30.06.2016

Manifeste schreiben

Weiterhin beglücke ich euch mit Nachrichten von meinem Fleiß, aber einem Fleiß, den ihr derzeit nicht zu sehen bekommt. Natürlich liegt das zum Teil auch daran, dass jetzt die ganzen Zeugnisse geschrieben werden müssen. Das nimmt viel Zeit in Anspruch.

Ein Manifest

Ich schreibe ein Manifest. Manifest, so heißt das jedenfalls. Nachdem ich doch eine recht große Sicherheit mit Python, HTML, CSS und Javascript gewonnen habe, wollte ich mich endlich mal wieder an ein großes Projekt wagen. Und um ein solch großes Projekt zu strukturieren, schreiben Informatiker Manifeste. Darin sind alle relevanten Daten für ein Computerprogramm beschrieben, alle Funktionen und alle Algorithmen.
Das Schöne an einem Manifest ist, dass man eine Computersprache gar nicht beherrschen muss. Man kann dies in der Alltagssprache erledigen. Wenn man dann Ahnung vom Programmieren hat, kann man ein solches Manifest nehmen und es in ein zweites Manifest umwandeln, in welchem man eine stärkere Anbindung an die Programmiertätigkeit findet. Daraus wiederum entsteht ein Plan, der die einzelnen Stationen des Programmierens festlegt. Und schließlich entstehen eben die Programme.

Zeit- und Projektmanagement für Autodidakten

Wofür ich ein solches Manifest schreibe? Lange Zeit hatte ich nicht so richtig eine Idee, was ich programmieren könnte. Jetzt habe ich eine. Ich werde für mich selbst Zeit- und Projektmanagement schreiben, in dem ich wichtige Termine und Zielvorstellungen eintrage. Darin soll es um die Verwaltung von Lernprojekten und Lernfortschritten gehen.
Angedacht ist, das ganze zunächst mit Python zu verwirklichen, dann mit Java. Java ist für mich deshalb auch so wichtig, weil ich damit Anwendungen schreiben kann, die ohne Hilfe auskommen.

Javascript Tutorial

Das ist nicht mein einziges Projekt. Ich habe ein recht umfangreiches Tutorial für Javascript ausgearbeitet. Noch bin ich an der Vorarbeit, obwohl sich diese recht problemlos gestaltet. Zunächst hatte ich mir einen Fahrplan erstellt, welche Videos wann in meinem Kurs auftauchen werden. Bei der Ausarbeitung hatte ich mit wesentlich mehr Veränderungen gerechnet. Zur Zeit sieht es so aus, dass ich an der entworfenen Video-Folge nichts mehr verändern muss.
Trotzdem ist das Arbeit. Für jedes einzelne Video schreibe ich einen Fahrplan. Ich schreibe einen solchen Fahrplan, auch wenn ich weiß, was ich machen möchte. An dieser Arbeit disziplinierende ich mich. In meinem HTML/CSS-Kurs habe ich zwar in den einzelnen Videos eine gute Struktur, aber mir hat vorher der Überblick über den gesamten Kurs gefehlt, so dass dieser zu unstrukturiert daherkommt.
Das möchte ich diesmal durch die umfangreichen Vorarbeiten vermeiden. Der Kurs soll ausgearbeitet sein, bevor ich das erste Video drehe.

Umwege

Ich nutze diese Ausarbeitung auch, um Unklarheiten nachzugehen. So habe ich mich am Wochenende wesentlich intensiver mit der Datenstruktur einer Website auseinandergesetzt, als ich dies für mein Tutorial brauche.
Andere Umwege führen mich zu Tutorials, die ich in Zukunft drehen möchte, so zu Programmbibliotheken von Javascript und Python. Wann und wo immer es mir möglich ist, entwerfe ich weitere Tutorials. Es ist vielleicht ganz sinnvoll, zunächst an vielen Projekten gleichzeitig zu arbeiten, ohne sich dem Druck auszusetzen, sie verwirklichen zu müssen. So ist zum Beispiel in meinem Arbeitsheft ein Tutorial zu jQuery zu finden, das sich für ganz brauchbar halte, obwohl jQuery eindeutig erst dann erklärt werden kann, wenn man Javascript verstanden hat.

Schluss

Das sind also die Sachen, mit denen ich mich im Moment beschäftige. Das Programm zum Zeitmanagement wird wohl das nächste sein, was ich schreiben werde. Ob ich dabei Zeit haben werde, nebenher auch noch das Tutorial für Javascript zu verwirklichen, bleibt fraglich. Irgendwie bleibt von der ganzen Woche dann nur noch recht wenig Zeit.

19.06.2016

Von einer 100-jährigen, die aus dem Fenster stieg, und vom negativen ästhetischen Horizont

Was für ein Wochenende! Aber das soll euch nicht bedrücken. Das nämlich, was ich alles gemacht habe, und dass ich jetzt vor meinem Computer sitze und das Gefühl habe, nichts geschafft zu haben, von dem, was auch noch wichtig gewesen wäre.

