Metakognition ist eines meiner alten, hartnäckigen Themen. Sie zu durchdenken ein unendliches. In meinen Aufzeichnungen taucht sie regelmäßig auf, mal als Einschub, teilweise sehr ausführlich. Gerade das aber verweist darauf, wie breit angelegt man Metakognition denken kann. Sie wird gelegentlich als Allheilmittel propagiert, mal als reine Technik, mal als notwendiger Zusatz. Ich möchte aber behaupten, dass dieser Begriff weder eine scharfe Abgrenzung noch eine große Tiefe besitzt und deshalb eher als ein Hinweis verstanden werden muss, auf bestimmte Art und Weise seine / ihre Perspektive zu wechseln. Dieser Unschärfe geschuldet beschränke ich mich auf eine Reihe provisorischer Beobachtungen. Sie sind als Denkanstöße zu betrachten.
Gebiete der Metakognition
Ich schreibe ab, von älteren Notizen, ohne auf irgend eine Vollständigkeit zu pochen. Metakognition ist
- Wissen von kognitiven Prozessen (und selbstverständlich von deren Elementen)
- Wissensoptimierung
- Bewussthalten vorbewusster und automatisierter Denkprozesse
- gehört zum fluiden Wissen
Automatisierung und Gedächtnis
Das Gehirn ist ein ökonomisches Organ. Häufig genutzte Handlungsfolgen, aber auch häufig genutzte Denkprozesse werden automatisiert. Teilweise werden sie mit einer solchen Sicherheit versehen, dass sie zwar ablaufen, aber wir das nicht mehr bewusst wahrnehmen. In der Psychologie spricht man von einer Überautomatisierung.
Unsere Kultur nutzt solche Überautomatisierungen, wie zum Beispiel beim Rechnen. Die Kinder haben teilweise große Probleme, in den Zahlenraum denkerisch einzufinden; doch irgendwann stellen wir dann fest, dass wir sehr automatisch Aufgaben wie 43 + 86 rechnen können, ohne uns wirklich darüber bewusst zu sein, was wir dabei alles tun. Unsere Fähigkeit bleibt, in einem solchen automatisierten Zustand, vorbewusst; besser müsste man hier sagen: nachbewusst. Denn was einmal aufregend und neu war, versinkt in die Hefe des Gewöhnlichen.
Die Metakognition hat unter anderem zur Aufgabe, diese vorbewussten und automatisierten Denkprozesse zugänglich zu halten, damit man nicht Lösungen auf Probleme anwendet, die in Wirklichkeit nichts miteinander zu tun haben. In diesem Fall ist die Metakognition ein Problematisieren-können. Sie leistet der Ökonomie des Gedächtnisses Widerstand.
Auf diesen Aspekt der Metakognition weisen Kaiser et al. in ihrem Buch Metakognition: Die Neue Didaktik nicht hin. Problematisieren dagegen ist ein wichtiger Aspekt kritischer Arbeit; und insofern die kritische Arbeit auch Reflexion ist, diese aber wieder ein wichtiger Aspekt der Metakognition, offenbart sich hier eine Nachlässigkeit der Autor*innen. Die „Neue Didaktik“ bezieht sich auf problemhaltiges Lernmaterial. So wichtig das ist, so schwierig ist die daraus zu folgernde Schlussfolgerung, dass die Problemhaltigkeit offen zutage treten muss. Das Gegenteil kann der Fall sein.
Emotionale Kompetenz
Ebenso leichtsinnig ist die ebenfalls nur durch die Darstellung behauptete Verknüpfung der Metakognition mit der Kognition. Die Kognition wird gerne als der „rationale“ Teil des Denkens bezeichnet. Er umfasst zum Beispiel die Musterbildung bei der Wahrnehmung, die Begriffsbildung, Problemlösestrategien (selbstverständlich nur die rationalen), und dergleichen mehr.
Dabei wird aber vergessen, dass sich das Denken nicht nur aus kognitiven Abfolgen zusammensetzt, sondern selbstverständlich dabei immer Emotionen im Spiel sind. Bedenkt man, dass ein wichtiger Bestandteil der Metakognition die metakognitiven Strategien sind, findet man dazu ein passendes Gegenstück in den evolutionären Zwecken der Gefühle. Dies hat Plutchik in seinem Buch über Emotionen deutlich beschrieben.
