18.02.2018

Mathematisches Argumentieren fördern

Einer der Kompetenzbereiche, der in der Mathematik gefördert werden soll, ist das mathematische Argumentieren. Aber wie sieht das in der Praxis aus? Und was kann man als Lehrer dafür tun, dass die Kinder ihre Fähigkeiten in diesem Bereich verbessern? Vor allem aber ist die Frage, wie man Kindern mit Rechenschwierigkeiten oder bereits erlernten falschen Lösungswegen hier zu einem besseren Verständnis mathematischer Zusammenhänge verhilft und ihnen damit die Möglichkeit gibt, die Rechenschwierigkeiten zu überwinden.

Sachaufgaben

Eine weitere Unterstützung bietet die mathematische Argumentation bei der Bewältigung von Sachaufgaben. Diese sind offensichtlich bei vielen Schülern unbeliebt. Dabei ist die ganze Mathematik vor allem auch eine Hilfe bei der präziseren Bewältigung von Aufgaben aus dem Alltagsleben. Es wäre also wünschenswert, wenn die Sachaufgaben einen zentralen Stellenwert Mathematikunterricht einnehmen.
Dabei sind die Anforderungen durch Sachaufgaben recht hoch. Zunächst muss eine Problemstellung verstanden werden. Die Lernenden müssen also aus einem Sachverhalt eine Art Konflikt oder Unwissen herausarbeiten. Dann muss dieser mathematisiert werden. Daraufhin muss die Lösung errechnet und ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden (denn es kann sein, dass eine Lösung zwar mathematisch richtig ist, aber für die Praxis und die Problemstellung nichts taugt). Zum Schluss muss der Rechenweg, bzw. der ganze Lösungsweg auch noch so dargestellt werden, dass er von anderen Menschen verstanden wird und nachvollzogen werden kann.

Aspekte der mathematischen Argumentation

Merkmale und Verbindungen

Bleibt man bei einer ganz einfachen Betrachtung der Argumentation, dann geht es vor allem um Merkmale und Verbindungen. Ein Phänomen oder ein Gegenstand hat bestimmte Merkmale, und diese stehen mit anderen Merkmalen anderer Phänomene oder Gegenstände in Verbindung.
In der Arithmetik wird die Verbindung durch eine arithmetische Operation ausgedrückt. Sie stützt sich dabei auf idealisierte Elemente, zum Beispiel Zahlen. Idealisiert heißt in diesem Fall, dass von allen Merkmalen abgesehen wird, sodass die reine Zählbarkeit (Quantifikation) übrig bleibt.
Die geometrischen Operationen sind komplexer zu beschreiben. Grob gesagt stellt man mit ihnen reine Formen und reine, idealisierte Nachbarschaften her. Dies geschieht in der Praxis durch ein Dazuzeichnen, wodurch eine Form ergänzt, erweitert, aufgeteilt wird. Dabei muss die zeichnerische Handlung Rücksicht auf die idealisierte Form nehmen.
Zeichnet man zum Beispiel eine Höhenlinie in ein Dreieck, dann ist diese zwar nicht vollständig senkrecht und auch nicht ohne Dicke; aber sie muss diese Idealität so weit es geht anzeigen.

Voraussetzungen des mathematischen Argumentierens

Beim Erlernen des mathematischen Argumentierens scheint es deshalb einige grundlegende Voraussetzungen zu geben:
  • Definition präziser Begriffe (d. h., dass alle Merkmale bekannt sein müssen)
  • Klärung von Vorbedingungen und annähernden Prognosen
  • Kenntnis von Satzmustern der mathematischen Argumentation
  • Zuordnung von Merkmalen und Schlussfolgerungen (mathematisches Abbilden)
  • Zurückweisen falscher Schlussfolgerungen
  • Verknüpfung mathematischer Darstellungen mit empirischen Situationen (abstrahieren und konkretisieren)

