Nun ist er tot, Umberto Eco, und beinah möchte ich sagen damit auch eine der letzten Lichtgestalten meiner Studienzeit. Was ich über Semiotik weiß, das habe ich vor allem bei Umberto Eco und Roland Barthes erfahren; alles, was dazu kam, war Beiwerk. Nun, nicht ganz: William van Orman Quine wäre der dritte. Doch dessen Theorie ist eine andere.
Inhaltsverzeichnis
Seitdem
Im Tagesspiegel wird der Tod Umberto Ecos beklagt. Ganz auf der Höhe ist der Artikel allerdings nicht. So wird dort behauptet, Eco habe mit Der Name der Rose Weltruhm erlangt, was noch stimmt. Seitdem, so der Artikel weiter, mache er sich auch als Philosoph und Sprachwissenschaftler einen Namen. Und das wiederum stimmt nicht. Denn viele wichtige Werke, allen voran seine Einführung in die Semiotik (ES), sind wesentlich früher erschienen.
Ideologie
Denotation und Konnotation
Mir sind die Romane Ecos nicht so wichtig. Für mich war vor allem die Auseinandersetzung mit seiner Theorie der Ideologie prägend.
Wie jede sprachliche Schöpfung beruht die Ideologie auf Konnotationen. Eine Konnotation, dies bezeichnete Roland Barthes mal als „systematisch ausgearbeitetes Geräusch“, was, wenn man dies genau bedenkt, ein Oxymoron ist, ein scharfer Widerspruch, bzw. eine Unvereinbarkeit der Bedeutungen. Tatsächlich ist eine Konnotation mehr als eine Assoziation. Die reine Assoziation ist flüchtig. Aber sie ist weniger als eine Denotation, eine „Wörterbuch-Bedeutung“. Zwischen Assoziation, Konnotation und Denotation bestehen fließende Übergänge. Denotationen werden durch Machtverhältnisse erzeugt: man findet diese Stabilität nicht in der reinen Tätigkeit des Bezeichnens.
Metasemiose
Wir neigen dazu, bestimmte Eigenschaften eines Phänomens zu stabilisieren, andere nicht. Solche Stabilisierungen werden von einer Kultur gefördert oder behindert. Wir neigen weiterhin dazu, stabile Eigenschaften für ein wesentliches Phänomen zu halten, instabile dagegen den Umständen zuzurechnen. Die Metasemiose (oder Resignifikation, wie dies bei Judith Butler heißt) löst diese Stabilitäten auf, ohne sie ganz in die Flüchtigkeit der Assoziation zurückzustoßen. Die Metasemiose ist demnach zugleich die Metamethode der Ideologiekritik.
Fixierte Konnotationen
Eine ideologische Botschaft sei eine „Formel mit fixierter Konnotation“ (ES, 173). Mit anderen Worten: eine Botschaft ist genau dann ideologisch, wenn ein möglicher konnotativer Subcode sich „notwendig“ macht, indem er alle anderen konnotativen Subcodes verdrängt oder zensiert. Der Subcode übernimmt dann auch nach und nach die übergeordnete Kodierung.
Homo Faber
Geben wir ein altbekanntes Beispiel zum besten: im Roman Homo Faber begegnet Walter Faber den Frauen auf eine zum Teil kurzsichtige, zum Teil befremdliche Art und Weise. Diese Kodierung wird zum ersten Mal von Hanna Landsberg auf die Differenz Mann/Frau hin interpretiert.
Die Interpreten des Romans haben diese Darstellung aufgegriffen und nie hinterfragt. Tatsächlich kann man aber die Rolle von Hanna keineswegs so verklären, wie dies getan wird. So wird Walter Faber immer wieder die Schuld am Tod seiner Tochter zugesprochen; zudem wird ihm ein Inzest vorgeworfen. Doch aus genau denselben Gründen könnte man auch Hanna für die Schuldige halten, hat diese doch Walter die Geburt ihrer gemeinsamen Tochter verschwiegen und so das Missverständnis erst möglich gemacht.