Von einer 100-jährigen, die aus dem Fenster stieg und verschwand

Da treffe ich doch eine sehr alte Frau, während ich unterwegs bin. Sie war auf dem Flohmarkt, hatte eine Tasche bei sich, und sich etwas gekauft, was ihr Mühe machte, es nach Hause zu bringen. Ich habe ihr angeboten, die Tasche zu tragen. Dann das Gespräch.
Nein, an den Ersten Weltkrieg erinnert sie sich nicht mehr, Gott sei Dank. Aber der zweite, von dem weiß sie noch. Gerne hätte sie davon nichts mehr gewusst. Und dass sie hoffentlich bald sterbe. Das sei nicht ihre Zeit. Einen dritten Weltkrieg wolle sie nicht erleben. Wovon sie spreche, fragte ich. Von all den Nazis im Internet. Sie benutze das Internet, fragte ich. Selbstverständlich, das sei ja nun billiger als Zeitungen, und auch schneller. Und außerdem könne sie so gelegentlich ihre Urenkel und Ururenkel sehen, dank Skype. Und die Kommentare lese sie natürlich auch, die unter den Zeitungsartikeln. Einmal sagt sie, dass die Deutschen sich auf einiges verstünden, aber von Gastfreundschaft hätten sie keine Ahnung. Oftmals seien ihnen andere Meinungen lästig. Alles müsse schnell gehen, auch die Meinung. Wie sie es mit den Meinungen handhabe, fragte ich. Für manche Meinungen, sagt sie, habe sie fünfzig Jahre gebraucht. Welche das seien? Nein, darauf wolle sie nicht antworten; manches müsse man mit ins Grab nehmen.
Sie also, 101, immer noch unterwegs, und bedrückend erdgebunden. Ihre Ängste: dass die verbale Gewalt in körperliche Gewalt umschlägt, dass die verbale Gewalt nicht nur darin umschlägt, sondern sie im großen Stil legitimiert. Zumindest habe ich das herausgehört.
Ich betrete ihre Wohnung nicht. Als ich mich verabschiede, fragt sie, was ich wählen würde. Zuvor, auf der Straße, schien sie meinen Fragen ausweichen zu wollen, und sie hat sie wahrscheinlich nur deshalb beantwortet, weil sie es als unhöflich empfunden hätte, darauf nicht zu antworten. Jetzt fragt sie selbst. Was ich wählen würde, und meine Antwort war: ich weiß es nicht, aber wohl demnächst wieder die Partei, die am wenigsten schlecht ist. Wie ich das entscheiden würde? Danach, was die Menschen auf der Straße brauchen, nicht nach dem, was sie nachplappern. Sie nickt und scheint einverstanden. Dann verschwindet sie, hinter ihrer Tür, nicht durch das Fenster.
Muss man erst so alt werden, um all die jüngeren zu beschämen? Oder brauchen wir erst einen dritten Weltkrieg, um in unserer Generation wieder auf vernünftige Gedanken zu kommen?

Deutschlands Zukunft

Troll

Neulich wurde ich als Troll bezeichnet. Warum? Ich habe draufgehauen, verbal. Behauptet hat jener Mensch, der mich dann so bezeichnete, dass die Juden Mischehen verachten würden, und dass der israelische Staat samt allen Menschen jüdischen Glaubens faschistisch seien. Darüber habe ich mich aufgeregt. Andere auch. Meine Widerworte erregten Unmut. Troll, das ist dann wohl eine Bezeichnung, die ich in diesem Fall mit einem gewissen Stolz tragen darf. Aber nein, mich erfüllt kein Stolz. Es ist eher Angst, die mich heimsucht, wenn ich mir diese ganzen „Gesichter“ ansehe, die versuchen, an Deutschlands Zukunft herumzuflicken.
Nein, so war es zu lesen, sie würde ihr Sachsen nicht verlassen, wo es doch jetzt so schlimm sei mit all den Ausländern und Homosexuellen woanders.
Und anderswo las ich, dass der Landser die einzige Lektüre sei, die ein echter Deutscher lesen solle.
Dazu konnte ich mich dann gar nicht mehr äußern.

Der aristokratische Staat

Bei all diesem Geplapper von Menschen mit einer offensichtlich recht beschränkten Auffassungsgabe träume ich schon davon, dass diese in der Versenkung verschwinden, in jener Versenkung, in der damals der dritte Stand verschwunden ist, als die Aristokraten herrschten. Oder zumindest so ähnlich. Ein Philosophenstaat vielleicht. Irgendetwas, was von oben, aus einem höheren und verfeinerten Blickwinkel die Diskussionen leiten könnte. Die Masse, sich selbst überlassen, wird doch allzu oft zur Bestie. Und angeleitet werden sie durch Menschen, die sich aus recht seltsamen Gründen plötzlich in einer gewissen politischen Verantwortung wiederfinden, Gauland zum Beispiel.
Wie der sich neulich bei Anne Will gewunden hat, wie er die Anklage versucht hat in eine Gegenanklage umzuwandeln, aber dies so ungeschickt, so geradezu lächerlich. Nein, das ist mit Sicherheit kein Mensch, dem man eine sublimierte Moral zusprechen kann. Der hat wohl einiges an Bildung genossen, aber die Freuden der Selbstreflexion und der Strenge mit sich selbst, die sind ihm wohl verwehrt geblieben.
Ob mich das an Hitler erinnert? Keineswegs. Hitler war kein Intellektueller. Gauland ist einer, im schlimmsten Sinne des Wortes. Wer mir dort einfällt? Stalin. Auch der war intellektuell, und auch dies ist zu hören im schlimmsten Sinne des Wortes. Der aristokratische Staat würde dem ganzen letztendlich aber doch nicht abhelfen. Der Adel war manchmal für das beste, oft aber auch für das schlimmste zu haben. Und die Aristokratie hatte immer eine Neigung zur Faulheit, weil das Geburtsrecht hinter allem stand, was eine aristokratische Person auch tat und machte.

