Fandom Observer hat bereits zwanzig Jahre auf dem Buckel. Das Magazin schreibt zu wichtigen Themen im Fantasy-Bereich. In der neuesten Ausgabe ist unter anderem ein Artikel zu John Asht und über die Qualität von Laien-Rezensionen. Wie der Rest des Magazins ist auch dieser Artikel unbedingt lesenswert. Das Magazin gibt es kostenlos hier.
Norm und Kanon
Weiterhin zeigt der Autor (John Asht) keine Einsicht. Zum Beispiel scheint er eine sehr explizite Norm davon im Kopf zu haben, was Kritik sei und was nicht. Dass er dabei pauschal gegen die so genannten (von ihm so genannten) literarischen Nichtskönner Stellung bezieht, macht die Sache nicht besser.
Man kannte in der klassischen Literaturwissenschaft einen Kanon, zu dem zum Beispiel Goethe gehörte, aber Kleist oder Hölderlin eher nicht. Wissenschaftlich waren diese Begründungen durchaus nicht. So schrieb Schlegel Anfang des 19. Jahrhunderts über die Römischen Elegien von Goethe, diese seien von erhabener Männlichkeit, ein Urteil, das uns Studenten zu zahlreichen mehr oder weniger derben Zoten veranlasst hat.
Barthes und Bachtin
Bei dem Umbau der Literaturwissenschaft zu einer "echten" Wissenschaft hat es dann auch etliche Skandale gegeben. Einer der wichtigsten in Europa war die Debatte um Racine, die der französische Philosoph und Zeichentheoretiker Roland Barthes mit seinem Buch zu diesem französischen Klassiker losgetreten hat. Zu der hochbrandenden Kritik an dieser zum Teil psychoanalytischen, zum Teil semiologischen Interpretation schrieb Barthes ein weiteres Buch: "Kritik und Wahrheit". Der Inhalt dieses Buches hat einen bekannten Racine-Interpreten wohl so aufgeregt, dass er eine Replik veröffentlichte, in Form eines Buches, die übersetzt heißt: "Halt die Klappe, Roland Barthes!" Immerhin war dieser Autor ein renommierter Professor.
Ein anderer, in aller Stille geschehener Skandal war die Verbannung des russischen Literaturwissenschaftlers Michail Bachtin durch Josef Stalin. Ungefährer Hintergrund dieser Missgunst des sowjetischen Diktators war, dass Bachtin Dostojewskis Werke sehr schätzte und diese, aus wissenschaftlichen Gründen heraus, als dialogisch beurteilte, während die von Stalin so geliebten Werke Tolstois von Bachtin als monologisch bezeichnet wurden. Bachtin konnte viele seiner Werke erst lange nach dem Tod von Stalin veröffentlichen. Teilweise erschienen Artikel von ihm unter dem Namen seiner Freunde. So wurden einige seiner wissenschaftlichen Beiträge durch Boris Pasternak (Doktor Schiwago) an die Öffentlichkeit gebracht. Kein anderer als Marc Chagall gewährte dem ungeliebten Literaturwissenschaftler Asyl an seinem Institut. Heute werden Bachtins Werke in breitem Umfang übersetzt. In den letzten Jahren sind viele seiner zentralen Schriften, unter anderem seine großartige Rabelais-Monographie im Suhrkamp-Verlag erschienen.
Trivialliteratur
In Deutschland hat man sich noch in den 70iger-Jahren mit der so genannten "Trivialliteratur" schwergetan. Einführungen in die Literaturwissenschaft wie die von Jochen Schulte-Sasse und Renate Werner, die zum ersten Mal 1976 erschienen ist, haben hier noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Heute ist eine zentrale Frage der Literaturwissenschaft die Frage der Textkohärenz und Textkohäsion. Sie antwortet darauf nicht normierend, soweit dies bei einer Interpretation möglich ist.
Damit hat sich aber die Literaturwissenschaft endgültig davon verabschiedet, einfach nur eine Meinung zur Literatur zu haben, einfach nur bestimmte Werke als besonders hochwertig und aufgrund unhinterfragter Vorentscheidungen immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu stellen. Natürlich steht im Hintergrund noch die Frage nach der Textqualität. Doch insgesamt ist hier die Forschung bescheidener geworden, auch wenn die Arbeiten zu so genannter Unterhaltungsliteratur weiterhin einen geringeren Anteil ausmachen als zu den Klassikern. Heute kann man dies aber auch ein ganzes Stück weit als die universitäre Faulheit brandmarken: für die Seminararbeit lassen sich eben schneller ein paar Zitate zu Kleist oder Kafka zusammentragen als zum Beispiel zu einem Autor wie Markus Heitz.
Studierte Literaturkritik: Nicht auf Amazon
So offenbart sich John Asht gerade nicht als jemand, der gut beurteilen könnte, was "studierte Literaturkritik" ist. (Er argumentiert ja auch nicht, sondern lebt sich im Pejorativ aus.) Im Fandom Observer äußert er sich folgendermaßen: "Gegen Kritik habe ich prinzipiell nicht das Geringste — vorausgesetzt es handelt sich um eine seriöse Kritik: fundiert, objektiv und vor allem auf Wissen basierend." Und man kann hier durchaus lesen, dass er so lange nichts gegen Kritik hat, solange es nur um die abstrakte Tatsache geht, Kritik anzuerkennen. Im Konkreten allerdings zeigt er sich eher als unbeholfen, zum Beispiel was seine eigene Kritik an der Rezension von Myriel angeht, als auch im Umgang mit der ganzen Debatte danach. Insgesamt erinnert seine Vorgehensweise doch allzu sehr an die Aussage von Methusalix (aus dem Comicband: Asterix. Das Geschenk Caesars): "Ich habe nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Doch diese Fremden sind nicht von hier."
Doch selbst wenn Asht wüsste, was objektive Leistungen der Literaturkritik wären, wäre seine Forderung weltfremd. Denn es gibt meines Wissens keine Rezension auf Amazon, die auch nur einfachen literaturwissenschaftlichen Kriterien genügen dürfte. Wenn aber andere Autoren diese Leistung nicht bekommen, warum sollte sie dieser Herr dann für sich in Anspruch nehmen dürfen? Und: Wer auf Amazon eine Rezension liest, möchte doch keinen wissenschaftlichen Artikel durcharbeiten, sondern eine Rezension lesen.
Eine Rezension ist eine mehr oder weniger gut begründete Meinungsäußerung. Nicht mehr! (Klage ich denn darüber, dass mein geliebter Barthes (trotz guter Rezensionen) so wenig gelesen wird?)
Und seien wir mal ehrlich: ein Andreas Franz, bei dem die Hälfte der positiven Rezensionen mit Rechtschreibfehlern, unfreiwilligen Stilblüten und seltsamen Satzkonstellationen gespickt ist, empfiehlt sich dem gebildeten Leser doch auch nicht.
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