16.08.2010

Die Emotionstheorie von Plutchik

Emotionen spielen in unserem Alltag eine wichtige Rolle. Auch der Begriff der emotionalen Intelligenz ist in aller Munde. Neben den durchaus wichtigen Alltagstheorien über Emotionen gibt es viele wissenschaftliche Ansätze. Einer davon soll hier vorgestellt werden.

Acht grundlegende Emotionen

Der amerikanische Psychologe Robert Plutchik hat zwei grundlegende Bewegungsrichtungen bei den Emotionen unterschieden: eine verbindende und eine trennende. Über diese erste Unterscheidung kommt er zu acht Basisemotionen.
Die vier verbindenden Basisemotionen sind Freude, Vertrauen, Überraschung und Erwartung.
Die vier trennenden Basisemotionen sind Furcht, Trauer, Ekel und Ärger.

Intensität und Kombination der Emotionen

Diese acht Formen der Emotion existieren in unterschiedlicher Intensität und können sich miteinander kombinieren.
Für die unterschiedliche Intensität der verschiedenen Emotionen seien hier zwei Beispiele genannt. Nehmen wir zum Beispiel Freude. Bei einer hohen Intensität nennen wir den Ausdruck von Freude Ekstase. Bei einer niedrigen Intensität nennen wir dies Freudigkeit, Gelassenheit oder Fröhlichkeit.
Ähnlich ist es zum Beispiel beim Ärger. In einer hohen Intensität erscheint dieser als Zorn oder Wut, bei einer niedrigen Intensität als Feindseligkeit oder Verärgerung.
Kombinieren sich zwei Emotionen, entstehen neue, abgeleitete Gefühle. So nennt Plutchik die Verbindung von Freude und Vertrauen Liebe. Kombinieren sich zum Beispiel Vertrauen und Überraschung, entsteht Neugier. Zynismus wiederum sei, so Plutchik, eine Mischung aus Ekel und Erwartung.

Kann man Emotionen lernen?

Eine der wichtigsten Erkenntnisse in der Emotionstheorie allerdings ist, dass es zwar elementare Gefühle gibt, dass man aber lernt, wann man sie hat. Das heißt, man kann durchaus ein Gefühl verlernen oder erlernen. Dabei allerdings sollte man vorsichtig sein, denn zunächst denkt man, dass es sinnvoll ist, negative Emotionen aus seinem Leben zu verbannen. Es gibt aber äußerst sinnvolle Ableitungen von schlechten Gefühlen.
So ist eine "verfeinerte" Version der Angst die Fähigkeit, sich von etwas zu distanzieren, zum Beispiel von anderen Meinungen. Plutchik sieht den Ursprung der Angst in der Funktion, sich in Sicherheit zu bringen. Dies geschieht durch eine Flucht. Dieses Moment der Flucht steckt auch hinter der Distanzierung von fremden Meinungen.
In solchen sehr erwachsenen Verhaltensweisen steckt natürlich die ganze persönliche Geschichte der Gefühle mit drin. In der Distanzierung spielen noch andere Gefühlserfahrungen eine Rolle. Häufig "zerstört" man auch diese anderen Meinung, sei es durch offene Kritik, sei es durch verächtlichem Gedanken. Dies kann man wiederum auf die Grundemotion des Ärgers zurückführen.
Von dem Standpunkt der Gefühle aus leisten Gedanken und Handlungen mehrererlei. Zunächst einmal sind es die Elemente, an die sich Gefühle binden können. Zudem mischen sich die Grundgefühle in den Gedanken und Handlungen und können in unterschiedlicher Intensität ausgedrückt werden. Schließlich verfeinert eine reiche Gedankenwelt die Emotionen, bis zu dem Moment, in dem sie gar nicht mehr für uns wahrnehmbar sind.
So kann man abschließend sagen, dass die Grundemotionen zwar angeboren sind, deren Intensität, Mischung und Verfeinerung aber erlernt werden. Zudem erlernen Menschen auch, in welchen Situationen sie welche Gefühle bevorzugen.

Überlebensstrategien

Plutchik hat die Emotionen in der Evolution verankert. Er postuliert fünf wichtige Elemente, die jede Grundemotion ausmachen.
Das erste Element ist das Reizereignis. Damit ist ein Reiz gemeint, der aktuell vorliegt und mit dem besonderen Gefühl einhergeht. Das zweite Element ist die kognitive Einschätzung. Diese repräsentiert den aktuellen Zustand. Als drittes Element kommt die subjektive Reaktion dazu, die aus dem Grundgefühl besteht. Schließlich gibt es noch ein Verhalten, das durch die Emotion ausgelöst wird und eine evolutionäre Funktion. Mit dieser wird die Anpassungsleistung an die Umwelt bezeichnet.
Ärger zum Beispiel wird durch ein Hindernis ausgelöst. In Gedanken wird dieses Hindernis als Feind bewertet (kognitive Einschätzung). Das dazugehörige Verhalten ist der Angriff und evolutionäre Funktion besteht in der Zerstörung eines Hindernisses.
Die Trauer begleitet den Verlust eines wertvollen Objekts. In diesem Fall stehen sich allerdings die kognitive Einschätzung und das Verhalten entgegen. Die kognitive Einschätzung ist, dass man das Objekt aufgeben sollte, während das Verhalten jemanden ruft. Dieser jemand ist entweder das verlorene Objekt selbst, oder jemand, der einem dabei hilft, dieses verlorene Objekt wiederzuerlangen.

