Obwohl ich mich in den letzten Jahren wohl eher zu einem recht konservativen Denker entwickelt habe, zumindest oberflächlich, kann ich den meisten konservativen Seiten wenig abgewinnen. Konservatismus schützt nicht vor guten Analysen. Und die sind in den letzten Jahren (viel zu) häufig von linken oder linksliberalen Denkern geliefert worden. Mein Vorwurf, dass Konservatismus mit analytischer Faulheit gleichgesetzt werden kann, gilt weiterhin. Nichtsdestotrotz bieten auch konservative Seiten gelegentlich hervorragende Anmerkungen; so zum Beispiel Frank Schäffler zum Fall Pirinçci.
Pirinçci ist kein Opfer
Man mag zu den Schritten von Random House stehen, wie man will; ich halte wenig davon. Zwar ist der Ausschluss aus dem Verlagsprogramm keine Zensur des Autors, wie man gelegentlich in Meinungen hört; aber, ich sagte es vor einigen Tagen bereits, eine Herabwürdigung des Publikums. Die Diskussion muss, solange sie nicht argumentativ abgewiesen werden kann, weiter geführt werden. Wir leben, wie Immanuel Kant gesagt hat, in einem Zeitalter der Aufklärung, nicht in einem aufgeklärten Zeitalter. Das Publikum hat nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht sich im Widerstreit aufzuklären.
Der harte Fels der Tatsache
Es gibt Grenzen der Meinungsfreiheit. Begrenzt wird diese Freiheit durch die harte und nackte Tatsache. Nackt ist die Tatsache jenseits jeder Metaphorik der Nacktheit dadurch, dass sie auf das Unumstößliche reduziert wird, auf das Ereignis, so wie es in Raum und Zeit vorzufinden ist, eben auf diese Worte, die hier oder dort geäußert worden sind, rein in ihrem Geäußertsein.
Nicht ganz so nackt und nicht ganz so hart allerdings ist die Bedeutung der Worte. Zugegebenermaßen verpflichtet mich nichts dazu, die Rede von Pirinçci wohlwollend zu interpretieren. Sie ließe es, Gott sei's geklagt, zu. Genau so, wie sie das Gegenteil möglich macht. Es ist die Manier dieses Pirinçci, Worte in die Menge zu schmeißen, die sich hin- und herbiegen lassen, wie man es später und hinterher braucht. Es ist aber auch allgemein jene seltsame Wunde, die die Sprache heimsucht, dass die nackte Äußerung wiederholbar ist, die Bedeutung dagegen nicht anders als durch die Interpretation existiert. Es ist die nie zu überwindende Kluft zwischen der materiellen Zeichengestalt und der darunter gleitenden Bedeutung. Der harte Fels der Tatsache, das Ausgesprochene, trifft nicht das Politische, den Sinn der Sprache.
Die eindeutige Meinung
Die andere Begrenzung der Meinungsfreiheit ist nicht in der Physik, sondern in der Anthropologie zu suchen. Damit Menschen miteinander leben können, haben sie sich füreinander einfach zu machen, in gewisser Weise durchschaubar. Ich glaube, dass man ganz gut zeigen kann, dass diese Durchschaubarkeit mit einer Selbstwirksamkeit einhergeht, dass sie in gewisser Weise also auf einer Kooperation zwischen der Individualisierung und der Sozialisierung beruht und keineswegs nur einen Zwangsmechanismus darstellt. In einer Gemeinschaft lässt sich wesentlich mehr erreichen, als ein einzelner Mensch dies könnte. Und anders als in der pessimistischen Ansicht von Thomas Hobbes, bei dem die Menschen gezwungen werden müssen, sich in einen Staat einzufügen, obwohl dieser Staat für sie vor allem Vorteile bringt, glaube ich daran, dass es eine psychologische und neurophysiologische Anlage zur Gemeinschaft gibt, die nicht rein auf einer genetischen Prägung, sondern auf der Entwicklung des Bewusstwerdens beruht. Mithin widersprechen sich Selbstsimplifizierung und Bewusstwerdung nicht, so wie sich nicht Individualisierung und Sozialisierung widersprechen.
Die geäußerte Meinung muss einfach sein, und sie muss ehrlich sein. Sobald sich aber eine Äußerung verbiegen lässt, sobald sie zu viel Interpretation zulässt, gehorcht sie dieser Vergesellschaftung nicht mehr. Solche Äußerungen vernichten nicht die Individualität oder die Sozialisation, sondern sie vernichten beides zugleich, weil sie die Grenze unscharf machen oder sogar auflösen, und dadurch das Spiel von Subjekt und Objekt seiner Basis berauben.
Öffentlichkeit
Nein, die Freiheit, seine Meinung zu äußern, ist Pirinçci nicht genommen worden. Weiterhin stehen ihm die großen Plattformen zur Verfügung, weiterhin kann er das, was er denkt, in der Öffentlichkeit äußern, genau so, wie jeder andere Mensch auch, und womöglich, durch seinen Status, besser, als viele andere Menschen. Insofern stimme ich Schäffler zu.
Es gibt eine dritte Begrenzung der Meinungsfreiheit, die Schäffler aufführt: einem Menschen, der andere Menschen nur persönlich angreift, der ihre Argumentationen nicht nachvollziehen will, der ihre Weltsicht nicht minutiös und im Hinblick auf die öffentliche Diskussion und die Aufklärung kritisiert, kann als wertvolles Mitglied der Aufklärung nicht akzeptiert werden. Toleranz wird dort begrenzt, wo sie nicht zugleich eine Wissenschaftlichkeit vertritt. Und diese Wissenschaftlichkeit ist nicht zuallererst eine wie auch immer fragwürdige Biologie (oder Evolutionslehre), sondern eine genaue Lektüre des Gesagten. Weder Pirinçci noch seine Gegner leisten dies. Und zumal Pirinçci kann man extrem tendenziöse Interpretationen nachweisen (neulich auch seinen Gegnern). Damit ist er für die Öffentlichkeit uninteressant. Er bleibt dort stehen, wo er einmal seine Meinung geäußert hat. All die Wandlungen pariert er mit seinem Singsang vom Ewiggleichen. Einmal mag er aufgerüttelt haben. Mehr aber nicht. Jetzt sinkt er in die Hefe der Langeweile und in die Wasser des Unaufgeklärten zurück.
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