Der negative ästhetische Horizont

Also wird in Deutschland wieder eifrig geplärrt und gehetzt. Gauland findet die deutsche Nationalmannschaft überfremdet. Zu der Herkunft seiner Kleidungsstücke hat er nichts gesagt. Woher sein Gemüse kommt, die Ersatzteile seines Autos, die Software seines Handys, nein, dazu gibt es keine Äußerungen. Selig sind die Kinder, denn ihrer ist das Himmelreich.
Und dann gibt es noch eben diese Leute, die Deutschland so vehement verteidigen. Deutschland eben, unser Deutschland. Gegen die Ausländer, gegen die islamische Flut, gegen die Überfremdung. Ich habe schon lange aufgegeben, danach zu fragen, was das genau ist, was dort verteidigt wird. Unser Sozialsystem, wird dann gesagt. Deshalb wählt man dann auch die AfD, die genau dieses Sozialsystem noch stärker beschneiden will, als es derzeit schon üblich ist. Oder es wird all dies hier verteidigt, mit einer weiten, großzügigen Geste in die Runde hinein, sozusagen in die Landschaft. Aber die Landschaft hat sich das nicht ausgesucht, deutsch zu sein. Der ist das auch wohl ziemlich egal. Und wenn man sich mitten in einer Stadt befindet, dann kann man mit Sicherheit sagen, dass das, was da verteidigt wird, in 50 Jahren anders aussieht, so wie es vor 50 Jahren anders ausgesehen hat. Der Alexanderplatz hat nur noch im Grundriss etwas damit zu tun, wie er vor 100 Jahren als Alexanderplatz war.
Diese Menschen verteidigen ein Nichts. Sie reden von einer gewissen Ästhetik, von einer deutschen Ästhetik, aber sie können dies nur, indem sie einen negativen ästhetischen Horizont aufmachen, den Horizont der Überfremdung und der Umvolkung. Sicherlich sind sie fleißig, ihre Kommentare und Videos zu posten, doch der Urgrund dieser ganzen Aktivität scheint mir doch eine radikale Faulheit zu sein. Auch dieses Deutschsein von Geburt an ist ein Pillepalle vor dem Herrn. Wer sein Deutschsein sowieso schon besitzt, der kann sich darauf herumlümmeln, wie der Asoziale auf seinem Fernseh-Sofa. Tun muss man dafür nichts. Veränderung ist doof, im Zweifelsfall radikal islamistisch, oder weniger stark ausgedrückt rot-grün-versifft, auf jeden Fall aber links, oder dem Gutmenschentum verfallen.
Nein, einen positiven ästhetischen Horizont kennen diese Menschen anscheinend nicht. Sich selbst hinzustellen und schöpferisch tätig zu sein, das gelingt diesen Menschen nicht. Sie verteidigen nur und sehen sich als Opfer. Mittlerweile haben sie eine gewisse Schlauheit und Frechheit darin gewonnen, ein sekundärer Krankheitsgewinn, möchte man meinen. Sie wagen zu produzieren, aber auf der Grundlage einer Rachsucht. Es ist diese Rachsucht, die sie verteidigen, wenig mehr.

Die Lüge

Von einer Lügenpresse, davon haben wir alle schon gehört. Ich selbst kann es mittlerweile nicht mehr hören. Es ist ein grässliches, monströses Wort. Aus dem Mund eines Heinrich Heine oder eines Karl Kraus, da wäre es statthaft gewesen. Aber was sich dieser Pöbel dort auf der Straße leistet, das ist zutiefst erbärmlich. (Karl Kraus, den hätte ich als Fürst, wenn nicht als König akzeptiert. Wenn einer verdient hätte, im Journalismus Aristokrat zu sein, dann er.)
Logisch gesehen ist das Verhältnis zwischen Menschen, ihre Moral, ihr politisches Dasein, nicht auf Fakten gegründet, sondern auf Anerkennung. Die Wahrheit dagegen kann sich nur auf Fakten beziehen. Was dem im politischen Dasein entspricht, ist die Wahrhaftigkeit, Wahrhaftigkeit in dem Sinne, dass man gegenüber dem anderen das Miteinander und Ineinander erkennt und befürwortet. Der politische Mensch ist nicht allein. Immer ist er mindestens zu zweit.
Nein, man kann hier Nietzsche darin folgen, dass die Forderung nach der Wahrheit keineswegs die Forderung nach der Wahrheit ist, sondern der Aufruf, sich zu entblößen. Entblößen soll sich der andere; der Aufruf gilt nicht einem selbst. Und noch einmal schwimmt darin diese fundamentale Feigheit mit, auf die die Pegida und all diese deutschtümelnden Deutschen ihre Bewegung bauen. Man fordert die Sichtbarkeit des anderen, aber man verweigert das Gesehen-werden. Genau aber das ist das Fundament der politischen Lüge. Es ist diese Asymmetrie des Sehens, nicht die Verweigerung der Tatsache (das wäre nur eine Lüge im naturwissenschaftlichen Sinne oder eine historische Lüge).

