Nun ist wohl auch der letzte der großen Strukturalisten tot, 100jährig wurde er, Claude Lévi-Strauss. Er war einer der ersten in der Riege einer Reihe von großen Wissenschaftlern, die mit dem unachtsamen Wort 'Strukturalist' belegt wurden.
Der Strukturalismus wurde von so illustren Namen mitgetragen wie Jacques Lacan, Roland Barthes, Michel Foucault, Louis Althusser, Jacques Derrida. Man kann weitere Autoren dazuzählen, den frühen Gilles Deleuze, Pierre Bourdieu, Julia Kristeva. Und doch keinen so richtig. Sagte nicht Jean Piaget, Foucault pflege einen Strukturalismus ohne Strukturen? Hatte nicht Barthes zu Zeiten, als der Strukturalismus 'en vogue' war, schon sein 'Le Plaisir du texte' geschrieben, die 'écriture courte' proklamiert?
Und überhaupt: war nicht auch Luhmann Strukturalist? Nein, sagt er, indem er den Kronzeugen des Strukturalismus, Claude Lévi-Strauss, verhört und ablehnt, siehe Soziale Systeme, S. 377-380.
Trotzdem gibt es doch einige recht faszinierende Ähnlichkeiten. Luhmann stützt sich auf das Kalkül von George Spencer Brown. Dieses lautet, in seiner ersten Anweisung: Triff eine Unterscheidung und markiere die eine Seite. Will man sich das plastisch vor Augen führen, dann trifft man zum Beispiel die Unterscheidung zwischen den Tischen und dem Rest der Welt (Jupiter-Monde und Apfeltörtchen) und gibt den Tischen den Namen Tisch. Damit ist die eine Seite durch den Namen markiert und auf der anderen Seite passiert alles übrige. So reduziert gesehen ist das Kalkül natürlich langweilig. Wir benutzen andauernd solche Unterscheidungen und verbinden diese zu den komplexen Formen, die uns das alltägliche Leben möglich machen.
Das Kalkül trifft nun in seiner 'Willkürlichkeit' auf das, was Lévi-Strauss über den Inzest schrieb:
Der Witz also ist sowohl beim mathematischen Kalkül des 'draw a distinction' als auch beim Lévi-Strauss'schen Inzestverbot, dass beide nicht reflexiv, sondern produktiv wirken. Das Inzestverbot hat den Inzest nicht verboten, aber es hat den Tauschhandel mit (Ehe-)Frauen ermöglicht.
Ganz in diesem Sinne ist die Macht bei Foucault nicht etwas, das bereits Bestehendes vernichtet (oder unterdrückt), sondern im Gegenteil produktiv. Die Psychoanalyse hat nicht ein unterdrücktes Unbewusstes entdeckt, müsste man sagen, sondern im Gegenteil eine neue Apparatur entwickelt, das Bewusstsein produktiv zu umgarnen (wie luzide anders Foucault damit umgeht, als manche Foucaultianer denken, mag man aus der längeren Passage zur Parapathologie ersehen, die ich hier zitiert habe).
Warum ich all das schreibe? Nun, nicht nur als Nachruf, sondern auch als Kommentar auf einen Nachruf, der von Daniel Haas auf Spiegel-Online erschien.
Dort sagt Haas, Lévi-Strauss "nutze" die Psychoanalyse und die Linguistik für eine "neue Wissenschaft". So kurz diese Aussage ist, so problematisch ist sie. Der Psychoanalyse hat Lévi-Strauss meines Wissens zeitlebens distanziert gegenüber gestanden. Und das nicht trotz seiner Freundschaft zu Jacques Lacan (von dem man sagt, er habe die strukturalistische Psychoanalyse 'erfunden'), sondern gerade wegen dieser Freundschaft.
Zudem ist der Strukturalismus kaum als Wissenschaft, sondern eher als Methode zu bezeichnen. Im Laufe seines Aufstiegs hat diese Methode zahlreiche Disziplinen befruchtet. Aber sie ist für sich selbst nichts abgegrenztes.
