Ich hatte heute Nacht noch eine Anmerkung zu dem Roman Leichenblässe von Simon Beckett geschrieben. Es ist nur eine Anmerkung; ich habe mit der Erzählung selbst noch nicht richtig gearbeitet. Ein zweiter Kommentar betrifft dieselbe Passage, zu finden auf Seite 120-122. Der Roman selbst wird vorwiegend aus der Perspektive eines englischen Gerichtsmediziners namens Hunter geschildert. Ab der Seite 120 allerdings scheint jedes Kapitel mit einem Perspektivwechsel zu enden. Der Autor springt in die Perspektive des Serienmörders. Auf Seite 120-122 ist er dabei, seinen ersten Mord zu begehen. Dazu muss man wissen, aber es versteht sich in diesem Genre ja eigentlich schon fast von selbst, dass es sich um einen Serienmörder handelt, den die Polizei sucht.
Perspektivwechsel und Erzählsituation
Der Perspektivwechsel ist ein sehr beliebtes stilistisches Mittel in der Unterhaltungsliteratur. Er erfordert eine personale Erzählsituation, eventuell auch einen oder mehrere Ich-Erzähler. Was ist eine personale Erzählsituation? Hier schildert der Autor ausschließlich aus der Sicht einer seiner Figuren. D. h. vor allen Dingen, dass die Figur und der Autor in einer naiven Lesart nicht unterschieden werden. Wechselt der Autor nun die Perspektive, bleibt aber in der personalen Erzählsituation, dann verfügt er plötzlich über ein anderes Wissen. Diese Erzähltechnik (personale Erzählsituation plus Perspektivwechsel) ist, will man sie gut anwenden, schwierig umzusetzen.
Beckett nun nutzt sowohl für seinen Protagonisten, den Gerichtsmediziner, als auch für seinen Serienmörder die Ich-Perspektive. Das macht die Sache noch ein wenig komplizierter. In diesem Fall muss der Autor nämlich nicht nur auf die Perspektive und ihrem jeweils beschränkten Wissen achten, sondern auch auf die typischen stilistischen Merkmale, die eine Person in der Sprache mit sich bringt. Dies tut Beckett meines Erachtens nicht. Vom Stil her ist die kurze Passage mit dem Mörder nicht zu unterscheiden von den Gedanken des Protagonisten. Grafisch ist sie durch Kursivschrift abgesetzt; inhaltlich durch eine Handlung, die nicht zum Protagonisten passt. (Siehe auch Perspektivwechsel: darf man in einer Szene von einer Person zur anderen springen?)
Beckett nun nutzt sowohl für seinen Protagonisten, den Gerichtsmediziner, als auch für seinen Serienmörder die Ich-Perspektive. Das macht die Sache noch ein wenig komplizierter. In diesem Fall muss der Autor nämlich nicht nur auf die Perspektive und ihrem jeweils beschränkten Wissen achten, sondern auch auf die typischen stilistischen Merkmale, die eine Person in der Sprache mit sich bringt. Dies tut Beckett meines Erachtens nicht. Vom Stil her ist die kurze Passage mit dem Mörder nicht zu unterscheiden von den Gedanken des Protagonisten. Grafisch ist sie durch Kursivschrift abgesetzt; inhaltlich durch eine Handlung, die nicht zum Protagonisten passt. (Siehe auch Perspektivwechsel: darf man in einer Szene von einer Person zur anderen springen?)
Dramatische Ironie
Mit dem Perspektivwechsel einher geht eine andere literarische Technik (nicht immer), die dramatische Ironie. Damit ist gemeint, dass der Leser mehr weiß als der Protagonist. Dadurch entsteht eine Spannung: Wird der Protagonist das Problem entdecken? Wie wird er sich aus der Schlinge ziehen?