Auschwitz als Lüge

Was ist eine historische Lüge?
Vielleicht lässt sich das am besten an Auschwitz darstellen. Auschwitz als Tatsache ist eine historische Wahrheit. Es hat existiert. Gelogen ist, dass Auschwitz eine bestimmte Daseinsweise erzwingt, ausgenommen der, die Fakten anzuerkennen.
Mittlerweile wird im Internet nicht mehr von Auschwitz gesprochen. Aber jedesmal, wenn von der Schuld der Deutschen die Rede ist, schwingt diese Monstrosität mit, so als wäre das Schuldbekenntnis ein Automatismus, dem jeder Deutsche folgen müsse, ginge es, nach der Meinung dieses rechtspopulistischen Elends, nach der Meinung des 'rot-grün-versifften' Politikertums.
Keineswegs ist das so. Sicherlich wird zu viel und zu häufig von Schuld geredet, und sicherlich haben nicht immer die besten Köpfe versucht, eine Verbindung des deutschen Staates zu Auschwitz zu ziehen, aber der grundlegende Begriff, der sich doch bei den besseren Denkern findet, ist der der Verantwortung. In der Schuld schwingt immer noch mit, das ungeschehen zu machen, was geschehen ist. Psychoanalytisch wird die Schuld deshalb auch aus einer sublimierten Verleugnung abgeleitet (siehe dazu Leon Wurmser: Die Flucht vor dem Gewissen).
Die eine historische Lüge ist, Auschwitz zu verleugnen. Die andere historische Lüge dagegen ist, zu wissen, was Auschwitz bedeutet. Und dies ist, man möge mir das verzeihen (aber nein, lieber nicht!), das Problem von einer ganzen Reihe von sogenannten "Linken". Auschwitz bedeutet, aber was es für die Opfer bedeuten solle, das könnten uns nur die Opfer anerkennen. Die Monstrosität von Auschwitz findet sich genau in diesem Zwiespalt: dass dort das politische Dasein auf die übelste Art und Weise vernichtet wurde, wie dies einem politischen Dasein geschehen kann: durch die körperliche Vernichtung. Nichts wird dieses politische Dasein wieder auferstehen lassen, keine Gedenktafel, keine Anklage, keine Reue. Die Tatsache Auschwitz ist die Nicht-Tatsache einer sehr großen Anzahl politischer Stimmen. Wer immer glaubt, für diese Menschen anders als auf der Ebene jenes Wir-sind-vernichtet-worden sprechen zu können, lügt.

Schlusswort

Viel gäbe es zu sagen. Aber das ist heute nicht meine Aufgabe. Andere, bessere Denker haben dies längst vor mir geleistet. Ich mag hinweisen auf Hannah Arendt Vom Leben des Geistes, oder auf jenes wunderbare Fragment aus Nietzsches Nachlass, welches sich in der KSA 1886/87, 7 [6] direkt zu Beginn findet, und mit einem Satz beginnt, den man über jede Protestbewegung stellen sollte, sei es die Antifa, sei es die Pegida, sei es der Feminismus oder der Maskulinismus:
Der Sieg eines moralischen Ideals wird durch dieselben „unmoralischen“ Mittel errungen wie jeder Sieg: Gewalt, Lüge, Verleumdung, Ungerechtigkeit
Weiters habe ich über die Noten für meine Schüler gebrütet, Arendt gelesen (eben jenes eben zitierte Werk), einen unveröffentlichten Roman begonnen durchzukommentieren, ein wenig programmiert, aber doch viel mehr über die Tätigkeit des Programmierers nachgedacht, Nietzsche gelesen, an meinem Zettelkasten herum programmiert, und wie ihr an dieser Aufzählung seht, alles irgendwie recht durcheinander.
Bin ich zufrieden? Ja und nein. Der Grund, auf dem ich im Moment ruhe, ist die Zufriedenheit. Darüber aber schwebt der Geist der Unruhe und der Unzufriedenheit. So viel gäbe es zu tun. So wenig Zeit habe ich.

05.06.2016

noch so ein Tag

Früher war Facebook schlimm. Heute ist es schlimmer. Irgendwelche Möchtegern-Deutsche beleidigen andere Deutsche (zusammen mit einigen 100.000 Ausländern und Migranten) in einem erstaunlich schlechten Deutsch. Da beschimpft jemand den Spiegel online, bzw. dessen Mitarbeiter, als Untermenschen. Die keilen zurück und sprechen von einem Nazi-Kanal. Daraufhin will der Typ Strafanzeige stellen wegen Beleidigung. Als ich daraufhin frage, wie doof denn das sei, wird mir auch mit einer Strafanzeige gedroht.
Von einer Rechtsbeugung faselt eine gewisse Andrea B., weil ein dreifacher Brandstifter aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in Haft kommt, sondern in eine Tagesklinik eingewiesen wird. Sie spricht von einer unerhörten Begünstigung der Muslime. Wohl gemerkt hat jener entsprechende Mensch, selber Muslim, nicht irgendwelche Häuser angezündet, bzw. ja nur versucht anzuzünden, sondern Moscheen. Das könnte man nun so oder so auslegen.

