15.10.2013

Diese merkwürdige Leidenschaft für intellektuelle Integrität

Schon gestern wollte ich eigentlich etwas über die Logik schreiben und darüber, wie sich Logik und Ethik ineinander verzahnen. Jener Schreihals, der mir neulich vorgeworfen hat, ich habe keinerlei Ahnung von mathematischer Logik, kennt vermutlich die Zusammenhänge, die eine philosophische Logik zu erfassen versucht, nicht. Tatsächlich verknüpfen sich zurzeit für mich zwei große Baustellen: das eine ist die narrative Logik, hier insbesondere aber die Verrätselung, bzw. das, was Roland Barthes den hermeneutischen Code nennt, und die Frage nach der Teilhabe an der Gesellschaft, die bei Hannah Arendt in eigentlich allen ihren Formen als Aufgabe der Politik gesehen wird (wobei nicht die Berufspolitik gemeint ist, sondern das Zusammensein von Menschen).

Was mir schon vor zwei Jahren aufgefallen ist: die Verrätselung in einer Geschichte, sei es, dass Harry Potter „falsch“ mit dem seltsamen Päckchen aus Gringotts umgeht, sei es, dass die beiden Privatdetektive aus David Baldaccis ›Bis zum letzten Atemzug‹ durch Fehlinterpretationen Umwege gehen müssen, nie sind es die Schlüsse selbst, die falsch verwendet werden, sondern immer die Merkmale. Wer sich also mit der narrativen Logik des Rätsels beschäftigen möchte, tut gut daran, sich mit all dem zu beschäftigen, was vor den Schlüssen passiert, insbesondere dem Erfassen und der Gewichtung der Merkmale; Aufgaben, die uns im Alltag als fremdartig, geradezu fadenscheinig absurd erscheinen, da wir uns doch so sehr darauf verlassen, dass ein Merkmal etwas ist, was automatisch zu mir kommt, was ich automatisch wahrnehme. Dadurch beginnen sich das narrative Rätsel, das uns Spannungsautoren wie Rowling und Baldacci erzählen, und grundlegende Formen der politischen Ideologie, aber auch der politischen Kritik, anzugleichen.
Dazu ein Zitat aus der Hannah Arendt-Biografie von Thomas Wild, einem sehr empfehlenswerten Buch, weil es, soweit ich das bislang überblicken kann, auf einem eng begrenzten Raum zahlreiche Facetten dieser Philosophin berücksichtigt:
„Die Form, die Arendt im Sinn hat, um den Fakten ihre Beliebigkeit zu nehmen und ihnen Sinn zu geben, ist »eine Geschichte zu erzählen«. Sie verankert dieses Vermögen noch vor jeder wissenschaftlichen oder theoretischen Tradition, bei den Geschichtsschreibern und Schriftstellern der großen Epen (Homer, Herodot). Was Arendt bei ihnen kristallisiert sieht, ist eine Haltung der »Wahrhaftigkeit«, der Objektivität und der Liebe zur Welt, die auch den Unterlegenen und Feinden Gerechtigkeit widerfahren lässt, in »diese merkwürdige Leidenschaft für intellektuelle Integrität um jeden Preis«. In der Gegend jener »Realitätsnähe« entspringe »die menschliche Urteilskraft«. Arendt erkennt darin ein genuin politisches Vermögen, insofern es die Standpunkte anderer durch Einbildungskraft vergegenwärtigt und unabhängig von Interessen und Gruppenzugehörigkeiten im Sinne einer »erweiterten Denkungsart« (Kant) frei urteilt. Arendt setzt das denkende Ich in Bezug zur Integrität der Person. Dem geistigen Ort des »Zwischen« gesellt sie einen lebendigen hinzu: eine »Haltung, der es nur um die Wahrheit zu tun ist.« Wahrheit lasse sich hier nur zweifach fassen: In begrifflichem Sinne meine sie das, was der Mensch nicht ändern kann, und »metaphorisch gesprochen ist sie der Grund, auf dem wir stehen, und der Himmel, der sich über uns erstreckt« …“ (108)

Keine Kommentare :