Für mich ist eine der schönsten Beispiele eine Stelle aus Hitchcocks Klassiker Der unsichtbare Dritte. Erzählt wird die Geschichte des Werbefachmanns Thorndike, der unbeabsichtigt für einen feindlichen Agenten gehalten wird. Nun ist der Trick an der ganzen Sache, dass sich die Regierungsbehörde diesen feindlichen Agenten zur Täuschung ausgedacht hat. Der echte Agent existiert also gar nicht, soll allerdings von der Gegenseite als echt aufgefasst werden. Thorndike, der mit dieser ganzen Sache nichts zu tun hat, begibt sich auf die Suche und findet natürlich nichts. Er weiß nur, dass irgendwelche Menschen ihn umbringen wollen. Der ganze Film ist aus der Perspektive von Thorndike geschildert, bis auf einen kurzen Moment. Diese zeigt die Regierungsbehörde, bzw. ein Gespräch zwischen den Verantwortlichen, in der diese beschließen, Thorndike nicht zu helfen und ihn dem Tod auszuliefern. Thorndike weiß dies nicht, aber der Zuschauer.
Beckett nutzt diese dramatische Ironie nicht ganz so deutlich. Ironisch ist hier meiner Ansicht nach vor allem, dass der Serienkiller als allererstes eine Frau umbringt, während der Profiler Dr. Irving der Ansicht ist, dass die gesuchte Person aus homosexuellen Motiven handelt. Irving wurde in den Fall mit einbezogen, um ein Profil des Täters zu erstellen. Er wird von Anfang an als arrogant, beleidigend und insgesamt unsympathisch dargestellt. Durch den Perspektivwechsel kann nun der Leser damit rechnen, dass er sich furchtbar blamieren wird. Die Spannung wird also durch vorausgenommene Schadenfreude erzeugt.
Für mich ist eine der schönsten Beispiele eine Stelle aus Hitchcocks Klassiker Der unsichtbare Dritte. Erzählt wird die Geschichte des Werbefachmanns Thorndike, der unbeabsichtigt für einen feindlichen Agenten gehalten wird. Nun ist der Trick an der ganzen Sache, dass sich die Regierungsbehörde diesen feindlichen Agenten zur Täuschung ausgedacht hat. Der echte Agent existiert also gar nicht, soll allerdings von der Gegenseite als echt aufgefasst werden. Thorndike, der mit dieser ganzen Sache nichts zu tun hat, begibt sich auf die Suche und findet natürlich nichts. Er weiß nur, dass irgendwelche Menschen ihn umbringen wollen. Der ganze Film ist aus der Perspektive von Thorndike geschildert, bis auf einen kurzen Moment. Diese zeigt die Regierungsbehörde, bzw. ein Gespräch zwischen den Verantwortlichen, in der diese beschließen, Thorndike nicht zu helfen und ihn dem Tod auszuliefern. Thorndike weiß dies nicht, aber der Zuschauer.
Beckett nutzt diese dramatische Ironie nicht ganz so deutlich. Ironisch ist hier meiner Ansicht nach vor allem, dass der Serienkiller als allererstes eine Frau umbringt, während der Profiler Dr. Irving der Ansicht ist, dass die gesuchte Person aus homosexuellen Motiven handelt. Irving wurde in den Fall mit einbezogen, um ein Profil des Täters zu erstellen. Er wird von Anfang an als arrogant, beleidigend und insgesamt unsympathisch dargestellt. Durch den Perspektivwechsel kann nun der Leser damit rechnen, dass er sich furchtbar blamieren wird. Die Spannung wird also durch vorausgenommene Schadenfreude erzeugt.
Psychologisierung
Eine der angenehmen Seiten von Beckett ist, dass er sich mit der direkten Psychologisierung zurückhält. Es gibt ja immer diese unangenehmen Stellen, in denen der Roman in eine psychologische Abhandlung kippt, in der die Figuren in ihrem Seelenleben erläutert werden, als handele es sich um eine Patientenakte. Wenn dann noch schlecht recherchiert wurde und einer Schizophrenie völlig neue Symptome angedichtet werden, die kein Psychiater unterschreiben würde, dann lege ich das Buch aus der Hand. Ich konnte zum Beispiel den Roman Roter Drache von Thomas Harris nicht weiterlesen. An der Stelle, an der er den Mutterkomplex seines Serienmörders ausführt, ist es mir zu viel geworden.
