Anfang der Woche habe ich einen schönen Artikel gelesen, von einer Professorin für Philosophie, Annemarie Pieper. Dieser erläutert die Form der Moral in Nietzsches Zur Genealogie der Moral, und wie diese sich gegen die beiden „klassischen“ Formen der moralischen Begründung absetzt.
Aristoteles
Die erste Form der Begründung von Moral besteht darin, ihre Geltungskraft an die Tradition zu binden. Die Moral besteht aus Handlungsmustern, deren Wertschätzung in einer Gemeinschaft über lange Zeit etabliert worden ist.
Nietzsche wendet sich gegen eine solche Geltungskraft, indem er den fiktiven Charakter der Moral herausarbeitet. Damit widerspricht er noch nicht der Moral, aber ihrer Begründung. Die Begründung selbst wiederum sei eine moralische, die sich aber oftmals gerade nicht als moralisch versteht, sondern als objektiv. Deshalb sind solche Begründungen nicht wissenschaftlich, und der Sache nicht angemessen, wenn man Wissenschaft zu betreiben versucht.
Kant
Bei Kant wiederum wird die Moral in einer transzendentalen Bedingung gesucht: es gibt etwas hinter der Moral, was diese ermöglicht, ein Prinzip der Vernunft. Autonomie und Freiheit sind auf der Verbindlichkeit von Handlungen gegründet (Kantianer verzeihen mir bitte meine sehr grobe und abkürzende Darstellung).
Seit Nietzsche, dann Wittgenstein, nebenher auch Freud, schließlich der Systemtheorie, darf man aber wissen, dass vieles, was Kant noch der Transzendenz zugerechnet hat, aus kulturellen Prozessen entsteht. So, wie die Grammatik nicht auf ein transzendentales Prinzip zurückzuführen ist, sondern sich in der Reduktion der Komplexität gründet, wobei diese Reduktion auf sehr unterschiedliche Weisen stattfinden könnte, aber sich eben auf eine Form der Reduktion beschränken muss, so ist die Moral (eventuell) einer grundlegenden Absicherung und Festigkeit im zwischenmenschlichen Verkehr geschuldet, liegt also gleichsam unterhalb des menschlichen Miteinander, nicht oberhalb dessen, als seine Veredelung. Mag Brecht auch gesagt haben: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral, so gälte dies für die Gemeinschaft doch umgekehrt: Erst kommt die Moral, dann das gemeinsame Fressen.
Nietzsche
Wenn Nietzsche von der Sklavenmoral und dem Herdentrieb der Moral wegkommen will, dann auch deshalb, weil er einen bewussteren Umgang mit moralischen Normen einfordert. Dass eine Moral eher eine Moral der Sklaven ist, scheint mir nicht so sehr an ihren Inhalten zu legen, sondern an der Form, wie Menschen zu dieser Moral kommen: nämlich aus Bequemlichkeit und Feigheit (wenn man zum Beispiel moralisch ist, weil man sonst in einen Konflikt geraten könnte).
Diese Form der Moral entsagt der Bequemlichkeit der Tradition und der Feigheit einer Anthropologisierung zwischenmenschlicher Umgangsformen. Sie ist zugleich Kritik und Polemik; Kritik, indem sie die Darstellung der Moral(en) hinterfragt, damit aber ihre Geltung und ihre Begründung; Polemik ist sie, weil sie die fragwürdige Zwischenmenschlichkeit angreift, dies aber aus der Perspektive heraus und in den Formen bereits tradierter Zwischenmenschlichkeit. Insofern muss sie sich sogar gegen sich selbst wenden und sich beständig hinterfragen.
Die Moral der Politik
Politik kann die Moral nur simulieren. Sieht man im Kern der Moral die Tugend, nach der man handelt, oder die Idee, der man sich verpflichtet, dann kann dies nur aus einem Verhältnis zu sich selbst entspringen; dieses Verhältnis zu sich selbst muss sich selbst behaupten. Es mag irrational sein, aber es zieht seine Verantwortung nicht aus einer Allgemeinheit oder einer Wesenhaftigkeit. Und selbst wenn jemand mit einer Moral konform ginge, so macht es doch einen Unterschied, ob er für sich diese Moral wählt, oder ob er sich in sie einfügt (wiederum aus Bequemlichkeit oder aus Feigheit).
Politik kann für diese Wahl keine Maßstäbe setzen. Allenfalls können Politiker dies vorleben, indem sie tugendhaft handeln. Das heißt auch, dass in öffentlichen Diskussionen, wie z. B. zu politischen Videos auf youTube, weniger der Inhalt, als vielmehr die Art und Weise geregelt werden muss, wie Menschen miteinander diskutieren.
Ich mag die AfD zum Beispiel nicht. Einen Ausschluss aus öffentlichen Diskussionen halte ich allerdings für grundlegend falsch. Ich mag aus demselben Grund derzeit auch nicht, wie sich etablierte Parteien durch ein Taboo, ein Berührungsverbot, gegen jegliche Gemeinsamkeit mit der AfD abgrenzen wollen. Dies ist Parteienpolitik, keinesfalls Politik für die Bürger und auch nicht moralisch. Es ist, so befürchte ich, die Politik von Parteien, die sich nicht mehr begründen können; was (leider) nicht beinhaltet, dass die AfD (oder einer ihrer diffusen Anhängerschaft) damit ihre Positionen erklären könnte.
Keine Kommentare :
Kommentar veröffentlichen