhetorik, München 2000
- Storm, Theodor: An der Universität, in ders.: Sämtliche Werke Bd. 3, S. 7-48, Sonderdruck des Weltbild-Verlags ohne Jahresangabe
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