Psychische Eigenschaften gehören zu den Ideen. Eifersucht, Freude, Angst, Süchte, all dies sind Ideen, die sich zwar in typischem Verhalten niederschlagen, aber selbst nicht sichtbar sind. Die Aufgabe des Autors ist es nun, diese psychischen Eigenschaften in Verhaltensweisen zu übersetzen. Diesen Vorgang nennt man Hypotypose, zumindest bei Kant (Urteilskraft, § 59); heute kann man dafür auch das Wort Metaphorik oder Verbildlichung finden (und ich weise nochmal darauf hin, dass dieses Wort unglücklich gewählt ist, denn eine Metapher ist etwas anderes: siehe dazu Metaphorik. Strategien der Verbildlichung).
Natürlich darf man sich auch als Autor die eine oder andere psychologische Anmerkung leisten. Aber man sollte aufpassen, dass der Roman nicht von einer Erzählung in eine Belehrung kippt. Dafür gibt es Fachbücher.
Sieht man sich die Stelle bei Beckett an, auf die ich mich beziehe (Leichenblässe, Seite 120-122), so kann man rasch die Technik erkennen, mit der sich der Autor sämtlichen Psychologisierungen entzieht: er lässt den Serienmörder seinen ersten Mord schildern und seine vermeintlichen Motive. Das reicht auch. Es reicht, wenn der Killer sich selbst kommentiert: "Die ganze Sache ist viel zu plötzlich passiert, auch das mit dem Messer …" (Seite 122). Spätestens hier wird deutlich, dass er weiter morden wird und dass er nicht aus Habgier, Not oder ähnlichen Motiven handelt, sondern in der Tätigkeit des Mordens selbst eine Perfektion, eine Erkenntnis sucht.
Psychische Eigenschaften gehören zu den Ideen. Eifersucht, Freude, Angst, Süchte, all dies sind Ideen, die sich zwar in typischem Verhalten niederschlagen, aber selbst nicht sichtbar sind. Die Aufgabe des Autors ist es nun, diese psychischen Eigenschaften in Verhaltensweisen zu übersetzen. Diesen Vorgang nennt man Hypotypose, zumindest bei Kant (Urteilskraft, § 59); heute kann man dafür auch das Wort Metaphorik oder Verbildlichung finden (und ich weise nochmal darauf hin, dass dieses Wort unglücklich gewählt ist, denn eine Metapher ist etwas anderes: siehe dazu Metaphorik. Strategien der Verbildlichung).
Natürlich darf man sich auch als Autor die eine oder andere psychologische Anmerkung leisten. Aber man sollte aufpassen, dass der Roman nicht von einer Erzählung in eine Belehrung kippt. Dafür gibt es Fachbücher.
Sieht man sich die Stelle bei Beckett an, auf die ich mich beziehe (Leichenblässe, Seite 120-122), so kann man rasch die Technik erkennen, mit der sich der Autor sämtlichen Psychologisierungen entzieht: er lässt den Serienmörder seinen ersten Mord schildern und seine vermeintlichen Motive. Das reicht auch. Es reicht, wenn der Killer sich selbst kommentiert: "Die ganze Sache ist viel zu plötzlich passiert, auch das mit dem Messer …" (Seite 122). Spätestens hier wird deutlich, dass er weiter morden wird und dass er nicht aus Habgier, Not oder ähnlichen Motiven handelt, sondern in der Tätigkeit des Mordens selbst eine Perfektion, eine Erkenntnis sucht.
1 Kommentar :
Danke.
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