[Nachtrag 30.10.2015: wer zufällig über diesen Artikel stolpert, sollte sich besser Einige grundlegende Einteilungen der Erzählperspektive und Erzählsituation ansehen. Dieser ist präziser und differenzierter. Dort verwende ich auch ein systematischeres und einheitliches Modell, während ich mich hier auf das unscharfe, aber bekanntere aus dem Schulunterricht und den (deutschen) Schreibratgebern beziehe.]
Nein, darf man nicht. Obwohl: das Ganze ist eine Sache der Definition. Dort, wo eine andere Perspektive eingeführt wird, beginnt eigentlich per Definition auch eine neue Szene. Trotzdem: ein Perspektivwechsel in einer Szene ist erzähltechnisch zwar nicht verboten, aber doch eher eine Technik des experimentellen Schreibens.
Der Perspektivwechsel
In einer Geschichte, zumindest in den klassischen, gibt es immer eine Erzählperspektive. Üblicherweise sind dies die auktoriale und die personale Erzählperspektive. Es gibt noch die Ich-Perspektive. Diese gilt für Geschichten, die aus der Ich-Position verfasst worden sind.
Die auktoriale Erzählperspektive hat es mit einem „allwissenden“ Erzähler zu tun. Dieser Erzähler kann jederzeit fehlende Informationen nachtragen, das Geschehen kommentieren und von einem Erzählstrang zum nächsten springen, ohne selbst als Erzähler anders zu werden.
Die personale Erzählperspektive erzählt aus der Sicht einer der Romanpersonen. Wenn Peter der Protagonist des Romans ist, kann der Autor dies aus seiner Perspektive machen, d.h. der Autor gibt nicht die eigenen Gedanken wieder, sondern die von Peter. Ist Peter zum Beispiel unglücklich mit seinem Beruf, dann wird er dies aus seiner Sicht schildern. Er kann dies völlig ungerecht tun und völlig falsch. Das ist in diesem Fall aber erlaubt, weil es eben seine Perspektive ist.
Wenn man nun die Geschichte aus einer Perspektive darstellen kann, kann man sie auch aus mehreren Perspektiven schreiben. Eine Geschichte wird dann aus der Sicht von Peter, Sabine, Toby und wem auch immer geschrieben. Der Autor wechselt also die Perspektive.
Probleme mit dem Perspektivwechsel
Geschichten brauchen Strukturen. In Abenteuergeschichten sind dies normalerweise die Szenen (mit Abenteuergeschichten meine ich alle Geschichten, die auf Spannung aufbauen, also viele Krimis und Fantasy, aber auch Liebesromane und zahlreiche historische Erzählungen). Eine gut strukturierte Geschichte ist also eine Geschichte mit gut abgegrenzten Szenen. Eine Szene hat immer eine Funktion: Sie führt zum Beispiel eine neue Figur ein, eine wichtige Information oder eine für die Geschichte relevante Handlung. (Eine ausführlichere Darstellung habe ich unter Szenisches Schreiben veröffentlicht.)
Funktionen in Szenen sind stark auf die Handlung bezogen. Sie brauchen einen Handlungsträger, also einen Protagonisten. Die Betonung liegt hier auf „einen“. Will man also die Perspektive wechseln, muss man eine neue Szene anfangen. Dass sich diese Szenen dann ineinander verschränken können, klar. Peter sitzt am Küchentisch und überlegt, wie er seiner Freundin beibringen kann, dass er mit den Kumpels jetzt doch Fußball schauen geht. Sabine kommt in der nächsten Szene in die Küche und ahnt, was Peter denkt.
Teilt man Szene nicht auf, sondern führt sie nahtlos aus der Perspektive von Peter in die Perspektive von Sabine, kann sich zwar der Leser denken, dass die Perspektive gewechselt wurde. Doch der Autor orientiert ihn nicht und dann kann es zu Missverständnissen kommen. Um also solche Missverständnisse zu vermeiden: Szenen mit unterschiedlichen Perspektiven trennen.
Ein weiterer Vorteil klar abgegrenzter Szenen und klar abgegrenzter Perspektiven ist die psychologische Darstellung der Personen, die dadurch wesentlich schärfer wird. Gut abgegrenzte Szenen bedeuten gut dargestellte Charaktere. Natürlich kann man nicht alleine dadurch seine Protagonisten lebendig machen. Man braucht auch ein gutes psychologisches Gefühl und Menschenkenntnis. Wer Probleme mit seinen Personen hat, zum Beispiel, weil sie plötzlich nicht mehr das machen, was sie in der Geschichte machen sollen, sollte sich ein wenig mit Psychologie beschäftigen, vor allem mit der Persönlichkeitspsychologie.
Ein Beispiel
Ich danke Christiane für das folgende Beispiel. Sie ist eine meiner wenigen Kundinnen, die mich als Text-Coach im fiktiven Bereich gefordert hat (normalerweise arbeite ich im wissenschaftlichen Bereich, biete aber ein Schreib-Coaching für Erzählungen und Romane an). Christiane hat folgenden Text geschrieben (ich habe den Personen andere Namen gegeben):
Peter schnaubte vor Wut. Warum regt er sich jetzt so auf, empörte sie sich innerlich. Er ist doch selbst dran schuld. Und sie steht da, als sei nichts. Wenigstens eine Erklärung könnte sie abliefern. Er verstand Mona sowieso nicht mehr. Erst war sie ganz Feuer und Flamme für ihn, jetzt ließ sie ihn so hängen.
Ich glaube, dazu muss man wenig sagen. Hatten Sie Probleme, die Sätze zu trennen, sich klar zu werden, was Peter denkt und was Mona denkt? Das ist das erste Problem, wenn man die Perspektiven nicht trennt. Sie hemmen den Lesefluss.
Das zweite Problem: findet ihr den Konflikt spannend? Das ist natürlich bei einer so kurzen Textstelle schwer zu sagen. Aber wenn wir schon, wie hier, einen dramatischen Liebesroman haben, dann möchten wir doch wissen, wie einer der Protagonisten seine Probleme und Konflikte mit dem anderen löst. Dann ist ein Perspektivwechsel sowieso nicht angebracht. Gerade weil ich nicht weiß, was diese Figur denkt, wird sie spannend. Diese Szene vergibt sich zum Beispiel die Chance, den Leser in Unsicherheit zu lassen. Wüsste der Leser nicht, wie Peter denkt, wäre die Szene spannender. Man kann dies zum Beispiel dadurch erreichen, dass man aus Monas Perspektive Peter beschreibt, aber seine Innenperspektive weglässt.
1 Kommentar :
Danke Frederik,
eigentlich habe ich nicht nach Perspektivwechsel gesucht aber trotzdem eine perfekte Antwort bekommen.
Sehr gut erklärt.
Marc
Kommentar veröffentlichen