05.06.2016

Nationalstolz

Die hier geschilderte Torheit unserer Natur treibt hauptsächlich drei Sprösslinge: Ehrgeiz, Eitelkeit und Stolz. Zwischen diesen zwei letzteren beruht der Unterschied darauf, dass der Stolz die bereits feststehende Überzeugung vom eigenen überwiegenden Werte in irgendeiner Hinsicht ist; Eitelkeit hingegen der Wunsch, in andern eine solche Überzeugung zu erwecken, meistens begleitet von der stillen Hoffnung, sie infolge davon auch selbst zu der seinigen machen zu können. Demnach ist Stolz die von innen ausgehende, folglich direkte Hochschätzung seiner selbst; hingegen Eitelkeit das Streben, solche von außen her, also indirekt zu erlangen. Dementsprechend macht die Eitelkeit gesprächig, der Stolz schweigsam.
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Die wohlfeilste Art des Stolzes ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen.
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Dem Nationalcharakter wird, da er von der Menge redet, nie viel Gutes ehrlicherweise nachzurühmen sein. Vielmehr erscheint nur die menschliche Beschränktheit, Verkehrtheit und Schlechtigkeit in jedem Lande in einer andern Form und diese nennt man den Nationalcharakter.
Schopenhauer, Arthur: Aphorismen zur Lebensweisheit. in: GW IV, S. 428-430
Nun, man sollte doch meinen, dass diese plärrenden und lärmenden Gut-Deutschen (zum Glück) noch keinen Nationalstolz haben, sondern "nur" eine Nationaleitelkeit. Dass sie an der fremden Meinung hängen, wie der Gehängte am Strick.
Und ist es nicht seltsam, dass man zwar vieles darüber hört, was das Deutsche nicht ist, aber wenig darüber, was das Deutsche ist? Kann es sein, dass das Deutsche vielleicht gar nichts ist? Dass es so hohl und leer ist wie die Trommel, die einst zu den Tänzen Atta Trolls geschlagen wurde?

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