Gerade lese ich zur sogenannten Säkularisierungsdebatte, die das intellektuelle Leben der jungen Bundesrepublik stark beschäftigt hat. Der Hintergrund dieser Debatte ist nicht nur philosophisch, sondern auch zeitgeschichtlich spannend. Hier seien kurz einige Eckpunkte genannt: der Begriff der Säkularisierung wird prominent mit dem Westfälischen Frieden verbunden, der den Dreißigjährigen Krieg beendete. Gestritten wurde damals darum, ob die „Liquidation geistlicher Herrschaft“ rechtmäßig sei, bzw. wie diese Rechtmäßigkeit herzustellen sei. Dass dieses Datum für die junge Bundesrepublik noch einmal eine wichtige Auseinandersetzung anstieß, lag auch daran, dass durch Carl Schmitt Richtlinien für die Auseinandersetzung vorgegeben worden waren, die von einem demokratischen Staatsdenken nicht ungeprüft übernommen werden konnten.
Carl Schmitt schrieb nämlich:
Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.
Dabei schwankt der Satz zwischen deskriptiver und präskriptiver Wirkung, ist also entweder eine Feststellung oder eine Normierung. Oder eben vielleicht auch bewusst beides.
Dass man Carl Schmitt nicht unbedingt folgen wollte, ist verständlich. Schon als deskriptive Aussage kann diese Bauchschmerzen bereiten, ist doch ein Begriff durch eine klare Intension geprägt, also ahistorisch zu lesen. Verändert sich die Intension, hat man es mit einem anderen Begriff zu tun, selbst wenn dieser unter der gleichen Benennung genutzt wird. Einen kurzen Einblick in diese Debatte bieten Ernst Müller und Falko Schmieder in ihrem Buch Begriffsgeschichte und historische Semantik, wobei sie besonders auf Hans Blumenberg eingehen, der nicht als Staatsrechtstheoretiker, aber doch mit gewichtigen Argumenten beteiligt war.
Den beiden Autoren ist auch zu verdanken, dass ich Blumenbergs frühes Hauptwerk Die Legitimität der Neuzeit noch einmal anders lese, nämlich nicht als kritische Geschichtsschreibung, sondern als kritische Aktualisierung der Geschichte für aktuelle Diskussionen. Da ich weder Historiker noch Staatsrechtstheoretiker bin, fällt es mir schwer, ohne Hinweis solche Bezüge zu herzustellen. Umso dankbarer bin ich den beiden Autoren für ihr kluges und informatives Werk.
Nun kann man einen Teil der Debatte aus dem Internet ausgraben. Das ist angenehm. Was mich daran jenseits der damals herrschenden politischen Lager begeistert, das ist der hohe intellektuelle Anspruch, der an das Thema herangetragen wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir zum Beispiel ein Hermann Lübbe auf Dauer nicht zusagen wird. Schon in den Anfängen lässt er ahnen, dass er eine vorgeprägte, vermutlich rechtskonservativ-kirchliche Sicht auf die Ursachen des Nationalsozialismus hat. Ich halte diese Suche nach den Ursachen insoweit für sekundär, als die ethisch-politischen Implikationen aus dem Dritten Reich nur durch eine Verantwortung und damit durch einen Bruch mit dem schuldhaften Verhältnis (also gerade nicht einer Verdrängung oder Leugnung oder auch nur einem Absehen von der eigenen Verstricktheit) erfüllt werden können.
In gewisser Weise also reizt mich das Niveau, auch das Niveau der konservativen Denker.
Schaue ich mir dagegen an, was sich heute als Konservatismus präsentiert, so muss ich zunächst nicht Kritik an den vertretenen Werten üben, sondern an dem allzu erbärmlichen Niveau. Man hat sich ja viel über die Kyffhäuser-Rede von Gauland aufgeregt, insbesondere über seinen Satz, dass man auf die Leistungen der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg stolz sein dürfe. Nun ist das gerade keine Geschichtsklitterung, sondern ein als Patriotismus getarnter Zynismus. Ich weiß nicht, was das für eine Leistung sein soll, dass sich deutsche Soldaten für ein Unrechtsregime in einen mörderischen Krieg gestürzt haben und darin massenweise gestorben sind. Mitleid wäre hier das richtige Wort gewesen, Mitleid für die Verblendung, Mitleid auch für den Tod so vieler Deutscher.
Ein anderer Skandal aber ist, wie Gauland aus einem der größten deutschen Dichter, Heinrich Heine, einen Stammtischbruder und Stichwortgeber für sein eigenes, verängstigtes Weltbild macht. Es ist nun wahrlich keine Leistung, einzelne Sätze eines Werkes in die eine oder andere Richtung und vor allem zu seiner Bequemlichkeit hinzudrehen. Das schafft jeder Backfisch-Interpret. Das ist jeglichen intellektuellen Niveaus unwürdig, aber leider allgemein der Ton, mit dem Alexander Gauland auftritt und sich als guten Deutschen und rechtmäßig Konservativen feiern lässt. In Wahrheit hat er sich damit sogar aus den Ansprüchen konservativer Vordenker ausgeschlossen.
Wie sich die Nationalisten aus dem intellektuellen Zusammenhang heraustwittern, also gerade keinen neuen Rechtsintellektualismus betreiben, muss man dann kaum noch erklären. Der blinde Affekt siegt. Das Drumherum ist keine Diskussion und Argumentation mehr, sondern nur noch vernebelnde Suade. Die gehört aber nicht in den Bundestag, sondern in die Therapie.
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