Dann bin ich doch noch bei der Philosophie hängen geblieben. Geärgert habe ich mich. Von Werner Stegmaier lese ich Friedrich Nietzsche zur Einführung. Dieser schreibt dort: „»jede Macht«, so Nietzsche in JGB 22, zieht »in jedem Augenblick ihre letzte Konsequenz«“ (127).
Betrachtet man aber jene Stelle bei Nietzsche, so ist dies einer jener Aphorismen, die Zweifel säen, ohne etwas Positives dagegenzusetzen. Sicherlich macht Nietzsche sich hier über die Physiker lustig und ihre moralische Auslegung der Naturgesetze. Den Physikern hält er dann eine unübliche Ansicht entgegen, aus der jenes Zitat oben stammt: doch nicht er lässt sich sprechen, sondern „jemand“ spricht.
Den Naturgesetzen der einen Interpretation hält er eine Vielfalt von Mächten entgegen, die sofort ihre letzte Konsequenz ziehen und damit dann als Regel aus der Welt verschwinden. Doch den ganzen Aphorismus schließt Nietzsche mit den Worten ab:
Gesetzt, dass auch dies nur Interpretation ist – und ihr werdet eifrig genug sein, dies einzuwenden? – nun, um so besser. –
Am Ende steht der Zweifel, die Offenheit für eine dritte und vierte Interpretation.
Gleich zu Beginn des Aphorismus redet Nietzsche von schlechten Interpretations-Künsten. Wohl darf man den Text in die eine oder andere Richtung beugen, nachdem man ihn gründlich gelesen hat; aber ihn ganz herauszureißen aus dem Zusammenhang, dies erinnert doch sehr an einen Aphorismus von Nietzsche, den Stegmaier selbst zitiert:
Die schlechtesten Leser sind die, welche wie plündernde Soldaten verfahren: Sie nehmen sich Einiges, was sie brauchen können, heraus, beschmutzen und verwirren das Übrige und lästern auf das Ganze. (MA II, VM 137)
Das ist so schade: bei Nietzsche sprechen so viele Stimmen, so viele zärtliche und so viele gewalttätige, so viele dreiste und so viele vorsichtige, und über große Teile hinweg vermittelt dies Stegmaier auch in seinem Buch. Aber letzten Endes konnte er sich doch hier und da nicht über eine oberflächliche Geste hinwegsetzen und musste sie ausführen. Der einzige Trost ist, dass diese Stelle, die er mit groben Fingern und schweren Füßen auslegt, längst nicht so tauglich für die Massenmedien und den allgemeinen Pöbel ist wie jenes: Gehst du zum Weibe, vergiss nicht die Peitsche.
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