08.09.2012

Bettina Wulff — ein Wort, in die Welt gesetzt, kommt nicht zurück

Was auch immer an diesen Gerüchten richtig oder falsch ist: eines jedenfalls lässt sich an der Debatte um Bettina Wulff hervorragend studieren: Themen neigen dazu, eine Eigendynamik zu entwickeln und gerade moralische, skandalöse Themen sind dazu bestens geeignet.

Bettina Wulff und das Rotlichtmilieu
Es wird also behauptet, die jetzige Frau unseres ehemaligen Bundespräsidenten habe im Rotlichtmilieu gearbeitet, als Escort-Service. Zumindest habe ich das bisher so verstanden. Stellen wir einmal nicht die Frage nach der Wahrheit, sondern nach einer grundlegenderen kommunikativen Funktion dieser Behauptung, dann können wir sagen, dass hier das „Undenkbare“ gesagt wird. Das wäre so, als würde ich behaupten, dass Angela Merkel früher ein Mann gewesen sei und eine Geschlechtsumwandlung hinter sich habe.
Rein psychologisch gesehen sucht unser Gehirn nach Spannungspunkten. Es arbeitet problemorientiert. Das „Undenkbare“ wird von den Massenmedien in Form von Skandalen und Sensationen erzeugt, um Leser zu binden. Die Problemorientiertheit des Gehirns und die Leserbindung der Massenmedien treffen hier aufeinander. Über Sensationen und Skandale wird eine strukturelle Kopplung erreicht.

Evolution von Skandalen
Massenmedien, wie andere funktionale Systeme, evoluieren. Sie variieren Themen, schauen, ob diese ausgewählt werden und sich dadurch stabilisieren lassen. Eine der möglichen Variationen, die in Massenmedien besonders beliebt sind, ist eben das skandalöse Gerücht. Es gibt eine erwartbare Erfolgswahrscheinlichkeit, wenn die betreffende Person, wie hier zum Beispiel Bettina Wulff, sowieso schon stark von der Öffentlichkeit beachtet wird.
Trotzdem müssen wir hier auch den eigentlichen Skandal hinter diesem „Skandal“ beachten: die Eigendynamik des politischen Systems. Die zentrale Operation dieses Systems ist, nach Luhmann, das Besetzen von politischen Stellen. Wird eine Stelle unbesetzt, muss sie durch jemand anderen eingenommen werden.
Was die ganze Sache um Bettina Wulff so brisant macht, ist die Behauptung, dieses Gerücht wäre  durch „politische Freunde“ in die Welt gesetzt worden. Die Bild-Zeitung nennt hier die niedersächsischen CDU-Kreise und zitiert den Journalisten Leyendecker (SZ):
Tatsächlich sei „der Nährboden für die Verleumdungen ... im Reich der niedersächsischen CDU zu suchen.“ 
Wäre das wahr, so hätten wir es hier nicht nur mit einem äußerst verwerflichen Vorgehen zu tun, sondern auch mit einer für die Bundesrepublik Deutschland noch sehr ungewöhnlichen Kopplung zwischen politischem und massenmedialen System. Innerhalb einer Partei wird die Moralisierung benutzt, um den Massenmedien einen Skandal zu liefern und diesen auf das politische System zurückwirken zu lassen. Dabei ist es dann schon fast egal, ob die Vorwürfe gegen Bettina Wulff jeglicher Grundlage entbehren. Allein die Zusammenbindung von ihr und dem Rotlichtmilieu reicht aus, um eine eigene Dynamik in Gang zu setzen.

Und ich?
Mich interessiert die Wahrheit nicht. Ich habe Christian Wulff noch nie leiden können. Was mit seiner Frau ist, ist mir egal. Ob sie hat oder nicht hat, was spielt das für eine Rolle, wenn sie politisch sowieso nichts zu sagen hat?
Was mich so besorgt, und ein Spiegel-Aufmacher im späten Frühjahr hatte ein ähnliches Thema, ist die Verfilzung der Politik, die gegenseitige Begünstigung, in der es kaum noch um die Fähigkeit der einzelnen Politiker geht, sondern nur noch um ihre moralische „Integrität“ und die Zerstörung von dieser. Eine intellektuelle „Integrität“, wie man sie Helmut Schmidt oder Willy Brandt noch zusprechen konnte, wird überhaupt nicht mehr in den Blick gerückt. Ausnahmen (und das finde ich wieder sehr wohltuend) sind einige Blogger, bestimmte Journalisten und Kabarettisten. Fehlt diese intellektuelle Integrität, kann es sich nur um eine dumme Moral handeln oder eine scheinheilige.
Bettina Wulff ist hier nur eine Schachfigur. Das Spiel heißt wohl: die CDU frisst ihre Kinder.

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