Dieses Buch kommt daher wie eine klassische Vorlage für eine ›Guter Zwilling, böser Zwilling‹-Geschichte. Es vereint längst überfällige Themen in der deutschsprachigen Didaktikforschung mit einer teilweise nur noch beleidigenden Arroganz.
Metakognition, so das Hauptschlagwort, kann man in Kurzfassung als »Das Denken lernen und das Lernen denken« bezeichnen. Diesen Blick auf sich selbst als Lernenden darf man getrost als Kind der europäischen Aufklärung bezeichnen, auch wenn es hier keine klaren historischen und kulturellen Grenzen gab und gibt. Mittlerweile haben vielerlei Untersuchungen der letzten fünfzig Jahre immer wieder die Wichtigkeit dieses Aspekts beim Lernen hervorgehoben. Die Arbeiten im englischsprachigen Raum dazu sind nicht mehr zu überblicken, die kulturhistorischen Studien zu Notizbüchern, Tagebüchern, Aufzeichnungssystemen, usw. – ein Teilaspekt der Metakognition – auch im europäischen Raum ein wichtiges Forschungsgebiet, allerdings vor allem in den Kulturwissenschaften.
Neu an dieser Neuen Didaktik, wie der zweite Teil des Titels behauptet, ist demnach gar nichts. Unbeachtet, wenig systematisiert, immer wieder in Vergessenheit geratend, das ja.
Was aber leistet dieses Buch im positiven Sinne?
Es stellt ein Konzept, und ein recht verbreitetes Konzept der Metakognition vor, überträgt dieses in die Unterrichtsplanung und die Diagnose, bzw. Dialogisierung von Lernprozessen, um dann schließlich in drei umfassenden Kapiteln auf grundlegende Kulturtechniken einzugehen: das Textverstehen - einem allgemein dem Unterricht zugehörigen Gebiet -, das Bildverstehen - besser verstanden als Verstehen von Schaubildern und Diagrammen und weniger als Verstehen künstlerischer Werke - und die Zahl als Trägerin von Informationen. Die Ausrichtung fokussiert also den sachkundlichen, insbesondere aber den naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterricht. Ziel des Buches ist dabei, dem Lernenden zu ermöglichen, sich selbst als Informationsverarbeiter zu verstehen und Einsicht in die eigenen Lernprozesse zu bekommen. Ziel ist auch, dass der Lernende seine Lernprozesse effizienter steuern kann.
Dazu vermittelt das Buch Strategien und Techniken. Viele Techniken sind, wie gesagt, nicht so neu. Die Abgrenzung gegen andere pädagogische Strömungen, die die Autor*innen auf Seite 21 bieten, ist ein Affront, und wird durch die längere kritische Auseinandersetzung der Autor*innen, die online zur Verfügung steht, nicht besser, sondern schlimmer. Konterkariert wird diese vermeintliche Abgrenzung durch Aussagen wie: »Soweit unterscheidet sich herkömmlicher Unterricht bzw. dessen Planung noch nicht von metakognitiv fundiertem Unterricht.« (Seite 98)
Auch was hier hinzugefügt wird, habe ich bei vielen „klassischen“ Pädagog*innen als eine Selbstverständlichkeit erlebt: die scheinbar stoffgeprägte Vermittlung des klassischen Unterrichts, den die Autor*innen hier suggerieren, existiert möglicherweise in Einzelfällen, ist aber durchaus keine häufige oder gängige, zumal nicht in der Grundschule. Hier werden immer auch Arbeitstechniken, also Lernstrategien, beigebracht; und natürlich wird mit den Kindern über Lernwege und Denkwege diskutiert. Der scharfe Bruch existiert also nicht. Es fehlt lediglich, so schrieb ich bereits oben, die strengere systematische Beachtung metakognitiver Prozesse. Es fehlt die Fokussierung auf diese Prozesse; und diesem Mangel - in der Gewichtung, nicht im Vorhandensein - behilft dieses Buch.
Auf der einen Seite hätte ich mir dieses Buch schon vor zehn Jahren gewünscht, als für mich deutlich geworden ist, welche wichtige Rolle Metakognition beim Unterrichten spielt. Ich hätte, bei aller Kritik an diesem Buch, auch zahlreiche sehr vernünftige, teilweise geradezu imponierende Argumente gefunden, um meine eher gefühlte Überzeugung wissenschaftlich zu fundieren. Auf der anderen Seite aber hat es mir stellenweise einige Mühe genug gekostet, über all die arroganten Verkennungen hinwegzulesen. Hier hätte ich mir mehr positive Anknüpfungspunkte an die pädagogische Tradition gewünscht, mehr Bezüge zu dem Begriff des »Lernen lernen« oder Hinweise darauf, dass die Technik des »Lauten Denkens« seit achtzig Jahren in der kulturhistorischen Schule eine wichtige Rolle spielt und von Galperin für die Pädagogik systematisch ausgearbeitet wurde.
Damit ist auch klar, welche Empfehlung ich für dieses Buch aussprechen muss: auf der einen Seite ein eindeutiges Ja; bei den zunehmend unübersichtlich gewordenen Wissensbeständen, bei dem Ineinander von behaupteten und tatsächlich überprüfbaren Fakten, bei der Herausforderung, Lernen als lebenslangen und ökologischen Prozess zu verstehen, bei alldem spielen die metakognitiven Kompetenzen eine zentrale Rolle und müssen deshalb auch einen zentralen Platz in unserer Aufmerksamkeit und in der pädagogischen Lehr-/Lernforschung bekommen. Auf der anderen Seite kann ich aber auch all diejenigen Leser*innen verstehen, die dieses Buch als Zumutung sehen. Ich empfehle es trotzdem, und empfehle zugleich, all die Stellen zu missachten, die mit der direkten Vermittlung der Metakognition nichts zu tun haben, die abgrenzend vorgehen, wo es keine Abgrenzung gibt, die Unterschiede behaupten, wo viele Gleichheiten mit lediglich einer anderen Gewichtung vorhanden sind, usw. Dann müsste das Buch von seiner frohen Werbebotschaft – und mehr ist es auch gar nicht –, dass es alles neu erschafft, Abstand nehmen, und es fiele leichter, seinen wirklichen Nutzen zu erkennen. Dieser ist positiv genug, um das Buch ohne Zögern zu empfehlen.
06.01.2019
Metakognition: Die Neue Didaktik
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