Definition präziser Begriffe

Normalerweise ist die Definition von Begriffen recht einfach. Man zählt die Merkmale auf, die zu einem Begriff gehören sollten. Diese sollten natürlich wesentlich sein. Dies wird aus vielen Gründen schnell schwierig.
In der Arithmetik ist das Problem zum Beispiel, dass sich eine Zahl nur aus dem Zahlenraum erschließt. So hat die Zahl 14 keine direkten Eigenschaften. Sie bildet zwar eine Menge von 14 Gegenständen ab, doch ist die Art der Gegenstände nicht wesentlich, sondern akzidentiell. Und die Möglichkeit, der 14 sonst etwas anzufangen, erhält sie aus dem Zahlenraum und der Möglichkeit, darin arithmetische Operationen auszuführen.
Insofern ist die Erkundung des Zahlenraums die Entdeckung einer Struktur, innerhalb derer die Zahlen substanzlose Markierungen darstellen. Wichtig ist also die Struktur und die formalisierten Beziehungen, die durch den Zahlenraum ermöglicht werden. So kann man zum Beispiel sagen (und dann auch mathematisch zeigen), dass drei aufeinanderfolgende ganze Zahlen summiert immer durch drei teilbar sind. Wozu auch immer diese Erkenntnis nützt!
Hilfreich ist hier, sich die Definition mathematischer Begriffe von Kant ins Gedächtnis zu rufen. Für ihn sind diese Konstruktionsvorschriften. Im Gegensatz zu empirischen Begriffen (wie Hund, Baum, etc.), die eine Art Wahrnehmungsvorschrift bilden, zielen die mathematischen Begriffe auf idealisierte Handlungen. So ist auch nicht die einzelne Zahl ein Begriff des Zahlenraums, sondern die Summe, die Differenz, usw.; mithin also alle Begriffe, die eine Beziehung bezeichnen.
Dies ist nun in aller Kürze gesagt. Wie dies didaktisch umzusetzen ist, ist eine andere Sache. Hier spielt die Veranschaulichung eine wichtige Rolle.

Satzmuster mit mathematischer Anbindung

Für die mathematische Argumentation sind bestimmte Satzmuster wichtig. Dies sind insbesondere Urteile, Schlussfolgerungen und Problematisierungen. Urteile weisen einem Phänomen ein Merkmal zu. Entgegen der landläufigen Meinung ist ein Urteil nicht notwendig eine Bewertung. Nur wenn das Merkmal subjektiv und akzidentiell ist, ist ein Urteil auch eine Bewertung. Ein objektives Urteil dagegen stützt sich auf eine Wahrnehmung.
Bei der Formulierung muss man den Schülern helfen. Tatsächlich muss man solche Formulierungen direkt trainieren möglichst immer wieder so anwenden, dass der formelle Zusammenhang deutlich wird. Ein Satz besteht aus einer Relationierung und einer Abbildung. Die Relationierung setzt die einzelnen Satzteile zueinander in Bezug. Die Abbildung setzt den Satz zu einer anderen medialen Form in ein Verhältnis. Sage ich: »Der Wind reißt die Blätter vom Baum.«, so formt der Satz eine Verbindung von Wind, Blättern und Baum. Dabei darf man sich nicht davon ablenken lassen, dass die andere mediale Form, in diesem Fall die „Realität“, genau dasselbe Verhältnis zeigt. Im Gegensatz zur Realität kann mit einem Satz auch etwas gesagt werden, was nicht in der Realität existiert. Die Realität kann nicht anders als real sein.
In diesem Sinne müssen die Schüler Satzmuster kennen, die in einer mathematische Realität hineinweisen. Dazu gehört zum Beispiel die Bestimmung von Mengen: »In einem Beutel befinden sich 37 Murmeln.« Daraus entsteht formalisiert die Satzstruktur: 1 A enthält x B; wobei A und B für Gegenstände, x für eine Zahl steht.
Schlussfolgerungen lassen sich durch Sätze wie »Ich stimme zu, weil …« oder »Ich widerspreche, weil …« einüben. Durch einen Satz wie »Ich wundere mich, warum …« lässt sich die Problematisierung eines Sachverhaltes ausdrücken. Und ein »Es könnte sein, dass …« oder »Ich frage mich, ob …« informiert über eine Hypothese.

Klärung von Vorbedingungen und annähernden Prognosen

Eine wichtige Aufgabe der mathematischen Argumentation ist die Klärung von Vorbedingungen, bzw. von der Ausgangssituation. Oftmals wird diese Vorbedingung so komprimiert gegeben, dass eine Klärung kaum notwendig erscheint, so etwa bei der Addition zweier niedriger ganzer Zahlen (3 + 4 = …). Bei Sachaufgaben oder bei der Aufforderung, in einen Sachverhalt ein mathematisches Problem hineinzumodellieren, ist dagegen die Klärung weit aufwändiger und schwieriger.
Zugleich aber muss mit der Klärung der Ausgangslage schon eine Prognose über den Rechenweg und das Ergebnis geliefert werden. Denn welche Sachverhalte einer Ausgangslage relevant sind, hängt wesentlich davon ab, welche Rechnung und welches Ergebnis man zu erreichen wünscht. Um hier ein einfaches, und noch sehr an der abstrakten Darstellung des Zahlenraums angelehntes Beispiel zu geben: wenn ich die Subtraktion 57 - 29 rechnen möchte, kann ich das Ergebnis dadurch eingrenzen, dass ich die angrenzenden vollen Zehner nutze, also 57 - 30 und 57 - 20 rechne und dadurch bestimmen kann, dass mein Ergebnis zwischen 27 und 37 liegen muss.