Daniel Haas schreibt weiter, Lévi-Strauss wendete dieses Verfahren erstmalig auf die Tropen an. Doch erstens erschien sechs Jahre vor dem Buch Traurige Tropen (Tristes tropiques) das eigentlich strukturalistische Buch Lévi-Strauss' - Les Structures élémentaires de la parenté. Keineswegs untersucht Lévi-Strauss hier "die" Tropen, sondern sog. 'primitive Völker' und die Regeln der Verwandtschaft, bzw. des Frauentausches. Zweitens kann man kaum ein Buch von Lévi-Strauss weniger strukturalistisch nennen als Traurige Tropen, ist dieses doch viel eher Reisebericht, Kulturkritik als alle anderen Bücher von ihm. Es beginnt mit den Worten
Schließlich, um ein letztes zu zitieren, in dem Haas deutlich schludrig vorgegangen ist. Das Totem, so sagt Haas, stehe in der Beziehung einer Differenz zu anderen Totems. Es habe keine metaphysische Orientierung. Nun behauptet Lévi-Strauss aber nicht, dass das Totem keine metaphysische Orientierung habe. Dies zu bezweifeln hieße, die ganze schamanistische Religion zu leugnen. Lévi-Strauss hat hier nur eine wesentlich andere Orientierung gesehen, was das Totem für den Wissenschaftler ist. Wie er in seinem Hauptwerk Mythologica untersucht, sind soziale Phänomene wesentlich eingebunden in zahlreiche Differenzen und Serien (grundlegend dafür aber: Das wilde Denken, S. 258ff.). Tatsächlich etablieren Totems eine Differenz, die deshalb 'funktioniert', weil sie gleichwertig ist und nicht verwechselt werden kann. Die Totems zweier Clans lassen sich nicht hierarchisch oder mimetisch anordnen. Damit steht die Struktur in gewisser Weise 'über' der metaphysischen Orientierung. Trotzdem glauben totemistische Gesellschaften nicht an die Differenz.
Wenn Haas schreibt:
Der Strukturalismus wurde von so illustren Namen mitgetragen wie Jacques Lacan, Roland Barthes, Michel Foucault, Louis Althusser, Jacques Derrida. Man kann weitere Autoren dazuzählen, den frühen Gilles Deleuze, Pierre Bourdieu, Julia Kristeva. Und doch keinen so richtig. Sagte nicht Jean Piaget, Foucault pflege einen Strukturalismus ohne Strukturen? Hatte nicht Barthes zu Zeiten, als der Strukturalismus 'en vogue' war, schon sein 'Le Plaisir du texte' geschrieben, die 'écriture courte' proklamiert?
Und überhaupt: war nicht auch Luhmann Strukturalist? Nein, sagt er, indem er den Kronzeugen des Strukturalismus, Claude Lévi-Strauss, verhört und ablehnt, siehe Soziale Systeme, S. 377-380.
Trotzdem gibt es doch einige recht faszinierende Ähnlichkeiten. Luhmann stützt sich auf das Kalkül von George Spencer Brown. Dieses lautet, in seiner ersten Anweisung: Triff eine Unterscheidung und markiere die eine Seite. Will man sich das plastisch vor Augen führen, dann trifft man zum Beispiel die Unterscheidung zwischen den Tischen und dem Rest der Welt (Jupiter-Monde und Apfeltörtchen) und gibt den Tischen den Namen Tisch. Damit ist die eine Seite durch den Namen markiert und auf der anderen Seite passiert alles übrige. So reduziert gesehen ist das Kalkül natürlich langweilig. Wir benutzen andauernd solche Unterscheidungen und verbinden diese zu den komplexen Formen, die uns das alltägliche Leben möglich machen.
Das Kalkül trifft nun in seiner 'Willkürlichkeit' auf das, was Lévi-Strauss über den Inzest schrieb:
La prohibition de l'inceste, comme l'exogamie qui est son expansion sociale élargie, est une règle de réciprocité. [...] Le contenu de la prohibition de l'inceste n'est pas épuisé dans le fait de la prohibition : celle-ci n'est instaurée que pour garantir et fonder, directement ou indirectement, immédiatement ou médiatement, un échange.Und genau so ermöglicht Browns 'distinction' nicht nur ein 'marking' (das Bezeichnen der einen Seite), sondern ein 'crossing' (das Überschreiten der Unterscheidung).
Lévi-Strauss, Claude: Les Structures élémentaires de la parenté, p. 64s.
Der Witz also ist sowohl beim mathematischen Kalkül des 'draw a distinction' als auch beim Lévi-Strauss'schen Inzestverbot, dass beide nicht reflexiv, sondern produktiv wirken. Das Inzestverbot hat den Inzest nicht verboten, aber es hat den Tauschhandel mit (Ehe-)Frauen ermöglicht.
