Jetzt habe ich mich den ganzen Tag lang mit dem Volksentscheid beschäftigt, der am 26. April in Berlin stattfindet. Bei diesem Volksentscheid geht es um die Einführung von Religion als Wahlpflichtfach.
Ich habe mich also insgesamt mit der Rhetorik der Befürworter und der Gegner auseinandergesetzt.
Zunächst muss ich festhalten, dass mich keine der Argumentationen überzeugt hat.
Wenn ich mich allerdings auf eine Seite stellen müsste, und das werde ich bei der Wahl auch, dann auf die Seite der Gegner der Einführung von Religion als Pflichtfach.
Warum?
Ethik wurde mit der Begründung eingeführt, eine gemeinsame Plattform für Wertevermittlung zu schaffen. Es bleibt dahingestellt, ob Ethik diese Aufgabe leisten wird. Soweit ich weiß, existieren dazu noch keine empirischen Befunde. Allerdings dürfte das, knapp drei Jahre nach Einführung des Faches, auch schwer sein. Zudem kenne ich nicht den genaueren Inhalt des Faches Ethik, d.h. hier die Lehrbücher. Der Rahmenlehrplan hört sich jedenfalls wieder mal spitzenmäßig an. Allerdings ist auch der Allgemeine Rahmenlehrplan für die Berliner Schulen sehr modern und durchdacht. Nur findet man den wenig in den Schulen wieder.
Pro Reli - der Verein, der die Volksinitiative gestartet hat - argumentiert nun, dass ein separater Religionsunterricht nach Konfessionen die eigene Wertevermittlung deutlich verbessern würde, also auch zu einer Identität in den Werten der eigenen Kultur verhelfen könne.
Dagegen sprechen aber drei Argumente:
1. Die Werte, denen jeder deutsche Bürger verpflichtet ist, sind die Werte des Grundgesetzes. Würde des Menschen zum Beispiel. Postgeheimnis, Versammlungsfreiheit, Recht auf eine eigene Meinung, Gleichheit vor dem Gesetz, und so weiter. Diese Werte haben ihre Grundlage in der demokratischen Rechtsordnung und stehen über den religiösen Werten insofern, als sie bindend für alle Deutschen gelten.
2. Die Identität, auch die Werteidentität, ist Teil der sozialen, emotionalen und personalen Kompetenz. Diese zu fördern, also die Kompetenzen, ist Mitaufgabe der Schule insgesamt, nicht eines gesonderten Unterrichts. Hier noch mehr Zersplitterung einzuführen, halte ich für kontraproduktiv.
Zudem ist ein grundlegender Unterschied zwischen wissenschaftlicher und ethischer Orientierung, dass wissenschaftliche Begriffe sich deduktiv oder induktiv zu Fakten verhalten, vermittelt über das wissenschaftliche Argument. Ethische Begriffe dagegen sind induktiv oder deduktiv abgeleitet zu dem, was streitenswert ist. Was streitenswert ist, kann man nicht dadurch erfahren, dass man homogene Lerngruppen bildet, also Segregation betreibt, sondern nur durch Heterogeneität.
Natürlich ist auch die Debatte Ethik oder Religion streitenswert. Hier geht es ja um die Frage, was die Gesellschaft zusammenhalten kann: eine gemeinsame Ethik oder separate Weltanschauungen. Dieser Streitbegriff ist aber so sehr verkürzt auf eine Opposition, dass hier eine Wahlmöglichkeit ohne weitere Verfeinerung kaum möglich ist. Doch gerade solche Überlegungen muss ja der Ethikunterricht mitliefern.
3. Praktisch gesehen wird der Religionsunterricht wohl so aussehen, dass kleine Religionen aus dem Unterricht alleine deshalb ausgeschlossen sind, weil sie aus finanziellen Möglichkeiten heraus keine Lehrer stellen können. Wenn man drei Kinder an der Schule hat, die buddhistisch oder schamanistisch erzogen werden, finanziert die Schulbehörde keinen Lehrer.
Wie sieht es mit sunnitischen und schiitischen Elternhäusern aus? Wird es Unterricht für Kinder der russisch-orthodoxen und der griechisch-orthodoxen Konfession getrennt geben? Liberale Juden und orthodoxe Juden?
All dies sind Fragen, die bei der jetzigen Diskussion außer Acht gelassen werden, die aber später bei der Verwirklichung eine wichtige Rolle spielen. Zu befürchten ist, dass diesen Minderheiten dann keine religiöse Identität mehr zukommt, ja dass sich hier eine Spaltung zwischen den großen und den kleinen Religionen ergibt. Gerade für jüdische Schüler - immer noch eine Minderheit in deutschen Schulen - kann dies das eindeutig falsche Zeichen sein. Und damit natürlich auch für alle Schüler, die ihren "eigenen" Religionsunterricht haben.
