Eine spannende Frage! Und sie ist mit Sicherheit nicht einfach zu beantworten. Deshalb gebe ich hier, in
Kurzfassung, meine Idee dazu.
Sensibilität
Sensibilität ist die Fähigkeit, ein Phänomen aus verschiedenen Richtungen beleuchten zu können. Beleuchten ist natürlich nur eine Metapher. Übersetzt man diese, dann stößt man vor allem auf eine Tätigkeit, nämlich die des Vergleichens.
Wollen wir also zum Beispiel eine Sensibilität für Sätze aufbauen, dann ist ein guter Schritt, Sätze zu vergleichen. Ich sammle also Sätze zu bestimmten Themen, bzw. lasse ich meinen Zettelkasten nach bestimmten Wörtern suchen. Dann kann es schon mal vorkommen, dass ein Kunde, der über Vampire schreibt, eine Passage aus Nietzsches Anti-Christen oder aus Jean-Paul Sartres Flaubert von mir zugeschickt bekommt (und gerade jene Passage von Nietzsche, an die ich denke, nämlich im § 50 des Anti-Christen, ist eine sehr schöne, sehr hintersinnige Passage, die man sich als Schriftsteller gründlich anschauen darf: nicht nur wegen des Inhalts, sondern wegen des Satzbaus und der rhetorischen Figuren darin).
Wollen wir also zum Beispiel eine Sensibilität für Sätze aufbauen, dann ist ein guter Schritt, Sätze zu vergleichen. Ich sammle also Sätze zu bestimmten Themen, bzw. lasse ich meinen Zettelkasten nach bestimmten Wörtern suchen. Dann kann es schon mal vorkommen, dass ein Kunde, der über Vampire schreibt, eine Passage aus Nietzsches Anti-Christen oder aus Jean-Paul Sartres Flaubert von mir zugeschickt bekommt (und gerade jene Passage von Nietzsche, an die ich denke, nämlich im § 50 des Anti-Christen, ist eine sehr schöne, sehr hintersinnige Passage, die man sich als Schriftsteller gründlich anschauen darf: nicht nur wegen des Inhalts, sondern wegen des Satzbaus und der rhetorischen Figuren darin).
Sammeln
Vor dem Vergleich kommt natürlich das Sammeln. Für meine Sammlungen nutze ich meinen Zettelkasten (links oben findet ihr ein Suchfeld: wenn ihr dort Zettelkasten eingebt, findet ihr alle meine Artikel dazu). Und damit mein Zettelkasten diesen ersten Schritt für mich übernimmt, kommen natürlich alle möglichen Fundstücke dort hinein, alle Zitate, alle Ideen, alle Kommentare. Im Laufe der Zeit ergeben sich dann Verbindungslinien. So ist der Vampir nicht nur im modernen Roman populär. Man findet ihn in der Philosophie (Nietzsche, Sartre, Deleuze) als Denkfigur, als logisches Muster, in der Ethnologie als funktionale Gestalt (der Vampir ist manchmal eine Art Geist, der die Krankheiten von Menschen verursacht und sich von dieser Krankheit nährt; er ist damit häufig dem Werwolf entgegengesetzt, der in manchen Volkssagen die Fruchtbarkeit des Landes und der Frauen schützt), usw.
Alle diese einzelnen Fundstücke sind natürlich nur kleine Bausteine und ein einzelner Vergleich nur ein kleiner Schritt auf dem langen Weg zur Sensibilität.
Alle diese einzelnen Fundstücke sind natürlich nur kleine Bausteine und ein einzelner Vergleich nur ein kleiner Schritt auf dem langen Weg zur Sensibilität.
Verbindungen herstellen
Bleiben wir also dabei, dass die Sensibilität zunächst durch das Vergleichen entsteht. Vergleichen sollte man zunächst auf einer ganz schlichten Ebene und sich vor allem von moralischen Urteilen fernhalten. Es genügt, wenn wir beim Vampirbeispiel bleiben, dass in klassischen Volkssagen Vampire zum Beispiel Krankheiten verursachen, in moderneren Büchern ihre "Infektion" weitergeben, bei Nietzsche eine Metapher für den Priester sind und bei Flaubert eine Metapher für die untreue Ehefrau. Der Vampir steckt mit etwas an: mit einer Krankheit, mit dem Vampirismus, mit der Rachsucht (Nietzsche) oder der Untreue (Flaubert).