Ganz in diesem Sinne ist die Macht bei Foucault nicht etwas, das bereits Bestehendes vernichtet (oder unterdrückt), sondern im Gegenteil produktiv. Die Psychoanalyse hat nicht ein unterdrücktes Unbewusstes entdeckt, müsste man sagen, sondern im Gegenteil eine neue Apparatur entwickelt, das Bewusstsein produktiv zu umgarnen (wie luzide anders Foucault damit umgeht, als manche Foucaultianer denken, mag man aus der längeren Passage zur Parapathologie ersehen, die ich hier zitiert habe).
Warum ich all das schreibe? Nun, nicht nur als Nachruf, sondern auch als Kommentar auf einen Nachruf, der von Daniel Haas auf Spiegel-Online erschien.
Dort sagt Haas, Lévi-Strauss "nutze" die Psychoanalyse und die Linguistik für eine "neue Wissenschaft". So kurz diese Aussage ist, so problematisch ist sie. Der Psychoanalyse hat Lévi-Strauss meines Wissens zeitlebens distanziert gegenüber gestanden. Und das nicht trotz seiner Freundschaft zu Jacques Lacan (von dem man sagt, er habe die strukturalistische Psychoanalyse 'erfunden'), sondern gerade wegen dieser Freundschaft.
Zudem ist der Strukturalismus kaum als Wissenschaft, sondern eher als Methode zu bezeichnen. Im Laufe seines Aufstiegs hat diese Methode zahlreiche Disziplinen befruchtet. Aber sie ist für sich selbst nichts abgegrenztes.
Daniel Haas schreibt weiter, Lévi-Strauss wendete dieses Verfahren erstmalig auf die Tropen an. Doch erstens erschien sechs Jahre vor dem Buch Traurige Tropen (Tristes tropiques) das eigentlich strukturalistische Buch Lévi-Strauss' - Les Structures élémentaires de la parenté. Keineswegs untersucht Lévi-Strauss hier "die" Tropen, sondern sog. 'primitive Völker' und die Regeln der Verwandtschaft, bzw. des Frauentausches. Zweitens kann man kaum ein Buch von Lévi-Strauss weniger strukturalistisch nennen als Traurige Tropen, ist dieses doch viel eher Reisebericht, Kulturkritik als alle anderen Bücher von ihm. Es beginnt mit den Worten
Ich verabscheue Reisen und Forschungsreisende. Trotzdem stehe ich im Begriff, über meine Expeditionen zu berichten.Auch biographisch ist Haas unsicher. Lévi-Strauss flüchtete zwar 1941 in die USA, nachdem die Vichy-Regierung 1940 ihre Rassengesetze erlassen hatte, doch schon 1944 kehrte er auf Bitten des französischen Außenministeriums zurück und war 1946-47 Kulturattaché der französischen Botschaft in den Vereinigten Staaten.
Schließlich, um ein letztes zu zitieren, in dem Haas deutlich schludrig vorgegangen ist. Das Totem, so sagt Haas, stehe in der Beziehung einer Differenz zu anderen Totems. Es habe keine metaphysische Orientierung. Nun behauptet Lévi-Strauss aber nicht, dass das Totem keine metaphysische Orientierung habe. Dies zu bezweifeln hieße, die ganze schamanistische Religion zu leugnen. Lévi-Strauss hat hier nur eine wesentlich andere Orientierung gesehen, was das Totem für den Wissenschaftler ist. Wie er in seinem Hauptwerk Mythologica untersucht, sind soziale Phänomene wesentlich eingebunden in zahlreiche Differenzen und Serien (grundlegend dafür aber: Das wilde Denken, S. 258ff.). Tatsächlich etablieren Totems eine Differenz, die deshalb 'funktioniert', weil sie gleichwertig ist und nicht verwechselt werden kann. Die Totems zweier Clans lassen sich nicht hierarchisch oder mimetisch anordnen. Damit steht die Struktur in gewisser Weise 'über' der metaphysischen Orientierung. Trotzdem glauben totemistische Gesellschaften nicht an die Differenz.
Wenn Haas schreibt:
Mit der Wahl eines bestimmten Totemtiers wolle eine Gemeinschaft vor allem Differenz herstellen zu anderen Gemeinschaften.dann ist dem entgegenzuhalten, dass eine totemistische Gemeinschaft sich gerade nicht an dieses Differenz ausprobiert hat, um sich zu unterscheiden, dass aber der Effekt natürlich ein Effekt der Unterscheidung ist. 'Draw a distinction' eben.
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