12.11.2009

deux manières d'être sublime

Die gegenwärtige Welt eröffnet uns einen so unermesslichen Schauplatz von Mannigfaltigkeit, Ordnung, Zweckmäßigkeit und Schönheit, man mag diese nun in der Unendlichkeit des Raumes, oder in der unbegrenzten Teilung desselben verfolgen, dass selbst nach den Kenntnissen, welche unser schwache Verstand davon hat erwerben können, alle Sprache, über so viele und unabsehlich große Wunder, ihren Nachdruck, alle Zahlen ihre Kraft zu messen, und Selbst unsere Gedanken alle Begrenzung vermissen, so, dass sich unser Urteil vom Ganzen in ein sprachloses, aber desto beredteres Erstaunen auflösen muss. Allerwärts sehen wir eine Kette der Wirkungen und Ursachen, von Zwecken und den Mitteln, Regelmäßigkeit im Entstehen oder Vergehen, und, indem nichts von selbst in den Zustand getreten ist, darin es sich befindet, so weist er immer weiter hin nach einem anderen Dinge, als seiner Ursache, welche gerade eben dieselbe weitere Nachfrage notwendig macht, so, dass auf solche Weise das ganze All im Abgrunde des Nichts versinken müsste, nähme man nicht etwas an, das außerhalb diesem unendlichen Zufälligen, für sich selbst ursprünglich und unabhängig bestehend, dasselbe hielte, und als die Ursache seines Ursprungs ihm zugleich seine Fortdauer sicherte.
Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft

Die Energie - und vor allem die sprachliche Energie - macht mich sprachlos: es ist für mich wie ein Zeichen von Wahnsinn.
Tatsächlich scheint mir, dass die Konversation den immerwährenden Charakter der Sprache vergegenwärtigt (ewige Anbetung): Kraft einer Form, auf der Ebene der Gattung: monströse Kraft, von der ich mich als einzelner ausgeschlossen fühle (es sei denn, ich machte mich selbst zum Schwätzer!). Um mich hingegen aus einer Situation herauszuziehen, mich zu retten, in der ich einem Gespräch ausgesetzt bin: nicht mehr zuhören, nur noch hören: es auf einer anderen Ebene als einen Romandialog, als ein Stück Sprechtheater aufnehmen, in künstlerischer Distanz zu mir. Deshalb ist die Konversation von Unbekannten (in einem Zug etwa) weniger ermüdend (für mich) als Gespräche von Freunden: Ich kann das Tableau von außen betrachten und dadurch mein Ausgeschlossensein wiedergewinnen.
Barthes, Roland: Das Neutrum

Zwei Arten, erhaben zu sein, um die Überschrift zu übersetzen.
Das Erstaunliche daran ist auch, dass nach neueren systemrelativen Zeitbegriffen die Zeit als eine Mannigfaltigkeit ansehen kann, in der Gegenwarten so lange andauern, wie diese wiederherstellbar sind. Erst wenn eine Gegenwart durch ein Ereignis irreversibel wird, wird sie Vergangenheit. Man kann nicht zweimal sterben. So durchkreuzen zahlreiche Gegenwarten unser Leben und muten uns zu, diejenigen auszuwählen, die wir durch Handlungen oder Gedanken in Vergangenheit verwandeln. Esse ich das Brötchen oder den Joghurt? Kaufe ich mir den Hegel oder den Derrida? Für die Semiologie formulierte ein Studienkollege den mit Zeichen überladenen Raum als erhaben. Für die Systemtheorie kann man die mit Gegenwarten durchsponnenen Systeme als erhaben bezeichnen.
Barthes Sprachlosigkeit kann man mit dem Eintritt in den Ödipus-Komplex parallelisieren. Sprachlosigkeit angesichts des Momentes, in dem dem Kind die Mutter nicht mehr ganz gehört. Zugleich ist dies der Beginn, in dem die Eigenmächtigkeit des Handelns in Erscheinung tritt, die Gedanken sich aus der Welt in den Kopf zurückziehen, die Welt beginnt, sich aus dem jungen Menschen zurückzuziehen und ihn azentrisch zu dem Geschehen zu positionieren. Wir erleben im beginnenden Ödipus-Komplex die Geburt des Erhabenen.


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