Zudem verbieten manche Religionen, wie das orthodoxe Judentum, eigentlich das Studium fremder Religionen. Das Judentum ist hier zwar insgesamt von seiner Grundauffassung liberal: solange jemand nach ethischen Regeln ein gutes Leben führt, kommt dieser in den Himmel, wird also im Jenseits nicht benachteiligt, und die Religionsfreiheit des Nachbarn gilt auch für den orthodoxen Juden. Aber die eigene Beschäftigung mit fremden Religionen ist nicht erlaubt. Dies würde von vorneherein die Kooperation im Schulfach Religion verhindern. Ethik hat, als Nicht-Religion, nicht dieses Problem.
Zum anderen aber sind missionarische Religionen wie das Christentum und der Islam des Öfteren noch sehr unentschieden zwischen Toleranz und aggressiver Missionierung. Gerade in Zeiten der Verunsicherung kann dies zu noch mehr Grüppchenbildungen führen. Religiöse Identität wird jedenfalls nicht die Lösung von ethisch unreflektiertem Managergehabe sein, und wenn ich mir Führungspersönlichkeiten wünsche, dann nicht solche, die religiös sind, sondern solche, die ethisch durchdacht handeln.
Wenn man sich die Pro Ethik-Argumente anschaut, sind diese plausibler, aber nicht so, dass man von einem qualitativen Sprung reden könnte. Zumindest kann man doch plausibel finden, dass heterogene Lerngruppen mehr Anreize zur Integration bieten als homogene.
Insgesamt aber wird diese ganze Diskussion herrlich fantasielos geführt. Ethische Vorstellungen sind nicht nur Aufgabe der Schule. Sie sind auch Aufgabe von Massenmedien (bitte einmal Gelächter!) und Politik. Wie also Wertevermittlung zu verlaufen habe, wie sich demokratische Gesinnung und Druss, statt Verdruss an demokratischer Politik aufrecht erhalten lässt, ist nicht alleine Aufgabe der Schule, sondern der ganzen Gesellschaft.
Klare Argumentationen, Kenntnis der Religionen, Reflexion auf die Vernunft, scharfe Begriffe und scharfer Umgang mit Begriffen gehört dazu. Nicht das Wischiwaschi, das hüben wie drüben geliefert wird.
Ich bin für das Fach Ethik. Aber ich bin noch für wesentlich mehr.
Druss ist übrigens ein Wort, das es nicht gibt. Verdruss, mhd. verdrutz, leitet sich evtl. von trutzen (wehren) ab und könnte etwa einigeln bedeuten. Der indogerm. Wortstamm thrud bedeutet vermutlich belästigen. Das Wort drieszen, dreuszen kam im ahd. und mhd. gelegentlich vor, starb dann aber aus.
Ich habe mich also insgesamt mit der Rhetorik der Befürworter und der Gegner auseinandergesetzt.
Zunächst muss ich festhalten, dass mich keine der Argumentationen überzeugt hat.
Wenn ich mich allerdings auf eine Seite stellen müsste, und das werde ich bei der Wahl auch, dann auf die Seite der Gegner der Einführung von Religion als Pflichtfach.
Warum?
Ethik wurde mit der Begründung eingeführt, eine gemeinsame Plattform für Wertevermittlung zu schaffen. Es bleibt dahingestellt, ob Ethik diese Aufgabe leisten wird. Soweit ich weiß, existieren dazu noch keine empirischen Befunde. Allerdings dürfte das, knapp drei Jahre nach Einführung des Faches, auch schwer sein. Zudem kenne ich nicht den genaueren Inhalt des Faches Ethik, d.h. hier die Lehrbücher. Der Rahmenlehrplan hört sich jedenfalls wieder mal spitzenmäßig an. Allerdings ist auch der Allgemeine Rahmenlehrplan für die Berliner Schulen sehr modern und durchdacht. Nur findet man den wenig in den Schulen wieder.
Pro Reli - der Verein, der die Volksinitiative gestartet hat - argumentiert nun, dass ein separater Religionsunterricht nach Konfessionen die eigene Wertevermittlung deutlich verbessern würde, also auch zu einer Identität in den Werten der eigenen Kultur verhelfen könne.
Dagegen sprechen aber drei Argumente:
1. Die Werte, denen jeder deutsche Bürger verpflichtet ist, sind die Werte des Grundgesetzes. Würde des Menschen zum Beispiel. Postgeheimnis, Versammlungsfreiheit, Recht auf eine eigene Meinung, Gleichheit vor dem Gesetz, und so weiter. Diese Werte haben ihre Grundlage in der demokratischen Rechtsordnung und stehen über den religiösen Werten insofern, als sie bindend für alle Deutschen gelten.
2. Die Identität, auch die Werteidentität, ist Teil der sozialen, emotionalen und personalen Kompetenz. Diese zu fördern, also die Kompetenzen, ist Mitaufgabe der Schule insgesamt, nicht eines gesonderten Unterrichts. Hier noch mehr Zersplitterung einzuführen, halte ich für kontraproduktiv.
