Emanzipation I
Bevor ich mich an Christa Wolf gemacht habe, vor allem an die Erzählung ›Kassandra‹, musste ich unbedingt einen Artikel von Harald Martenstein zerpflücken (im Zeit-Magazin 24, vom 6. Juni 2013). Martenstein, zur Erinnerung, ist ein unerbittlicher Frauenversteher. Dass er Frauen sogar besser als sie sich selbst versteht, steht außer Zweifel.
Tatsächlich ist Martensteins Artikel deshalb gefährlich, weil er neben vielen eher esoterischen Aussagen aus den Reihen der Feministen/Feministinnen auch seltsame Verkürzungen zu Tage bringt. Einiges ist ja richtig. Was bitteschön haben röhrende Hirsche mit dem Patriarchat zu tun? Und trotzdem: warum diese Übergeneralisierung, die sich Herr Martenstein so großzügig durchgehen lässt?
Andererseits: wie oft erlebe ich, dass das Problem der Unterdrückung nur noch in gender-Theorien untersucht wird, wo doch offensichtlich die Armut oder auch der verwehrte Zugang zu Bildung ebensolche Probleme darstellen (wobei man heute nicht mehr von einem verwehrten Zugang zur Bildung sprechen kann, zumindest nicht in Deutschland, sondern eher von einem ermöglichten Zugang zur Unbildung: die jungen Akademiker haben doch mehr Ahnung von Sex in the city oder Two and a half men als von Begriffsbildung oder Argumentationslehre).
Die gender-Theorie analysiert. Sie analysiert, indem sie abstrakte Begriffe benutzt und dadurch bestimmte Positionen besonders gut abgrenzen kann. Das ist ein normaler, wissenschaftlicher Vorgang. Falsch allerdings ist es, diese abstrakten Theorien ohne nach links und rechts zu schauen auf ein konkretes Leben anzuwenden (die Extrapolation) oder es gar statistisch auszudehnen (die Verallgemeinerung).
Pseudowissenschaften
Vor etwa zwei Jahren habe ich mich intensiver mit der theoretischen Biologie von Jakob von Uexküll auseinandergesetzt und in deren Folge auch mit den Schriften von Viktor von Weizsäcker. Von Weizsäcker allerdings musste ich aus zeitlichen Gründen hintenan stellen. Jedenfalls war von Uexküll für mich noch einmal die Bestätigung, wie verfälscht und verflacht Begriffe übernommen werden, wie schlecht gelesen wird und wie sehr man sich auf "Einführungen" verlässt.
Mein Aufreger war der Begriff der Gestalt. Eines der bekanntesten Beispiele sind die so genannten Wahrnehmungsgesetze oder Gestaltgesetze. So wird ein offener Kreis auf dem Papier, also ein Kreis, dem ein Stück seines Umfangs fehlt, automatisch in Gedanken zu einem vollständigen Kreis ergänzt. Das allerdings ist ein recht materialistisches Denken. Uexküll führt dagegen den Begriff der Gestalt auch für Regelkreisläufe ein, zum Beispiel für den Zitronensäure-Zyklus. Dieser Zyklus ist in sich vollständig. Entfernt man ein Element, zerfällt der ganze Produktionszusammenhang. Viktor von Weizsäcker hat das ganze für die psychosomatische Medizin fruchtbar gemacht. Und er geht dabei nicht automatisch davon aus, dass eine Gestalt immer etwas positives ist. Es gibt eben auch psychosoziale Gestalten, die bei einzelnen Akteuren innerhalb dieses Kreislaufes ein unendliches Leid verursachen.
Nun hat die Zeit-online ein kleines Pamphlet geschrieben, der Titel: Der akademische Geist. Abgesehen davon, dass die Zeit, wenn sie sich einen Martenstein leistet, nicht unbedingt mit Steinen werfen sollte, verweist sie doch auf ein Problem, das die Universitäten heimsucht. Immer weniger Studenten sind bereit, ihre Arbeitsgebiete in die Tiefe und vor allem kritisch zu durchdenken. Dabei ist zum Beispiel die Erkenntnistheorie ein äußerst wichtiger und, so habe ich die Erfahrung gemacht, auch sehr nützlicher Aspekt eines Studiums, und sei es nur das Organon des Aristoteles oder die Kritik der reinen Vernunft von Kant. Und damit sind noch gar nicht die moderneren Spielarten der Erkenntnistheorie angesprochen.
Die Wissenschaft verflacht, nicht, weil sie die Grenzen zur Esoterik überschreitet, sondern weil ihr zunehmend ein kritisches Fundament fehlt. Das Studium vermittelt nur noch Gebrauchswissen. Und die Idee, dass zum Beispiel Geisteswissenschaften eine regulierende Funktion bei gesellschaftlichen Konflikten haben könnten, wird zunehmend verdrängt oder vergessen. Auch das ist ein Problem, das vor allem die Geisteswissenschaften heimsucht: der ethische Anspruch. Wofür, so darf man sich fragen, soll man die Rhetorik verwenden? Glaubt man den ganzen Trainern, dann für eine "bessere" Kommunikation; in Wirklichkeit aber doch wohl nur dem Geld, das mit Seminaren von einer Hand in die andere wechselt. Dass Rhetorik der Kritik von Ideologien dient, vertreten nur noch sehr wenige Menschen. Judith Butler, die dies kann, wird gerne missverstanden. Die Medienanalyse arbeitet kaum noch mit der Kunst der Lektüre und damit mit konkreten Lebenszusammenhängen und konkreten Gemeinschaften, dafür umso mehr mit der Technik der Statistik.
