Ich trat in ein Wachskabinett; die Gesellschaft des Potentaten sah sehr liederlich und vernachlässigt aus, es war eine erschreckende Einsamkeit, und ich eilte durch sie hin in einen abgeschlossenen Raum, wo eine anatomische Sammlung zu sehen war. Da fand man fast alle Teile des menschlichen Körpers künstlich in Wachs nachgebildet, die meisten in kranken, schreckbaren Zuständen, eine höchst wunderliche Generalversammlung von menschlichen Zuständen, welche eine Adresse an den Schöpfer zu beraten schien. Ein ansehnlicher Teil der ehrenwerten Gesellschaft bestand aus einer langen Reihe Gläser, welche vom kleinsten Embryo an bis zum fertigen Fötus die Gestalten des angehenden Menschen enthielten. Diese waren nicht aus Wachs, sondern Naturgewächs und saßen im Weingeist in sehr tiefsinnigen Positionen. Diese Nachdenklichkeit fiel um so mehr auf, als die Burschen eigentlich die hoffnungsvolle Jugend der Versammlung vorstellten. Plötzlich aber fing in der Seiltänzerhütte nebenan, welche nur durch eine dünne Bretterwand abgeschieden war, eine laute Musik mit Trommeln und Zimbeln zu spielen an, das Seil wurde getreten, die Wand erzitterte, und dahin war die stille Aufmerksamkeit der kleinen Personen, sie begannen zu zittern und zu tanzen nach dem Takte der wilden Polka, die drüben erklang: es trat Anarchie ein, und ich glaube nicht, dass die Adresse zustande kam.Diese wundervolle Passage aus Kellers Traumtagebuch fand ich gerade in Blochs Das Prinzip Hoffnung.
Ich beschäftige mich, seit einiger Zeit schon, mit dem Humor, nicht nur wegen Lea Streisand und Matthias Keidtel, sondern auch, weil dieser für die Rhetorik eine schöne Herausforderung darstellt (siehe die Figuren der Schlagfertigkeit).
Man lese hier aber zum Beispiel nur den Satz:
Auch mit dem nächsten Satz findet man einen gleichsam schwebenden Humor, als der Erzähler sich scheinbar ernst nimmt, ja, die Belebtheit der in Alkohol konservierten Föten wörtlich nimmt und eben schreibt:
Diese waren nicht aus Wachs, sondern Naturgewächs und saßen im Weingeist in sehr tiefsinnigen Positionen.Dieser Satz hat nicht nur durch den fast reimerischen Bezug zwischen Wachs und Gewächs und die implizite Sprachmelodie einen feinen sprachlichen Humor. Er steht, für sich genommen, allen möglichen Assoziationen offen, die sich aus dem Kontext nicht erschließen lassen wollen. Auch dies ist eine Technik des Humors, dass sich, durch Metaphern (saßen), Untertreibungen (Naturgewächs) und Prosopopoein (tiefsinnig), ein Satz sowohl in den Zusammenhang fügt, als sich auch aus ihm losreißt.
Auch mit dem nächsten Satz findet man einen gleichsam schwebenden Humor, als der Erzähler sich scheinbar ernst nimmt, ja, die Belebtheit der in Alkohol konservierten Föten wörtlich nimmt und eben schreibt:
Diese Nachdenklichkeit fiel um so mehr auf, als die Burschen eigentlich die hoffnungsvolle Jugend der Versammlung vorstellten.Hier wird die Untertreibung vollends zum Euphemismus (hoffnungsvolle Jugend für einalkoholisierte Embryos). Witzig daran ist auch der Kontrast (Jugend / Potentaten).
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