Wie geht man mit Emotionen um?

Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass man möglichst viele Handlungen kennen sollte. Zudem ist eine umfassende Bildung wichtig, um viele verschiedene Gedanken entwickeln zu können. Das klassische Lernen ist also ebenso notwendig für eine reiche Gefühlswelt, wie die praktischen Tätigkeiten.
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass Gefühle in jedem Gedanken und jeder Handlung enthalten sind, aber nicht offen daliegen. Man kann sie jedoch aus dem Bewegungsimpuls erschließen. Um dies gut zu können, ist eine hohe Bewusstheit des eigenen Denkens und eine sensible Reflexion des eigenen Handelns nötig.
Eine dritte Möglichkeit besteht darin, auf eine emotional besetzte Situation andere Gefühle auszuprobieren. So kann man zum Beispiel einen Menschen, auf den man ärgerlich ist, mit einem Gefühl der Überraschung "besetzen". Gelingt dies, ersetzt man nämlich den Impuls zur Zerstörung durch einen Impuls, sich neu zu orientieren. Dadurch können aus einer Situation neue Einsichten entstehen. Bei dieser dritten Möglichkeit gibt es allerdings nicht darum, sich emotional umzupolen, sondern ausschließlich darum, durch andere Gefühle eine andere Sichtweise auf eine bestimmte Situation zu erproben.

Emotionale Kompetenz

Folgt man den Gedankengängen von Plutchik, dann gibt es keine emotionale Intelligenz. Diese müsste nämlich angeboren sein. Stattdessen kann man von einer emotionalen Kompetenz reden. Diese kann erlernt werden, wenn auch nur auf dem indirekten Weg der wissenschaftlichen, kulturellen und praktischen Bildung.

3 Kommentare :

LuciaSilva hat gesagt…

Ärger zum Beispiel wird durch ein Hindernis ausgelöst. In Gedanken wird dieses Hindernis als Feind bewertet (kognitive Einschätzung). Das dazugehörige Verhalten ist der Angriff und evolutionäre Funktion besteht in der Zerstörung eines Hindernisses.

Für meinen Geschmack entspringt das Verhalten nur männlichem Denken.

Ein Hindernis muss nämlich nicht zwingend zerstört werden. Zumal Angriffe außer Verletzungen auch noch unbekannte Risiken in sich bergen. Ein Umgehen wäre wohl intelligenter. Und nein, eine evolutionäre Funktion kann Zerstörung gar nicht sein, denn das würde ja bedeuten, dass die Evolution ein unabhängiger Beobachter wäre.

Und auch das andere ist für mich einseitiges männliches Denken.

Lg, Lucia

Frederik Weitz hat gesagt…

Liebe Lucia!
Plutchik hat, das habe ich allerdings nicht geschrieben, mit seinen acht Grundemotionen nur acht idealtypische "reine" Emotionen vorgeschlagen. Er selbst stand diesen idealen Typen kritisch gegenüber und hat sie mehr als Hilfsmittel gesehen.
Zweitens darf ich dich daran erinnern, dass du die patriarchale Kultur ja durchaus zerstören willst. Ich sehe darin auch noch kein Problem. Ich versuche hier immer, die "evolutionäre" Funktion von der sozialen Funktion zu trennen. Sozial gesehen ist Zerstörung sehr kritisch zu bewerten.
Drittens muss man evolutionäre Funktionen auf einer anderen Ebene betrachten. Sie haben mit Intelligenz nichts zu tun, sondern mit Ausprägungen, die sich als günstig erwiesen haben. Viele Muttertiere erweisen sich während der Zeit, in der die Jungtiere bei ihnen leben, als besonders aggressiv. Schutz und Fürsorge nach "innen" korrespondieren mit einer erhöhten Aggression nach "außen". Zumindest bei einigen Tierarten, meine ich mich zu erinnern, dient das auch zum Schutz vor dem Männchen, also dem biologischen Vater, die die Jungtiere sonst fressen würden.
Allerdings birgt meine Übersetzung von Plutchik sicherlich die Gefahr, missverstanden zu werden. Ich musste, bei meinem "schlechten" Englisch, immer wieder nach halbwegs angemessenen deutschen Übersetzungen suchen.
Mein Umgang mit Modellen ist insgesamt eher distanziert. Modelle erklären für mich keinerlei Realität, sondern sind eher Strukturen, an denen ich mich reibe. Meinen Klienten sage ich immer, dass das Spannendste an einem Modell die Ränder sind, an denen es weder falsch noch richtig erscheint, sondern in einer Art Unsicherheit verharrt. Obwohl diese Auffassung zuerst mit Befremden gesehen wird, machen viele Menschen dann die Erfahrung, dass gerade dadurch eine wesentlich größere Gelassenheit und Neugier entsteht. Insofern trifft mich deine Kritik nicht wirklich, da ich mich (soweit es geht) eher um das Modell herumwinde, als es zu vertreten.

Frederik Weitz hat gesagt…

Nachtrag:
Natürlich hast du Recht. Die Evolution ist kein unabhängiges Wesen. Hier habe ich - rhetorisch etwas unreflektiert - die Evolution personifiziert. Was fachlich unzulässig ist. Sprachlich ist es allerdings sehr bequem.