Zudem ist ein grundlegender Unterschied zwischen wissenschaftlicher und ethischer Orientierung, dass wissenschaftliche Begriffe sich deduktiv oder induktiv zu Fakten verhalten, vermittelt über das wissenschaftliche Argument. Ethische Begriffe dagegen sind induktiv oder deduktiv abgeleitet zu dem, was streitenswert ist. Was streitenswert ist, kann man nicht dadurch erfahren, dass man homogene Lerngruppen bildet, also Segregation betreibt, sondern nur durch Heterogeneität.
Natürlich ist auch die Debatte Ethik oder Religion streitenswert. Hier geht es ja um die Frage, was die Gesellschaft zusammenhalten kann: eine gemeinsame Ethik oder separate Weltanschauungen. Dieser Streitbegriff ist aber so sehr verkürzt auf eine Opposition, dass hier eine Wahlmöglichkeit ohne weitere Verfeinerung kaum möglich ist. Doch gerade solche Überlegungen muss ja der Ethikunterricht mitliefern.
3. Praktisch gesehen wird der Religionsunterricht wohl so aussehen, dass kleine Religionen aus dem Unterricht alleine deshalb ausgeschlossen sind, weil sie aus finanziellen Möglichkeiten heraus keine Lehrer stellen können. Wenn man drei Kinder an der Schule hat, die buddhistisch oder schamanistisch erzogen werden, finanziert die Schulbehörde keinen Lehrer.
Wie sieht es mit sunnitischen und schiitischen Elternhäusern aus? Wird es Unterricht für Kinder der russisch-orthodoxen und der griechisch-orthodoxen Konfession getrennt geben? Liberale Juden und orthodoxe Juden?
All dies sind Fragen, die bei der jetzigen Diskussion außer Acht gelassen werden, die aber später bei der Verwirklichung eine wichtige Rolle spielen. Zu befürchten ist, dass diesen Minderheiten dann keine religiöse Identität mehr zukommt, ja dass sich hier eine Spaltung zwischen den großen und den kleinen Religionen ergibt. Gerade für jüdische Schüler - immer noch eine Minderheit in deutschen Schulen - kann dies das eindeutig falsche Zeichen sein. Und damit natürlich auch für alle Schüler, die ihren "eigenen" Religionsunterricht haben.
Zudem verbieten manche Religionen, wie das orthodoxe Judentum, eigentlich das Studium fremder Religionen. Das Judentum ist hier zwar insgesamt von seiner Grundauffassung liberal: solange jemand nach ethischen Regeln ein gutes Leben führt, kommt dieser in den Himmel, wird also im Jenseits nicht benachteiligt, und die Religionsfreiheit des Nachbarn gilt auch für den orthodoxen Juden. Aber die eigene Beschäftigung mit fremden Religionen ist nicht erlaubt. Dies würde von vorneherein die Kooperation im Schulfach Religion verhindern. Ethik hat, als Nicht-Religion, nicht dieses Problem.
Zum anderen aber sind missionarische Religionen wie das Christentum und der Islam des Öfteren noch sehr unentschieden zwischen Toleranz und aggressiver Missionierung. Gerade in Zeiten der Verunsicherung kann dies zu noch mehr Grüppchenbildungen führen. Religiöse Identität wird jedenfalls nicht die Lösung von ethisch unreflektiertem Managergehabe sein, und wenn ich mir Führungspersönlichkeiten wünsche, dann nicht solche, die religiös sind, sondern solche, die ethisch durchdacht handeln.
Wenn man sich die Pro Ethik-Argumente anschaut, sind diese plausibler, aber nicht so, dass man von einem qualitativen Sprung reden könnte. Zumindest kann man doch plausibel finden, dass heterogene Lerngruppen mehr Anreize zur Integration bieten als homogene.
Insgesamt aber wird diese ganze Diskussion herrlich fantasielos geführt. Ethische Vorstellungen sind nicht nur Aufgabe der Schule. Sie sind auch Aufgabe von Massenmedien (bitte einmal Gelächter!) und Politik. Wie also Wertevermittlung zu verlaufen habe, wie sich demokratische Gesinnung und Druss, statt Verdruss an demokratischer Politik aufrecht erhalten lässt, ist nicht alleine Aufgabe der Schule, sondern der ganzen Gesellschaft.
Klare Argumentationen, Kenntnis der Religionen, Reflexion auf die Vernunft, scharfe Begriffe und scharfer Umgang mit Begriffen gehört dazu. Nicht das Wischiwaschi, das hüben wie drüben geliefert wird.
Ich bin für das Fach Ethik. Aber ich bin noch für wesentlich mehr.
Druss ist übrigens ein Wort, das es nicht gibt. Verdruss, mhd. verdrutz, leitet sich evtl. von trutzen (wehren) ab und könnte etwa einigeln bedeuten. Der indogerm. Wortstamm thrud bedeutet vermutlich belästigen. Das Wort drieszen, dreuszen kam im ahd. und mhd. gelegentlich vor, starb dann aber aus.
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