14.12.2015

FDJ-Trulla

Wo wir aber gerade bei Pirinçci sind. Das amerikanische Time Magazine hat Angela Merkel zur Person des Jahres gewählt. Das wäre nun nicht meine erste Wahl gewesen, aber Martin Saar, dessen Buch Immanenz der Macht ich gerade lese, und den ich alleine deshalb zu einer meiner Personen des Jahres wählen würde, ist wohl nicht bekannt genug dafür.

Geschrei

Jedenfalls hat Pirinçcis Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel dazu folgendes getwittert:
Ist das nicht schön? Unsere FDJ-Trulla Person des Jahres. 2016 dann Robert Mugabe.
Die MMNews bezeichnen dieses tweet als lapidar und machen sich über den Spiegel lustig, der dazu schreibt:
Solche Wörter, solches Geschrei zünden das Land an.
Im selben Artikel wird dem Spiegel auch vorgeworfen, dass man journalistische Präzision „bekanntlich seit langem vergeblich“ bei ihm suche.
Aber Steinhöfels tweet ist respektlos. Er kritisiert nicht, das ist noch nicht mal eine Standort-Bestimmung. Natürlich vermisse ich nicht nur gelegentlich, sondern des Öfteren eine ausgefeiltere Argumentation, wenn man in die Massenmedien blickt, die man als die bürgerlichen bezeichnet. Doch von Präzision können die MMNews gerade nicht sprechen, denn das Wort im Spiegel brandmarkt keinesfalls Steinhöfel als „Entzünder der Nation“.

Dagegensein

Geschrei entsteht dann, wenn das Dagegen wichtiger wird als das Dafür. Immer noch liebe ich mein Deutschland, aber ich liebe es spezifisch und fragmentiert, mehr in einer Art begrenzten Pathos', denn als Stolz. Als ich vorgestern die Nachricht zu Merkel gelesen habe, hat sie mich eher wenig interessiert (obwohl die Begründung tatsächlich interessant ist).
Gelegentlich hoffe ich, dass die Menschen, die meinen Blog lesen, nicht nur die Abgrenzung und Distanzierung lesen. Ich mag Pirinçci nicht, ich mag Martenstein nicht, nicht die Pegida und nicht die AfD, ich habe meine Vorbehalte gegenüber den Maskulinisten und Biologisten geäußert, und bin kein Freund eines Hurra-Feminismus'. Die gender-Theorie gehört nicht in die Grundschule, aber nicht, weil die Theorie falsch ist, sondern weil sie an das mündige Subjekt gebunden ist. (Respekt für verschiedene Lebensformen darf trotzdem in der Grundschule gelernt werden, auch für Schwule. Aber ganz genau explizieren möchte ich dies dann doch nicht.)

Dafürsein

Aber ich bin für die rhetorische Analyse. Ich bin gelegentlich auch für die Polarisation. Und keineswegs bin ich für die Zensur. Selbst dass Pirinçci sein Buch Die große Verschwulung auf Amazon verkaufen kann, finde ich nicht verwerflich. Ich spiele mit dem Gedanken, es mir zu kaufen, einfach um zu wissen, was darin steht, und vielleicht eine andere, eine analytischere Kritik zu schreiben.
Dagegen zu sein jedenfalls ist wenig handlungsleitend. Darüber muss man ja hysterisch werden; und wohlverstanden: die Paranoia ist zwar der geistige Zustand des Freund/Feind-Denkens, aber die Hysterie wirft sich in einen solchen Zustand hinein, ohne an ihn wirklich glauben zu müssen. Dies macht die Hysterie in politischen Situationen gelegentlich so gefährlich: Sie neigt zur Taktiererei, zur Verkleidung und zur Lüge, zur großen Theatralisierung.

Existenzvernichtend

So sei die Wirkung auf Pirinçcis Pegida-Rede gewesen, weiß die MMNews zu berichten. Aber genau hier irrt sich dieses online-Magazin. Pirinçci hat einen Verlag, und der wichtigste Lieferant für Bücher, Amazon, liefert auch seine Bücher weiterhin aus, wenn auch nicht mehr seine Belletristik. Doch diese dürften sich, 15-25 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, sowieso nicht mehr so erfolgreich verkaufen lassen. Ob er deshalb vor dem finanziellen Ruin steht, darf man bezweifeln. Dass seine politische Existenz weitgehend diskreditiert worden ist, dafür hat er wohl selbst gesorgt. Wer sich auf so abwertende Art und Weise mit einem größeren Teil der Bevölkerung anlegt, darf sich nicht wundern, dass er einen scharfen Wind zu spüren bekommt.
Dabei glaube ich noch nicht einmal, dass die meisten deutschen mit der derzeitigen Situation glücklich sind. Aber ich glaube, dass sich die meisten Menschen zu schade sind, so simplifizierend und reduktionistisch zu reagieren. Dies scheint Pirinçci nicht sehen zu wollen. Wo er die große Verdummung vermutet, ist in Wirklichkeit immer noch die Bildung am Werk.

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