Man kann zu Slavoj Žižek sagen, was man will; er gehört, ob man ihm folgen möchte oder nicht, zu den vergnüglichen und scharfsinnigen Autoren. Sein Büchlein über Jacques Lacan ist darin nicht anders. Und wie viele der Philosophen, die nett zu plaudern vermögen, so wie überhaupt jedes Buch von Žižek, birgt auch dieses die Gefahr, dass die dahinterstehende Methode aus dem Blick gerät, und damit der systematische Zusammenhang, den Lacan in seinen Vorlesungen und Schriften herausarbeitet.
Mit 148 Seiten (den darumstehenden Apparat abgerechnet) ist dieses Buch natürlich zu kurz, um mehr als eine Einführung zu sein. Insofern ist es schon erstaunlich, wie viele zentrale Gedanken Žižek gleichsam im Vorübergehen vermitteln kann.
Das nutzlose Geschenk der Liebe
So erklärt Žižek zum Beispiel, warum sich Liebende eigentlich immer nur unnütze Dinge schenken: gerade weil diese Dinge nicht nützlich sind, transportieren sie in reinster Weise das Kümmern des anderen. Sie bedeuten nichts anderes als die Nichtigkeit des Zweckmäßigen. Und so sind gerade die kleinen, überflüssigen Sachen ein Zeichen dafür, dass man nichts geschenkt und nichts angenommen hat, während man zugleich alles, nämlich sich selbst, geschenkt und alles angenommen hat.
Interpassivität
Die Masse der Narzissten
Ein anderer hübscher Gedanke ist der der Interpassivität. Man tut etwas, um nichts zu tun.
Man erlebt das manchmal bei einer Schreibblockade: der Autor kann nicht weiterschreiben, er tut alle möglichen Sachen, die gerade nichts mit dem Schreiben zu tun haben. Er tut also etwas, aber es ist nicht das Schreiben. Und doch –
Das Problem dabei ist, dass sich die geheimen Vorstellungen auf ein anderes Objekt verschoben haben, weil die eigentliche Tätigkeit keine Befriedigung mehr bietet. Denn tatsächlich leben wir in einer Kultur, in der das geschriebene Wort so massenweise auftaucht, dass sie die narzisstische Stellung des Autors nicht mehr zu bedienen vermag.
Ghostwriting
Und so taucht der Ghostwriter an dieser Stelle auf. Er schreibt, was man selber nicht schreiben kann oder wozu einem das Begehren fehlt, damit man selbst etwas anderes tun kann, zum Beispiel in Urlaub fahren.
Dann darf man sich auch beklagen, dass das Ghostwriting so teuer ist und setzt die Mühen des Schreibens den Mühen des Geldverdienens entgegen. Das kann sogar soweit führen, dass man den Preis herunterzuhandeln versucht, weil der Vater ja schließlich schon das ganze Studium bezahlt habe und jetzt nicht auch noch so viel Geld für die Masterarbeit bezahlen solle. (Die Dame hat sich übrigens, laut ihren eigenen Aussagen, während des Studiums vor allem um ihr Pferd kümmern müssen. Deshalb konnte sie nicht so oft in den Seminaren sitzen.)
Fundamentalistisch sein
Die drei rhetorischen Figuren des Perversen
Žižek ist auch ein scharfer Beobachter und Kritiker radikaler Tendenzen. Dass er sich dabei des Öfteren über islamistische Fundamentalisten auslässt, hat ihm gelegentlich das Lob aus dem „rechten“ und rechtsradikalen Lager eingebracht. Dabei lässt sich die Kritik auf einfachste Weise auch auf den Rechtsradikalismus anwenden, oder auf gewisse Formen, die das Christentum derzeit wieder in den Vordergrund zu rücken scheinen.
Die Idee ist relativ einfach: der Fundamentalist ist einfach ein Perverser. Der Perverse wird nicht durch seine bizarren Praktiken definiert (tatsächlich üben nur ein kleiner Teil der Perversen solche sexuellen Tätigkeiten aus), sondern dadurch, dass er als Instrument eines höheren Willens nicht nur den direkten Zugang zur Wahrheit besitzt, sondern zu einer apokalyptischen Wahrheit (dem göttlichen Gericht).
Die rhetorischen Figuren dahinter sind einfach: zunächst ist die Realität nur eine Allegorie höherer Mächte; dann wird die Spaltung auf einseitige Weise verdoppelt: die Leugner des wahren Glaubens bestätigen diesen und so wird aus der Bejahung und Verneinung eine Bejahung als Bejahung und eine Verneinung als Bejahung; drittens aber wird der Beweis umgekehrt: das, was beabsichtigt wird, dient nun als Beweis für den eigenen, höheren Status: Nicht führt der Glaube an die Wahrheit zum Tod, sondern der (zukünftige) Tod beweist die Wahrhaftigkeit des Glaubens.
Etwas durch sich hindurch glauben lassen
Žižek begründet aber auch sehr präzise, warum der Perverse nicht selbst glaubt und noch nicht einmal wirklich „religiös“ leben muss: denn der höhere Andere glaubt durch den Perversen hindurch und legitimiert, egal was dieser tut. Ohne Frage gilt dies aber nicht nur für die eigentlichen Religionen, sondern auch für alle anderen möglichen ideologischen Systeme. Dies mag unter anderem erklären, warum gerade die Rechtsradikalen so herzlich wenig Ahnung von ihrer eigenen Kultur besitzen, und warum man zum Beispiel bei der AfD die seltsamsten, geradezu infantilen Überzeugungen findet.
Denn eine andere Sache zeichnet den Perversen, und damit den fundamentalistischen Ideologen aus: die religiösen Aussagen werden als empirische genommen. Denn obwohl man dies der sinnlichen Umwelt kaum wird abgewinnen können, scheinen diese Menschen in der Lage zu sein, das „Deutsche“ sehen und hören zu können, als würde es durch das Grün der Landschaft und dem Rauschen der Bäume direkt zu ihnen sprechen.
Lesenswert?
Eine Rezension sieht anders aus. Aber was soll ich wiederholen, was ich zum Lesen empfehle. Natürlich gibt es auch andere Bücher über Lacan, die man diesem entgegenstellen könnte. Nichts wäre einfacher als das.
Žižek spart auch alle Diagramme aus, mit denen Lacan seine Lehre illustriert hat, angefangen vom umgedrehten Zeichen bis hin zum Graphen des Begehrens. Diese sind, man kann es nicht anders sagen, für jemanden, der sich tatsächlich und ernsthaft mit Lacan auseinandersetzen will, natürlich eine Pflicht.
Aber was will man von einer Einführung anderes erwarten, als dass sie einem zentrale Aussagen in vergnüglicher Weise illustriert und ihren kritischen Wert demonstriert? Das ist Žižek nun gelungen. Und insofern macht dieses Buch auch Lust, sich intensiver mit dieser schillernden Gestalt auseinanderzusetzen.