18.06.2012

Sklavenhaltung in Deutschland

Manchmal ist es bedrückend, was sogar noch in Deutschland passiert. Vorhin bekam ich den Anruf von einer Frau, die wissen wollte, ob sie in einem bestimmten Fall zur Polizei gehen solle. Hintergrund ist folgender: in der Nachbarwohnung lebt ein Ehepaar, der Mann wohl Alkoholiker, die Frau (so erzählte mir die Anruferin) sehr naiv (man könnte eine Lernbehinderung vermuten). Gestern, so erzählte die Anruferin, hätte es mal wieder einen furchtbaren Streit gegeben, der lautstärkemäßig vor allem vom Mann geführt wird. Später habe sie die Frau im Flur getroffen, mit sichtbaren Blessuren und humpelnd.
Die Nachbarin wusste auch, dass die Frau nur für den Einkauf die Wohnung verlassen darf und kein eigenes Geld zur Verfügung hat (zum Beispiel für die notwendigste Kleidung).

Eigentlich dürfte man hier überhaupt nicht zögern. Solche Fälle sind einfach zu eindeutig, um hier nicht die Polizei zu rufen.
Was mich daran so entsetzt, ist, dass so etwas in Deutschland immer noch möglich ist. Und leider weiß ich aus meiner Erfahrung als Kommunikationstrainer auf einer Mehrwertnummer-Hotline (zum allgemeinen Verständnis: Astro- und Sexhotlines), wie prekär die Lage mancher Ehepartner ist. Es gibt auch Männer, die sehr unter ihren Frauen leiden und es mag sein, dass hier eine wesentlich größere Dunkelziffer besteht, da Männer eher dazu neigen, ihre Hilflosigkeit in sich selbst zu vergraben. Doch meine meisten Problemfälle (98 %) waren Frauen. 
Übrigens musste ich meinen Kartenlegerinnen und Astrologinnen auch erstmal beibringen, dass sie in bestimmten Fällen die Kundinnen einfach dazu anleiten müssen, zur Polizei zu gehen. Alle Beschwichtigungsversuche bei Gewalt in der Ehe sind nur das Einverständnis mit einer Straftat. Und das kann nicht sein.

Was mich weiterhin entsetzt, ist die Unsicherheit der Nachbarin, ob sie sich hier einmischen soll.
Natürlich soll sie! Sie muss ja nicht selbst dazwischengehen, sondern nur die Polizei rufen.

Im übrigen darf man, selbst wenn man hilft, keine Dankbarkeit erwarten. Opfer ehelicher Gewalt driften häufig in eine Gewohnheitsabhängigkeit hinein, die mögliche (bessere) Alternativen ausblendet. Solche Alternativen werden manchmal alleine deshalb nicht gesehen, weil die Erkenntnis, zehn Jahre seines Lebens (manchmal noch länger) mehr oder weniger als Sklavin eines völlig rücksichtslosen Mannes gelebt zu haben, zu schmerzhaft ist, um ertragen werden zu können.
Oftmals richtet sich die Wut der Erkenntnis dann gegen jene, die den Missstand aufgedeckt haben.

Und wie bin ich zu diesem Anruf gekommen? Die Anruferin hatte sich mein Buch über ›Emotionale Manipulation‹ gekauft. Dabei war sie zum ersten Mal auf die Idee gekommen, dass ihre Nachbarn vielleicht eine etwas zu befremdliche Beziehung führen. Sie hat mich kontaktiert, um sich abzusichern.

Ein kleiner Nachtrag für alle unsere besserwissenden Maskulinisten:
Ja, es gibt auch Gewalt gegen Männer durch ihre Ehefrauen. Nein, der Feminismus ist keine Pseudotheorie, die den Frauen alle Rechte der Welt zuschaufelt. Und es gibt von dieser Seite aus auch (meines Wissens) keine Argumentationen, die die Gewalt gegen Männer rechtfertigen.
Es lohnt sich also nicht, dumme oder anfeindende Kommentare zu hinterlassen, wie einseitig mein Artikel wäre und dass die Frauen doch (sozial oder biologisch) an ihrer Lage schuld seien.

2 Kommentare :

Sakura hat gesagt…

Du hast vollkommen recht, Gewalt kann man überhaupt nicht rechtfertigen, weder gegen Frauen noch gegen Männer. Ich finde es auch gut, dass Du die Zwangslage der betroffenen Frauen ansprichst, häufig urteilen Außenstehende nur nach ihren Erfahrungswerten und vergessen dabei, dass die Psyche der unterdrückten Frauen sich während Verbaler und körperlicher Gewalt, Gewaltandrohungen und dem Erleben von Lebensgefährlichen oder verletzenden Szenen stark verändert. Erinnert sei hier an das "Stockholm-Sydrom", welches als Beispiel für die mentale Abhängigkeit der Opfer vom Täter herangezogen werden kann. Auch sind die Ausbrüche oft von scheinbaren Ruhephasen unterbrochen, die Betroffenen glauben an eine Verbesserung der Situation, wenn sie a) ein Druckmittel für befristete Zeit wirksam werden lassen können b) wegen sichtbarer Blessuren oder Nachfragen eine Hemmung vor der nächsten Attacke beim Täter entsteht oder c) sie an das Gewissen des Täters appellieren konnten. Der Gedanke an eine Bloßstellung der Privatsphäre und auch die Verflechtungen von Kindesinteressen spielen sicher oft eine Rolle bei einer Vertuschung solcher Zwangslagen. Ein interessanter Artikel! LG Silvia

Frederik Weitz hat gesagt…

Ja. Und häufig leiden die Opfer noch Jahre später unter Schuldgefühlen und fragen sich, ob sie es nicht doch besser hätten aushalten sollen. Ich kann nur aus eigener Erfahrung mit einer gewalttätigen Frau sagen: nein, nicht wirklich.