Und so können wir nach und nach alle möglichen Verbindungen herstellen. Die Gesamtheit dieses Könnens, so meine Definition, nennt sich dann Sensibilität. Heute hört man auch den Begriff "vernetztes Denken", manchmal auch "Bildung" und einiges anderes mehr.
Und so können wir nach und nach alle möglichen Verbindungen herstellen. Die Gesamtheit dieses Könnens, so meine Definition, nennt sich dann Sensibilität. Heute hört man auch den Begriff "vernetztes Denken", manchmal auch "Bildung" und einiges anderes mehr.
Brötchen im Weltall
Was sollen wir vergleichen? Alles mit allem. Deshalb ist der Satz "Das kann man doch nicht vergleichen!" (fast schon) ein unsinniger Satz. Natürlich kann ich mein Frühstücksbrötchen mit dem Weltall vergleichen. Dieser Vergleich wird zwar wissenschaftlich unsinnig sein, aber wer humorvolle Literatur schreibt, muss gerade solche Vergleiche trainieren. Eventuell entdeckt man dann, dass man von Douglas Adams (Per Anhalter durch die Galaxis) gar nicht so weit entfernt ist.
Themen
Vergleiche stellt man unter ein übergeordnetes Thema.
Ein typischer Fall: Wie fängt man einen Roman an? - Was habe ich damals, 1997, gemacht? Ich bin in die Bibliothek gegangen und habe mir von hundert Romanen den ersten Satz abgeschrieben. Wahllos übrigens. Später, sehr viel später, habe ich mal versucht, alle diese Romane zu finden und ein Stück über den ersten Satz hinaus zu lesen.
Ein anderer typischer Fall: Protektionismus, also ein volkswirtschaftlicher Begriff. Habe ich zu diesem Thema noch wenig gesammelt, gibt mein Zettelkasten wenig oder garnichts dazu her. Ist ja auch nicht mein Fachgebiet. Andererseits sammle ich natürlich, wenn ich einen Kunden habe, der zu diesem Thema arbeitet, Zitate, Gedanken, Kommentare, und falls dann eine Folgearbeit kommt, kann ich auf meine bisherigen Sammlungen zurückgreifen. Wenn ich nämlich das Wort Marketing eingebe, zu dem ich schon viele Menschen gecoacht habe, kann ich auf mehrere tausend Zettel zurückgreifen und das Thema wesentlich rascher beleuchten.
Ihr solltet natürlich vor allem zu euren Themen sammeln. Wer gerne Horrorromane schreibt, sammelt eben alles, was sich auf Vampire, Werwölfe, Zombies, Monstren, etc. bezieht. Wer Liebesgeschichten schreibt, sammelt die schönsten und die langweiligsten Küsse, Sätze, in denen die Protagonisten beschrieben werden, Dialoganfänge unter dem Aspekt: streiten sich die beiden darin? oder: versöhnen sich die beiden? usw. Was euch eben einfällt.
Ein typischer Fall: Wie fängt man einen Roman an? - Was habe ich damals, 1997, gemacht? Ich bin in die Bibliothek gegangen und habe mir von hundert Romanen den ersten Satz abgeschrieben. Wahllos übrigens. Später, sehr viel später, habe ich mal versucht, alle diese Romane zu finden und ein Stück über den ersten Satz hinaus zu lesen.
Ein anderer typischer Fall: Protektionismus, also ein volkswirtschaftlicher Begriff. Habe ich zu diesem Thema noch wenig gesammelt, gibt mein Zettelkasten wenig oder garnichts dazu her. Ist ja auch nicht mein Fachgebiet. Andererseits sammle ich natürlich, wenn ich einen Kunden habe, der zu diesem Thema arbeitet, Zitate, Gedanken, Kommentare, und falls dann eine Folgearbeit kommt, kann ich auf meine bisherigen Sammlungen zurückgreifen. Wenn ich nämlich das Wort Marketing eingebe, zu dem ich schon viele Menschen gecoacht habe, kann ich auf mehrere tausend Zettel zurückgreifen und das Thema wesentlich rascher beleuchten.
Ihr solltet natürlich vor allem zu euren Themen sammeln. Wer gerne Horrorromane schreibt, sammelt eben alles, was sich auf Vampire, Werwölfe, Zombies, Monstren, etc. bezieht. Wer Liebesgeschichten schreibt, sammelt die schönsten und die langweiligsten Küsse, Sätze, in denen die Protagonisten beschrieben werden, Dialoganfänge unter dem Aspekt: streiten sich die beiden darin? oder: versöhnen sich die beiden? usw. Was euch eben einfällt.