Dadurch aber wird die Behauptung, dass Walter Faber frauenfeindlich sei, zu einer ideologischen Botschaft. Natürlich ist sie nicht gänzlich abzulehnen. Sie erreicht ihre Eindeutigkeit aber erst dadurch, dass wesentliche Aspekte des Romans nicht in die Interpretation mit hineinfließen. Aus der konnotativen Deutung wird eine denotative, aus der Resignifikation eine Ideologie, der Subcode des ewigen Missverständnisses zwischen Mann und Frau bestimmt schließlich die ganze Sichtweise und verdrängt andere Subcodes.
Die ästhetische Botschaft
Es hilft an dieser Stelle nicht, den Dogmatismus der Ideologie durch einen Avantgardismus zu ersetzen; führt dieser doch nur die Bildung von Deutungseliten fort. Die feministische Interpretation, die zum Erscheinen des Romans von Walter Jens in der FAZ geäußert wurde, war damals wie heute eine Fehllektüre. Sie kann allerdings nur schwerlich durch eine antifeministische Interpretation ersetzt werden. Das Problem an der ganzen Sache ist nicht das bessere Ergebnis, sondern das Ende einer Tätigkeit, die eigentlich nie beendet werden kann. In Das offene Kunstwerk spricht Umberto Eco von einer unendlichen Semiose, einem ewigen Weitergleiten des Sinns. An anderer Stelle wird Eco in Bezug auf die Botschaft und den interpretierenden Codes deutlicher:Das Verständnis der ästhetischen Botschaft basiert auch auf einer Dialektik zwischen Akzentuierung und Ablehnung der Codes und Lexika des Senders auf der einen Seite und Einführung und Zurückweisung von persönlichen Codes und Lexika auf der anderen Seite. Es ist eine Dialektik zwischen interpretatorischer Treue und interpretatorischer Freiheit: Einerseits versucht der Empfänger, die Aufforderung der Ambiguität der Botschaft aufzunehmen und die unsichere Form mit den eigenen Codes zu füllen; andererseits wird er von den Kontextbeziehungen dazu gebracht, die Botschaft so zu sehen, wie sie gebaut ist, in einem Akt der Treue gegenüber dem Autor und der Zeit, in der die Botschaft hervorgebracht worden ist.
(ES, 165)
Romane schreiben als Amateur
Ebenso deutlich wird Roland Barthes in seiner Vorlesung Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen:
Ich versetze mich in die Lage desjenigen, der etwas macht, nicht mehr desjenigen, der über etwas spricht: Ich untersuche kein Produkt, ich nehme eine Produktion auf mich; ich hebe den Diskurs über den Diskurs auf; die Welt kommt nicht mehr in Gestalt eines Objekts auf mich zu, sondern in der eines Schreibens, d.h. einer Praxis: ich gehe zu einer anderen Art des Wissens über (dem des ›Amateur‹, des ›Liebhabers‹), und gerade darin bin ich methodisch. »Als ob«: ist diese Formel nicht der eigentliche Ausdruck einer wissenschaftlichen Vorgehensweise, die in der Mathematik zu sehen ist? Ich stelle eine Hypothese auf und forsche, ich entdecke den Reichtum des sich aus ihr Ergebenden; ich postuliere einen zu schreibenden Roman und kann dergestalt hoffen, mehr über den Roman zu erfahren, als wenn ich ihn als ein bereits von anderen gemachtes Objekt betrachtete.
(Das Rauschen der Sprache, 320)
Praxis/Kritik
Wenn die Interpretation allerdings nicht beendet werden kann, lässt sich ihr „Wesen“ nicht in einem Ziel, in einem fertigen Produkt angeben. Sie ist eine Praxis ohne Abschluss, oder vielmehr ist sie eine Praxis, die nur gewaltsam unterbrochen werden kann, durch eine Art Tod. Allegorisch gewendet gleicht das Interpretieren dem Atmen.
Auch die Kritik „leidet“ an ihrer Erstarrung. Auch ihr kann eine Unendlichkeit, eine ewige Bewegung zugesprochen werden.
Hier verschmelzen die Metasemiose (bzw. Resignifikation) und die Kritik als semiologische Praxis. Dies werde ich im folgenden Artikel genauer beschreiben.
Weiter: Methoden der kritischen Genealogie
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