So, müsste man sagen, fangen gute Kurzgeschichten an:
Between the silver ribbon of morning and the green glittering ribbon of sea, the boat touched Harwich and let loose a swarm of folk like flies, among whom the man we must follow was by no means conspicuous - nor wished to be.Chesterton, Gilbert Keith: The blue cross
The blue cross
Der Satz ist nicht so einfach, wie man schon beim ersten Lesen erfasst.
1. Als erstes fällt auf, dass das Band zuerst mit einer Tageszeit zusammenhängt, dann mit einem räumlichen Phänomen. Beide sind aber räumlich und beide dürften in etwa denselben Ort bezeichnen, nämlich den Übergang vom Meer zum Himmel. Bedenkt man, dass Erzählen bedeutet, einem Geschehen Raum und Zeit zu geben, dabei aber den Horizont - die weitergehende Bedeutung - mitzuschreiben, zeigt dieser erste Satz bereits die wesentlichen Elemente der Erzählung an.
2. the boat touched - to touch wird hier als Verbalmetapher gebraucht.
3. to let lose - Das aktive Verb verweist auf eine Person, und, da es sich um einen unbelebten Gegenstand handelt, um eine Personifikation.
4. like flies - Dies ist ein (wenn auch recht gewöhnlicher) Vergleich.
5. we must follow - Hier wird die Erzählsituation direkt angesprochen. Allerdings bleibt die Notwendigkeit ein Rätsel: es ist nicht klar, warum wir diesem Mann folgen müssen.
6. was by no means conspicuous - nor wished to be - Tatsächlich wird der Erzählzwang und die Willkür des Erzählers in dicht gedrängter Weise ironisiert. Wendet sich 5. an den Leser in direkter Art und Weise, zeigt 6. dies auf indirekte Art und Weise: indem der Autor sich als allwissend gibt (er sieht den Protagonisten von außen und von innen), zeigt er dem Leser, dass er auch verborgende Hinweise aufdecken kann. Der verborgende Hinweis führt zusammen mit 5. den Protagonisten als ungewöhnlich ein, auch wenn zunächst das Gegenteil behauptet wird. Doch erstens wäre eine Kurzgeschichte ohne einen ungewöhnlichen Protagonisten (oder zumindest einem Protagonisten, der Ungewöhnliches erlebt hat) nicht erzählenswert, und zweitens ist in Geschichten die exponierte Verneinung meist ein Zeichen dafür, dass das Gegenteil gilt.
Und tatsächlich: der erste Absatz führt einen Mann ein, der zunächst durch Gegensätze gekennzeichnet ist: the holiday gaiety of his clothes / the official gravity of his face; lean face / seriousness of an idler. Schließlich werden drei verborgende Details angesprochen: a loaded revolver, a police card, one of the most powerful intellects in Europe.
Am Ende des Absatzes kennen wir dann auch die Absicht, mit der der Protagonist nach London gekommen ist: to make the greatest arrest of the century.
Die rhetorische Schicht
Wenn man die Aktantenrollen in Sätzen analysiert, ist eine der größeren Probleme, den Text von seinen rhetorischen Besonderheiten zu isolieren, einmal, um zu einer "eigentlichen" Satzbedeutung zu kommen, einmal, um das Verhältnis zwischen rhetorischen Figuren und semantischen Rollen deutlich erfassbar machen zu können.
Würde man zum Beispiel was by no means conspicuous - nor wished to be wörtlich lesen, dann würde dieser Satz auf nichts vorausdeuten, was dann in der Geschichte passiert. Doch wir begreifen die Behauptung der Gewöhnlichkeit als ironisches Signal und damit als uneigentlich.
Der Anfang der Geschichte Chestertons ist zwar nicht hochpoetisch, aber doch raffiniert und zeigt eine wundervolle Weise, wie man mit wenigen, unaufgeregten Sätzen zugleich die Exposition bestreitet und Spannung aufbaut. - Ein Computerprogramm weiß von solchen Zwischentönen wenig (und ich befürchte sogar: gar nichts); genau das aber ist mein Problem: schon in recht einfachen und für die Menge geschriebenen Erzählungen (zu denen man Chesterton durchaus zählen kann) greift die rhetorische Schicht in alle Ebenen des Erzählens ein und verkompliziert diese. Das ist gut für den Leser, doch schlecht für den Programmierer.
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