Man wird ja wach, wenn man sich mit solchen politischen Themen befasst. Die Pegida-Rede beschäftigt mich immer noch. Etwas kläglich finde ich, dass in der ganzen deutschen Presse kaum eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem, was Pirinçci dort geäußert hat, stattfindet. Vielleicht wird das meine Aufgabe sein, dies nachzuholen.
Umvolkung
Ein zentraler Begriff Pirinçcis Rede ist die Umvolkung (zu dem rhetorischen Status dieses Begriffs muss ich mich wohl später noch etwas ausführlicher äußern). Pirinçci leitet damit seine Rede ein, indem er diesen Begriff definiert: gemeint ist damit der „Bevölkerungsaustausch und die Regermanisierung“ und die „Umsiedlung von unerwünschten Volksgruppen“. Pirinçci bezeichnet die Umvolkung als „realitätsferne Kopfgeburt“. Dann beschwört er Menschen, die „durch eine klar definierte Geographie“ und eine „exakt zu lokalisierende Heimat“ „miteinander verschmolzen sind“ – meine Frage an meine verehrten Leser: Wärt ihr gerne mit Akif Pirinçci verschmolzen?
(By the way: damals, als ich meinen Zivildienst in der Unipsychiatrie Tübingen absolvierte, gab es dort einen Pfleger, der bei den Patienten gerne „homosexuelle Verschmelzungstendenzen“ diagnostizierte. Darüber darf man sich doch, im Falle von Akif Pirinçci, echt mal freuen!)
Das Feindbild
Tatsächlich bereitet Pirinçci dann jenes Zitat, was so aus dem Zusammenhang gerissen worden ist, recht genau vor. Dies erreicht er durch eine Parallelisierung:
Wie verwandt der Geist heutiger Politiker, egal welcher Partei, mit dem der Nationalsozialisten ist, sieht man daran, dass sie immer mehr die Maske fallen lassen und zunehmend als Gauleiter gegen das eigene Volk agieren.
Suggeriert wird durch die ganze Rede, dass das Eigentümliche und die kulturelle Tradition Deutschlands, was auch immer man sich darunter vorzustellen hat, und wie immer diese Tradition auch weitergeführt worden ist, sowohl von den Politikern, als auch von den Flüchtlingen und Asylanten mit Füßen getreten wird. Dazu gehört auch seine nur behauptete Klarheit der „exakt zu lokalisierenden Heimat“. (Und man höre hier, dass dies nicht nur eine Feststellung, sondern auch ein Auftrag ist, so als müsse die Heimat erst noch hergestellt werden, als gäbe sie es noch gar nicht; dann aber gäbe es ja, man höre und staune, gar keine Gefährdung der deutschen Heimat.)
Nach dem umstrittenen KZ-Zitat geht Pirinçcis Aufzählung, wer wem welche Ausreise aus Deutschland empfohlen habe, weiter. Pirinçci suggeriert, dass „die Politiker“ offensichtlich kritische „deutsche“ Stimmen nicht akzeptieren wollten, stattdessen aber mehr oder weniger gezielt die Muslimisierung Deutschlands betreiben würden (und, wie man dies allerdings vor allem aus den Zwischentönen heraus hören kann, nicht, weil die deutschen Politiker den Islam so toll fänden, sondern weil sie einfach „Schlappschwänze“ seien).
Ein Zitat aus der Pegida-Rede
Ich zitiere hier aus der Pegida-Rede Pirinçcis. Das kursiv gesetzte Wort (Schwätzer) habe ich nicht richtig verstanden, es könnte also auch anders lauten:
Inzwischen jedoch geben sich die Ausländer, damit sind zu 99,9 Prozent Moslems gemeint, ganz ungeniert und blasen den Deutschen unverblümt den Marsch. Ein Moslem-Schwätzer namens Muhammad Khan mit Taliban-Bart und Sprecher der Erfurter Moschee, der mit der deutschen Kultur so viel gemein hat wie mein Arschloch mit der Parfum-Herstellung, (Gelächter und Gejohle) gibt in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen vom 15.10.2015 auf die Frage, ob Deutschland durch die Flüchtilanten-Flut nicht noch mehr islamisiert werde, folgende Antwort: Wem dieses System in Deutschland nicht gefällt, der hat die Möglichkeit wegzugehen. (Buhrufe)
Muhammad Khan allerdings sagt
Auf die Frage, was man von den Muslimen erwarten müsse, sagt der Sprecher der Erfurter Moschee:
Auch sie [die Muslime] müssen Geduld zeigen. Sie müssen wissen, dass das Leben in Deutschland an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist. Sie müssen sich an die Gesetze und Regeln halten, sollen die Kultur des Landes kennen. Wer eine langfristige Bleibeperspektive hat, muss die Sprache lernen und sich gut benehmen.
Und dann sagt er, und im Kontext ist dieser Satz auf die Muslime zu beziehen:
Wem dieses System in Deutschland nicht gefällt, der hat die Möglichkeit wegzugehen.
Keinesfalls wird hier den Deutschen die Ausreise empfohlen. (Nachzulesen ist das ganze Interview hier: Im Gespräch mit Muhammad Khan, Sprecher der Erfurter Moschee.)
Lügenpresse
Natürlich war es nicht richtig, im Gegenteil, geradezu widerlich, wie vor zwei Wochen die Worte von Pirinçci verdreht wurden. Allerdings sehe ich hier nicht, dass Pirinçci das Opfer dieser Verdrehung geworden ist, sondern vor allem all diejenigen Bürger und Bürgerinnen, die zu wenig Zeit haben, sich umfassender zu informieren. Es ist gut, dass hier allgemein die deutsche Presselandschaft zurückgerudert ist. Das Vertrauen in die journalistische Arbeit, das ja ohnehin angeknackst ist, und zu Recht angeknackst ist, lässt sich wohl schwerlich einfach wiederherstellen. Kritik, und dies ist eine der wichtigen Aufgaben der Journalisten, darf nicht ohne Betrachtung und umfassende Aufarbeitung der Zusammenhänge geschehen (ein Satz, der so selbstverständlich sein sollte, dass man ihn nicht eigens aussprechen müsste).
Was uns aber im Gegenzug, bei all dem Gelärme über die Lügenpresse, verschwiegen wird, ist, dass Pirinçci genau dieselben rhetorischen Mechanismen der Verdrehung benutzt, um seine Aussagen zu stützen. Pirinçci hat also am wenigsten recht, sich darüber zu beschweren, dass seine Existenz zunichte gemacht wird, wo er doch selbst dabei ist, die Existenz zahlreicher Menschen infrage zu stellen. Aber ja doch, wir gönnen jedem deutschen Hanswurst und jedem pseudo-orientalischen Patriarchen sein bisschen Bleiberecht, zumal, wenn er beides so hübsch vereint, in einem Körper, der, um Oliver Welke zu zitieren, aussieht wie „eine 75-jährige Transe“ (zu sehen und zu hören hier!).
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