Es ist dementsprechend unsinnig, die emotionale Färbung unseres Denkens in der metakognitiven Praxis unbeachtet zu lassen. Sie muss – und dies hat die populärwissenschaftliche Literatur der letzten zwanzig Jahre wenn auch oft nur in bescheidenem Maße herausgestellt – als emotionale Kompetenz in die metakognitiven Kompetenzen einfließen.
Mit anderen Worten: die Metakognition muss alle Aspekte des Denkens umfassen, nicht nur die kognitiven Muster. Dies sind, in Kürze gesagt, alle Bedürfnisse, Emotionen, Aufmerksamkeitsformen, Motivationstypen und der immer noch recht stiefmütterlich behandelte Teil der Motivation: die Volition, bzw. die Willensbildung.
Fluides Denken
Das fluide Denken – oft auch unter dem Begriff „laterales Denken“ bekannt – umfasst ebenfalls mehrere Aspekte. Es bezeichnet die Fähigkeit, Alternativen zu bilden, Umwege und Abweichungen einzuplanen, mehrere Strategien nebeneinander zu legen, Sachverhalte auf ungewöhnliche Art und Weise zu behandeln oder darzustellen. Bezieht man dies auf ein klassischeres Gebiet der kognitiven Psychologie, so wird man am deutlichsten – wenn auch nicht nur – bei der Analogiebildung fündig.
Die kognitive Psychologie bezeichnet damit eine der zwei Gebiete des Problemlösens. Das andere ist die Mittel-Ziel-Analyse.
Die Analogiebildung besteht nun darin, zwei Muster zu vergleichen und die Gleichheiten und Abweichungen für weitere Denkprozesse „auszunutzen“.
In gewisser Weise nutzt das fluide Denken vor allem frühkindliche Muster des Welterkennens, wie
- die Übergeneralisierung (d. h. in der Logik die Extrapolation, die ungebührliche Hervorhebung bestimmter Merkmale wie zum Beispiel in der Karikatur),
- die Konkretion (d. h. das materielle Darstellen nicht-materieller Vorgänge; so zum Beispiel in Ablaufplänen für Denkprozesse),
- die Abstraktion (das zum Teil zufällige und irrationale Weglassen von Merkmalen) oder
- das experimentelle Spiel (also das ungewöhnliche, überraschende Zusammenbringen von Phänomenen und Sachverhalten).
Metakognition und metakognitive Kompetenz
In der ganzen Diskussion um Metakognition und metakognitive Kompetenz schleicht sich eine unklare Trennung zwischen diesen beiden Begriffen ein. Metakognition, so sollte man meinen, ist die Bezeichnung für das Gebiet, den Forschungsbereich; die metakognitive Kompetenz dagegen sei die Fähigkeit eines Menschen, entsprechende Verhaltensweisen zu zeigen.
Wir müssen dabei davon ausgehen, dass ein Mensch durchaus hohe metakognitive Kompetenzen zeigen kann, ohne das gesamte Gebiet zu kennen. Ein Forschungsbereich unterliegt anderen Bewertungsmaßstäben als Verhaltensweisen. Stützen lässt sich diese Kluft auch dadurch, dass selbst kleine Kinder schon über ihr Denken nachdenken, und dass selbst erfahrene und lebenskluge Menschen unbedachte Sachen sagen können.
Viel wichtiger aber ist, dass wir uns darüber bewusst werden, dass wir das Forschungsgebiet nicht als Norm in einen Menschen hineinapplizieren können; und dass wir umgekehrt auch immer wieder bereit sein müssen, uns von Menschen überraschen zu lassen, selbst jenen, die von der Metakognition noch nie etwas gehört haben.
Immer wieder erinnere ich mich gerne an jenen Mann und jenes von mir unfreiwillig mitgehörte Telefonat, während dem dieser sagte: „Ich weiß, dass das nicht richtig ist, aber ich fühle mich so.“ In diesem Satz steckt ein großes Stück der Weisheit drinnen, den uns die Metakognition allzu häufig durch lange Listen, Strategiefragen, mehr oder weniger umständliche Grafiken oder pompös untermauerte Forschungen beibringen möchte.
