08.10.2013

Mutter sammelt noch — zu zwei Filmen von Ridley Scott

In seinem Film ›Alien‹ fragt Ripley Ash, der sich kurz darauf als Androide entpuppt: »Ash? Any suggestions from you and mother?« und dieser antwortet darauf: »No, she's still collecting.« — Ridleys Filme sind voller Anspielungen auf eine pervertierte Sexualität und pervertierte Geburten. In ›Blade Runner‹ wird Rick Deckard (Harrison Ford) von dem Androiden Pris (Darryl Hannah) so zwischen ihren Beinen eingeklemmt, dass es aussieht, als würde sie ihn gebären. Kurz darauf erschießt er sie.

Perverse Mütter, gewaltsame Penetration

Die Mutter in ›Alien‹ ist der Zentralcomputer des Raumschiffs. Sie ist zunächst eine Art körperlose Stimme, die anscheinend wirklich jedem Befehl Folge leistet. In dieser Szene wird sie zunächst als inkompetent dargestellt; kurze Zeit darauf erfährt Ripley (Sigourney Weaver), dass der Auftrag des Schiffes und des Wissenschaftlers sei, die fremde Lebensform zu fangen und sicherzustellen. Auf das Überleben der Besatzungsmitglieder könne verzichtet werden. Die gefügige Mutter wird zunächst durch die unfähige, dann durch die mörderische Mutter ersetzt, oder, um es in der Sprache der Psychiatrie zu sagen, die zwanghafte und depressive Mutter durch die katatone und dann durch die paranoide.
Zwischen dem Bordwissenschaftler und dem Mutter-Schiff besteht eine Komplizenschaft. Beides sind Computer; beide verfolgen denselben Auftrag, wobei Mutter nicht handelt, sondern eigentlich nur die wichtigen Informationen vorenthält. Sie überschreitet zweimal die Schwelle zum Tode, einmal, als in ihr das Alien „geboren wird“ und einmal, als sie ihre wahre Bestimmung preisgibt, nämlich die Menschen nicht notwendig zu retten. So wirkt sie wie ein Gespenst. Ash dagegen bleibt die ganze Zeit distanziert, bis er sich als williger Gehilfe der Firma entpuppt. Er schlägt Ripley nieder und als er dann überlegt, was er als nächstes tun soll, folgt dieses Bild:
Auf der linken Seite sind diverse nackte Frauen zu sehen, die man als Verkörperung des infantilen Sexualitätsdenkens lesen kann. Gleich darauf nimmt Ash eine Zeitschrift, auf der man vage eine Werbung mit einem Frauenkopf sehen kann, rollt diese zusammen und versucht damit, Ripley zu ersticken. Dies wiederum kann man als eine gewaltsame, orale Penetration lesen, ähnlich wie der so genannte ›facehugger‹, jenes erste Alien, welches aus dem Ei herausspringt und sich auf das Gesicht von Kane heftet. Kurz darauf kommen andere Crew-Mitglieder dazu; Parker schlägt dem Androiden den Kopf ab, muss mit diesem allerdings weiter kämpfen. Dazu folgendes Bild:
Parker hält den kopflosen; Körper zwischen seinen Beinen, während weiße Flüssigkeit auf ihn spritzt. Ash zuckt, als habe er eine motorische Dysfunktion oder einen Orgasmus. Hier wird der Geschlechtsakt völlig pervertiert: während der Kopf nach hinten gekippt ist, ejakuliert der künstliche Mann mit dem Hals und versucht einen anderen Mann zu penetrieren.

Ersetzungen

In der psychoanalytischen Theorie unterscheiden sich Ziele von Triebobjekten. Ein Trieb wird dadurch geweckt, dass ein Spannungszustand im Körper entstanden ist, der gelöst werden muss. Einer der frühesten Spannungszustände ist der Hunger. Er wird durch die Nahrungszufuhr befriedigt; und das Triebziel ist eben jene Nahrungszufuhr, bzw. die Sättigung. Das Triebobjekt allerdings bildet sich durch die sinnlichen Reize aus, die sich an der vorherrschenden erogenen Zone spürbar machen. Dies ist beim Säugling die Mutterbrust. Diese ist übrigens nicht zu verwechseln mit einem Bild von einer Brust und es ist unsinnig zu sagen, dass dadurch eine spätere „Busenfixierung“ zu erklären sei. Tatsächlich sind es vor allem die taktilen Reize im Mundbereich, aus denen wohl dieses erste Objekt besteht und das sich als sinnlicher Eindruck mit dem Spannungsabbau verbindet.
Die Unterscheidung zwischen Triebziel und Triebobjekt ermöglicht es, das Triebobjekt nach und nach zu überformen, obwohl das Triebziel das gleiche bleibt. Diese Unterscheidung ermöglicht aber auch, das Gleiten der Objekte bei gleichem Ziel zu verstehen: das Objekt scheint zu wandern.

Dadurch entstehen Ersetzungen, die der russische Linguist Jacobson in ähnlicher Weise für die Metonymie analysiert hat. Die Metonymie, deren bekannteste Form das pars pro toto ist, verschiebt die Bedeutung zum Beispiel auf einen besonders beeindruckenden oder besonders funktionalen Teil eines Gegenstandes. Schreibt jemand: »Der Wind strich um die Dächer.«, so wird er wohl nicht nur um die Dächer, sondern um das ganze Haus streichen.

In Filmen können nun Bilder durch andere Bilder ersetzt werden, bzw. als Ersetzung gelesen werden, was sie für eine psychoanalytische Deutung als Triebobjekte empfänglich macht. In dem zweiten Bild wird so (in der Interpretation) der Geschlechtsakt beibehalten, aber bestimmte Teile davon ausgetauscht: so entstehen neue Konstellationen, die sich trotzdem anhand einer Spur der Ähnlichkeiten verbinden. So ist die Verschiebung oder Metonymie ein wichtiger Bestandteil des kreativen Denkens: es wird nicht etwas völlig Neues geschaffen, aus sich heraus und autochthon, sondern durch einen partiellen Austausch. Dies führt, wenn man dies auf der Ebene der Genres betrachten will, zur Parodie.

Nachtrag:
Aus irgendwelchen Gründen wollte dann mein Programm nicht mehr funktionieren (also der Editor für Blogger). Deshalb steckt dieser ganze Artikel in den Kinderschuhen. Die vielen sexuellen Symbole in Alien sind natürlich bekannt und längst untersucht. Darauf wollte ich gar nicht hinaus. Ich hatte eher vor, die Wiederkehr bestimmter Szenen und Einstellungen in Scotts Filmen aufzuzeigen. So gibt es in Gladiator visuelle Ähnlichkeiten zu Alien, zum Beispiel, als der Imperator durch seinen Sohn erstickt wird. Insgesamt scheinen mir die Filme um die Frage zu kreisen, was uns alles „gebären“ kann, was überhaupt eine Geburt ist. Soviel dürfte sicher sein: die biologische Geburt ist für Scott nur eine unter vielen Möglichkeiten. Frappierend ist auch, dass die Heldin einer Geschichte bei Scott oftmals  durch einen Akt der Gewalt oder ein Verbrechen geboren werden.

Ich werde auf jeden Fall eine Fortsetzung zu diesem leicht missglückten Beginn schreiben.

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