Mathematisches Abbilden

Um sich einen mathematischen Sachverhalt deutlich zu machen, ist es wichtig, aus einer Situation zu abstrahieren. Dazu können Skizzen und Diagramme sehr nützlich sein. Bevor man also zu den mathematischen Symbolen kommt, kann man sich einen Sachverhalt zeichnerisch verdeutlichen und vereinfachen.
Neben der Einübung zeichnerischer Techniken ist dabei wichtig, solche Ikone lesen und schreiben zu können, also zum Beispiel Richtungspfeile, Bündelungen von Elementen, geordnete Reihungen, usw.
Diesen Übergang habe ich, wenn auch auf andere Disziplinen angewendet, als Transmedialisierung bezeichnet, also der Übertragung eines Sachverhaltes in ein anderes Medium. (Der Begriff stammt übrigens nicht von mir, sondern von Vilem Flusser.)
Zeichnerisch spielt hier die Abstraktion, wie sie zum Beispiel in der moderneren Kunst bei Paul Klee oder Pablo Picasso zu finden ist, eine wichtige Rolle. So könnte man mit den Kindern entlang einer zeichnerischen Abstraktion, wie sie in den Skizzenbüchern von Picasso vielfach zu finden ist, im Kunstunterricht eine ebensolche verfertigen, also zum Beispiel von einer relativ realistisch gemalten Pflanze Übergänge bis zu einer nur noch durch wenige, abstrakte Striche angedeuteten Pflanze verfertigen.
Bei dem Übergang von einem Bild zu einem Text kann man eine Fotokopie nutzen, um darin die passenden Begriffe einzutragen. Auch die Bild-Text-Kombination ist ein wichtiger Bestandteil des mathematischen Modellierens und damit eine Hilfe für die mathematische Argumentation.

Zurückweisen

Zwei dazu passende, aber besonders zu beachtende Aspekte sind auf der einen Seite das Zurückweisen falscher Argumentationen: die Kinder müssen überprüfen, ob eine Argumentation mathematisch richtig ist; meist provoziert dies dann auch Versuche der richtigen Argumentation. Die Widerlegung ist deshalb so wichtig, weil sie für strittige Momente ein Fundament legt. Dies gehört vielleicht nicht direkt zum Kompetenzbereich Mathematik, aber zur Sprachpflege und zur Wissenschaftlichkeit. Später werden Menschen immer wieder auch mit anderen, teilweise stark konträren Meinungen konfrontiert. Hier ist es wichtig, dass die Kinder zwischen sachlichen und unsachlichen Darstellungen unterscheiden lernen und Argumentationsmuster einüben, um eine Diskussion auf die sachliche Ebene zurückzuführen.

Verknüpfen

Damit ist die mehr oder weniger nachvollziehbare Verbindung zwischen einer Situation und einer mathematischen Abbildung gemeint. Zwischen den beiden entsteht eine Art Lücke, die dann argumentativ gefüllt werden muss. Auf die Argumentation bezogen handelt es sich hier um eine Hypothese, die so präsentiert wird, dass sie zugleich problematisiert. Diese Verbindung ist für die Kinder auch deshalb so wichtig, weil sie damit an die Möglichkeit erinnert werden, eine empirische Situation mathematisch modellieren zu können. Im Gegensatz zu der Aufforderung, was einem Sachverhalt einen mathematischen Zusammenhang herauszuarbeiten, ist diese Aufgabenstellung einfacher: Hier muss „lediglich“ begründet werden, warum eine mathematische Formel oder eine andere Art der mathematischen Abbildung zu einem Sachverhalt gehört oder – siehe den vorhergehenden Abschnitt – eben nicht gehört.

Fazit

Ein zentrales Problem bei der Darstellung des mathematischen Argumentierens ist die Vielfalt, die zu diesem Kompetenzbereich besteht: zwischen der Erklärung eines Vorschulkindes, dass man einen Apfel halbieren muss, um ihn an zwei Kinder zu verteilen, der Deutung einer komplexen Statistik und der Beweisführung auf dem Gebiet der Integralrechnung bestehen weit reichende Unterschiede.
Und so ist es recht unwahrscheinlich, dass in diesem Gebiet eine einheitliche Definition und Darstellung jemals erreicht werden kann.
Eine andere Schwierigkeit ist natürlich, dass man auf andere Kompetenzbereiche sofort zurückgreift. Es gibt eben keine mathematische Aufgabe, zu der nicht auch Anforderungen an das mathematische Modellieren gehören. Und so lässt sich dies auf alle anderen Kompetenzbereiche des Faches Mathematik beziehen.
Die Diskussion muss also nach einem groben Überblick zu einzelnen Sachverhalten und zu ihrer Diskussion zurückführen. Anders gesagt: das mathematische Argumentieren ist vermutlich eine Idee, kein Begriff. Es lässt sich nicht aus der empirischen Masse heraus abstrahieren, sondern vermutlich nur durch mehr oder weniger gute Beispiele erläutern.

Keine Kommentare :