Lesenlernen

Auch darum habe ich mich am Wochenende gekümmert, wenn auch mit großen Lücken dazwischen (man hat ja auch noch etwas anderes zu tun). Wohin mich die ganze Diskussion führt, weiß ich noch nicht. Wenn ich mir die Leute im Internet ansehe, haben dort einige keinen guten Deutschunterricht genossen. Noch mangelhafter als die Rechtschreibung ist die Fähigkeit des sinnentnehmenden Lesens. Bei einigen könnte man schon von einem funktionellen Analphabetismus sprechen.
Doch wie auch immer: auch das hat auf meinem Plan für das Wochenende gestanden.

Programmieren

Eigentlich wäre das für mich eine wichtige Freizeitbeschäftigung, zumindest derzeit. In den letzten zwei Wochen habe ich ganz grob angefangen, ein JavaScript-Tutorial zu skizzieren. In etwa stehen jetzt die Themen für etwa die Hälfte der Videos. Die Zeit, die dafür gebraucht habe, dürfte sich auf unter eine halbe Stunde beschränken. Einige Code-Schnipsel habe ich schon noch geschrieben. Aber auch da dürfte ich unter einer Stunde liegen.

Zettelkasten

Ich kann nicht sagen, dass dieser brach liegt. Doch derzeit denke ich mehr darüber nach, wie ich diesen selber programmieren könnte, und so programmieren, dass er mir in den Kram passt. Wie erfolgreich dieser Gedanke sein wird, könnt ihr wohl ahnen. Wieder mal werde ich das auf unbestimmte Zeit verschieben müssen.

Und sonst?

Sonst passiert einiges, aber da ich selbst im Moment recht viele halbe und ganze Drohungen bekomme, mag ich mich nicht weiter über Privates verbreiten. Ich lege mich gerne mit dumpfen Deutschtümlern an, weil es mir ekelt, solchen Menschen die großartige deutsche Kultur zu überlassen. Davon möchte ich aber die Menschen, die ich liebe, nicht belästigt wissen.
Obwohl ich befürchte, dass solche Menschen, die so ungebremst intelligenzlos gegen Ausländer und Politiker hetzen, irgendwann ganz Deutschland in Brand setzen werden. Und dem würden wohl die wenigsten entkommen.

Nationalstolz

Die hier geschilderte Torheit unserer Natur treibt hauptsächlich drei Sprösslinge: Ehrgeiz, Eitelkeit und Stolz. Zwischen diesen zwei letzteren beruht der Unterschied darauf, dass der Stolz die bereits feststehende Überzeugung vom eigenen überwiegenden Werte in irgendeiner Hinsicht ist; Eitelkeit hingegen der Wunsch, in andern eine solche Überzeugung zu erwecken, meistens begleitet von der stillen Hoffnung, sie infolge davon auch selbst zu der seinigen machen zu können. Demnach ist Stolz die von innen ausgehende, folglich direkte Hochschätzung seiner selbst; hingegen Eitelkeit das Streben, solche von außen her, also indirekt zu erlangen. Dementsprechend macht die Eitelkeit gesprächig, der Stolz schweigsam.
[...]
Die wohlfeilste Art des Stolzes ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen.
[...]
Dem Nationalcharakter wird, da er von der Menge redet, nie viel Gutes ehrlicherweise nachzurühmen sein. Vielmehr erscheint nur die menschliche Beschränktheit, Verkehrtheit und Schlechtigkeit in jedem Lande in einer andern Form und diese nennt man den Nationalcharakter.
Schopenhauer, Arthur: Aphorismen zur Lebensweisheit. in: GW IV, S. 428-430
Nun, man sollte doch meinen, dass diese plärrenden und lärmenden Gut-Deutschen (zum Glück) noch keinen Nationalstolz haben, sondern "nur" eine Nationaleitelkeit. Dass sie an der fremden Meinung hängen, wie der Gehängte am Strick.
Und ist es nicht seltsam, dass man zwar vieles darüber hört, was das Deutsche nicht ist, aber wenig darüber, was das Deutsche ist? Kann es sein, dass das Deutsche vielleicht gar nichts ist? Dass es so hohl und leer ist wie die Trommel, die einst zu den Tänzen Atta Trolls geschlagen wurde?

04.06.2016

Finger weg von unseren Frauen

Also eigentlich: "Finger weg von unseren Frauen!", denn mein Spruch ist das nicht.
Nun könnte man sich ja das Gegenteil denken, also "Finger dran, an unsere Frauen!" - Dies wird wohl auch fleißig gepostet, und dazu ge-uzt, man verschachere jetzt "seine (also 'unsere') Frauen" an die Ausländer.