Normierungen
Liest man sich Texte über die Metakognition und vor allem deren Umsetzung in die Praxis durch, fällt einem recht rasch auf, dass diese von mehr oder weniger sinnvollen Rastern durchzogen werden, an denen die Denkprozesse gemessen und beurteilt werden. Es sind, kurz gesagt, Normierungen. Daraus ergibt sich eine überraschende Nähe zur Logik, so wie Immanuel Kant sie begreift:
Wir wollen in der Logik nicht wissen: wie der Verstand ist und denkt und wie er bisher im Denken verfahren ist, sondern wie er im Denken verfahren sollte. Sie soll uns den richtigen, d. h. den mit sich selbst übereinstimmenden Gebrauch des Verstandes lehren.Kant, Immanuel: Logik. in ders.: Werkausgabe Bd. VI, S. 435
Freilich gehört dazu immer die Überprüfung, sei es in der Metakognition, sei es in der Logik kantscher Provenienz, wie das aktuelle Denken verläuft und inwiefern es von diesen Normierungen abweicht.
Doch darauf möchte ich nicht hinweisen. Vielmehr finde ich bezeichnend, dass die Metakognition auf eine Anpassung des Denkens hinausläuft. Sie ist, zunächst, keine Befreiung des Denkens, sondern versieht dieses mit teilweise sehr harten Auflagen und Disziplinierungen.
Nun könnte man meinen, dass damit die Metakognition als ideologisches Herrschaftsverhältnis entlarvt sei.
Dagegen sprechen allerdings zwei Aspekte. Erstens ist derjenige, der sein Denken reflektieren und steuern kann, besser in der Lage, dieses mit einem „Rückgrat“ zu versehen und sich nicht durch eilfertig herbeigebrachte neue Reize von seinen Vorhaben abbringen zu lassen. Zweitens bietet der Erwerb metakognitiver Kompetenzen eine ganze Reihe an sich mal weniger, mal mehr widersprechende Modelle an, teilweise auch völlig losgelöste, „nomadisierende“ Denkmuster; sodass hier immer wieder Ausweichbewegungen und zum Teil auch ein nicht in den Griff zu kriegendes „Wuchern“ stattfinden kann. Mit anderen Worten: so disziplinierend die Lehre metakognitiver Techniken in einzelnen Phasen auch sein kann, so viel kritisches Potenzial kann sie im Gesamt entfalten.
In den vielen Modellen, die die Psychologie, das Coaching, die Kulturwissenschaften, die Therapeutik, die Ethnologie und die Ethologie, die Geschichtswissenschaften und sogar die Astrologie bieten, um über die Bedingung des Menschen, seiner Kultur und seines Denkens nachzudenken, steckt keine disziplinierende Einheit, sondern geradezu eine bezaubernde und unbeherrschte Buntheit.
Was die „nomadisierenden“ Denkmuster betrifft, so sei nur an den großartigen deBono erinnert. Edward deBono stellt immer wieder bestimmte, höchst abstrakte kleine Werkzeuge in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, die er dann in seinem CORT-Programm zusammengefasst hat (welches mir allerdings unbekannt ist).
Ein solches Muster ist das PMI. Dieses besteht aus einer Tabelle mit drei Spalten, deren erste mit plus (positiv), die zweite mit minus (negativ) und die dritte mit interessant (offen, unentschieden) überschrieben ist. Hier schreibt man, bezüglich eines Erlebnisses, eines Unterrichts, eines Gesprächs, eines Meetings, eines Themas, eines Buches, und dergleichen mehr, alle Gedanken auf, die einem dazu einfallen, teilt diese aber in die entsprechenden Spalten auf.
Viel wichtiger als die konkrete Tätigkeit ist allerdings, dass man sich dieses Muster als Denkraster nach und nach zu eigen macht und schließlich auf das Aufschreiben sogar verzichten kann. Es heftet sich dann relativ automatisch an alle möglichen Begebenheiten. Es ist, wie ich oben bereits zum Rechnen geschrieben habe, überautomatisiert. Es ist Teil unserer Art und Weise zu denken geworden. Zu diesem Lernprozess gehört, dieses Schema eine Zeit lang schriftlich zu fixieren.
Aber noch wichtiger als dieses eine Muster zu nutzen, ist, mehrere dieser Muster vorrätig zu halten. Für sein eigenes Programm hat deBono, wenn ich mich recht entsinne, 64 Muster zusammengestellt. Man kann sich aber auch solche kleinen Denkmuster selbst erfinden, bzw. diese aus allen möglichen Anleitungen heraussuchen, psychologischen Modellen zum Beispiel, nützlich sind hier auch gewisse Schreibratgeber oder Artikel zur Lebenshilfe. Gerade auch Artikel zur Lebenshilfe sind eine ganz wichtige Fundgrube; und ich sage dies vor allem auch mit dem Hintergrund, dass ich solche Artikel ansonsten für recht überflüssig erachte.
