12.08.2012

Material, Fantasie und e-learning

Demnächst fängt mein Kurs "Fördererassistenz Schule" an. Ein Thema, um das ich mir große Gedanken mache, ist die Einbindung von Computerprogrammen als Lernhilfe. Ich bin von diesem Konzept nicht wirklich überzeugt. Natürlich werden wir unseren Teilnehmern auch das beibringen. Was in der Praxis üblich ist, sollten sie auch wissen.
Aus meiner eigenen Erfahrung im Unterricht konnte ich aber feststellen, dass der Computer und die darauf vorhandenen Programme vor allem deshalb so attraktiv sind, weil der Computer diesen Nimbus des "besonders wichtig" besitzt.
In dem Buch Sinn und Eigensinn des Materials I (von Petra Kathke, erschienen bei Cornelsen) finde ich folgende Argumentation:
"Bleibt abschließend die Frage, ob es nicht angesichts der neuen medientechnischen Konzepte, mit denen Kinder und Jugendliche heute aufwachsen, einen Anachronismus darstellt, ein materialnahes Buch als Orientierungshilfe für die pädagogisch-ästhetische Praxis anzubieten. Mir scheint, gerade die auf Simulation von Wirklichkeiten gerichtete Medialisierung und die zunehmend eingeschränkten Gelegenheiten sinnlicher Materialerfahrung rechtfertigen einen solchen Entwurf. Die Bebilderungen der multimedialen Welt zeichnet sich durch schnelle Wechsel, vereinheitlichte Oberflächenwert und durch eine erschreckende Gleich-Gültigkeit von Belanglosem und Existenziellem aus. Programme ersetzen die tatsächliche Auseinandersetzung mit der Welt, Visualisierungen durch Mausclick die unmittelbare Begegnung." (13)
Psychologischer gesagt: um mir die Wirklichkeit in ihrer konkreten sinnlichen Gestalt erfassbar zu machen, brauche ich Modelle, wie ich mit dieser umzugehen habe. So ist zum Beispiel die Mathematik (sowohl die Geometrie, als auch die Algebra) ein wunderbarer Vorrat an Modellen und der Möglichkeit, die Wirklichkeit zu modellieren. Dazu brauche ich allerdings Material, das noch nicht durch die Vorgabe eines Computerprogramms auf den reinen Lernstoff zugeschnitten ist.
Hinter den Prozessen des wissenschaftlichen Systematisierens findet man immer eine Vielzahl ästhetischer Kleinstexperimente, will sagen: Abweichungen. Oftmals sind wir uns dieser ästhetischen Kleinstexperimente gar nicht mehr bewusst. Sie finden trotzdem statt. Je vielfältiger und je bewusster ich mit diesen umgehen kann, umso eher kann ich zu einer Systematisierung der Möglichkeiten eines bestimmten Materials oder einer bestimmten Disziplin kommen. Computer bieten diese Möglichkeit nicht: ein Programm kann nur das, was ein Programm kann. Will der Benutzer etwas ausprobieren, ist er meist durch die Programmierung verhindert.
Wer mit konkretem Material umgehen muss, erfährt sich selbst mit seinem ästhetischen Potenzial und muss zugleich einen Willen zur ästhetischen Gestaltung aufbauen. Computerprogramme dagegen führen die Benutzer viel zu eng entlang vorgegebener Prozesse. Vor allem können sich die Benutzer darauf verlassen, dass sie eng geführt werden. Damit ist das problemlösende Potenzial von Computerprogrammen wesentlich geringer als bei offenen Stoffsammlungen.
Die Fähigkeit, Probleme zu lösen, ist aber ein wichtiger Bestandteil der Kreativität. Insofern spreche ich Lernprogrammen diese zentrale Wichtigkeit ab, die ihnen manchmal zugewiesen wird.

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