Verneinungen

Aber diese kleine Szene, die wir dem FPÖ-Menschen Armin Sippel verdanken, zeigt auf ein generelles Problem.
Der deutsche Satz lässt nicht nur eine explizite, sondern auch eine implizite Verneinung zu. Explizit verneint wird meist über das Verb, bzw. das Prädikat des Satzes. Dies wäre "Finger weg", in seiner elliptischen Form. Was an dem Video von Sippel (unter anderen Dingen) so lächerlich ist, was schon an der ganzen Diskussion um die "Sylvester-Vorfälle" so lächerlich war, war ein ganz anderes Wörtchen, was sich in die Debatte eingeschlichen hat, jenes "unsere", ein Wort, das einen Zugehörigkeits-, aber auch einen Besitzanspruch markiert.
Keine Frage: das Bedrängen und Nötigen von Frauen, und natürlich erst recht das, was darüber hinaus geht, ist schlimm, um nicht zu sagen, widerlich. Hier Frauen zu schützen ist Pflicht, aber es ist eben ganz allgemein, nicht wählerisch die Pflicht. Als ich mich neulich zu der Kopftuchfrage geäußert habe, da war meine leitende Idee dabei nicht, ob Kopftuch oder nicht, sondern ob der Individualwille einer Frau akzeptiert wird. Sittliche Autonomie, die zugleich der umfassende Begriff von Meinungs- und Religionsfreiheit ist, ist nun mal der zentrale Wert unserer Kultur, zugleich deren politischer Gegenbegriff von der Würde des Menschen. Unsere Kultur hat eben sittliche Autonomie, damit Meinungs- und Religionsfreiheit zu gewährleisten. Und was mir sehr viel mehr Sorge macht, ist nicht, dass der Islam patriarchal ist; - obwohl er das zweifellos ist, sondern dass sich über den Vorwurf und unter dem sehr zweifelhaften Schirm des Wörtchens "Schutz" das sowieso Patriarchale unserer Kultur wieder breite Bahn bricht.

Das Patriarchat

Was das Patriarchat angeht, so darf ich mich hier als Pessimisten vorstellen. Wir werden, solange wir Kultur wollen, nicht um hegemoniale Effekte herum kommen. Hegemonie entsteht. Da kein Mensch alles machen kann, da auch kein Mensch alles denken kann, da zudem jeder Mensch sich durch seine Umgebung beeindrucken lässt, entstehen wohl oder übel bestimmte Formen der Logik, bestimmte Formen der logischen Kürzel (Enthymeme), die dann keineswegs logisch sein müssen; und schließlich gibt es auch bestimmte, automatisierte Konnotationen, die die alltägliche Interpretation von Ereignissen leiten.
Das Patriarchat, bzw. die hegemoniale Männlichkeit als dessen kulturelles Pendant, ist keine Wahl, sondern eine Struktur, die sich den Menschen aufdrängt. Sie drängt sich, klassischerweise, den Männern und Frauen in Form von an Äußerlichkeiten gewonnenen Rollen auf. Werden solche Äußerlichkeiten zurückgedrängt (ich spreche nicht von: beseitigt), dann verschwindet die Struktur nicht. Sie macht bloß dafür Platz, dass nun auch mal Frauen den Patriarchen mimen können. Die patriarchale Feministin, das ist nur oberflächlich ein Widerspruch.
Aber ich will das nicht so stehen lassen. Die Verwirrung der Codierungen ermöglicht am Rande auch die Entdeckung und Erschaffung neuer Rollenbilder, neuer Klischees. Sie braucht mehr Geist, mehr Feinfühligkeit, mehr Offenheit, auf beiden Seiten. Oder: weil hier die Vielfalt mitschwingt, auf allerlei Seiten.
So sehe ich zwar seit Jahren, fast schon Jahrzehnten, dass sich der Kern der Kultur nicht sonderlich geändert hat. Es sind dieselben Mechanismen, nur dass Frauen diese jetzt auch nutzen; wir sind den patriarchalen Enthymemen nicht entkommen. Aber die gelegentliche Verwirrung hat den Rändern unserer Kultur mehr Freiheiten ermöglicht. Homosexualität ist selbstverständlicher geworden, alleinerziehende Mütter werden respektiert und bedingt gut geschützt, zumindest, was den europäischen Vergleich angeht. "Seltsame" Lebensformen sind nicht mehr nur dem Adel zugänglich.
Der Kampf gegen die patriarchalen Strukturen hat zwar nicht im Kern, aber doch an den Rändern Effekte hinterlassen.