Die Muster allerdings, die man daraus hervorbringen kann, sind nichts anderes als kleine Werkzeuge, die nicht besser und nicht schlechter als andere Muster unseres Denkens sind, mit dem einzigen Unterschied, dass wir sie uns bewusst anerzogenen haben und dadurch auch relativ bewusst auf sie reflektieren können. (Siehe dazu als Beispiel eines von mir selbst entworfenen Musters: SWEN.)
Temporalisierung
Ein anderes grundlegendes Problem ist und bleibt die Trennung zwischen Kognition und Metakognition. Genauso, wie Metakommunikation Kommunikation ist, die sich auf andere Kommunikation bezieht, so ist Metakognition grundlegend zunächst einmal eines: Kognition. In der klassischen Logik geraten wir dabei in einen unendlichen Regress. Sinnvollerweise wurde dieser unendlichen Regress zwar nicht als unmöglich, aber zumindest als eine äußerst schwache, weil nie zu Ende zu bringende Form der Reflexion bezeichnet. Denn wir könnten uns natürlich genauso wieder über die Metakognition Gedanken machen, gerieten so in eine Meta-Meta-Kognition, die wiederum für eine Metakognition bereit stünde, und so fort, ohne dass ein Ende abzusehen wäre.
Nun hat die modernere Logik, gestützt auf die Evolutionstheorie, eine andere Möglichkeit entdeckt, aus diesem Spiel auszusteigen: durch die Temporalisierung. Die Temporalisierung vermeidet die Paradoxie nicht, dass sich die Metakognition auf sich selbst beziehen könnte, sondern stellt schlichtweg fest, dass sich die derzeitige Metakognition immer auf eine vorzeitige Kognition bezieht, selbst wenn sie diese dann in die Zukunft projiziert, um Lösungswege zu planen. Die einzelnen Elemente dieses Lösungsweges und Erfahrungen mit solchen Planungen müssen immer schon in der Vergangenheit gesammelt worden sein und in der Gegenwart, in der ich meine metakognitiven Kompetenzen anwende, bekannt sein.
Alles weitere, die endgültige Qualität einer metakognitiven Planung, Steuerung und Kontrolle der Denkstrategien überlässt man dann einfach auch den Zufälligkeiten ihres Erfolges, und nimmt sozusagen die Beulen und Kratzer in Kauf, die auch die schönste Planung in ihrer Ausführung erfahren muss.
Ich will damit nicht gegen metakognitive Fertigkeiten sprechen, auch nicht gegen die zum Teil erstaunlichen Ergebnisse, die metakognitive Trainings bewirken; aber vor einem Allmachtsglauben warne ich. Am Ende gibt es auch noch in jedem so umsichtigen Projekt größere oder kleinere blinde Flecken. Sie stammen nicht nur aus den nicht vorherzusehenden Bewegungen, denen jedes Projekt in der Realität ausgesetzt ist, sondern eben auch aus dem fruchtlosen Bemühen, etwas wirklich zu Ende denken zu können.
Ästhetische Techniken
Zum Schluss sei noch einmal darauf hingewiesen, dass jede metakognitive Fähigkeit darauf angewiesen ist, die Wirklichkeit gut zu beschreiben. Deshalb gehören sinnvollerweise zu diesen Fähigkeiten auch Techniken, den ersten Eindruck zu hinterfragen. Dafür sind klassischerweise ästhetische Techniken zuständig. Sie bilden nicht nur das fachliche Feld ab, sondern reduzieren es, verfremden es, reichern es mit neuen Perspektiven oder mehr oder weniger zufälligen Elemente an; sie bilden, wenn auch nicht in der Form großer ästhetischer Strömungen (Naturalismus, Impressionismus, Kubismus, etc.), so doch im kleinen eine enge Verknüpfung zwischen ästhetischer Form, ästhetischer Technik und der Grundlage (dem sogenannten Original).
Dies gilt auch für die Metakognition selbst. Indem ich die Kognition zu denken lerne, mache ich sie erkennbar, und indem ich sie erkennbar mache, mache ich sie einer ästhetischen Praxis zugänglich. Dies allerdings ist ein weites Feld – und man verzeihe mir, wenn ich mir die Unkenrufe verbitte, dies habe der Vater von Effi Briest genauso gesagt, um daraufhin ja nicht weiter zu denken.
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