Sensibilität braucht Zeit
Zu manchen Themen sammle ich seit 15 Jahren, zum Beispiel zum Thema Motivation. Andere Themen, etwa die Metapher, verschwinden für eine Zeit lang und tauchen dann wieder auf, manche Themen sind tatsächlich nicht meine Themen.
So finden sich in meinem Zettelkasten, dank einer lange zurückliegenden Betreuung, etwa 50 Kommentare zu einem biochemischen Vorgang. Das war eine Arbeit aus dem Bereich der Chemie, deren fachlichen Inhalt ich gerade mal mit viel Mühe nachvollziehen konnte. Und auch bei der nächsten Arbeit werde ich im Fach Chemie wahrscheinlich nicht glänzen können. Doch damit war für mich ein Thema eröffnet. Ich habe zwischendurch dazu gesammelt, auch ein bestimmtes Thema gefunden, das mich an dem Fach tatsächlich sehr interessiert, nämlich das Experimentieren und darüber bin ich dann wiederum auf Ludwig Wittgenstein gestoßen, der zum Experiment viele spannende Sachen zu sagen hat.
Anderthalb Jahre später hat sich dieses "überflüssige" Interesse tatsächlich ausgezahlt. Ich habe ein Seminar zur Motivation abgehalten und in diesem Seminar saß nun ein Chemiker. Das war ein Mensch, der für sein Fach und nur in diesem Fach gelebt hat. Psychologie erschien ihm "äußerst wolkig". Er hat meine Erklärungen auch nicht verstanden, bis ich ihm, das war ein glücklicher Einfall, das Ganze in grundlegende Begriffe der Chemie übersetzt habe. Und dann hat er einen Zugang dazu gefunden, gleichsam ein metaphorisches Bild für das, was im Prozess der Motivation passiert.
So kann man im Laufe der Zeit Sensibilität aufbauen, natürlich immer nur für bestimmte Themen. Aber ein wichtiger Aspekt dabei ist auf jeden Fall, dass man mit dieser Arbeit nicht aufhört und immer wieder neue Themengebiete dazu holt (oder, für den Schriftsteller, neue Literatur) oder alte Themengebiete nach einer bestimmten Zeit erneut bearbeitet (so wie ich jetzt noch ein wenig zur Erzählperspektive arbeiten werde).
So finden sich in meinem Zettelkasten, dank einer lange zurückliegenden Betreuung, etwa 50 Kommentare zu einem biochemischen Vorgang. Das war eine Arbeit aus dem Bereich der Chemie, deren fachlichen Inhalt ich gerade mal mit viel Mühe nachvollziehen konnte. Und auch bei der nächsten Arbeit werde ich im Fach Chemie wahrscheinlich nicht glänzen können. Doch damit war für mich ein Thema eröffnet. Ich habe zwischendurch dazu gesammelt, auch ein bestimmtes Thema gefunden, das mich an dem Fach tatsächlich sehr interessiert, nämlich das Experimentieren und darüber bin ich dann wiederum auf Ludwig Wittgenstein gestoßen, der zum Experiment viele spannende Sachen zu sagen hat.
Anderthalb Jahre später hat sich dieses "überflüssige" Interesse tatsächlich ausgezahlt. Ich habe ein Seminar zur Motivation abgehalten und in diesem Seminar saß nun ein Chemiker. Das war ein Mensch, der für sein Fach und nur in diesem Fach gelebt hat. Psychologie erschien ihm "äußerst wolkig". Er hat meine Erklärungen auch nicht verstanden, bis ich ihm, das war ein glücklicher Einfall, das Ganze in grundlegende Begriffe der Chemie übersetzt habe. Und dann hat er einen Zugang dazu gefunden, gleichsam ein metaphorisches Bild für das, was im Prozess der Motivation passiert.
So kann man im Laufe der Zeit Sensibilität aufbauen, natürlich immer nur für bestimmte Themen. Aber ein wichtiger Aspekt dabei ist auf jeden Fall, dass man mit dieser Arbeit nicht aufhört und immer wieder neue Themengebiete dazu holt (oder, für den Schriftsteller, neue Literatur) oder alte Themengebiete nach einer bestimmten Zeit erneut bearbeitet (so wie ich jetzt noch ein wenig zur Erzählperspektive arbeiten werde).
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