Kultur als Filter

Kultur und das Erschaffen von Kulturen wird mithin durch bestimmte, meist "irgendwie" dogmatische Filter bestimmt. Grenzüberschreitungen von der einen Seite des Filters auf die andere werden an Merkmalen festgehalten, die konnotativ bestimmt, aber meist denotativ behauptet werden. Denotativ, damit ist die direkte Benennung gemeint: ein Merkmal weist kausal auf eine bestimmte Wesensart hin, auf eine im Kern eindeutig fassbare Existenz; so geschehen mit (wahlweise) Juden, Frauen, Bolschewiken, Faschisten, Moslems, Männern. Semiotisch gesehen handelt es sich allerdings um Konnotationen: also um mehr oder weniger diffuse Ideen, die sich im Zuge der Denotierung an einer Zeichenkette vereindeutigen und zu verwirklichen scheinen.
Kulturen filtern und kanalisieren die beständige Verwechslung von Konnotationen als Denotationen.
Wohlgemerkt: eine Kultur existiert nicht ohne Filter, und es ist keineswegs so, dass man dieser Filter Herr werden könne, dass man sie wahlweise austauschen könne gegen bessere Filter. Der Feminismus, so positiv er in vielem war und ist, hat mit seinem Weg in die Etablissements auch mehr und mehr einen dogmatischen Kern entwickelt, der in den wütenden Protesten schon angelegt war. Ich will damit weder etwas gegen die Proteste sagen, die in den meisten Fällen berechtigt waren, noch etwas gegen den Weg in die Institutionen. Was ich bezweifle, ist, dass dieser Wandel ein tatsächlicher Wandel ist, und dass seine Effekte deutlich positiv sind. Womit ich auch sagen möchte, dass eine Rückkehr zu einem Zustand vor dem Feminismus ebenfalls keine Option sein kann.

Der imaginierte Moslem

Filter erzeugen Kultur. Da zwischen solchen Filtern (bestimmten Codierungen, bestimmten Strategien der Codierung, bestimmten Enthymemen) und der Kultur eine beständige Wechselwirkung besteht, da kulturelle Codes nie naturwissenschaftlich fest stehen, gibt es immer undeutliche, fließende Bereiche innerhalb einer Gesellschaft.
In einer Kultur entstehen aber auch und immer wieder, es lässt sich wohl nicht verhindern, Maschinerien der Vereindeutigung, kulturelle Zentren, die den Übergang von Konnotationen zu Denotationen zu einem zentralen Mechanismus machen. In einer solchen Position sehe ich die Pegida, die AfD, aber auch den "Konservatismus" im Allgemeinen. Er ergreift Kulturen, kulturelle Gruppierungen, Einzelpersonen. Man findet diese Zentren links und rechts (sofern man von einer solchen schnöden Einteilung noch ausgehen mag), FeministInnen und MaskulinistInnen, Gender-Mainstreamer und Anti-Gender-Mainstreamer.
Mit solchen Strategien wird die Kultur übersichtlich, dogmatisch. Sie reduziert sich, erzeugt sich ihre Gegner selbst, und gelegentlich rutscht sie in das Gebiet der Unkultur ab, dort, wo der zerstörerische Charakter einer solchen Reduktion offenbar wird. Davon sind muslimische Kulturkreise ebenso betroffen wie deutsche (oder westliche).
Was derzeit passiert, ist, dass sich diese kulturelle Reduktion in einem solchen Maße in die Institutionen einbringt, und das auf eine denkbar gefährliche, unkultivierte Art und Weise. Die Reduktion wird damit institutionalisiert und damit das Feindbild, die andere Seite der Kultur, ebenfalls, und zwar genau dadurch, dass sie de-institutionalisiert wird (der Moslem wird zum Vagabunden, Terroristen, Barbaren).
Diese andere Seite der Kultur, ihr Ausgeschlossenes, das kann man zum Beispiel bei Bernhard Waldenfels nachlesen, ist zutiefst mythisch. Es gibt nichts mehr in der Kultur, was diese andere Seite begreift, weil die Übersetzungsprozesse verloren gegangen sind. Indem wir die Übersetzungen zwischen "muslimischen" und "deutschen" Kulturen ausdünnen, machen wir aus dem Muslim einen Mythos. Und, wenn ich mir bestimmte Internet-Seiten ansehe, bestimmte Aussagen auf twitter und facebook, dann ist dieser Schritt schon längst geschehen.
Es ist wohl wahr, wenn die AfD sagt, der Islam gehöre nicht zu deren Kultur. Wahr insofern, als es oberflächliche Merkmale gibt, die diesen Ausschluss scheinbar notwendig machen. Doch natürlich ist auch das Gegenteil richtig: strukturell und funktional gesehen ist dieser Weg in den Anti-Islamismus auf genau dieselben Mechanismen zurückzuführen wie dies bei der Radikalisierung von Islamisten beobachtet werden kann. Es mag zwar sein, dass der Islam hier kürzere und leichtere Wege in die kulturelle Reduktion anbietet und insofern tatsächlich die westliche Kultur eine offenere und eventuell bessere ist. Aber es ist absurd, diese "Überlegenheit" dadurch zu verwirklichen, dass man sie abschafft.

01.06.2016

Killerstrategien fürs Schreiben

Man mag es drehen und wenden wie man will, das Oxymoron ist für die schriftstellerische Praxis ein wichtiger Bestandteil. Was ist ein Oxymoron? – Ein scharfer Widerspruch! Etwas, was eigentlich nicht zusammenpasst und den Leser oder Hörer stutzig machen sollen. Argumentativ ausgeführt handelt es sich dann um ein Paradox.

