30.06.2012

Adorno und die Müdigkeit

Sollte eigentlich nicht so sein: dass man bei der Arbeit mit Adorno von einer fast existenziellen Müdigkeit befallen wird. Trotzdem ist das bei mir heute so. Ich habe mich einer unliebsamen Aufgabe gewidmet, die nur Linguisten einfallen kann: ich habe intensiver zu den logischen Strukturen und zur Begriffsverwendung Kommentare verfasst, vor allem zu den ersten 15 Seiten der Minima Moralia. Wie immer bei solchen Arbeiten liegt mein geliebter Polenz (Deutsche Satzsemantik, Berlin 1988) offen dabei, obwohl dieses Buch für mich nach und nach seinen Wert verliert.
In vielem kann ich Polenz mittlerweile nicht mehr folgen, bzw. geht er mir nicht genügend auf meine Bedürfnisse ein: so habe ich heute auch Übergänge zwischen Satzverknüpfungen bei Adorno untersucht, zum Beispiel zwischen kopulativen und disjunktiven, die in das rhetorisch-logische Arsenal von Adorno grundlegend dazugehören (eine Übersicht über diese semantischen Klassen findet ihr hier: semantische Klassen). Zu diesen Aspekten sagt Polenz überhaupt nichts. Er liefert hier grundlegende Werkzeuge (weshalb ich ihn immer noch gut finde), aber keine weitergehenden Erläuterungen, die in Richtung Argumentation oder Narration gehen.
Am wichtigsten sind (bei Adorno) die explikativen Verknüpfungen. Adorno spezifiziert immer soweit, dass er einen modernen Archetypus herauskristallisiert. Dies wird zum Beispiel besonders deutlich in seinem Fragment "Fisch im Wasser" (Minima Moralia, 23-25), wo er die Händlerqualitäten der Beziehungsverwalter angreift und deren Instrumentalisierung und Selbstinstrumentalisierung er als reaktionär und gewissenlos, aber gewissenlos auf selbstverblendete Art und Weise, brandmarkt. Solche Beziehungsverwalter werden dadurch zu Archetypen einer postkapitalistischen Gesellschaft.
Es ist auch klar, dass die explikativen Verknüpfungen generell in einem philosophischen Text einen wichtigen Raum einnehmen: sie dienen der Definition auf der einen Seite und der Erläuterung des Begriffsgebrauchs auf der anderen Seite, sind also zentrale Elemente des wissenschaftlichen und philologischen Arbeitens. Auffällig bei Adorno ist jedoch, dass diese explikativen Verknüpfungen häufig wertend sind und häufig auch mit einer Geisteshaltung oder einer Emotion konnotiert oder denotiert sind (besonders häufig sind Wörter aus dem Bereich von Wut und Angst).
Diese explikativen Verknüpfungen führen bei Adorno oft zu einer Fallunterscheidung, die entweder komitativ (miteinander geschehend) oder disjunktiv (trennend) ist, wobei sich diese beiden Arten der Verknüpfung rein semantisch nicht gut trennen lassen. So schreibt Adorno in seinem ersten Fragment "Für Marcel Proust" vom materiell Unabhängigen, der einen intellektuellen Beruf ergreift und nicht der Arbeitsteilung des Geistes gehorcht. Damit wird der Status solcher Intellektueller fraglich: sie gehorchen nicht der Departementalisierung des Geistes. Andererseits funktioniert die Verteidigung der intellektuellen Arbeitsteilung nur, wenn man mit dem Finger auf solche Dilettanten zeigen kann. Die Trennung des Berufsgelehrtentums, dem Adorno ein Einverständnis mit der geistlosen Geistigkeit unterstellt, von dem grenzüberschreitenden Müßiggänger, der sich von der Notwendigkeit des Geldverdienens nicht verschandeln lässt, ist nicht so vollständig, dass man hier zwei verschiedene Typen vermuten darf, die ohne Beziehung nebeneinander herleben. Vielmehr gibt es hier so etwas wie logische Schichten: oberflächlich gesehen ist der Berufsintellektuelle mit dem versierten Dilettanten nicht zu vergleichen; eine solche Beziehung stellt sich disjunktiv dar. Beim zweiten Blick allerdings wird diese Beziehung komitativ: die Arbeitsteilung des Geistes und die Missachtung dieser Arbeitsteilung sind zwei Seiten derselben Medaille. Semantisch gesehen verbindet Adorno zwei semantische Verknüpfungen situativ, die durch die Brille einer formalen Logik nicht miteinander verknüpft werden dürften.

Besonders schön (und darum kreist mein derzeitiges Arbeiten auch) sind die Passagen über Schein und Ausdruck in der Ästhetischen Theorie, die mir für Adornos Denken im wesentlichen auch methodische Aussagen zu sein scheinen.

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