11.01.2016

Großmogule der politischen Korrektheit

Ach Martenstein!
Hatte ich dir nicht neulich empfohlen, die Finger von politischen Themen zu lassen? Es wäre wohl besser gewesen, du hättest meinen Rat befolgt. Aber offensichtlich kann Martenstein nicht von seinen Feindbildern lassen, den radikalen Feministinnen, den politisch Korrekten und dem Islam.

Was der radikale Feminismus „sagt“

In seinem Kommentar zu Köln schreibt Martenstein dem „radikalen Feminismus“ Worte in den Mund, die man so vom radikalen Feminismus nicht hören wird. Die Taten in Köln seien nicht ganz so schlimm, weil es doch auch unter deutschen Männern Sexismus gäbe.
Aber genau hier verwechselt Martenstein die Relativierung mit der Relationierung: Niemand behauptet, dass ein Verbrechen dadurch minder schwer werde, wenn andere ein ähnliches Verbrechen begingen. So als wäre ein Bankraub schwerer zu strafen als drei (sofern sie von verschiedenen Tätern durchgeführt werden). Hinterfragt werden soll, so hatte ich das verstanden, der eindeutige Zusammenhang zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und dieser Art von Verbrechen. Nicht das Verbrechen, sondern die Erklärung wird in vielen Kommentaren hinterfragt.

Der Islam als Ideologie

Abgesehen davon, dass es frech ist, gerade dem Feminismus in den Mund zu legen, er würde sexuelle Gewalt relativieren, behauptet Martenstein auch noch, der Islam sei eine Ideologie. Nun ist das Wort „Ideologie“ ein durchaus sehr bunter Begriff: damit ist noch nichts gesagt.
Nehmen wir dieses Wort in seiner ganz alten Bedeutung, dann bezeichnet die Ideologie die Lehre von einer Idee, wobei die Idee immer ein Begriff ist, der sich nicht durch Abstraktion von Merkmalen definieren, sondern nur durch Beispiele illustrieren lässt. Gerechtigkeit ist zum Beispiel eine Idee. Man findet diese nicht in anschaulichen Merkmalen in der Welt vor; man kann aber Beispiele dafür geben, wie etwas gerecht oder ungerecht verlaufen ist. Zahlreiche Kriminalromane kann man so als Illustration der Idee der Gerechtigkeit lesen: am Ende wird der Schaden in einer gewissen Weise wieder gutgemacht, der Verbrecher seiner Taten überführt und bestraft.
In einer moderneren Form bezeichnet die Ideologie Lebensweisen, die sich nach einer bestimmten Idee ausrichten, zum Beispiel der ökologischen Nachhaltigkeit oder dem Hedonismus oder der christlichen Nächstenliebe. Die Idee selbst dient dann als Anker für die Reflexion auf das eigene Leben: der ideologische Mensch fragt sich, ob seine Handlungen der ökologischen Nachhaltigkeit oder der christlichen Nächstenliebe dienlich sind.

Religion: die Möglichkeit, sich zu ideologisieren

Keinesfalls ist dann der Islam eine Ideologie; als Religion liefert er Möglichkeiten, sich zu ideologisieren. Und natürlich gibt es im Islam auch die Möglichkeit, sich an einer offensiven und invasiven Idee der religiösen Praxis auszurichten: dort, wo man den „Heiligen Krieg“ als Kernpunkt des Islams betrachtet.
Das Christentum hat sich in Bezug auf die Bibel ähnlich verhalten, auch wenn diese Zeiten lange vorbei sind: die Kreuzzüge, die Hexenverbrennungen, all das stimmt nicht mehr mit dem überein, was Christen aus der Bibel als religiösen „Kernpunkt“ herauslesen. Mag die Bibel auch ein fester Bestandteil unserer Kultur sein: Ihre Auslegung hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt.
Es ist also schierer Unsinn, den Islam so pauschal als Ursache für die Vergewaltigungen und die sexuellen Übergriffe in Köln verantwortlich zu machen. Sicherlich bringen bestimmte Bevölkerungsgruppen muslimischen Glaubens auch eine zutiefst machohafte Kultur mit, eine, die man in Deutschland nicht mehr dulden kann.
Der einzige Schluss, den man daraus ziehen kann, ist, dass man den Islam differenzierter betrachten muss, dass man auch die Menschen muslimischen Glaubens differenzierter betrachten muss: das besagt aber nicht, dass man den Menschen, die sich bei der Begründung ihrer verbrecherischen Handlungen auf den Koran beziehen, ein anderes Urteil zukommen lassen darf als denen, die sich nicht auf den Koran beziehen. Aber offensichtlich haben die Straftäter in Köln das auch gar nicht gemacht, sie haben sich nicht durch religiöse Äußerungen einen besseren Status herbeigeredet. Und insofern verstehe ich auch die ganze Argumentation von Martenstein nicht: er vergreift sich nur an einer der grundlegenden Bedingungen der Demokratie: der Religionsfreiheit. Ob die Straftäter Muslime sind oder nicht, darf nicht interessieren. Man muss ihnen zumuten, ohne ihre Religion und nur aufgrund ihres politischen Status gerichtet zu werden. Macht denn das deutsche Rechtssystem etwas anderes?

Religionsfreiheit

Nein, ich halte nichts davon, über mögliche Auswirkungen des Islams zu spekulieren. Das westliche Rechtssystem kann Straftaten auch ohne Bezug auf die Religion verfolgen und verurteilen. Das sollte es auch tun, ohne Frage.
Martenstein schafft sich damit sein Feindbild selbst; er betrachtet die Situation undifferenziert. Und wieder einmal kann man feststellen, dass eine unsaubere Argumentation vor allem dazu führt, dass bestimmte Aussagen auf den Autor zurückfallen: Martenstein sind „seine eigenen Feindbilder das Wichtigste auf der Welt“. Er ist seine eigene Ideologie. Besonders freundlich, besonders intelligibel ist diese allerdings nicht.

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