Emanzipation II
Wie verfänglich Pseudowissenschaft sein kann, habe ich neulich an einer kleinen, statistischen Untersuchung zur Frauenfeindlichkeit in Boulevard-Medien erleben dürfen. Ausgezählt wurde der Zusammenhang zwischen dem Thema Weiblichkeit und ihren erwähnten Merkmalen. Die Arbeit war wohl eher eine Fingerübung in der Verwendung statistischer Methoden. Trotzdem: Was mich sehr verärgert hat, war, dass die logischen Zusammenhänge zwischen der Erwähnung von Frauen und deren Attribution methodisch überhaupt nicht aufbereitet worden ist. Letzten Endes geht es nur darum, wie weit diskriminierende Aussagen vom Subjekt entfernt stehen, d.h., wie viele Wörter sich zwischen ihnen befinden. Das allerdings ist eine recht oberflächliche Betrachtung des Sachverhalts. Statistiken werden gerne als objektiv angesehen. Doch diese Objektivität, wenn es sie denn überhaupt gibt, ist null und nichtig, wenn sie nicht auf einem gut ausgearbeiteten Kategoriensystem basiert.
So war die Aussage dieser Arbeit auch kompletter Firlefanz, nämlich, dass Frauen immer noch eine "weibliche" Rolle zugewiesen werde: die Tatsache, dass Massenmedien gerade in diesem Sektor gerne Skandalisierung, dass sie lieber über die Menschen sprechen, statt mit ihnen, dass Normverstöße wichtiger sind als Lebenszusammenhänge, all dies wurde überhaupt nicht in Erwägung gezogen und wohl auch nicht im Seminar thematisiert. Und natürlich sind solche Boulevard-Blätter frauenfeindlich. Darüber muss man wohl kaum streiten. Dass sie im selben Zuge aber auch die Männer strikt normieren, also auch männerfeindlich sind, muss bei einer Arbeit über Geschlechterrollen und Geschlechterbilder eben mitgedacht werden, zumindest in Form einer Fußnote oder einer Begrenzung der Untersuchung auf die Frau. Und dass die Massenmedien eine eigene Dynamik entwickeln, jenseits von Geschlechterrollen, muss man wohl eigentlich auch nicht erwähnen. Aber offensichtlich wohl doch.
Zionismus
Und noch ein Unsinn, der durch Wörter fabriziert wird: im Cicero vermischt Autor Timo Stein die Partei Die Linke mit den sehr heterogenen "linken" Strömungen. Nicht immer, aber doch an manchen Stellen sehr deutlich. Wir müssen uns hier übrigens nicht darüber streiten, ob Israel mit dem jüdischen Volk identisch ist. Ist es nicht! Für mich ist aber dieser ganze Streit, ob die so genannte SED-Nachfolgepartei antisemitisch sei oder nicht, in erster Linie kein Problem von rassistischen Tendenzen, sondern ein Problem der Sprachwahrnehmung und der scheinheiligen Forderung nach argumentativer Vollständigkeit.
Wissenschaft, Feminismus, Außenpolitik und Antirassismus, so ist meine Wahrnehmung, scheitern vor allem an einer nicht gelungenen oder vollständig abwesenden Sprachkritik. Und hinter all diesen verfehlten Kritiken taucht immer ein spezifisches Monster auf: die ökonomische Verwertbarkeit. Denn die Leistungen der meisten Geisteswissenschaften und auch einiger Sozialwissenschaften lässt sich weniger durch finanziellen Gewinn, denn durch Verbesserung des Zusammenlebens erklären.
Auch der Feminismus darf nicht auf eine pure Verbesserung der ökonomischen Bedingungen verkürzt werden. Ebenso ist Außenpolitik nicht Außenhandelspolitik, sondern zum Beispiel auch Stärkung der Völkergemeinschaft. Ein Antirassismus schließlich, der bei der Anerkennung der Rasse stehen bleibt (respektive einer Glaubensgemeinschaft, einer Nation) führt unter der Hand den Rassismus wieder ein, weil er die Rasse als letztes Fundament nicht infrage stellt.
Wissenschaft, Feminismus, Außenpolitik und Antirassismus, so ist meine Wahrnehmung, scheitern vor allem an einer nicht gelungenen oder vollständig abwesenden Sprachkritik. Und hinter all diesen verfehlten Kritiken taucht immer ein spezifisches Monster auf: die ökonomische Verwertbarkeit. Denn die Leistungen der meisten Geisteswissenschaften und auch einiger Sozialwissenschaften lässt sich weniger durch finanziellen Gewinn, denn durch Verbesserung des Zusammenlebens erklären.
Auch der Feminismus darf nicht auf eine pure Verbesserung der ökonomischen Bedingungen verkürzt werden. Ebenso ist Außenpolitik nicht Außenhandelspolitik, sondern zum Beispiel auch Stärkung der Völkergemeinschaft. Ein Antirassismus schließlich, der bei der Anerkennung der Rasse stehen bleibt (respektive einer Glaubensgemeinschaft, einer Nation) führt unter der Hand den Rassismus wieder ein, weil er die Rasse als letztes Fundament nicht infrage stellt.
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