Ich fühle mich gelegentlich missverstanden, jawohl! Und warum?
Sachstand
Vor fünf Wochen hat Stefanie Sargnagel zusammen mit zwei anderen Autorinnen einen satirischen Text veröffentlicht. Das ist, wie vieles, erst mal an mir vorbeigegangen; genauer: ich kannte die Autorin bis dahin gar nicht. Kurz nach der Veröffentlichung des Textes hat eine österreichische Boulevard-Zeitung einen Schmäh-Artikel darüber veröffentlicht, aber nicht verstanden, dass dieser Text ein satirischer ist. Daraufhin folgte ein Shitstorm, während dem Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen Sargnagel geäußert wurden.
All das ist aber bereits in zahlreichen Artikeln aufbereitet worden, zumeist mit deutlichem Unmut über jene Boulevard-Zeitung und den mehr oder weniger anonymen (und das heißt auch: sehr feigen), zumeist männlichen Hetzern und Rechtsverächtern.
Literaturskandal oder Fehllektüre?
Ich fand nun den Text, aus dem die ganze Debatte entstanden ist, eher mäßig, die Bezeichnung der Debatte selbst als Literaturskandal falsch: der Text ist alles andere als skandalös, skandalös ist nur die Fehllektüre. Gelegentlich finde ich mich recht konservativ; aber so recht ins konservative Lager passe ich dann doch nicht: ich hoffe, dass ich einer solch falsch-oberflächlichen Lektüre nicht fähig bin.
Jedenfalls hat ein Freund den Artikel herumgeschickt, in dem das Wort Literaturskandal auftaucht; ich habe dieses Wort kritisiert — und wurde beklatscht. Von wem? Ganz genau habe ich die politische Orientierung nicht herausbekommen, aber es waren wohl „Nationalisten“ oder diesen ähnliche Menschen.
Rechts oder links
Was ich mittlerweile in der öffentlichen Diskussion ganz erbärmlich finde, das ist diese Einteilung in rechts und links, in konservativ und sozialistisch, und was es dergleichen mehr gibt. Diese Kritik ist nicht neu; von mir erfunden wurde sie schon gar nicht. Trotzdem sei noch mal an die Prüfung erinnert, ob ein Begriff die nötige Tiefen- und Trennschärfe mit sich bringt, um mit ihm eine ordentliche Diskussion zu führen. Links und rechts besitzen diese Schärfe nicht. Konservativ bin ich auch, da ich von gewissen althergebrachten Werten nicht abweichen mag; Wissenschaftlichkeit, zumindest der Prozess der Verwissenschaftlichung gehört z.B. dazu, oder dass jeder Mensch, der schreibend tätig ist, ein gewisses Maß an philologischen Werkzeugen – Quellenangaben, Markierung von Zitaten, Begriffsbildung, oder die Trennung von Tatsache und Meinung – selbstverständlich verwendet. Im sogenannten konservativen Lager tummeln sich mir zu viele Menschen, die diese Präzisionsinstrumente nicht benutzen oder sie direkt missachten. (Aber das heißt natürlich nicht, dass nur diese Autoren kritisierenswert seien.)
Autorinnen in Marokko
Kaum einer der Artikel, sei es pro oder contra, setzt sich genauer mit dem tagebuchartigen Beitrag auseinander, den Stefanie Sargnagel und ihre beiden Mitstreiterinnen veröffentlicht haben. Dazu möchte ich, wenn auch nicht mit gebotener Gründlichkeit, einige literaturwissenschaftliche Anmerkungen bringen. Der Text ist eine Satire; als eine solche lebt er von der Übertreibung, von der Missachtung von Höflichkeiten, und vom Palimpsest.