Die acht Killerstrategien des Stephen King

So vollmundig, so pompös. Und was liest man dort? Zunächst einmal, dass man einfach so schreiben soll, wie man sich das denkt; dann aber, kurz darauf, dass jedes Wort zählt (und wohl mit Bedacht gesetzt werden sollte).
Wie ihr wisst, liebe ich King. Ich halte ihn für einen äußerst intelligenten Menschen. Ich möchte also an diese acht Strategien eine neunte dranhängen: Falls ihr noch nicht intelligent seit (was ja ein wenig an den Genen liegt), wartet mit dem Schreiben bitte auf eure Wiedergeburt. Schreibt keinesfalls einen Thriller mit einem Serienkiller, auch keine heiße Romanze zwischen einer jungen Hexe und einem von moralischen Selbstzweifeln geplagten, aber doch äußerst männlichen Werwolf, bleibt den gay romances mit ihren lähmenden Wiederholungen fern, und glaubt ja nicht, ihr müsstet jetzt einen humorvollen Roman schreiben, weil gelegentlich die Leute in eurer Umgebung lachen (in Wirklichkeit lachen sie über euch, und sie werden noch mehr lachen, wenn sie euren Roman zu lesen bekommen).

Wozu braucht der Schriftsteller Fantasie? Und was ist das überhaupt?

Ersetzen wir mal das Wort Fantasie, Imagination, Vorstellungskraft durch das Wort Einbildungskraft, und suchen wir einen recht alten Herren auf, der dazu einiges zu sagen wusste, den Herrn Immanuel Kant. Bei ihm vermittelt die Einbildungskraft zwischen der Empfindung (bzw. der Sinnlichkeit) und dem Verstand (der die Begriffe bildet und ordnet). Kant hatte zwar mehr und mehr Probleme, diese Einbildungskraft in seinem Gedankengebäude unter Kontrolle zu halten, und gelegentlich bekommt man beim Lesen der Kritik der praktischen Vernunft den Eindruck, dass sie ihm vollständig entgleitet, aber als ein besserer Schritt erscheint sie mir doch sinnvoll, zumindest eine Weile.
Dies als Vorgeplänkel.
Die Einbildungskraft, so kann man Kant in gewisser Weise lesen, ist der Kitt zwischen einem sinnlichen Schreiben und einem intelligiblen (was man hier als ein verständliches, spannendes, den Leser führendes Schreiben verstehen darf). Demnach ist die Einbildungskraft (oder, wie sie früher in Französischen übersetzt wurde, die fantasie) keineswegs bunt und wild, sondern hat ganz praktische Auswirkungen.

Brauchen wir Schreibtipps?

Diese Frage kann man sich leicht übersetzen: brauchen wir noch einen Schreibratgeber, der zum 100.000. Mal wiederholt, was schon tausend Leute vorhergesagt haben, der das als besonders wichtig und besonders elitär verkauft, was in Wirklichkeit eine Banalität ist? Brauchen wir also Schreibratgeber? Brauchen wir Bücher, wie man einen verdammt guten Roman schreibt?
Nicht wirklich. Die eigene Stimme wird man dabei nicht finden. Auch nicht die eigene Intelligenz. Manche Menschen können sich besser vermarkten als andere, die werden vielleicht Erfolg haben. Und manchmal gibt es auch jemanden, der tatsächlich eine eigene Art zu schreiben gefunden hat, obwohl solche Menschen selten sind. Nein, wie man die eigene Stimme findet, das sagen einem all diese Schreibtipps nicht. Und wenn man sie fleißig befolgt, bekommt man vor allem eines: eine hölzerne Sprache. Und dann wäre doch eine gute, lang anhaltende, hartnäckig wiederkehrende Schreibblockade viel menschenfreundlicher, als Twitter und Facebook und Instagram damit zuzuposten, dass man gerade einen Roman geschrieben hat, der sich ›Begehren der Nacht‹ nennt und einem die entblößte Schulter einer jungen Frau zeigt, auf dem cover natürlich. Dann würden wir auch die Schulter zeigen, und zwar die kalte.

Schriftstellerischer Erfolg

Wenn man aber wirklich jenen Artikel liest, der diese acht Killerstrategien „offenbart“, dann geht es vor allem um eins: um den mordsmäßigen Verkauf von Büchern, um das viele Geld, um die internationale Berühmtheit. Geht es also um das Schreiben oder um das eigene Ego?
Aber ich möchte nicht meckern. Meinetwegen dürfen die Menschen massenhaft diesen Schreibtipps nacheifern. Sie werden damit keinen Blumentopf gewinnen. Und sie werden auch keine einzigartigen Romane schreiben. Darin steckt viel Arbeit, viel mehr Arbeit, als eine einfache, ungepflegte Intuition.
Und vermutlich werden darüber so viele schreibende Menschen frustriert, dass sie einfach aufhören zu schreiben, statt sich lange und intensiv und vielfältig mit diesem eigentlich wunderschönen Beruf (und natürlich seinen Produkten) auseinanderzusetzen.
Ich habe mal die selfpublisher-Szene verteidigt. Das ist heute nicht mehr so. Es gibt noch Idealisten (wie zum Beispiel die Leute von Qindie), aber allzu oft eben auch Selbstdarsteller und kleine Erdogans. Die viel wollen und wenig können.