Das Palimpsest
Das Palimpsest ist eine Textform, die den Stil eines Autoren oder einer Menschengruppe nachahmt, aber neue Themen benutzt. Sargnagel & Co. schreiben einen recht prolligen, angeberischen Text, der sich sehr bewusst auf dem Niveau von Menschen bewegt, die in ein fremdes Land reisen, um sich daneben zu benehmen. Dementsprechend ist der Text auch vollgestopft mit nichtssagenden Sätzen („Die haselnussbraunen Augen des Taxifahrers erinnern mich an Haselnüsse.“) und folkloristischen Klischees („Heute bin ich auf einem Kamel geritten, als wäre ich eine von ihnen [gemeint sind die Marokkaner].“).
Die Hyperbel
Die Hyperbel, oder auch Übertreibung, bildet die Grundlage für die meisten humoristischen Texte. Sie kann explizit oder implizit verwendet werden. Explizit ist eine Hyperbel dann, wenn sich die Übertreibung deutlich in einem Wort oder einer Wertung verdichtet („Schenkel so dick wie ein Walfischbaby“); implizit ist sie dann, wenn sie einen Text mit unstimmigen oder verfremdenden Wörtern und Metaphern anreichert, oder ein zutiefst banales, lächerliches, störendes oder unhöfliches Bild mehrfach wiederholt (der Running Gag). Explizite Hyperbeln gibt es im Text einige („Wenn ich groß bin, möchte ich wie André Heller sein, nur schlimmer.“), zum Teil ironische („Ich habe mein Handy im Taxi zum Flughafen liegen lassen und es tatsächlich in letzter Minute wiederbekommen. Das war nicht sehr authentisch.“). Implizit sind Hyperbeln dort, wo sie beständig in unterschiedlichen Kontexten genutzt werden, hier z.B. das Kiffen und der Muezzin (dieser taucht ein letztes Mal in folgendem Satz auf: „Maria hat mit dem Muezzin geschmust.“).
Die Missachtung von Höflichkeiten
Einer der Aufreger in diesem Text war folgende Stelle: „… und wenn wir uns spätnachts willig zu ihnen an den Strand setzen, wollen sie eingraucht UNO spielen. Der Kölner Hauptbahnhof hat echt zu viel versprochen.“ Das allerdings ist ziemlich grob, passt aber in den prolligen Tonfall der gesamten Satire.
Literarische Wertung
Wie ist dieser Text zu werten? Es ist kein großartiger Text; die Idee, eine patriarchale Sprachform zu usurpieren, ist nicht neu, verliert deshalb aber nicht an Charme. Die Nachahmung dieser Untiefen macht es natürlich schwierig, darin noch etwas Tiefes aufscheinen zu lassen. Trotzdem gibt es solche Texte; aber diese sind dann von größeren Autoren und Autorinnen, Heine etwa, oder Tucholsky, oder manche Briefe von Rosa Luxemburg.
Mir fehlt die dritte und vierte Bedeutungsebene unter der Oberfläche des Textes, also all jenes, was die launigen Albernheiten dann doch noch in etwas „Philosophisches“ verwandeln, oder zumindest in etwas „Lehrreiches“. Mit anderen Worten ist diese Satire ein Gebrauchstext, besser als viele Satiren, weil sie selbstironisch ist und mit einigen durchaus amüsanten Sinnbrüchen daher kommt. Es fehlt, wie gesagt, das Überalltägliche und Zeitlose. Der Text ist für einen kurzen Ausschnitt aus einer Epoche gedacht, nicht für die Epoche selbst (wie auch immer man diese nennen mag) oder über die Epoche hinaus. Schon die Skandalisierung durch die Kronen-Zeitung erweist ihm zu viel Ehre – oder zu wenig, wie man es nimmt.
Der Skandal der Skandalisierung
So ist die Satire keineswegs eine skandalöse. Sie wäre untergegangen in der alltäglichen Flut an Gebrauchstexten, wenn, ja wenn eben nicht die Kronen-Zeitung sich darüber ausgelassen hätte, bis hin zu dem Umstand, dass die Reise der Autorinnen mit einem Stipendium von 750 Euro gefördert worden wäre. Diesen Betrag muss man sich nun vorstellen! Es ist ja nun kein Geheimnis, dass ein Staat gelegentlich Steuergelder verschwendet, sei es aus Unkenntnis, sei es aus Misswillen. Ich muss die Beträge nicht nachgoogeln, um sagen zu können, dass darin 750 Euro den geringsten Teil des Übels ausmachen, wenn es denn ein Übel war.
Die Folgen des Kronen-Artikels sind bekannt: justiziable Drohungen, Veröffentlichung der Privatadresse der Autorin in einem nicht wohlgesonnenen Medium, Ermittlung der Staatsanwaltschaft und Polizei gegen die Straftäter wegen Aufruf und Bekundung zu schweren Rechtsverletzungen. Das ist dann tatsächlich skandalös. -
Der Autor jenes Artikels, der das Wort Literaturskandal ins Spiel gebracht hat, hat wohl das Richtige gemeint. Allein verstellt das Wort den Tatbestand: hier sind Teile der Bevölkerung dermaßen verroht und entkultiviert, dass sie ohne Zögern dem Terror dienen. Der islamische Terror, den viele befürchten, ist - zumindest als Terror, nicht als islamischer - längst in unserer Gesellschaft angekommen. Fragt sich da noch jemand, ob die Neonazis der IS vorzuziehen sei? Beide haben die Grenze des Zulässigen längst überschritten, beide sind Feinde der offenen Gesellschaft; und das Argument der islamischen Radikalisierung wirkt aus dem rechtsradikalen Mund so schal und verlogen wie deren Bekenntnis zur Meinungsfreiheit, zum Patriotismus und zur deutschen Kultur. Was dagegen ist, moralisch gesehen, ein satirischer Text, der keine Zeitlosigkeit beanspruchen darf?
Jörg Rüdiger Meyer
Ich twitterte also; und ein Jörg Rüdiger Meyer antwortete: „Das Problem der zeitgenössischen Linken ist, dass sie für alles sind, wogegen die Rechten sind. Eine Intellektuelle Einbahnstraße.“ Auf diese Antwort habe ich zunächst allergisch reagiert. Das Attribut „links“ wird heute von den „Rechten“ für all diejenigen verwendet, die nicht die „rechte“ Meinung bedenkenlos nachplappern; was dann auch Kant-Leser, Wittgenstein-Exegeten oder Altliberale im Sinne Dahrendorfs oder Whiteheads, Simmels oder Arendts mit einbegreift. Dazu gehören Fehllektüren der gender-Theorie oder der Politik der Grünen. Der Reflex, dieses nicht ernst zu nehmen, ist bei mir stark, weil eine entsprechende Begründung fehlt, weil sich noch nicht einmal Äußerungen ausmachen lassen, die über das Pejorativ oder die argumentationslose Zustimmung hinausgehen.
Zwei Gründe machen mir solche Plärrer höchst unsympathisch: ihr undifferenziertes Menschenbild samt seiner Folgen, und die Langeweile, die mich beim Lesen solcher Texte ergreift.
Nun gehört Meyer gerade nicht zu solchen Gruppierungen. Zwar nennt er sich „nationalliberal“, was mich in Habacht-Stellung bringt. Doch seine Artikel sind zumindest nicht langweilig, auch nicht undifferenziert.
Bei ihnen passiert mir das, was mir derzeit bei vielen politischen und politisch-philosophischen Texten passiert: ich komme zu keiner eindeutigen, noch nicht einmal zu einer tendenziellen Wertung. Allein: ich spüre eine gewisse Distanz. Meyers Texte sind im Vogelflug geschrieben. Ich bezweifle eine solche überhöhte Position, und es mag dahingestellt sein, ob diese schlichtweg nicht möglich ist oder einfach für mich (noch) nicht vorstellbar.
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